Kategorie-Archiv: arp museum Bahnhof Rolandseck

„Den Wahnsinn der Menschheit heilen helfen“ – Dada lebt, zumindest im Arp-Museum Rolandseck mit „der die DADA. Unordnung der Geschlechter“ vom 7.07.24 – 12.01.2025

Auch beeinflusst von der Lebensreformbewegung und Freud'schen Psychoanalyse formierte sich vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs unter in die Schweiz geflüchteten Künstlern 1916 die Dada-Bewegung als Protestplattform gegen Krieg und Enge bürgerlicher Konventionen und Geschlechterrollen. Dadaist zu sein konnte "alles"  sein, und bedeutet hinsichtlich darstellender Aktionen auch, ein wenig extravagant und mutig und manchmal wohl auch ein wenig exhibitionistisch zu sein. Farbfotografie, Abzug von Autochromplatte, Modern Print Kunsthaus Zürich, Bibliothek: Johann Adam Maisenbach, Suzanne Perrottet, Rudolf von Lalbahn und Tanzende am Lago Maggiore bei Ascona, 1914. © Foto Heike von Goddenthow
Auch beeinflusst von der Lebensreformbewegung und Freud’schen Psychoanalyse formierte sich vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs unter in die Schweiz geflüchteten Künstlern 1916 die Dada-Bewegung als Protestplattform gegen Krieg und Enge bürgerlicher Konventionen und Geschlechterrollen. Dadaist zu sein, konnte „alles“ sein, und bedeutet hinsichtlich darstellender Aktionen auch, ein wenig extravagant und mutig und manchmal wohl auch ein wenig exhibitionistisch zu sein. Farbfotografie, Abzug von Autochromplatte, Modern Print Kunsthaus Zürich, Bibliothek: Johann Adam Maisenbach, Suzanne Perrottet, Rudolf von Lalbahn und Tanzende am Lago Maggiore bei Ascona, 1914. © Foto Heike von Goddenthow

In der fulminanten Überblicksschau „der die DADA. Unordnung der Geschlechter“ vom 7. Juli 2024 bis zum 12. Januar 2025 im arp Museum Rolandseck wird erstmals die unterschätzte Bedeutung von Künstlerinnen im Dadaismus untersucht.

Kaum eine andere Kunstbewegung hat  im 20. Jahrhundert die Kunstszene in Malerei, Mode, Tanz, Literatur und Musik sowie die Gesellschaft so verändert und geprägt wie DADA. Dass insbesondere auch viele Künstlerinnen einen entscheidenden Anteil am Entstehen und Erfolg des Dadaismus hatten, ist zumeist weniger bekannt. Aufbauend auf der 2016 in Zürich anlässlich 100 Jahre DADA gezeigten Schau „Die Dada. Wie Frauen Dada prägten“ von Ina Boesch, möchte „der die DADA“ dies nun ändern. So haben die Kuratorinnen Dr. Julia Wallner ( Direktorin des arp Museums), Helene von Saldern und Joëlle Warmbrunn rund 200 Gemälde, Papierarbeiten, Fotografien und Filme sowie Archivmaterial aufwändig recherchiert und zu dieser Schau zusammengetragen, die in der Tat einen ganz neuen Blick auf die Entstehung des Dadaismus erlaubt. Neben Werken von berühmten Künstlerinnen wie Hannah Höch, Sonia Delaunay und Sophie Taeuber-Arp werden insbesondere auch Arbeiten von Künstlerinnen gezeigt, die in der Kunstgeschichtsschreibung über viele Jahrzehnte hinweg wenig bis keine Erwähnung fanden. Dazu gehören zum Beispiel Elsa von Freytag-Loringhoven, Angelika Hoerle oder Suzanne Duchamp und zahlreiche weitere DADA-Frauen, die gleichwertig neben ihren männlichen Kollegen präsentiert werden.

Begrüßt werden die Besucher von der  gebürtigen deutschen Eisa von Freytag-Loringhoven - be­ kannt als „die Baroness". Sie verkörperte Dada als wandeln­des performatives Kunstwerk mit Haut und Haar. Unge­achtet der gesellschaftlichen Erwartungen schockierte sie mal mit kahl rasiertem Kopf, mal nackt oder mit exzentri­scher Kleidung und geräuschvollen Accessoires aus Löffeln oder Tomatendosen die l'vienschen auf den Straßen New Yorks. In ihren experimentellen und ekstatischen Texten thematisierte sie provokativ und detailreich das weibliche Verlangen und damit auch die normativen Geschlechter­ rollen. In ihrem neuen Roman „Nackt war ich am schönsten" lässt Veronika Peters die schillernde Dada-Künstlerin Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven wieder auferstehen und von ihrem ereignisreichen Leben erzählen. © Foto Diether von Goddenthow
Begrüßt werden die Besucher von der gebürtigen deutschen Elsa von Freytag-Loringhoven – be­kannt als „die Baroness“. Sie verkörperte Dada als wandeln­des performatives Kunstwerk mit Haut und Haar. Unge­achtet der gesellschaftlichen Erwartungen schockierte sie mal mit kahl rasiertem Kopf, mal nackt oder mit exzentri­scher Kleidung und geräuschvollen Accessoires aus Löffeln oder Tomatendosen die l’vienschen auf den Straßen New Yorks. In ihren experimentellen und ekstatischen Texten thematisierte sie provokativ und detailreich das weibliche Verlangen und damit auch die normativen Geschlechter­ rollen. In ihrem neuen Roman „Nackt war ich am schönsten“ lässt Veronika Peters die schillernde Dada-Künstlerin Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven wieder auferstehen und von ihrem ereignisreichen Leben erzählen. © Foto Diether von Goddenthow

1916 vor dem Hintergrund des Ersten Weltkriegs in der von Emmy Hennings und Hugo Ball geführten Künstlerkneipe Cabaret Voltaire in Zürich von Exilanten wie Hans Arp, Marcel Janco und Richard Huelsenbeck als kreative Protestform gegründet, entwickelte sich dada rasch zu einer internationalen und grenzüberschreitenden Bewegung gegen Krieg und Militarismus, Rationalisierung der Kunst und Mechanisierung der Welt. Dieser Bewegung fühlten sich alsbald auch Kollektive und zahlreiche nach USA emigrierte Einzelkünstler in New York, in Paris, Berlin, Hannover und Köln zugehörig. „Die Beteiligten zielten auf die Durchdringung von Kunst und Leben“, so Dr. Julia Wallner. Dabei bildeten Sprache, Tanz, Musik und grafisch-visuelle Ausdrucksmittel das Grundvokabular, mit dem eine den Menschen befreiende Existenzform entwickelt werden sollte. Auch Aktionen, performative Inszenierungen, Soireen und Happenings auf Bühnen oder der Straße waren dafür essenziell.

Den menschlichen Wahnsinn künstlerisch heilen?

