Verleihung des Mainzer Stadtschreiberpreises 2017 an Abbas Khider – Feierliche Amtseinführung am 7. März

(vl.) Mainzer Oberbürgermeister, Michael Ebling, Abbas Khider, Mainzer Stadtschreiber 2017, Rainer Huth in seiner Rolle als Johannes Gutenberg, Bau- und Kulturdezernentin Marianne Grosse, ZDF-Kulturchef Prof. Peter Arens. Foto: Diether v. Goddenthow
Verleihung des Mainzer Stadtschreiber-Preises 2017 an Abbas Khider im Ratsaal des Mainzer Rathauses am 7. März 2017. (vl.) Mainzer Oberbürgermeister, Michael Ebling, Abbas Khider, Mainzer Stadtschreiber 2017, Rainer Huth in seiner Rolle als Johannes Gutenberg, Bau- und Kulturdezernentin Marianne Grosse, ZDF-Kulturchef Prof. Peter Arens. Foto: Diether v. Goddenthow

Abbas Khider ist am Dienstag, 7. März 2017, als neuer Mainzer Stadtschreiber feierlich in sein Amt eingeführt worden. ZDF-Kulturchef Prof. Peter Arens, der Mainzer Oberbürgermeister Michael Ebling und die Mainzer Kulturdezernentin Marianne Grosse begrüßten Khider im Mainzer Rathaus.
ohrfeigeDie Laudatio hielt der Schriftsteller und Mainzer Stadtschreiber 2007, Ilija Trojanow. Der 1973 in Bagdad geborene Abbas Khider wird wie sein Vorgänger Clemens Meyer gemeinsam mit dem ZDF eine Dokumentation nach freier Themenwahl produzieren und die Stadtschreiberwohnung im Mainzer Gutenberg-Museum beziehen. Der mit 12 500 Euro dotierte Literaturpreis wird 2017 zum 33. Mal von ZDF, 3sat und der Stadt Mainz vergeben.

ZDF-Kulturchef Peter Arens: "Mit Literatur die Welt besser begreifen" Foto: Diether v. Goddenthow
ZDF-Kulturchef Peter Arens: „Mit Literatur die Welt besser begreifen“ Foto: Diether v. Goddenthow

ZDF-Kulturchef Prof. Peter Arens in seiner Rede: „Sie mussten sich nach langer Flucht diese unsere ja nicht ganz unkomplizierte Sprache draufschaffen. Die Tatsache, dass Sie Deutsch von Anfang an, seit Sie in Deutschland durch die Asylaufnahmemühle gehen mussten, als Ihre Schriftstellersprache ausgewählt haben, finde ich bewundernswert. Noch beeindruckender jedoch ist, was Sie aus der Sprache herausgeholt haben. Wie kunstvoll Sie aus dem eigentlich ja mal fremden Deutsch diese berührenden, bittersüßen und raffiniert konstruierten Romane schreiben.“ Arens zitierte Khiders, der mit dem Erlernen und Gebrauch der neuen  deutschen Sprache, sich eine neue existentielle Basis in der Fremde geschaffen habe: „In der Süddeutschen Zeitung haben Sie mal gesagt: ‚Mit der Zeit wurde die deutsche Sprache mein Exil. Sie erlaubt mir, zu sein, wie ich bin, zu schreiben, was ich will. Ich kann auch unverschämt sein und genieße es! Ich habe mir in der deutschen Sprache eine Heimat erfunden und lebe darin.'“  Der ZDF-Kulturchef Arens lobte den neuen Mainzer Stadtschreiber Abbas Khiders für die überwältigend schlüssige und klare Sprache, die den Leser packen soll und sagte:“Ihr Storytelling ist einer konkreten Absicht, einer Haltung verpflichtet. Im festen Glauben, mit Literatur die Welt besser zu begreifen. Im festen Glauben, dass ein ästhetisches Verhältnis zur Welt ein erkennendes Verhältnis ist“.

Oberbürgermeister Michael Ebling "Vertreibung, Flucht, Exil, Fremde – das sind die Themen von Abbas Khider. Und das sind zugleich die Themen, die unsere Gegenwart (und gerade in Deutschland auch unsere Vergangenheit) prägen" Foto: Diether v. Goddenthow
Oberbürgermeister Michael Ebling „Vertreibung, Flucht, Exil, Fremde – das sind die Themen von Abbas Khider. Und das sind zugleich die Themen, die unsere Gegenwart (und gerade in Deutschland auch unsere Vergangenheit) prägen“ Foto: Diether v. Goddenthow

Oberbürgermeister Michael Ebling  bescheinigte in seinem Grußwort Abbas Khider einen tiefgründigen Humor: „Im Deutschen unterscheiden wir ja bekanntlich gerne zwischen ernsthafter und Unterhaltungsliteratur.“ Ernst und Spaß stünden sich bei uns oft gegenüber wie feindliche Staaten! Da brauche es jemanden von außen, der die Gräben scheinbar spielerisch überwindet. Der mit geradezu kindlichem Vergnügen von humoristischen Szenen zu poetischen Passagen, zu knallhartem Realismus wechselt. Jemanden wie Abbas Khider, sagte der Oberbürgermeister.

