„Unter-Waffen“ – eine Schau der Militär- und Gewalt-Ästhetik ab 10.09.2016 Im Frankfurter Museum Angewandte Kunst

Dieser Collier-Entwurf von 2010 aus Messing, vergoldet (14 kt) und mit Rhodiumbeschichtung, Ø ca. 22cm, gehört zu den erklärten Lieblingstücken der New Yorker Designerin Amanda Assad Mounser. In ihrer ersten Kollektion nahm sie Einflüsse der Glam-Rock-Größen David Bowie, Brian Eno oder Iggy Pop auf und interpretierte die „rebellische Unbekümmertheit“ dieser Musiker durch eine luxuriöse Kombination aus Patronen und Spikes neu. So sexy kann Munition sein. Foto: Diether v. Goddenthow © massow-picture
Dieser Collier-Entwurf von 2010 aus Messing, vergoldet (14 kt) und mit Rhodiumbeschichtung, Ø ca. 22cm, gehört zu den erklärten Lieblingstücken der New Yorker Designerin Amanda Assad Mounser. In ihrer ersten Kollektion nahm sie Einflüsse der Glam-Rock-Größen David Bowie, Brian Eno oder Iggy Pop auf und interpretierte die „rebellische Unbekümmertheit“ dieser Musiker durch eine luxuriöse Kombination aus Patronen und Spikes neu. So sexy kann Munition sein. Foto: Diether v. Goddenthow © massow-picture

Waffen üben eine ambivalente Faszination aus. Sie verkörpern Macht und Überlegenheit und erinnern zugleich an Schmerz und Tod.

Besonders schockierend ist das Video "Gesang der Jünglinge" von Korpys/Löffler 2009, welches die Selbstversuche von Polizisten mit Elektroschocks auslösenden Taser-Waffen zeigt. Die ins Nervensystem gelangenen Schmerzsignale sind so stark, dass das menschliche Gehirn sie nicht verarbeiten kann, weswegen Getroffene in sekundenbruchteilen zu Boden gehen, jedoch nach Minuten wieder unversehrt aufstehen können. In den USA sind diese Waffen frei erhältlich, in Deutschland finden sie nur bei der Bayerischen Polizei Anwendung. Foto: Diether v. Goddenthow © massow-picture
Besonders schockierend ist das Video „Gesang der Jünglinge“ von Korpys/Löffler 2009, welches die Selbstversuche von Polizisten mit Elektroschocks auslösenden Taser-Waffen zeigt. Die ins Nervensystem gelangenen Schmerzsignale sind so stark, dass das menschliche Gehirn sie nicht verarbeiten kann, weswegen Getroffene in sekundenbruchteilen zu Boden gehen, jedoch nach Minuten wieder unversehrt aufstehen können. In den USA sind diese Waffen frei erhältlich, in Deutschland finden sie nur bei der Bayerischen Polizei Anwendung. Foto: Diether v. Goddenthow © massow-picture

Ob als Mittel zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, zum Zweck der individuellen oder kollektiven Gewaltanwendung, zur eigenen Sicherheit getragen oder als Sport- oder Arbeitsgerät verwendet: Waffen und die von ihnen ausgehende Bedrohung sind immer in soziale Strukturen eingebunden. Sie sind unter uns – ob wir sie sehen oder nicht, ob sie Angst auslösen, Lust bereiten oder beides zugleich.

Makaber blutverschmiert oder künstlerische Verlaufsgalsur? Der in Spanien geborene und in New York lebende und arbeitende Künstler Antonio Murado schuf 2005 diese „Gebrannte Porzellan“ (Salomé-Edition 3/15). Foto: Diether v. Goddenthow © massow-picture
Makaber blutverschmiert oder künstlerische Verlaufsgalsur? Der in Spanien geborene und in New York lebende und arbeitende Künstler Antonio Murado schuf 2005 dieses „Gebrannte Porzellan“ (Salomé-Edition 3/15). Foto: Diether v. Goddenthow © massow-picture

Die Ausstellung Unter Waffen. Fire & Forget 2 im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt folgt den Spuren, die Waffen und Militärästhetik in Mode, Design, Kunst und Alltagskultur hinterlassen. Damit erweitert und ergänzt Unter Waffen die 2015 im KW Institute for Contemporary Art in Berlin gezeigte Ausstellung Fire & Forget. On Violence, die der Frage nachgegangen war, wie Waffen und Gewalt in der Kunst der Gegenwart verhandelt werden.