Ausstellungs-Impression "der die DADA. Unordnung der Geschlechter“, vom 7.07.24 – 12.01.2025 © Foto Diether von Goddenthow
Ausstellungs-Impression „der die DADA. Unordnung der Geschlechter“, vom 7.07.24 – 12.01.2025 © Foto Diether von Goddenthow

Dass die relativ kurze, sehr lebendige Kunstbewegung einen so langen Nachhall entwickelte, der in den Kunstentwicklungen des 20 Jahrhunderts derart breite Nachwirkungen hatte, hing, so Dr. Wallner, sicher auch mit der Gründungshistorie zusammen: „Es war zunächst eine Bewegung von Exilanten, die sich natürlich nicht zufällig in Zürich, sondern eben in der neutralen Schweiz zusammengefunden hatten, um dem Kriegsgeschehen zu entkommen“. Darunter war beispielsweise auch der aus dem Elsass stammende deutsch-französische Maler, Grafiker, Bildhauer und Lyriker Hans Arp, der in der Schweiz auf emigrierte gleichgesinnte Künstler vieler Länder traf, was Dada von vornherein zu einer internationalen Bewegung machte. Gleichermaßen verband die bunt zusammengewürfelten Künstler eine zentrale Frage: „Wie können wir der Absurdität unserer Zeit trotzen, ihre Ambivalenzen aushalten, und etwas mit der Kunst entgegensetzen? Wie können wir aus Unsinn Sinn erschaffen und den Menschen vom Wahnsinn der Zeit heilen“, erklärt Dr. Wallner den explosiven Gründungsmoment der ersten, sich immer wieder unter anderen Vorzeichen neu formierenden Dadaisten. „Anstelle der Produktion immer neuer „Ismen“ rief Dada vehement und spielerisch zur Zerstörung der alten Ordnung auf. Für Hans Arp bestand das Ziel in der Aufhebung der Grenze von Kunst und Leben: ‘Während in der Ferne der Donner der Geschütze grollte, sangen, malten, klebten, dichteten wir aus Leibeskräften. Wir suchten eine elementare Kunst, die den Menschen vom Wahnsinn der Zeit heilen, und eine neue Ordnung, die das Gleichgewicht zwischen Himmel und Hölle herstellen sollte.‘“ 1)

Nach relativ kurzer Zeit endet die Dada-Geschichte in Zürich im Streit, und viele ihrer Mitglieder zogen nach Kriegsende weiter. „Mancher Gedanke entwickelte sich zum Surrealismus und einer stärkeren Innerlichkeit. Dada als Idee jedoch verselbstständigte sich und fand in vielen Städten eigene, teils unabhängige Formen – in Paris, Berlin, Hannover, Köln und New York. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wird die Tragweite dessen klar, was die Kunstbewegung auslöste.“ führt ein Wandtext in die Ausstellung ein.

,,Nicht nur die kapitalistische Wirtschaft, sondern auch alle Wahrheit, Ordnung, Recht, Moral, auch alles Männliche und Weibliche ist in Auflösung. "1 RAOUL HAUS!v1ANN, 1918 Ausstellungsimpression. © Foto Diether von Goddenthow
,,Nicht nur die kapitalistische Wirtschaft, sondern auch alle Wahrheit, Ordnung, Recht, Moral, auch alles Männliche und Weibliche ist in Auflösung. „1 RAOUL HAUS!v1ANN, 1918 Ausstellungsimpression. © Foto Diether von Goddenthow

Dadaist konnte jeder sein
Im Kern war Dada eine revolutionäre Bewegung. Was Dada, häufig für beendet erklärt und doch immer wieder lebendig, eigentlich ist, konnte jedoch bis heute noch nicht genau definiert werden, da dada auch immer das Gegenteil von dada ist. Selbst das kollektiv unterzeichnete dadaistische Manifest von 1918 schließt mit den sich selbst ad absurdum führenden Worten: ,,Gegen dies Manifest sein, heißt Dadaist sein!“ 2) „Und Wieland Herzfelde behauptete: ‘Jedermann konnte sich Dadaist nennen, dafür, daß man ihn dafür hielt, mußte er selbst sorgen. ‘“ 3)

Wenngleich Dada eine bis an Nihilismus und Sinnlosigkeit grenzende „totale“ Offen- und Beliebigkeit in Kunst und Leben proklamierte, waren „die Themen, die Dada in Zürich, Paris, Berlin, Hannover, New York, Köln, und schließlich weltweit kreativ verhandelte, ähnlich, auch wenn Mittel, Methoden und Ansätze sich teils deutlich unterscheiden.“ 4)

Wer hat’s erfunden?
Diese Vielschichtigkeit und Diversität unterschiedlicher Blickwinkel der weltweit wichtigsten Dada-Zentren werden in der Ausstellung hervorragend aufbereitet und dargestellt. Dabei werden erstmals vor allem Aktionen, Werk und Bedeutung der Dada-Frauen ins Zentrum der Betrachtung gerückt. Der Bogen ist weit gespannt , bis hin zu der – filmisch untermauerten – provokanten Frage: War Marcel Duchamp rechtmäßiger Urheber des ersten Readymades, seines berühmten Pissoirs? Oder geht die Idee zurück auf Elsa von Freytag-Loringhoven, die in New York als ein mit Haut und Haar wandelndes Dada verkörperndes performatives Kunstwerk berühmt und mit Duchamps verbunden war. „Die Baroness“, schmückt Plakat und Katalog der Ausstellung „der die DADA“.

Unordnung der Geschlechter bei Dada

Ausstellungs-Impression: Hannah Höch Dada-Puppen, Rekonstruktionen von Isabel Kork und Barbara Kugel. © Foto Heike von Goddenthow
Ausstellungs-Impression: Hannah Höch Dada-Puppen, Rekonstruktionen von Isabel Kork und Barbara Kugel. © Foto Heike von Goddenthow

Ein neuer Aspekt, den die Ausstellung „der die DADA“ neben der Herausstellung der Dada-Frauen beleuchtet, ist die Bedeutung von Geschlecht, Rollenbildern und Sexualität, die im Dadaismus oftmals fluide verstanden wurden. Dazu heißt es in einem Wandtext der Ausstellung: „Zugleich werden Werke von Männern gezeigt, die in dadaistischer Manier Geschlechtlichkeit neu denken. In Text und Bild verbinden sie die Revolution in der Kunst mit der Revolution der Geschlechter – zu einer Zeit, in der Homosexualität in fast allen Ländern der Erde unter Strafe stand und Frauen viele gesellschaftliche Zugänge verwehrt waren. Dada ist damit die erste Kunstströmung, in der Frauen wie Männer aktiv und aktionistisch an der Durchlässigkeit von Rollenbildern wirkten“. Beispiel dafür sind die berühmten Crossdressing-Fotografien von Marcel Duchamp als Rrose Sélavy des Fotografen Man Ray um 1921. Sie zeigen, dass sich nicht nur Frauen von traditionellen Rollenzuschreibungen lösten, sondern auch Männer Geschlechtlichkeit in dadaistischer Manier neu interpretierten. So zieht die Ausstellung „der die DADA“ gekonnt eine Verbindung von den gesellschaftserneuernden Positionen der Dada-Avantgarde hin zu den aktuellen heutigen Diskursen.

Zeitgenössische Künstler und Künstlerinnen und DADA
Um dem zeitgebundenen Charakter der DADA-Kunst gerecht zu werden, der auf Improvisation und situativem Erleben basiert, hat das Arp Museum zeitgenössische Künstler eingeladen, diese Inhalte in die heutige Zeit zu übertragen und erfahrbar zu machen. Dazu gehören eine Klanginstallation von Susan Philipsz, ein recherchebasierter Film von Barbara Visser, eine Tanzperformance von Brygida Ochaim sowie DADA-Texte, die von Dirk von Lowtzow intoniert werden. Die Ausstellung wird von einem umfangreichen Begleitprogramm ergänzt.

Die Ausstellung und Dada-Bühne

Besucherin auf der dada-Bühne im Dada-Kleid, hier ein Entwurf von  Sonia Delaunay, geschneidert von der Kostümbildnerin Beate Marx Hansen. © Foto Diether von Goddenthow
Besucherin auf der dada-Bühne im Dada-Kleid, hier ein Entwurf von Sonia Delaunay, geschneidert von der Kostümbildnerin Beate Marx Hansen. © Foto Diether von Goddenthow

Die Ausstellung gliedert sich entsprechend der wichtigsten DADA-Zentren „Zürich“, „Paris“, „Berlin“, „Köln“ und „New York“ in fünf Bereiche. Zudem lädt eine der dem Züricher Cabaret Voltaire nachempfundenen Dada-Bühne die Besucher ein, auch mal in ein Dada-Kleid, und damit in verschiedene Rollen zu schlüpfen. Jedes hier von der Kostümbildnerin Beate Marx Hansen nachempfundene Kleidungsstück wird man auch auf irgendeinem Bild in der Ausstellung „der die DADA“ entdecken können.
Die rundum gelungene Ausstellung lohnt. Man sollte sich, wenn möglich, hierfür ein paar Stunden Zeit nehmen, und sich am besten anschließend den ebenfalls didaktisch gut aufbereiteten Begleitkatalog gönnen.