Abbas Khider versprühe trotz der Schwere seiner Themen und der Traumata seiner Protagonisten einen geradezu mitreißenden Optimismus und eine Leichtigkeit, die ansteckend sei, so Ebling. Vielleicht weil er aus seiner eigenen Biographie wisse, dass sich das Schwere mit Humor einfach leichter tragen ließe, ja, dass es sich vielleicht überhaupt nur so ertragen ließe? „Oder um es mit einem sehr ernsthaften deutschen Philosophen, mit Immanuel Kant, zu sagen: ‚Nur wer das Leben ernst, bitter ernst nimmt, hat auch wirklich Humor.'“ sagte der Oberbürgermeister.

Genau das aber ist es, was viele Leserinnen und Leser an Abbas Khiders Romanen so bewegt und berührt: Die Ernsthaftigkeit und Empathie, mit der er auf die Not und das Leid von Flüchtlingen, auf ihre Flucht- und Gewalterfahrungen, aufmerksam macht. Auf Menschen also, wie sie zu Tausenden unter uns leben. Abbas Khider gibt diesen verzweifelten, entwurzelten, suchenden Menschen eine Stimme. Und er weiß genau, wovon er spricht, denn seine eigene Biographie ist die Biographie eines Verfolgten und Geflüchteten.

"Alle Ihre Werke, Herr Khider, sind schmerzlich und treffen uns oft ins Mark", Bau- und Kulturdezernentin der Stadt Mainz, Marianne Grosse. Foto: Diether v. Goddenthow
„Alle Ihre Werke, Herr Khider, sind schmerzlich und treffen uns oft ins Mark“, Bau- und Kulturdezernentin der Stadt Mainz, Marianne Grosse. Foto: Diether v. Goddenthow

Kulturdezernentin Marianne Grosse zur Wahl Khiders: „Abbas Khider liefert gerade mit seinem viel diskutierten Buch ‚Ohrfeige‘ ein gänzlich anderes Statement zu den vielfältigen Schilderungen der Flüchtlingsbewegungen, welche Europa und gerade auch Deutschland seit langem bewegen. Im diesem Falle aber aus dem Blickwinkel der Betroffenen, denen es oftmals nicht vergönnt zu sein scheint, nach unfassbaren Wegen und Mühen endlich anzukommen… Khider gibt dem Leser einen tiefen Blick in das Labyrinth der deutschen Asylbehörden und schildert die dortigen Fallstricke und Hürden mit Witz und einem gewollt rauhen Tonfall. Der Autor liefert damit einen wichtigen, literarisch sehr aufreibenden Beitrag zur aktuellen Situation aus einer gänzlich anderen Warte und erweitert das vorherrschende Blickfeld. Wir haben einen sehr spannenden Autoren für das Stadtschreiberamt in Mainz gewinnen können!“

Ja, manchmal muss man auf diese Scheißwelt spucken und manchmal muss man in die Hände klatschen, wenn ihr die Wortstirn so meisterhaft und nachdrücklich geboten wird, wie Abbas Khider es tut. Laudatio von Ilija Trojanow.  Foto: Diether v. Goddenthow
Ja, manchmal muss man auf diese Scheißwelt spucken und manchmal muss man in die Hände klatschen, wenn ihr die Wortstirn so meisterhaft und nachdrücklich geboten wird, wie Abbas Khider es tut. Laudatio von Ilija Trojanow. Foto: Diether v. Goddenthow

Ilija Trojanow, Schriftsteller und Mainzer Stadtschreiber 2007, unterstrich in seiner  Laudatio unter anderem  den Wert von Geschichten als Zufluchtsorte gegen  permanente Existenzangst von Flüchtlingen:  Wenn eine ganze Gesellschaft sich eines Themas annimmt, verselbstständigen sich die diskursiven Wahrheiten. Es dominieren Weltanschauungsfakten und gefühlige Argumente. Wer dem entkommen will, könnte Zuflucht finden in den Gegenwelten von Romanen. Karim Mensys schildert seine gelebte, erfahrene Wahrheit als Häftling des Stillstands, als ein den Stürmen der Unsicherheit ausgesetzter Schiffbrüchiger. Er ist weder dort, wo er herkommt, noch hier, wo er angekommen ist, willkommen. Er lebt in ständiger existentieller Angst. „, sagte (…) Ilija Trojanow und lobte, mit welcher Genauigkeit Khiders die Situationen und Absurditäten darlege: „Als Leser mit eigener Fluchtgeschichte (inklusive sechs Monaten in Zirndorf), als Kollege mit eigenen ausgiebigen Recherchen über Gewalt und Unterdrückung, bestaune und bewundere ich die exemplarische Präzision von Abbas Khiders Wahrnehmung. Als etwa die US-Streitkräfte während des Ersten Golfkriegs in den Irak eindringen, beginnen die Gefängniswärter sich bei den Gefangenen zu entschuldigen, um sich vor der drohenden Rache zu schützen. ‚Wir sind nur kleine Beamte‘, sagen sie, ‚kleine Ameisen.‘ Selbst in einer Diktatur sind Machtverhältnisse brüchiger als man meint, ruht Herrschaft auf wackligem Fundament. Denkt daran, beschworen Wärter in den Kerkern des Ostblocks nach der Ungarischen Revolution 1956 die bis vor kurzem gefolterten Häftlinge, wir haben euch meist gut behandelt, und wenn nicht, dann haben wir nur Befehle ausgeführt.“

