Graphie Revival Natur, Mensch, Industrie in England um 1900 ab 26. Juni 2024 im Landesmuseum Darmstadt

 Shere Mill Pond Francis Seymour Haden, 1860 © Hessisches Landesmuseum Darmstadt
Shere Mill Pond Francis Seymour Haden, 1860
© Hessisches Landesmuseum Darmstadt

Ab dem 26. Juni 2024 zeigt das Landesmuseum Darmstadt in seiner Karl Freund-Galerie im Obergeschoss die Sonderausstellung: »Graphie Revival. Natur, Mensch, Industrie in England um 1900«.

Die Technik der Radierung, die einst von Meistern wie Rembrandt und Goya genutzt wurde, geriet beinahe in Vergessenheit, bis sie im 19. Jahrhundert durch James McNeill Whistler (1834–1903) und seinen Schwager Francis Seymour Haden (1818–1910) als künstlerisches Ausdrucksmittel wiederbelebt wurde. Lange Zeit hatten Künstlerinnen und Künstler die Radierung lediglich als Reproduktionsmethode betrachtet. Doch Whistler, Haden und andere Kreative in England erkannten das immense Potential dieser Technik erneut und entwickelten sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu einer eigenständigen Sparte der künstlerischen Graphik. Besonders Malerinnen und Maler waren es, die mit großem Geschick die Radierung nutzten, um eigenständige Bildkompositionen zu schaffen und originale Kunstwerke zu kreieren. Die Werke dieser „Malerradierer*innen“ sind von der Romantik durchdrungen und schwanken zwischen Symbolismus und Realismus.

Dank einer großzügigen Schenkung aus dem Jahr 2022 besitzt das Hessische Landesmuseum Darmstadt nun über 100 Werke dieser bahnbrechenden englischen Malerradiererinnen. Die Sammlung umfasst Werke von insgesamt 20 Künstlerinnen und Künstlern, darunter der gebürtige Amerikaner James McNeill Whistler (1834–1903) und sein Schwager Francis Seymour Haden (1818–1910), ein Londoner Chirurg, leidenschaftlicher Künstler und Sammler. Eine Auswahl von rund 70 herausragenden Arbeiten bietet den Besucherinnen ein beeindruckendes Schwarz-Weiß-Spektakel.

Die ausgestellten Radierungen thematisieren interessante Bezüge zur Industriegeschichte des 19. Jahrhunderts, deren Auswirkungen uns bis heute beschäftigen. Die Einführung der Dampfmaschine und der Schwerindustrie verwandelte Mittelengland in das „Black Country“, das größte Industriegebiet der Welt. Vor etwa 150 Jahren begann somit die ungebremste und unbeschränkte Ausbeutung fossiler Energien. Die „schwarze Kunst“ des „Etching Revival“ entstand in einer Zeit, in der sich die Naturlandschaft zunehmend in Industrielandschaft verwandelte. Statt Kirchtürmen dominierten nun Fabrikschlote das Bild, statt einzelner Bauern oder Handwerker war eine anonyme Masse von Lohnarbeitern präsent. Wolken erwiesen sich als aufsteigender Rauch aus Industrieanlagen.

In den Kompositionen der englischen Malerradierer*innen wird dieser tiefgreifende Wandel durch den Einsatz starker Kontraste verdeutlicht. Neben dem Schwarz-Weiß oder Hell-Dunkel der Radiertechnik treten Extreme wie Groß und Klein, Leere und Überfüllung, Nähe und Ferne in Erscheinung.

Die thematisch gegliederte Ausstellung beginnt mit Natur- und Landschaftsmotiven und führt weiter zu Stadtansichten, Porträts und Genreszenen des einfachen Lebens der ländlichen und städtischen Bevölkerung sowie frühen Industrielandschaften. Wie die Ausstellung mit ausgewählten Beispielen zeigt, bestand eine enge Verbindung der englischen Bewegung zur avantgardistischen Kunstszene in Frankreich, den Landschaftsmalern von Barbizon sowie den Realisten. Der wichtigste Bezugspunkt für die Engländer*innen war jedoch die Radierkunst Rembrandts: Whistler, Haden und ihr Kreis waren fasziniert von der freien Art des Niederländers, die Radiernadel zu führen. Die Ausstellung bietet daher bei ausgewählten Blättern die einzigartige Gelegenheit, diese Werke direkt mit den wertvollen Radierungen ihres großen Vorbilds zu vergleichen.

Hessisches Landesmuseum Darmstadt
Friedensplatz 1
64283 Darmstadt