Ausstellungskatalog
katalog cover der die DADA hirmer 2024 160xpZur Ausstellung ist ein wunderbarer Katalog im Hirmer Verlag (288 Seiten, 200 Abbildungen, 38,00 Euro, ISBN/GTIN978-3-7774-4443-7) erschienen, herausgegeben von Julia Wallner. Der Katalog enthält Beiträge von Astrid von Asten, Christa Baumberger, Ina Boesch, Simone Gehr, Nora Gomringer, Talia Kwartler, Agathe Mareuge, Brygida Ochaim, Helene von Saldern, Isabel Schulz, Ursula Ströbele, Julia Wallner und Joëlle Warmbrunn. Diese begleiten gekonnt die Ausstellung und vertiefen in gut verständlicher Sprache die zentralen Aspekte der neuesten Dada-Forschung insbesondere im Hinblick auf die Dada-Frauen und diskutierte Geschlechter-Fluidität.

(Diether von Goddenthow )

Flyer zur Ausstellung

Ort:
Arp Museum Bahnhof Rolandseck
Hans-Arp-Allee 1 – 53424 Remagen
Tel. +49(0) 22 28 94 25
info@arpmuseum.org
arpmuseum.org

Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen 11 -18 Uhr
Dienstags für angemeldete Gruppen ab 9 Uhr

 

Quellen:
1)Hans Arp: Unsern täglichen Traum …, Erinnerungen, Dichtungen und Betrachtungen aus den Jahren 1914-1954, Zürich 1955, S.51, zitiert nach Julia Wallner „der die DADA“ in: Begleitkatalog „der die DADA“, Schirmer-Verlag, München 2024, S.23.
2) Richard Huelsenbeck (Hrsg.): Dada-Almanach. Im Auftrag des Zentral­amts der deutschen Dada-Bewegung, Berlin 1920, s.36-38, , zitiert nach Julia Wallner „der die DADA“ in: Begleitkatalog „der die DADA“, Schirmer-Verlag, München 2024, S.23.
3 ) Wieland Herzfelde in: Der Malik-Verlag, 1916-1947. Ausstellungskatalog, Berlin o. J., S. 24 f. zitiert n. Julia Wallner „der die DADA“ in: Begleitkatalog „der die DADA“, Schirmer-Verlag, München 2024, S.23
4) Julia Wallner „der die DADA“ in: Begleitkatalog „der die DADA“, Schirmer-Verlag, München 2024, S.23.

Maestras. Malerinnen 1500 bis 1900 – arp museum lässt alte und neue Meisterinnen neu entdecken

In der Sonderausstellung „Maestras. Malerinnen 1500 – 1900“, vom 25.Februar bis 16. Juni 2024 im arp-museum Bahnhof Rolandseck, sind außergewöhnliche Werke großer Meisterinnen zu entdecken. Hier ein Ausschnitt aus Rachels Ruyschs Stilllelben Früchte, Blumen, Reptilien ca. 1716. Sie war zu ihrer Zeit damit so gefragt, dass sie für ihre Blumenstillleben das Doppelte erlösen konnte, als Rembrandt für seine Historienbilder. Während Rembrandt bis heute in aller Munde ist, kennt die niederländische Malerin Rachel Rysch wahrscheinlich kaum jemand.  © Foto Diether von Goddenthow
In der Sonderausstellung „Maestras. Malerinnen 1500 – 1900“, vom 25.Februar bis 16. Juni 2024 im arp-museum Bahnhof Rolandseck, sind außergewöhnliche Werke großer Meisterinnen zu entdecken. Hier ein Ausschnitt aus Rachel Ruyschs Stilllelben Früchte, Blumen, Reptilien, ca. 1716. Sie war zu ihrer Zeit damit so gefragt, dass sie für ihre Blumenstillleben das Doppelte erlösen konnte, als Rembrandt für seine Historienbilder. Während Rembrandt bis heute in aller Munde ist, kennt die niederländische Malerin Rachel Ruysch wahrscheinlich kaum jemand. © Foto Diether von Goddenthow

Während  die Meister der Malerei wie da Vinci, Rembrandt, Monet, van Gogh oder Vermeer jedem ein Begriff sein dürften, ist das bei den Meisterinnen der Kunst  keineswegs so selbstverständlich. Berühmte Namen wie Artemisia Gentileschi, Elisebtta Sirani, Elisabeth Vigée-Le Brun, Mary Cassatt und viele andere waren in der Kunstgeschichte abhanden gekommen. Das Arp Museum Bahnhof Rolandseck  will das ändern und rückt in einer fulminanten Ausstellung vom 25.Februar bis 16. Juni 2024 die in Vergessenheit geratene Leistung der „Maestras. Malerinnen 1500 – 1900“ ins Rampenlicht. Das arp-museum folgt damit dem Trend im Kunstbetrieb, durch die Präsentation von Kunst von Frauen neue Impulse anzustoßen.  

Die arp-Ausstellung ist dabei selbst für Kenner eine Bereicherung und zum Besuch sehr zu empfehlen. Sie zeigt den künstlerischen Beitrag von Frauen zur Geschichte der Malerei in einem weitumspannenden europäischen Fokus vom Mittelalter bis zur Moderne. Dabei werden in Kooperation mit dem Museo Nacional Thyssen-Bornemisza in Madrid 68 Werke von 51 hochkarätigen Malerinnen aus bedeutenden europäischen Museen und Privatsammlungen präsentiert. Der Reigen der Maestras wird in der arp-Schau noch  durch neun weitere außergewöhnliche Meisterinnen der Malerei ergänzt, darunter so bedeutende wie Hildegard von Bingen und Gisela von Kerssenbrock, Plautilla Nelli und Sofonisba Anguissola, Maddalena Corvina und Michaelina Wautier, Marie-Victoire Lemoine und Marie-Gabrielle Capet, Rosalba Carriera und Anna Dorothea Therbusch.

Die auch didaktisch beispielhaft gelungen strukturierte Ausstellung führt die Besucher chronologisch in fünf Kapiteln durch die Schau: Begonnen wird  im Mittelalter, gefolgt von Renaissance und Barock. Kapitel 2 widmet sich Künstlerinnen im Rokoko und zur Zeit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts. In einem davon abgeteilten sogenannten Kabinett, Kapitel 3, werden einzigartige Stillleben von 1600 bis 1800 dargeboten. In Raum 4 können wichtige Vertreterinnen des 19. Jahrhunderts besichtigt werden, von wo aus man schließlich fließend im Raum 5 „Moderne und Avantgarde“,  dem Höhepunkt der Schau, gelangt.