Sharif Waked, To Be Continued, 2009 Video, Farbe, Ton; 41:33 min. Was Besucher hier hören, sind weder Koranverse noch Bekenntnisse eines Selbstmordattentäters, sondern Lesungen  aus dem großen orientalischen Vermächtnis gegen die Gewalt, dem Märchenbuch „1001 Nacht“, dem gut 1500 Jahre alten persischen Literaturklassiker. Darin erzählt Prinzessin Scheheranzade ihrem König jede Nacht eine Geschichte und unterbricht diese jeweils an der spannendsten Stelle, damit dieser, anstatt sie zu töten, auf die Fortsetzung in der folgenden Nacht wartet.  Foto: Diether v. Goddenthow © massow-picture
Sharif Waked, To Be Continued, 2009
Video, Farbe, Ton; 41:33 min.
Was Besucher hier hören, sind weder Koranverse noch Bekenntnisse eines Selbstmordattentäters, sondern Lesungen aus dem großen orientalischen Vermächtnis gegen die Gewalt, dem Märchenbuch „1001 Nacht“, dem gut 1500 Jahre alten persischen Literaturklassiker. Darin erzählt Prinzessin Scheheranzade ihrem König jede Nacht eine Geschichte und unterbricht diese jeweils an der spannendsten Stelle, damit dieser, anstatt sie zu töten, auf die Fortsetzung in der folgenden Nacht wartet.
Foto: Diether v. Goddenthow © massow-picture

In einer Architektur, die die Formensprache von Kunst- und Waffenmessen für den musealen Kontext zuspitzt, werden auf 1.200 qm Ausstellungsfläche skurrile und schöne, informative und verstörende Exponate aus Kunst, Design und Medien präsentiert: Werke von Barbara Kruger, Korpys/Löffler, Omer Fast, Timo Nasseri, Nedko Solakov, Timur Si-Qin und anderen reflektieren Waffen und physische Gewalt auf jeweils originäre Weise. Bomberjacken von Helmut Lang, Camouflage-Prints, Parfumflakons und Dildos in Handgranatenform, afghanische Teppiche mit Waffenmotiven oder Design von Philippe Starck nutzen die mit Waffen verbundenen Affekte für ihre Zwecke. Die Referenz auf militärische Ästhetik spielt mit der Provokation, doch zugleich verdichten sich in diesen Objekten verborgene Ängste und Sehnsüchte einer Gesellschaft.

Die von Goncalo Mabunda designten Möbel, hier Untitled Throne, 2015, setzen sich aus Waffen zusammen, die aus dem 16 Jahre lang wütenden und bis 1992 andauernden Bürgerkrieg in Mosambik übrig geblieben sind.Foto: Diether v. Goddenthow © massow-picture
Die von Goncalo Mabunda designten Möbel, hier Untitled Throne, 2015, setzen sich aus Waffen zusammen, die aus dem 16 Jahre lang wütenden und bis 1992 andauernden Bürgerkrieg in Mosambik übrig geblieben sind.Foto: Diether v. Goddenthow © massow-picture

Ob Design oder Kunst – Unter Waffen bietet Rahmen und Raum, sich dem Thema beobachtend zu nähern. Die sinnlich wahrnehmbare Form der unterschiedlichen Exponate soll unmittelbar affizieren und so die Ambivalenz des Phänomens zwischen Anziehung und Angst sichtbar und spürbar werden lassen.
Begleitend zur Ausstellung erscheint im Distanz Verlag die zweisprachige (dt./en.) Publikation AMMO – kurz für das englische Wort ammunition (Munition) – die in der Ästhetik eines Hochglanzmagazins Kunst, Werbung, Design und Mode in unterschiedlichster Form präsentiert. Beiträge von renommierten Gastautoren wie Olaf Arndt, Richard Brem, Klaus Günther, Andreas Hofbauer und Barbara Vinken behandeln Bereiche wie Militärgeschichte oder Psychoanalyse, thematisieren nicht-tödliche Waffen, Camouflage, die Rechtfertigung der Selbstverteidigung und ergründen, warum in der Mode militärische Referenzen so beliebt sind. Darüber hinaus enthält AMMO bislang unveröffentlichte Notizen Friedrich Kittlers zu einem Seminar über „Literatur und Krieg“ und eine kleine Zeichnung aus dem Nachlass des Medientheoretikers.

Nedko Solakov
Nedko Solakov
*1957 in Cherven Briag, Bulgarien; lebt und arbeitet in Sofia, Bulgarien
Aus: Knights (and other dreams), 2010–2012. Märchen sind zwar meist für Kinder geschrieben, aber oft stecken sie voller Gewalt, die einerseits Angst macht. Andererseits können die Märchen dabei helfen, diese Angst zu verarbeiten. 2012 füllte Nedko Solakov das Kasseler Brüder Grimm-Museum mit seinen fiktiven wie echten Kinderfantasien und deren späteren Umsetzung als Erwachsener an. Die aggressiven Triebe des kindlichen Spiels zeigen sich hier als Wissbegier und künstlerischer Gestaltungswille. Foto: Diether v. Goddenthow © massow-picture

Unter Waffen. Fire & Forget 2 wird gefördert von der Kulturstiftung des Bundes. Der Exzellenzcluster Die Herausbildung normativer Ordnungen an der Goethe-Universität Frankfurt am Main ist Kooperationspartner. Er zeichnet zudem für das Begleitprogramm aus Vorträgen und Diskussionsrunden mit den Sozial- und Geisteswissenschaftlern des Clusters verantwortlich.