Ilija Trojanow bescheinigt Abbas Khider,  schlanke Bücher vorzulegen. „Sie sind entschlackt. Reduziert auf das Wesentliche. Kein Nippes, kein Schnickschnack, so wie das Gepäck eines Menschen, der auf der Flucht ist. Beim Lesen dieser Romane erfahre ich eine verstörende Mischung aus Amnesie und Déjà-vu. Ich habe all dies, denke ich, schon einmal vergessen. Zu Unrecht“,  reflektiert Trojanow, einst selbst Migrant. Sein Bestseller der „Der Weltensammler“, 2006, wurde mit dem Preis der Leipziger Buchmesse und mit einer Nominierung für den Deutschen Buchpreis geehrt.

Abbas Khider kennt sich aus mit Repression, mit Flucht und Vertreibung, mit Heimatlosigkeit und Hoffnung auf ein neues Leben. Der deutsch-irakische Schriftsteller, der von Anfang an auf Deutsch schrieb, erzählt in einer musikalischen und schlanken Sprache, so die Jury, tragikomische, erschütternde und anrührende Geschichten von Menschen, die unter Verfolgung und Vertreibung leiden müssen. Er verleiht mit Sensibilität, Humor und Sympathie den Heimatlosen eine authentische, unüberhörbare Stimme. In seinem Romandebüt „Der falsche Inder“ (2008) verarbeitete er seine eigene Flucht aus dem Irak.

Der Flüchtling an sich, diese Chiffre der ultimativen Bedrohung, wirkt inzwischen aufgrund der Zuschreibung anderer wie jene merkwürdigen Gestalten, die am ganzen Körper Tätowierungen haben, die sie sich nicht selbst ausgesucht haben.“ Abbas Khider. Foto: Diether v. Goddenthow
Der Flüchtling an sich, diese Chiffre der ultimativen Bedrohung, wirkt inzwischen aufgrund der Zuschreibung anderer wie jene merkwürdigen Gestalten, die am ganzen Körper Tätowierungen haben, die sie sich nicht selbst ausgesucht haben.“ Abbas Khider. Foto: Diether v. Goddenthow

Abbas Khider wuchs in Bagdads Viertel Saddam-City als Sohn eines Dattelhändlers auf. Als Abiturient wurde er wegen politischer Aktivitäten gegen das Regime Saddam Husseins verhaftet und von 1993 bis 1995 inhaftiert und gefoltert. Nach seiner Flucht aus dem Irak ersuchte er im Jahr 2000 um Asyl in Deutschland. Von 2005 bis 2010 studierte er in München und Potsdam Literatur und Philosophie. Seit 2007 ist Khider deutscher Staatsbürger.

In seinem Romandebüt „Der falsche Inder“ (2008) verarbeitete er seine jahrelange Odyssee als Flüchtling. 2011 folgte der Roman „Die Orangen des Präsidenten“, in dem Khider ein erschütterndes Bild des Irak zwischen Gefängnishölle und behüteter Kindheitsidylle zeichnet. Mit „Brief in die Auberginenrepublik“ (2013) entwarf Khider ein vielstimmiges Panorama arabischer Fluchten, Zustände und Stimmen, von Libyen bis Irak. 2014 leitete Khider eine Schreibwerkstatt in Kairo, nachdem er schon 2011 in der ägyptischen Hauptstadt recherchiert hatte und sich an den Protesten gegen das Mubarak-Regime beteiligte. 2016 erschien sein aktueller Roman „Ohrfeige“, der abermals auf große Aufmerksamkeit bei Kritik und Lesern stieß. Khider schildert mit Sinn für Melancholie und Groteske, wie eine Gruppe von Asylbewerbern Anfang der 2000er Jahre in das Räderwerk einer absurden deutschen Bürokratie gerät.

ohrfeigeAusgezeichnet wurde Abbas Khider  unter anderem mit dem Adelbert-von-Chamisso-Förderpreis (2010), dem Hilde-Domin-Preis für Literatur im Exil (2013), dem Nelly-Sachs-Preis der Stadt Dortmund (2013), dem Spycher Literaturpreis Leuk 2016, der Heinrich-Heine-Gastdozentur 2016 und dem Adelbert-von Chamisso-Preis 2017.