Unter dem Eindruck des Kubismus entwickelte Alice Bailly hier "Der Tee" (1913) ihren eigenen unverwechselbaren Stil. Das Bild (zu finden im letzten Raum, Kapitel 5, "Künstlerinnen der Moderne") zeigt vier Frauen beim Teetrinken und Netzwerken, so arp-Direktorin Dr. Julia Wallner. © Foto Diether von Goddenthow
Unter dem Eindruck des Kubismus entwickelte Alice Bailly hier „Der Tee“ (1913) ihren eigenen unverwechselbaren Stil. Das Bild (zu finden im letzten Raum, Kapitel 5, „Künstlerinnen der Moderne“) zeigt vier Frauen beim Teetrinken und Netzwerken, so arp-Direktorin Dr. Julia Wallner. © Foto Diether von Goddenthow

Der betrachtende Blick ginge immer von der Moderne aus, denn „wir fragen von heute aus: Was haben diese 51 wunderbaren Frauen gemeinsam, und wo waren sie in ihrer Zeit individuell, oder wo sprechen sie auch für ihre Generation?“, so Arp-Direktorin Dr. Julia Wallner. Gemeinsam sei allen Künstlerinnen, so Dr. Wallner, dass sie „sehr selbstbewusst eine selbständige Geschichte erzählen, eine freie Geschichte auch, eine mutige Geschichte, eine visionäre Geschichte“.

Das Museum Thyssen-Bornemisza entwickelte, begleitet von einem universitären Forschungsprojekt um Rocío de la Villa, die Übersichtsschau zu Frauen in der Kunst im vormodernen Europa mit einem europäischen Fokus auf 1000 Jahre Kunstgeschichte. Entsprechend startet, wie gesagt, diese Ausstellung im Mittelalter mit Hildegard von Bingen. Diese habe nicht nur mit ihrer naturwissenschaftlichen Forschung, sondern auch mit ihren medizinisch-theologischen Schriften, mit ihrer Funktion als Vorsteherin eines Klosters, und eben damit auch als Vorsteherin einer Frauengemeinschaft, wesentliches zur Geschichte der Frauen beigetragen, erklärt Dr. Wallner beim Presserundgang. In ihren kosmisch-visionären Vorstellungen erträumte Hildegard von Bingen bereits eine Einheit des Kosmos, die es bis heute nicht gäbe, und die Ordensfrau ging auch Fragen nach, ob die Gottesebenbildlichkeit nicht auch sowohl eine Frau als auch ein Mann betreffen könne. Das sei doch „etwas, was ich aus heutiger Sicht als einen feministischen Gedanken begreife“, so Dr. Wallner.

1. „Zwischen Licht und Schatten 1200-1700“
Durch die meisterliche Malkunst der Nonnen bis heute, konnte durch diese fantastische handgemalte Kopie von 1930 Hildegard von Bingens Codex Liber Scivis von ca. 1175 gerettet werden. © Foto Diether von Goddenthow
Durch die meisterliche Malkunst der Nonnen bis heute, konnte  diese fantastische handgemalte Kopie von 1930, Hildegard von Bingens Codex Liber Scivis von ca. 1175 gerettet werden. © Foto Diether von Goddenthow

Im Ruppertsberg-Kodex „Liber Scivias“ um 1175 n.Chr. hat Hildegard von Bingen ihre Visionen niedergelegt. Aufgeschlagen ist in der Ausstellung die Illustration des „allumfassenden Weltalls“. Von Bingens zahlreiche Visionen wurden von Nonnen ihres Skriptoriums  meisterhaft visualisiert und maltechnisch aufwändig umgesetzt. Diese künstlerische Tradition der Buchmalerei wurde fortgeführt. Und da die meisterhaft malenden Nonnen im Kloster Ruppertsberg ( Bingen-Kempten) 1930 eine Kopie von Hildegards Ruppertsberg-Kodex  anfertigten, ist dieser in seiner ursprünglichen Form erhalten geblieben. Das Original ist seit dem 2. Weltkrieg verschollen.
Ein weiteres Ausstellungs-Highlight ist auch der Codex-Gisle, ein als Faksimile vorliegendes großformatiges Gesangbuch des Mittelalters, welches die Zisterziensernonne, Chormeisterin und Malerin Gisela von Kerssenbrock um 1300 n. Chr. für das Zisterzienser-Konvent von Rulle, Osnabrück meisterhaft anfertigte.

Die Nonne  Plautilla Nelli war Bindeglied zwischen weiblicher Kloster- und Renaissancemalerei

Seitlich oberhalb des Codex-Gisle finden Betrachter das  Andachtsbild  „Madonna und Kind mit Heiligem Dominikus“ um 1550 / 1574 der Nonne  Plautilla Nelli. Das Besonders ihrer Person besteht auch darin,   dass Plautilla Nelli als Nonne und Malerin  ein wichtiges  „Bindeglied“ zwischen der Klostermalerei und den großen weltlichen Maestras der Renaissance-Malerei in der Kunstgeschichte darstellt, erklärt  Dr. Susanne Dr. Blöcker, Kuratorin der Ausstellung. Denn Plautilla Nelli malte nicht nur solche kleinen Andachtsbildchen. Berühmt wurde sie, so Dr. Blöcker, „durch ein sieben Meter langes und zwei Meter hohes Altarbild, ein Abendmahl, was in ihrem Kloster  im Refektorium hing. Damit machte sie quasi Leonardo da Vinci Konkurrenz“, so Dr. Blöcker. Plautilla Nelli war in ihrer Zeit eine vielbeachtete, selbstbewusste und sehr freie Maestra, die viele Kunden „auch in weltlichen Zirkeln“ hatte. Sie wurde vom größten Kunstkritiker der Renaissance, Giorgio Vasari, als „große Maestra“ hochgelobt. Vasari, selbst ein Maler, Architekt und Schriftsteller, unterschied nicht,  männlich oder weiblich, sondern ihn interessierte nur, ob gut oder schlecht, und Plautilla Nelli war absolute Spitze.

Renaissance-Meisterin Lavinia Fontana

"Viele weltliche Malerinnen des Mittelalters arbeiteten in den Werkstätten ihrer Väter und Brüder. In der italienischen Renaissance traten sie aus deren Schatten hervor und agierten oft sehr selbstbestimmt als anerkannte erfolgreiche Malerinnen. Biblische Heldinnen dominieren die dramatisch ausgeleuchteten Bildbühnen von Lavinia Fontana, Fede Galizia oder Artemisia Gentileschi" erläutert Dr. Susanne Blöcker, Kuratorin der großartigen Schau, hier bei der Presseführung- © Foto Diether von Goddenthow
„Viele weltliche Malerinnen des Mittelalters arbeiteten in den Werkstätten ihrer Väter und Brüder. In der italienischen Renaissance traten sie aus deren Schatten hervor und agierten oft sehr selbstbestimmt als anerkannte erfolgreiche Malerinnen. Biblische Heldinnen dominieren die dramatisch ausgeleuchteten Bildbühnen von Lavinia Fontana, Fede Galizia oder Artemisia Gentileschi“ erläutert Dr. Susanne Blöcker, Kuratorin der großartigen Schau, hier bei der Presseführung- © Foto Diether von Goddenthow

Während der italienischen Renaissance traten viele weltliche Malerinnen des Mittelalters aus den Schatten der Werkstätten ihrer Väter und Brüder und agierten oft sehr selbstbestimmt als anerkannte erfolgreiche Malerinnen. Biblische Heldinnen dominieren dabei, dem Zeitgeist geschuldet, die Themen ihrer Werke. Große Maestras wie  Lavinia Fontana und Fede Galizia inszenierten sich dabei gerne in dramatischer Pose, etwa in der gewalttätigen männermordenden Szene als  „Judith und Holofernes“.  Judith hat Holofernes gerade frisch geköpft und serviert ihn mit einem ein wenig stolz verschmitzten siegesgewissen Gesichtsausdruck auf einem Teller. Da stellt sich natürlich die Frage, wer sich so etwas an die Wand hing. Bei Lavinia Fontana wissen wir nicht so recht, ob die „Judith“ vielleicht ihre Mäzenin, also diejenige war, der damals der Palazzo Davia Bargellini in Bologna gehörte, wo das Bild heute noch hängt, fragt sich Dr. Blöcker. Es könne sich aber auch um ein Selbstportrait von Lavinia Fontana handeln, so wie ihre berühmte Künstlerkollegin Artemisia Gentileschi uns überliefert hat, so die Kuratorin.