Künstler*innen der Ausstellung
Ron Amir, Michael J. Baers, Julius von Bismarck, James Bridle, Roy Brand, Ori Scialom, Keren Yeala-Golan, Marcelo Cidade, Omer Fast, Robbert&Frank Frank&Robbert, Clara Ianni, Bernard Khoury, Shinseungback Kimyonghun, Korpys/Löffler, Barbara Kruger, Ives Maes, Kris Martin, Rami Maymon, Rabih Mroué, Timo Nasseri, Neozoon, Jon Rafman, Julian Röder, Martha Rosler, Timur Si-Qin, Nedko Solakov, Sharif Waked, Ala Younis

Designer*innen und Labels der Ausstellung
5.11, adidas Originals and KANYE WEST, Alpha Industries, Assad Mounser, Dafne Balatsos, Walter Van Beirendonck, Eddie Borgo, Brogamats, Defense Distributed, Dorothy, Extranight, Hasbro, Raffaele Iannello, Juan Cristobal Karich, Knucklecase, Helmut Lang, Gonçalo Mabunda, Mawi, MCM x Tobias Rehberger, Antonio Murado, Nike, Ted Noten, James Piatt, Sadak, Fannie Schiavoni, Philippe Starck, Viktor&Rolf, Peter Zizka

Museum Angewandte Kunst
Schaumainkai 17
60594 Frankfurt am Main
www.museumangewandtekunst.de
Öffnungszeiten
Di, Do-So 10-18 Uhr, Mi 10-20 Uhr

 

Rahmenprogramm
Unter Waffen. Fire & Forget 2
10. September 2016 bis 26. März 2017

Journalisten laufen rein zufällig durch ein simuliertes Minenfeld von 30 "SIMON Anti-Personnel Mines". Diese hat der Künstler Ives Maes 2004 zum Verwechseln ähnlich hergestellt aus Harz, Hanf, Farbstoff, Mohnsamen; je 28 x 9 cm. Foto: Diether v. Goddenthow © massow-picture
Journalisten laufen rein zufällig durch ein simuliertes Minenfeld von 30 „SIMON Anti-Personnel Mines“. Diese hat der Künstler Ives Maes 2004 zum Verwechseln ähnlich hergestellt aus Harz, Hanf, Farbstoff, Mohnsamen; je 28 x 9 cm. Foto: Diether v. Goddenthow © massow-picture

Rahmenprogramm des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ an der Goethe-Universität Frankfurt am Main

Veranstaltungsort – sofern nicht anders bezeichnet – Museum Angewandte Kunst Vorträge, Podiumsgespräche und Filmscreenings

Mittwoch, 14. September 2016, 19 Uhr
Mit Waffen wehren sich Mann und Frau. Die Rechtfertigung der Selbstverteidigung
Vortrag von Prof. Dr. Klaus Günther

Dienstag, 20. September 2016, 19 Uhr
Anziehend militärisch? Camouflage, Uniform und Parka in der Mode
Podiumsgespräch mit Univ.-Prof. Dr. Miloš Vec, Prof. Dr. Ingeborg Harms und Dr. Mahret Kupka

Mittwoch, 5. Oktober 2016, 19 Uhr
Kontrafakturen des Waffengebrauchs. Weibliche Gegengewalt im Kinofilm
Vortrag von Prof. Dr. Angela Keppler und Prof. Dr. Martin Seel

Mittwoch, 2. November 2016, 19 Uhr Von ferngesteuerten Fahrzeugen zu Drohnen. Die Algorithmisierung menschlicher Entscheidung und Wahrnehmung
Vortrag von Dr. Valentin Rauer und Gespräch mit der Kuratorin Ellen Blumenstein

Mittwoch, 16. November 2016, 19 Uhr Wie Waffen verschwinden. Zur Ästhetik der Zerstörung
Podiumsgespräch der Reihe Blickwechsel. Zukunft gestalten mit Prof. Dr. Nicole Deitelhoff,
Prof. Dr. Christopher Daase, Dr. Simone Wisotzki und Peter Zizka et al.