Fontanas Mann musste ihr den Rücken freihalten

Besonders interessant sei  hinsichtlich der Emanzipationsfrage  auch ein Blick in Lavinia Fontanas Biographie, so Dr. Blöcker. Diese habe nämlich bei ihrer „Heirat einen knallharten Ehevertrag aufgesetzt. ‚Sie ist die Alleinverdienerin, Ihr Mann hat für die Kindererziehung zu sorgen und für das Geld, also für die Regelung der Finanzen‘.“, zitiert Dr. Blöcker. Beide Eheleute waren Maler, ihr Mann ausgebildet bei ihrem Vater, jedoch weniger talentiert als sie, was logischerweise für das Ehepaar bedeutete, dass sie als Besserverdienende das Geld hereinholte, und der Herr Gatte ihr dafür den Rücken freizuhalten hatte.  „11 Kinder gingen aus dieser Ehe hervor, und trotzdem war Lavinia Fontana in ganz Europa aktiv. Sie war angesehen und wurde nicht in irgendeiner Weise verfemt“ so Dr. Blöcker. „In ihrer Zeit, im frühen 17. Jhd. war es Gang und gäbe, dass Frauen sehr emanzipiert waren, sehr eigenständig arbeiten konnten, und man sie auch ließ“.

Das besondere freie Klima Bolognas

Die italienische Renaissance-Malerin Fede Galizia stellte sich in ihrem Werk Judith und Holofernes“ (1601 -10), verführerisch gekleidet und und geschmückt, als Judith mit stolzem Siegerlächeln in Positur. © Foto Diether von Goddenthow
Die italienische Renaissance-Malerin Fede Galizia stellte sich in ihrem Werk „Judith und Holofernes“ (1601 -10), verführerisch gekleidet und  geschmückt, als Judith mit stolzem Siegerlächeln in Positur. © Foto Diether von Goddenthow

In diesem  kulturellen Klima Italiens, in dem diese Maestras groß wurden, gab es in Bologna, so Dr. Blöcker, „eine Art Benimm-Buch „Il Libro del Cortegiano“ der höfischen Gesellschaft, in dem unter anderem bestimmt wurde: „Frauen sollen die gleiche Erziehung genießen wie Männer. Sie sollen breitest gebildet sein. Sie sollen natürlich Latein und Griechisch beherrschen. Sie sollen musikalisch gebildet sein. Sie sollen die Kunst können“, zitiert die Kuratorin. Und erkannte man dann ein malerisches Talent, so Dr. Blöcker, „dann hat man es gefördert. Es war einfach opportun, wenn man gesellschaftlich anerkannt sein wollte in Bologna.

In Bologna, wo Lavinia Fontana lebte, „gab es seit dem 14. Jahrhundert ganz selbstverständlich Frauen an der Universität als Lehrerinnen, als Professorinnen. Das ist ein sehr freiheitliches frauenfreundliches Klima gewesen, und dank dieses Klimas konnten diese Malerinnen natürlich auch sehr großes Maestras werden“, schaut Dr. Blöcker begeistert auf diese Zeit in der Kunstgeschichte zurück, als es noch neben den großen Meistern – gleichberechtigt  – Meisterinnen in der Malerei gab.

„Ich werde Ihnen zeigen, zu was eine Frau fähig ist“

In der Sonderausstellung „Maestras. Malerinnen 1500 – 1900“, vom 25.Februar bis 16. Juni 2024 im arp-museum Bahnhof Rolandseck, sind außergewöhnliche Werke großer Meisterinnen zu entdecken. Hier ein Ausschnitt aus  Artemisia Gentileschis grandiosem Bild  "Büßende Maria Magdalena", entstanden um 1622 -25 © Foto Diether von Goddenthow
In der Sonderausstellung „Maestras. Malerinnen 1500 – 1900“, vom 25.Februar bis 16. Juni 2024 im arp-museum Bahnhof Rolandseck, sind außergewöhnliche Werke großer Meisterinnen zu entdecken. Hier ein Ausschnitt aus Artemisia Gentileschis grandiosem Bild „Büßende Maria Magdalena“, entstanden um 1622 -25 © Foto Diether von Goddenthow

Artemisia Gentileschi, zitiert mit dem Satz „Ich werde Ihnen zeigen, zu was eine Frau fähig ist“, ist vertreten mit der „Büßenden Maria Magdalena, die „in sich ruhend, sehr vertieft und vergeistigt ist – aber sogleich kommt hier schon diese  Energiegeladenheit dieser großen Maestra durch“, analysiert Dr. Blöcker. Artemisia Gentileschi, war trotz ihres einerseits schweren Schicksals eine  herausragende gefeierte Künstlerin gewesen.

Auch weitere Malerinnen, etwa Sofonisba Anguissola, brillierten durch ihre starke Ausdrucksformen und klare Formensprache. Insbesondere das Wunderkind  Elisabetta Sirani legte eine Maler-Karriere hin, die selbst für das damalige freie Bologna einzigartig war.

Sirani war  der weibliche Guido Reni – nur  weiß das heute niemand mehr

Elisabetta Sirani "Allegorie der Musik, 1659.  © Foto Diether von Goddenthow
Elisabetta Sirani „Allegorie der Musik, 1659. © Foto Diether von Goddenthow

Elisabetta Sirani,  am 8. Jan. 1638 geboren, wurde schon sehr früh ein Maler-Star, zu der schließlich die Touristen pilgerten, um ihr beim Malen zuzuschauen. Sie hatte sogar eine eigene Malakademie  „für Frauen gegründet, damit diese eben ihren Fähigkeiten entsprechend besonders gefördert würden. Elisabetta Sirani war nach Guido Reni der große Kunststar in Bologna. Als Reni tot war, war sie da“, erzählt Dr. Blöcker.  Sirani sei eines der vielen Wunderkinder gewesen, „die uns hierum an den Wänden ihre Bilder zeigen“. Diese Mädchen wurden ab dem 9., 10. Lebensjahr, „wenn sie dieses Malertalent nun hatten, gefördert“, so Dr. Blöcker. Elisabetta Sirani sei ein sehr gutes Beispiel dafür. Sie war universaltalentiert, auch sehr musikalisch; das beweist sie mit diesem Bild „Allegorie der Musik“, wahrscheinlich ein Selbstporträt, welches sie ihrem Musiklehrer Peter schenkte, erklärt die Kuratorin die Zusammenhänge.

Als Elisabetta Sirani viel zu früh im Alter von 27, 28 Jahren an den Folgen ihres exzessiven kräftezehrenden Malens an einem perforierten Magengeschwür verstarb, „hatte man Hymnen auf sie gedichtet, einen acht Meter hohen Katafalk durch Bologna geschleppt, der auf dem Grab aufgestellt wurde, und an dem man dann eigens neu gedichtete Lieder sang, erzählt Dr. Blöcker. Elisabetta Sirani wurde dort beerdigt, wo Guido Reni lag, in  der Cappella Guidotti (der Kirche San Domenico) . Dort durfte seitdem in seinem Grab nur eine beerdigt werden, und das ist sie, Elisabetta Sirani“, erläutert Dr. Blöcker. Sie wolle an dieser Historie einmal mehr zeigen, „welche Berühmtheit die Sirani in ihrer Zeit hatte, wie anerkannt sie war, und das es keine Rolle spielte, ob sie eine Frau oder ein Mann war. Sie war einfach gut. Und dennoch ist sie vergessen worden. Das wundert“, resümiert Dr. Blöcker. Umso wichtiger sind solche Ausstellungen wie  die „Maestras. Malerinnen 1500 – 1900“ oder auch andere, wie neulich „Geniale Frauen“ in im Bucerius Kunstforum, Hamburg, die helfen, vergessene Malerinnen wieder ins kulturelle Bewusstsein zu bringen.

2. Vive l’esprit- ein Hauch von Freiheit 1700-1800
In der Sonderausstellung „Maestras. Malerinnen 1500 – 1900“, vom 25.Februar bis 16. Juni 2024 im arp-museum Bahnhof Rolandseck, sind außergewöhnliche Werke großer Meisterinnen zu entdecken. Die Französin Elisabeth Vigée-Le Brun war eine gefeierte Maestra. Die Malerin wurde von der Königin Marie-Antoinette gefördert, musste aber im Zuge der Französischen Revolution fliehen. Das Werk "Lady Hamilton als Bacchantin" entstand um 1792 -93 höchstwahrscheinlich in Russland, wo Vigée-Le Brun nach einer Station in Rom bei Angelika Kauffmann eine längere Zeit lebte. Die drei Werke links von Lady Hamilton stammen von Angelika Kauffmann. © Foto Diether von Goddenthow
Die Französin Elisabeth Vigée-Le Brun war eine gefeierte Maestra. Die Malerin wurde von  Königin Marie-Antoinette gefördert. Sie musste aber im Zuge der Französischen Revolution fliehen. Das Werk „Lady Hamilton als Bacchantin“ entstand um 1792 -93 höchstwahrscheinlich in Russland, wo Vigée-Le Brun nach einer Station in Rom bei Angelika Kauffmann eine längere Zeit lebte. Die drei Werke links von Lady Hamilton stammen von Angelika Kauffmann. © Foto Diether von Goddenthow

Wenn sie sich eine Zeit aussuchen dürfte, in der sie gerne als Künstlerin gelebt hätte, wäre es wohl das 18. Jahrhundert, schwärmt Dr. Blöcker. Da saßen überall in ganz Europa nicht nur die großen Herrscherinnen wie Maria Theresia, Katharina von Russland oder Marie Antoinette an der Spitze, vielmehr gab es auch eine große Debattierkultur, mit Debattierzirkeln, an deren Spitze eine Salonnière stand. Das waren zumeist sehr vermögende Frauen, in der Regel aus dem Adel stammend, mit besten Kontakten. „Sie förderten natürlich auch weibliche Maltalente wie etwa Elisabeth Vigee-Le Brun, die von Königin Marie-Antoinette sehr stark mit Aufträgen unterstützt wurde“, so Dr. Böcker. Gleichzeitig war das 18. Jahrhundert eine Epoche gewaltiger sozialer Umbrüche, in dem überkommene Traditionen und Hierarchien in Frage gestellt oder gleich abgeschafft wurden.

Aus dieser  Epoche präsentiert die Ausstellung hochkarätige Werke, darunter Pastelle der Venezianerin Rosalba Carriera, die die Leichtigkeit und Lebendigkeit des höfischen Rokokos verkörpern,   oder das legendäre Gemälde „Lady Hamilton als Bacchantin“ der bereits erwähnten Französin Elisabeth Vigée-Le Brun (s.oben). Sie  musste, nachdem ihr eine Affäre angedichtet und ihre Mäzenin Marie Antoinette in den Wirren der Revolution enthauptet worden war,  durch halb Europa flüchten.  Vigée-Le Brun reiste bis nach Rom in der Hoffnung, Ersatz für ihre verlorene Mäzenin und Auftraggeber zu finden. Sie besuchte auch die von ihr sehr  bewunderte Angelika Kauffmann, bevor sie sich schließlich für mehrere Jahre in Russland niederließ. Erst im Alter konnte sie wieder nach Paris zurückkehren. Eines ihrer wohl schönsten, vielleicht auch eines ihrer sinnlichsten Werke ist das zwischen 1790 und 1792 entstandene Portrait „Lady Hamilton als Bacchantin“.

Angelika Kauffmann

Angelika Kauffmann mit einem antiken Thema "Ganymed u d Adler", 1793. © Foto Diether von Goddenthow
Angelika Kauffmann mit einem antiken Thema „Ganymed u d Adler“, 1793. © Foto Diether von Goddenthow

Angelika Kauffmanns Werke, drei davon sind in der Ausstellung zu sehen, werden  im Vergleich zu Vigée-Le Bruns Bildern eher noch bestimmt von den großen Helden und Heldinnen des Altertums. Das mag dran liegen, dass Kauffmann in Rom eng mit dem Altertumsforscher und Begründer der modernen Archäologie Johann Joachim Winckelmann zusammenarbeitete, den sie bereits im jungen Alter von 22 Jahren kennenlernen und portraitieren durfte. Winckelmann, um den im 18. Jahrhundert niemand herumkam, wenn er als Künstler in Europa Karriere machen wollte, verhalf Kauffmann zu vielen besten Kontakten. „Angelika Kauffmann war neben Winkelmann die Perfektion des Klassizismus“, so Dr. Blöcker. Angelika Kauffmann wurde so erfolgreich, dass sie in Rom auf dem Pincio-Hügel eine Villa bewohnen konnte. Sie unterhielt dort einen eigenen Salon. Selbst Goethe war angetan von ihr, die er zweimal besuchte. Viele Künstler fanden in der Hoffnung auf Unterstützung zu ihr, darunter auch, wie erwähnt, die berühmte Malerin Elisabeth Vigée-Le Brun. Sie war eine Bewundererin Kauffmanns.

Kauffmann verdiente nicht nur an Gemälden, sondern auch an ihren Radierungen. Besonders gefragt und ein Longseller war eine Radierung des Portraits von Winckelmann nach dessen gewaltsamen Tod. Kauffmann verlies Rom. Sie ging nach London zu ihrem langjährigen Freund Joschua Reynolds, einer der einflussreichsten englischen Künstler der damaligen Zeit. Der Kontakt kam einst über Winckelmann zustande. Reynolds hatte die Royal Academy of Arts in London gegründet.  Angelika Kauffmann wurde das erste weibliche Mitglied. Zusammen mit Marry Rosa waren sie die ersten beiden weiblichen Mitglieder überhaupt, danach kam lange nichts mehr, schildert Dr. Blöcker die damalige Situation. Zu dieser Zeit agierten diese Maestras wie die großen Männer ihrer Zeit: Sie waren beruflich relativ unabhängig, trafen eigene Entscheidungen, trugen selbst die Verantwortung für ihr Handeln, und waren  in ganz Europa entsprechend bekannt. Sie wurden von vielen Menschen umworben. Später gerieten viele dieser Maestras in Vergessenheit.

3. Naturforscherinnen 1600-1800
Fede Galizias Stillleben "Fruchtschale aus Kristall mit Pfirsichen", ca. 1610, ist wohl das älteste erhaltene Stillleben in der Geschichte der Malerei überhaupt. © Foto Diether von Goddenthow
Fede Galizias Stillleben „Fruchtschale aus Kristall mit Pfirsichen“, ca. 1610, ist wohl das älteste erhaltene Stillleben in der Geschichte der Malerei überhaupt. © Foto Diether von Goddenthow

Im „hinteren Kabinett“, Kapitel 3 der Ausstellung, befinden sich wahre  Bilder-Schätze. „Eines der ersten Stillleben, ein Stillleben der Malereigeschichte überhaupt, wurde von einer Frau gemacht: Fede Galizia (1578 Mailand -1630), die in der Ausstellung vertreten ist“, freut sich Arp-Direktorin Dr. Wallner. Es sei ein wunderbares, sehr reduziertes, sehr präzises Stück, bei dem man eben ihre genaue Beobachtungsgabe sehe, ein Werk, was aber in seiner Reduktion auf zwei Obstsorten auch eine moderne Ausstrahlung habe, „so ganz außergewöhnlich, in eben dieser Klarheit und auch der Formensprache.“

Etwas Besonderes ist Orsola Maddalena Cacciadas (1596 – ca. 1676) „Stillleben mit Vögeln“. Es bezeugt in wissenschaftlicher Genauigkeit, wie vor über 300 Jahren Sumpfmeisen, Zilpzalp, Buchfinken, Blaumeisen, Goldammer, Kiebitze und Kohlmeisen ausgesehen haben.