Mittwoch, 14. Dezember 2016, 19 Uhr Right to Bear Arms. Die USA unter Waffen
Vortrag von Prof. Dr. Dr. Günter Frankenberg

Freitag, 13. Januar 2017, 18.30 Uhr Cyberwar, Todesdrohnen und die Waffenfabrik in der Garage. Über Virtualität und Digitalität, Gewalt und Waffen
Interaktive Diskussion mit Dr. Matthias C. Kettemann und Dr. Thorsten Thiel

Freitag, 13. Januar 2017, 20.30 Uhr
Waffen für alle? Die Pistole aus dem 3D-Drucker
Podiumsgespräch mit Prof. Dr. Christopher Daase und Marco Fey

Mittwoch, 18. Januar 2017, 19 Uhr Schwert und Kreuz. Die Waffe als Objekt und Symbol im frühen Mittelalter
Vortrag von Dr. des. Daniel Föller

Mittwoch, 1. Februar 2017, 19 Uhr Vom Koffertrolley bis zur Drohne. Die Dimensionen der Waffe im Recht
Vortrag von Prof. Dr. Christoph Burchard und Gespräch mit dem Kurator Dr. Daniel Tyradellis

Mittwoch, 8. Februar 2017, 19 Uhr
Burka und Kalaschnikow. Mediale Inszenierungen von Jihadistinnen
Vortrag von Prof. Dr. Susanne Schröter

Donnerstag, 23. Februar 2017, 20.15 Uhr Im Deutschen Filmmuseum:
„Winchester `73“: The Gun That Changed Hollywood (1950, Anthony Mann)
Vortrag und Filmscreening mit Prof. Dr. Vinzenz Hediger

Mittwoch, 8. März 2017, 19 Uhr
Kabul Street Art. Rückeroberung der Stadt mit Farbe
Diskussion, Kommentar und Filmscreening mit Dr. Stefan Kroll, Niklas Schenck und Ronja von Wurmb-Seibel

Donnerstag, 16. März 2017, 20.15 Uhr
Im Deutschen Filmmuseum:
„American Sniper“: Wie man einen verlorenen Krieg im Kino doch noch gewinnt (2014, Clint Eastwood)
Vortrag und Filmscreening mit Prof. Dr. Vinzenz Hediger

Der Eintritt zu den Veranstaltungen des Rahmenprogramms im Museum Angewandte Kunst beträgt 5 Euro, ermäßigt 3,50 Euro.

Museum Angewandte Kunst
Schaumainkai 17
60594 Frankfurt am Main
 www.museumangewandtekunst.de
Öffnungszeiten
Di, Do-So 10-18 Uhr, Mi 10-20 Uhr

Weitere Informationen zum Rahmenprogramm

Mittwoch, 14. September 2016, 19 Uhr
Vortrag Mit Waffen wehren sich Mann und Frau. Die Rechtfertigung der Selbstverteidigung
Mit Prof. Dr. Klaus Günther (Professor für Rechtstheorie, Strafrecht und Strafprozessrecht der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Co-Sprecher des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen“)

Wenn es darum geht, sich zu bewaffnen oder Waffen gegen andere Menschen einzusetzen, dann fast immer nur mit der – wenn auch oftmals fadenscheinigen – Absicht, sich selbst zu verteidigen oder Schwache und Wehrlose vor einem Angriff zu schützen. Über einen langen historischen Zeitraum blieb es jedoch zumeist das Privileg adliger Männer, sich mit Waffengewalt zu wehren, vor allem, wenn die eigene Ehre auf dem Spiel stand. Auch nach der Entmachtung des Adels lebte dieses Selbstverständnis im Ritual des Duells weiter. Seit einiger Zeit ist dieses Privileg egalisiert worden. Männer und Frauen verteidigen sich selbst, notfalls mit der Waffe, manchen gilt dies sogar als ein elementares, unverfügbares Recht. Der Vortrag geht den Gründen und Folgen dieses Wandlungsprozesses nach.

Klaus Günther, geb. 1957; seit 1998 Professor für Rechtstheorie, Strafrecht und Strafprozessrecht an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Co-Sprecher des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen“, seit 2007 Mitglied des Forschungskollegiums am Institut für Sozialforschung (IfS) in Frankfurt am Main; wichtigste Veröffentlichungen: Der Sinn für Angemessenheit (1988, engl. 1993, portug. 2004); Schuld und kommunikative Freiheit. Studien zur individuellen Zurechnung strafbaren Unrechts im demokratischen Rechtsstaat, Frankfurt am Main, Vittorio Klostermann Verlag 2005.

Dienstag, 20. September 2016, 19 Uhr
Podiumsgespräch
Anziehend militärisch? Camouflage, Uniform und Parka in der Mode
Mit Univ.-Prof. Dr. Miloš Vec (Professur für europäische Rechts- und Verfassungsgeschichte der Universität Wien, Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“),
Prof. Dr. Ingeborg Harms (Professorin für Modetheorie und Kulturwissenschaften an der Universität der Künste Berlin) und Dr. Mahret Kupka (Kuratorin für Mode, Körper und Performatives am Museum Angewandte Kunst) Camouflage und Anleihen an Uniformen sind längst Bestandteil unserer Alltagskleidung. Wenn die Mode junger Großstädter sich aber zunehmend an Form und Funktionalität zeitgenössischer Kriegspraktiken orientiert, wirft das Fragen auf. Woher kommt das irritierend Anziehende dieses Unisex-Trends? Ist es eine paradoxe Faszination für Gewalt inmitten ziviler Gesellschaften? Geht es um die Signalisierung von Wehrhaftigkeit, möchten sich die TrägerInnen als einzelkämpferische Kriegerfiguren gewanden? Jedenfalls scheint ein irritierender Reiz des Abgründigen in diesen Designs präsent. Das Gespräch im Rahmen der Ausstellung „Unter Waffen“ geht den ästhetischen, sozialen und emotionalen Dimensionen von Kriegsanleihen in der aktuellen Mode nach.

Univ.-Prof. Dr. iur. Miloš Vec: seit 2012 Professor für Europäische Rechts- und Verfassungsgeschichte an der Universität Wien und seit 2016 Permanent Fellow am Institut für die Wissenschaften vom Menschen (IWM). Zuvor Projektleiter am Max-Planck-Institut für europäische Rechtsgeschichte und am Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ in Frankfurt. Habilitation und venia legendi an der Goethe-Universität für Neuere Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Zivilrecht. Freier Mitarbeiter der FAZ seit 1989. Unterricht an den Universitäten Hamburg, Berlin, Bonn, Frankfurt, Konstanz, Lyon, Tübingen und Vilnius. Zahlreiche Preise.

Prof. Dr. Ingeborg Harms: 1986 Promotion an der Universität Hamburg. 1987-89 Lecturer, German Department, Yale University. 1989-92 Assistant Professor, Modern Languages, Boston University. 1993-97 Wiss. Mitarbeiterin, Germanistik, Bonn. 1997/98 Gastprofessur, German Dept., University of Virginia. Seit 2012 Professur für Modetheorie und Kulturwissenschaften, UdK, Berlin. Schreibt seit 1989 für die FR, Theater heute, die FAZ, Vogue, Vanity Fair, Die Zeit, AD und Weltkunst.

Dr. phil. Mahret Ifeoma Kupka schreibt, spricht, lehrt und macht Ausstellungen zu den Themen Mode, Körper und Performatives. Sie studierte Volkswirtschaftslehre in Heidelberg sowie Kunstwissenschaft/Medientheorie, Philosophie und Ausstellungsdesign an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, wo sie 2015 mit einer Dissertation zum Thema Modeblogs und der Mythos der Revolutionierung der Mode promovierte. Seit 2013 ist Mahret Kuratorin am Museum Angewandte Kunst in Frankfurt/Main. www.mahret.de

Mittwoch, 5. Oktober 2016, 19 Uhr
Vortrag Kontrafakturen des Waffengebrauchs. Weibliche Gegengewalt im Kinofilm
Mit Prof. Dr. Angela Keppler (Professorin für Medien- und Kommunikationswissenschaft der Universität Mannheim, Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“) und
Prof. Dr. Martin Seel (Professor für Philosophie der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“)

Wenn Frauen in Spielfilmen wie „Viva Maria!“ von Louis Malle, „Thelma & Louise“ von Ridley Scott oder „Death Proof“ von Quentin Tarantino zu Waffen greifen, geschieht nicht dasselbe wie das, was ihre männlichen Pendants in den entsprechenden Genres tun. Solche Filme parodieren das männliche Waffengehabe oder sie inszenieren eine Form der Gegengewalt gegen herrschende Machtverhältnisse. Diesen Verkehrungen des Waffengebrauchs geht der Vortrag in der Präsentation exemplarischer Filmausschnitte nach.

Prof. Dr. rer. soc. Angela Keppler: Professorin für Medien- und Kommunikationswissenschaft an der Universität Mannheim. Publikationen u.a.: Tischgespräche. Formen kommunikativer Vergemeinschaftung, Frankfurt/M. 1994; Wirklicher als die Wirklichkeit? Das neue Realitätsprinzip der Fernsehunterhaltung, Frankfurt/M. 1994; Mediale Gegenwart. Eine Theorie des Fernsehens am Beispiel der Darstellung von Gewalt, Frankfurt/M. 2006; Fernsehen als Sinnproduzent. Berlin/München 2015; zus. mit Anja Peltzer: Die soziologische Film- und Fernsehanalyse, Berlin/München 2015.

Prof. Dr. Martin Seel ist Professor für Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Buchveröffentlichungen u.a.: Eine Ästhetik der Natur, Frankfurt/M. 1991; Ästhetik des Erscheinens, München 2000; Die Macht des Erscheinens, Frankfurt/M. 2007; Theorien, Frankfurt/M. 2009; 111 Tugenden, 111 Laster. Eine Philosophische Revue, Frankfurt/M. 2011; Die Künste des Kinos, Frankfurt/M. 2013; Aktive Passivität. Über den Spielraum des Denkens, Handelns und anderer Künste, Frankfurt/M. 2014.