Die Kirschen in Giovanna Garzonis Stillleben (1642 - 51) sehen  nach 350 Jahren  immer noch knackig.  © Foto Diether von Goddenthow
Die Kirschen in Giovanna Garzonis Stillleben (1642 – 51) sehen nach 350 Jahren immer noch knackig. © Foto Diether von Goddenthow

Zu den Highlights weiblicher Stilllebenmalerei gehört aber insbesondere Gionanna Garzonis „Stillleben mit Kirschen auf einem Teller, Bohnenschoten und einer Holzbiene“ (ca. 1642 – 51, siehe oben). „Jede der Kirschen ist Punkt für Punkt mit der Feder gemalt, das was die Pointillisten nachher getan haben. Und dadurch lebt sie eben auch so stark. Die Kirschen sehen immer noch knackig aus nach über 300 Jahren. Und die Holzbiene scheint immer noch da umher zu schwirren“, ist Dr. Böcker entzückt über die erhalten gebliebene grandiose Farbwirkung.

Es ist kein Zufall, dass  Frauen die hohe Kunst des Stilllebenmalens besonders gut beherrschten. Denn Künstlerinnen war es verwehrt, wie Männer Aktstudien zu betreiben. Es galt als unschicklich, wenn Frauen einen nackten Mann malten. So widmeten sich etliche Frauen verstärkt dem Studium von Pflanzen und Insekten. „Mit feinstem Pinseln wussten sie Blattäderchen, perlende Wassertropfen und verwelkende Tulpenblätter präzise darzustellen“, so Dr. Blöcker, und sie mussten hierzu nicht mal die eigenen vier Wände und Grenzen ihres Gartens verlassen.

 Blütenstillleben waren die Bestseller ihrer Zeit

Rachel Ruysch Stillleben Fruechte Blumen Reptilien u insekten am waldrand 1716 © Foto Diether von Goddenthow
Rachel Ruysch Stillleben Fruechte Blumen Reptilien u insekten am waldrand 1716 © Foto Diether von Goddenthow

Allerdings war der heimische Horizont vielen Barockmalerinnen schon bald zu wenig. So tourte beispielsweise die bekannte Künstlerin Giovanna Garzoni mit ihren beliebten Früchtestillleben im Gepäck durch ganz Italien. „Es hieß: ihre Kunden würden für ein Früchtestillleben von ihrer Hand jedweden Preis zahlen.“ (Begleitkatalog 2024, S. 67). und sie fand gute Abnehmer.

Die holländische Malerin Rachel Ruysch, aufgewachsen inmitten der Blumenpracht des vom Vater geleiteten Botanischen Gartens in Amsterdams, spezialisierte sich auf Blumenstillleben. Damit verdiente sie bald mehr als die – heute als alte holländische Meister geltenden einstigen Malerfürsten. Während Rembrandt beispielsweise für ein Historien-Gemälde etwa 500 Gulden bekam, erzielten Rachel Ruyschs Blumenstillleben mit bis zu 1200 Gulden über das Doppelte. Rachel Ruyschs Weg führt schließlich von Amsterdam in die damals „weite Welt“, hinaus bis nach Düsseldorf, wo sie  schließlich sogar als Hofmalerin in die Dienste des Kurfürsten von der Pfalz berufen wurde und über ein stetiges Einkommen verfügte.

Ihre Erfolge und die Popularität der Blumenstillleben verhalf den Stilllebenmalerinnen zu einer vormals nie gekannten öffentlichen Beachtung und Wertschätzung.  So wurden Silllebenmalerinnen  vermehrt in Malergilden aufgenommen, vier  wurden sogar Mitglieder in der 1648 gegründeten Pariser Kunstakademie.  Auch  weitere  Stilllebenmalerinnen, etwa Anne Vallayer-Coster, zählten im 18. Jahrhundert zur absoluten Kunstelite Frankreichs. Diese Entwicklung sei auch deswegen erstaunlich gewesen, so Dr. Blöcker, „weil Stillleben eher als eine niedrigere Kunst-Gattung galt“.

 Maria Sibylla Merian

Am bekanntesten dürfte bis heute   Maria Sibylla Merian sein als Naturforscherin und (wissenschaftliche) Zeichnerin und Malerin, die es bis nach Suriname (nördlich von Brasilien) trieb, um die exotische Flora und Fauna zu studieren und sie durch ihre Kunst zu dokumentieren. Ihr großes Interesse galt dem Wachstum und der Metamorphose von Pflanzen und Insekten. Besucher können in dem ausgelegten  Faksimile-Band „Metamorphosis insectorum Surinamensium, 1719″ durch Merians Großformate blättern und die  bis ins kleinste Detail hinein, wunderbar ausgearbeiteten und aquarellierten Pflanzen- und Insektenstudien neu entdecken.

4. Rollen und Klischees 1800-1900
Impression der  Sonderausstellung „Maestras. Malerinnen 1500 – 1900“, vom 25.Februar bis 16. Juni 2024. Foto: Marie Louise Petiet  zeigt  in "Die Wäscherinnen" (1882) typische Frauentätigkeiten der arbeitenden Schichten in der Gründerzeit, Frauen, die arbeiten mussten. © Foto Diether von Goddenthow
Impression der Sonderausstellung „Maestras. Malerinnen 1500 – 1900“, vom 25.Februar bis 16. Juni 2024. Foto: Marie Louise Petiet zeigt in „Die Wäscherinnen“ (1882) typische Frauentätigkeiten der arbeitenden Schichten in der Gründerzeit, Frauen, die arbeiten mussten. © Foto Diether von Goddenthow

Mit Ende des 18. Jahrhunderts änderten sich aufgrund verschiedener Umstände  die Zeiten und damit die  Freiheit von Frauen, sich wie bisher künstlerisch relativ uneingeschränkt entfalten zu können. Die neue Zeit des angehenden 19. Jahrhunderts zeigt sich an ihren Werken, in denen  allmählich  verstärkt Motive aus für Frauen meist  eingeengteren  Lebensumfeldern dominieren. Solche Werke sind im Kapitel 4 der Ausstellung versammelt, unter anderem von: Helene Schjerfbeck und Elin Danielson­Gambogi, Marie-Victoire Lemoine und Mary Cassatt, Marie-Louise Petiet und Elofsa Garnele sowie Annie Louisa Swynnerton.

Einen wesentlichen Anteil für den zeitgeistlichen Wandel hatten  sicher auch Jean-Jacques Rousseaus Schriften zur Aufklärung, die über Europa hinaus  großen Einfluss erlangten, insbesondere auf die Vorstellung von Familie, Geschlechterrollen und Kindererziehung. „Im Fokus der Reformer dieser Zeit“, so Dr. Blöcker, „stand nun die Kernfamilie“. Es galt „zur Sicherung von Zukunft und Fortschritt diese Kernfamilie zu reformieren. Man wollte gesunde Mitglieder der Gesellschaft. Das bedeutete: Frauen hatten keine Amme mehr, sondern sie haben ihre Kinder selbst gestillt“, so Dr. Blöcker. Dies sei vorher – zumindest in der Oberschicht – nicht üblich gewesen. Wer sich eine Amme leisten konnte, hatte nicht selbst gestillt. Für berufstätige Künstlerinnen hieß das beispielsweise, dass sie dann eher in der frühkindlichen Erziehungspause zu Hause blieben. Die frühkindliche Phase hatte Rousseau bis zum 4. Lebensjahr propagiert, ebenso, dass die Erziehung Sache der Frau sei.