Mittwoch, 2. November 2016, 19 Uhr Vortrag und Gespräch mit der Kuratorin
Von ferngesteuerten Fahrzeugen zu Drohnen. Die Algorithmisierung menschlicher Entscheidung und Wahrnehmung

Mit Dr. Valentin Rauer (Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“) und Ellen Blumenstein (Kuratorin der Ausstellung) Maschinen können nicht selbst entscheiden, sie dienen nur dem Menschen. Diese simple Annahme erscheint seit dem Beginn dieses neuen Jahrhunderts erschüttert. Die Metapher der „Drohne“ für ferngesteuerte Fahrzeuge markiert diese Erschütterung sprachlich. Drohnen sind eigentlich nicht neu, sie stammen aus dem Militär und wurden entweder als Waffen oder als mobile Wahrnehmungsmaschinen seit den 1930er Jahren eingesetzt. Doch mit der Algorithmisierung der Fernsteuerungstechniken wurden sie unabhängig vom steuernden Menschen. Die Metapher der „Drohne“ markiert diese Unabhängigkeit. Tatsächlich werden aktuell Algorithmen entwickelt, die selbstständig wahrnehmen und autonom über die Kriterien ihrer Wahrnehmung entscheiden. Die Arbeit „Cloud Face (detection process)“, 2012, des Künstlers Shinseungback Kimyonghun führt ins Zentrum dieser Problematik. Sie führt uns fehlerhafte Interpretationen eines Gesichtserkennungsalgorithmus vor und zeigt zugleich, dass die menschliche Wahrnehmung ähnlich irrend interpretiert. Die Arbeit verweist also nicht nur auf die Algorithmen, sondern irritiert auch allzu selbstgewisse Überlegenheitsgefühle menschlichen Wahrnehmungsvermögens.

Der Vortrag wird an diese künstlerische Position sozialwissenschaftlich anschließen und die gesellschaftlichen Folgen und Problematiken algorithmischer Entscheidungs-, Überwachungs- und Wahrnehmungstechnologien an aktuellen Beispielen und Forschungsarbeiten erläutern.

Dr. Valentin Rauer ist Soziologe und Postdoktorand des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ an der Goethe-Universität Frankfurt. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Sicherheitskulturen, Digitalisierung sowie Materialität und Erinnerungskulturen in Postkonfliktgesellschaften. Zum Thema Algorithmen und Drohnen erscheint u.a.: Rauer, Valentin (2016): Drones: The Mobilization of Algorithms, in: R. Seyfert et al. (Eds.): Algorithmic Cultures. Essays on Meaning, Performance and New Technologies: Routledge.

Ellen Blumenstein, geb. 1976, ist studierte Literatur-, Musik- und Kommunikationswissenschaftlerin und lebt als Kuratorin und Autorin für zeitgenössische Kunst in Berlin. Von 2013 bis 2016 war sie Chefkuratorin des KW Institute for Contemporary Art in Berlin. Sie erarbeitet international – häufig in Kooperation mit Kollegen und Künstlern – monografische wie thematische Ausstellungen, welche das Potential und die Grenzen zeitgenössischer Kunst heute ausloten.

Mittwoch, 16. November 2016, 19 Uhr Podiumsgespräch der Reihe Blickwechsel. Zukunft gestalten
Wie Waffen verschwinden. Zur Ästhetik der Zerstörung
Mit Prof. Dr. Nicole Deitelhoff (Direktorin des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung, Professorin für Internationale Beziehungen und Theorien globaler Ordnungen der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“),
Prof. Dr. Christopher Daase (Professor für Internationale Organisationen der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“, Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung),
Dr. Simone Wisotzki (Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung) und
Peter Zizka (Designer) et al.

Wenn wir über die Ästhetik von Waffen sprechen, meinen wir meist ihre Verwendung in Design und Mode oder ihren spezifischen Sex Appeal. Aber auch die Zerstörung von Waffen weist eine eigene Ästhetik auf. Waffenzerstörung ist eine der großen Herausforderungen für die Politik, um Konflikte nachhaltig zu beenden, so im Rahmen von Peacebuilding-Missionen oder der Prävention von Konflikten überhaupt, wie in der Überwachung der Einhaltung und der Sanktionierung von geltenden Waffenverboten. Zu denken ist hier an die Verbote von Chemie- und Biowaffen, an das Nukleare Nichtverbreitungsregime oder auch Landminen. Anders als das zerstörerische Potenzial dieser Waffen es erwarten lässt, ist die Zerstörung der Waffen selbst eine eher profane, bestenfalls technisch aufregende Angelegenheit. Umso wichtiger ist daher für die Politik, Waffenzerstörung symbolisch zu inszenieren, um Glaubwürdigkeit und Wirkmächtigkeit in der Öffentlichkeit zu erzeugen. Beispiele sind dafür etwa die jüngste öffentlichkeitswirksame Entsorgung syrischer Chemiewaffen auf hoher See oder Großeinschmelzungen von Kleinwaffen in Konfliktgebieten. Das Podium spürt diesen Inszenierungen und der spezifischen Ästhetik, die sie erzeugen, aus unterschiedlichen Perspektiven nach.

Prof. Dr. Nicole Deitelhoff ist Professorin für Internationale Beziehungen an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Principal Investigator des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ und Leiterin des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). Zuvor war sie unter anderem als Forschungsprofessorin an der Universität Bremen und als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Technischen Universität Darmstadt tätig. Ihre Forschungsschwerpunkte umfassen Institutionen und Normen, Grundlagen politischer Herrschaft und ihrer Legitimation jenseits des Nationalstaats sowie Widerstands- und Protestphänomene.

Prof. Dr. Christopher Daase ist Professor für Internationale Organisationen an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Principal Investigator des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ und Stellvertretender Leiter sowie Programmbereichsleiter des Leibniz-Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). Nach dem Studium in Hamburg, Freiburg, Berlin und Harvard war er zuvor Senior Lecturer an der University of Kent und Professor für Internationale Beziehungen an der Universität München. Seine Forschungsschwerpunkte sind Sicherheitspolitik, internationale Institutionen und politische Gewalt.

Dr. Simone Wisotzki ist Projektleiterin und Mitglied des Vorstandes an der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). Sie hat an den Universitäten in Frankfurt und Southampton/UK Politikwissenschaft, Anglistik und Mittlere/Neue Geschichte studiert und in Frankfurt promoviert. Ihre Forschungsschwerpunkte sind internationale Ethik, Geschlechterperspektiven, humanitäre Rüstungskontrolle und Rüstungsexporte. Derzeit arbeitet sie an einem von der DFG geförderten Projekt zu Gerechtigkeitskonflikten in multilateralen Verhandlungen.

Peter Zizka, geboren 1961, Ausbildung als Restaurator und Studium der Visuellen Kommunikation an der HfG Offenbach am Main. Zudem besuchte er die Städelschule und studierte bei Bruce McLean. 1989 gründete Peter Zizka zusammen mit Achim Heine und Michael Lenz das Gestaltungsbüro Heine/Lenz/Zizka. Er arbeitet außerdem an Design-Projekten im gesellschaftspolitischen Kontext, wie der Bodeninstallation „Virtuelles Minenfeld“ (Austellungen u.a. in der Main Gallery der United Nations/New York) oder der Demilitarisierungsaktion „Symbiosis“ (Ausstellungen u.a. im Museum für Neue Kunst/ZKM Karlsruhe. 2011 war er nach Konstantin Grcic der zweite designorientierte Praxisstipendiat der Villa Massimo in Rom. Für den 25. Jahrestag der deutschen Wiedervereinigung 2015 generierte er auf der Frankfurter Paulskirche die typografische Installation „Wortfusion“. Zizka ist außerdem Kolumnist zum Thema Design für das Schweizer Bilanzmagazin.

Mittwoch, 14. Dezember 2016, 19 Uhr Vortrag
Right to Bear Arms. Die USA unter Waffen

Mit Prof. Dr. Dr. Günter Frankenberg (Professor für Öffentliches Recht, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung, Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“)
Weltweit ein Einzelstück, verbürgt das „Second Amendment“ der US-Verfassung seit 1787 jedem das Recht, Waffen zu tragen. Was heute als Begünstigung von Waffenfetischisten und Amokläufern von sich reden macht, hat eine durchaus ehrwürdige Geschichte, die bis zur Reform der Wehrverfassung von Henry II im Jahre 1181 zurückreicht. Als eine Art kollektives Recht auf Selbstverteidigung überdauerte es im Common Law die Jahrhunderte und wurde in der Gründerzeit der USA den Gegnern der Union von den Federalists als Morgengabe offeriert: als notwendige Bedingung einer „wohlregulierten Miliz“, die einem stehenden Unionsheer Widerstand leisten könnte. Erst in der jüngeren Vergangenheit mutierte „the right to bear arms“, den Besitzindividualismus flankierend, zu einem Individualrecht. Das Verteidigungsmittel – und Tötungsinstrument im Notfall – normalisierte sich zum Gegenstand des alltäglichen Gebrauchs. Keine Rede mehr von Miliz – und doch eine Gesellschaft unter Waffen.