Impression der  Sonderausstellung „Maestras. Malerinnen 1500 – 1900“, vom 25.Februar bis 16. Juni 2024. Während Monet seine seriellen Landschaften in die Welt brachte hat, brachte die aus reichen US-Bankerverhältnissen stammende Malerin Mary Cassatt  ihre seriellen "Stillenden Mütter" in die Welt, so Dr. Blöcker. .© Foto Diether von Goddenthow
Impression der Sonderausstellung „Maestras. Malerinnen 1500 – 1900“, vom 25.Februar bis 16. Juni 2024. Während Monet seine seriellen Landschaften in die Welt brachte, brachte die aus reichen US-Bankerverhältnissen stammende Malerin Mary Cassatt ihre seriellen „Stillenden Mütter“ in die Welt, so Dr. Blöcker. .© Foto Diether von Goddenthow

Die Frau war seither also „gesellschaftlich stärker fixiert auf das Haus, und wenn man dann für den Künstlerberuf sich entschied, hat man in erster Linie zuhause gearbeitet, und das malerisch geschildert, was einem in diesen engen vier Wänden und vielleicht beim Spaziergang im Park begegnete. Es waren die klassischen Aufgabenfelder und Rollenbilder  meist bürgerlicher Frauen, die im künstlerischen Fokus von Malerinnen wie Marie-Victoire Lemoine und Mary Cassatt standen: Mutterliebe und Hausarbeit bestimmten großflächig die Leinwand.“ analysiert Dr. Blöcker.

Infolge dieser Entwicklungen fanden  Künstlerinnen im 19. Jahrhundert  schwerlich Aufnahme in Akademien, und mussten, wie etwa Helene Schjerfbeck und Elin Danielson­ Gambogi  auf private Kunstschulen wie  Colarossi und Julian in Paris ausweichen.

Obwohl die Verhältnisse, als Künstler zu reüssieren, sich im 19. Jahrhundert verschlechtert hatten, drängten jedoch gleichzeitig auch immer mehr Frauen in den Kunstbetrieb, der erst  gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit den Jahren der Gründerzeit dank neuer, durch ihre Unternehmen oftmals wohlhabend gewordene Auftraggeber (entstehender Industrie- und Geld-Adel) Künstlern neue Chancen bot. Ausnahmekünstlerinnen wie Marie-Louise Petiet und Elofsa Garnele gelang es gar, an den Salon- und Weltausstellungen teilzunehmen.

Annie Louisa Swynnerton, kämpfte für bessere Ausbildungsmöglichkeiten von Künstlerinnen. Ihr Thema waren die "kleinen Leute", die Benachteiligten der Gesellschaft.  "Die Genesende", 1887 © Foto Diether von Goddenthow
Annie Louisa Swynnerton, kämpfte für bessere Ausbildungsmöglichkeiten von Künstlerinnen. Ihr Thema waren die „kleinen Leute“, die Benachteiligten der Gesellschaft. „Die Genesende“, 1887 © Foto Diether von Goddenthow

Solche Erfolge weiblicher Künstler waren aber eher die absolute Ausnahmen. Es bildeten sich Gegenbewegungen. Auch Annie Louisa Swynnerton war Mitglied in der Anfang des 20. Jahrhunderts in Großbritannien entstandenen Suffragetten-Bewegung. Sie kämpfte für eine bessere Ausbildung von Künstlerinnen. Ihr selbst gelang es dabei sogar, nach 100 Jahren als erstes weibliches Mitglied in die Royal Academy of arts London aufgenommen zu werden.

5. Moderne und Avantgarde 1900-1940

In der 5. Sektion der Ausstellung finden Betrachter Werke von Künstlerinnen, die zeigen, wie sehr sich doch im 20. Jahrhundert die Künste aus ihren engen geschlechtsspezifischen Schranken befreien konnten. Erstmals erscheinen zu dieser Zeit „auch zahlreiche weibliche Namen in den Ausstellungslisten von Museen, Galerien und in den Rezensionen der sich rasch verbreitenden Kunstzeitschriften“, erläutert Dr. Wallner. Die hier mit ihren Arbeiten präsentierten Frauen gehören zu den herausragenden Künstlerinnen ihrer Epoche, darunter Suzanne Valadon, Marfa Blanchard, Paula Modersohn-Becker und Käthe Kollwitz, Marianne Werefkin, Gabriele Münter, Sophie Taeuber und Sonia Delaunay. Die meisten von ihnen lebten zeitweise in Paris, dem Zentrum der Modernen Kunst. Viele waren aktiv in einflussreichen Künstlervereinigungen.

Suzanne Valadon Marie Coca u ihre Tochter Cilberte. © Foto Diether von Goddenthow
Suzanne Valadon Marie Coca u ihre Tochter Cilberte. © Foto Diether von Goddenthow

Mit Suzanne Valadon sei eine französische Malerin vertreten, „die zunächst als Modell in die Kunstgeschichte Einzug hielt, und die vor allem als uneheliche Tochter einer Wäscherin wirklich nicht die Eingangsvoraussetzungen hatte, die man sich für eine künstlerische Laufbahn auch im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert noch vorstellte, die es aber trotzdem eben  geschafft hat, vom Modell sich selbst als Künstlerin zu ermächtigen“, erzählt  Dr. Wallner. Einer ihrer großen Förderer war Édouard Manet. Das sei etwas, „was sich durchzieht, da wir in aller Regel immer wissen, welche Männer, welche Hände und schützende Worte über die Frauen gehalten haben.“ Valdons Bild „Marie Coca und ihre Töchter Cilberte“ (1913) sei eine eindrucksvolle, fast schon sachliche Darstellung von dieser Mutter mit ihrer Tochter. Dieses Werk ginge beinahe bereits stilistisch „in Richtung neue Sachlichkeit mit diesen maskenhaften Oberflächen und diesem Interieur, das uns entgegenkommt“, so Dr. Wallner.

Viele der hier gezeigten Künstlerinnen fanden wie Sonia Delaunay und Sophie Taeuber zu einer neuen, eher radikal abstrakten Bildsprache. Sie beschäftigten sich auch intensiv mit Mode, wie in Sonia Delaunays „Simultane Gewänder“ (1925), ein Werk, welches auch das Plakat  dieser rundherum gelungenen Ausstellung schmückt. Hierauf zu sehen sind drei Frauen. Diese hat Delaunay in ihrer abstrakten Formensprache ganz flächig und farbkräftig dargestellt und ins Bild gesetzt sind. Es sei „eines der wirklichen Highlights nochmal am Schluss der Ausstellung“, findet die arp-Direktorin ganz zu recht.

(Dokumentation Diether von Goddenthow /Rhein-Main.Eurokunst)

Katalog
Der  sehr empfehlenswerte Ausstellungskatalog „Maestras. Malerinnen 1500 – 1900″ (deutsch, 231 Seiten, 42 Euro) enthält neben einem Vorwort von Julia Wallner, Grußworte von Guillermo Solana und Christian Schneider, Texte zu den Ausstellungskapiteln und Exponaten von Astrid von Asten, Susanne Blöcker, Marianne Gechter, Loana Oyeniran, Helene von Saldern, Julia Wallner, Joelle Warmbrunn sowie einen Aufsatz der Forschungsprojektleiterin Rocfo de la Villa.

Ort:
Arp Museum Bahnhof Rolandseck
Hans-Arp-Allee 1 – 53424 Remagen
Tel. +49(0) 22 28 94 25
info@arpmuseum.org
arpmuseum.org

Öffnungszeiten:
Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen 11 -18 Uhr
Dienstags für angemeldete Gruppen ab 9 Uhr