Prof. Dr. Dr. Günter Frankenberg ist Professor für Öffentliches Recht, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung, Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“. Ausgewählte Publikationen: Die demokratische Frage (1989), gemeinsam mit H. Dubiel und U. Rödel; Staatstechnik – Perspektiven auf Rechtsstaat und Ausnahmezustand (2010); Comparative Law as Critique (2016)

Freitag, 13. Januar 2017, 18.30 Uhr Interaktive Diskussion
Cyberwar, Todesdrohnen und die Waffenfabrik in der Garage. Über Virtualität und Digitalität, Gewalt und Waffen
Mit Dr. Matthias C. Kettemann, LL.M. (Harvard) (Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“) und Dr. Thorsten Thiel (Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“) Ändert das Internet, was Krieg und Frieden bedeutet? Steht die Vernetzung und Digitalisierung dem Physischen der Gewalt entgegen? Wie hat sich zwischen Cyberwar und Todesdrohnen das Konzept von Waffen verändert? Beispiele reichen von den Veränderungen in der Kriegsführung durch Vernetzung auf dem Schlachtfeld und dem Einsatz von Drohnen über virtuelle Kriege und Sabotage kritischer Infrastrukturen bis hin zur Möglichkeit, Waffen aus dem 3D-Drucker zu produzieren. Mit Blick auf einzelne Ausstellungsstücke werden wir über Veränderungen von Waffen und Gewaltausübung durch Vernetzung, Digitalisierung und Virtualisierung diskutieren – und die Folgen, die das Internet und der 3D-Druck auf das staatliche Gewaltmonopol haben.

Mag. Dr. Matthias C. Kettemann, LL.M. (Harvard) ist Postdoc-Fellow am Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ der Goethe-Universität Frankfurt am Main und Ko-Leiter des Forschungsschwerpunkts Internet und Gesellschaft. Dr. Kettemann war Co-Chair der Internet Rights & Principles Coalition, hat für den Europarat, das Europäische Parlament und das Internet&Society Co:llaboratory geforscht und publiziert regelmäßig zu Rechtsfragen des Internets in Online- und Offlinemedien. Zuletzt erschienen von ihm European Yearbook on Human Rights 2016 (jährlich, Mitherausgeber) und Völkerrecht in Zeiten des Netzes (2015).

Dr. Thorsten Thiel studierte an der RWTH Aachen Politische Wissenschaft, Soziologie und Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Er promovierte von 2006 bis 2010 im Rahmen des Graduiertenkollegs „Verfassung jenseits des Staates“ an der Humboldt-Universität zu Berlin zum Thema „Republikanismus und die Europäische Union“. Von 2010 bis 2013 war Thorsten Thiel Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnung“, seit April 2013 ist er Koordinator des Leibniz-Forschungsverbundes „Krisen einer globalisierten Welt“ an der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Im Wintersemester 2015/16 war Thorsten Thiel Vertretungsprofessor an der Universität Trier (Professur „Politische Theorie und Ideengeschichte“), in den vergangenen Jahren war er zudem Gastforscher an der Stanford University, am University College London und am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung.

Freitag, 13. Januar 2017, 20.30 Uhr Podiumsgespräch
Waffen für alle? Die Pistole aus dem 3D-Drucker

Mit Prof. Dr. Christopher Daase (Professor für Internationale Organisationen der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“, Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung) und Marco Fey (Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konflitkforschung) Funktionsfähige Kleinwaffen aus dem 3D-Drucker sind längst keine Zukunftsfantasie mehr. Was für so genannte Wiki-Waffen für den Privatgebrauch gilt, gilt aber auch im großen Stil: Staaten, Guerillaorganisationen und Terrorgruppen können sich mit Hilfe additiver Fertigungstechniken Waffen verschaffen, an die sie auf legalem Wege nicht gelangen können. Selbst Raketen, Drohnen und Komponenten von Massenvernichtungswaffen sind auf diesem Wege für jedermann zugänglich. Die Möglichkeit Waffen zu drucken untergräbt nationale und internationale Programme, die Verbreitung von Waffen einzuschränken. Wenn sich potenziell jeder eine Waffe nach seinen Wünschen drucken kann, was hat das für Auswirkungen auf unsere Sicherheit und das Zusammenleben von Menschen, Gruppen und Staaten? Welche Herausforderungen stellen sich für die Sicherheitspolitik und welche Möglichkeiten gibt es, das massenhafte Drucken von Waffen zu verhindern?

Prof. Dr. Christopher Daase ist Professor für Internationale Organisationen an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Principal Investigator des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ und Programmbereichsleiter am Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). Nach dem Studium in Hamburg, Freiburg, Berlin und Harvard war er zuvor Senior Lecturer an der University of Kent und Professor für Internationale Beziehungen an der Universität München. Seine Forschungsschwerpunkte sind Sicherheitspolitik, internationale Institutionen und politische Gewalt.

Marco Fey hat Politikwissenschaft, Jura, Geschichte und Philosophie an der Goethe-Universität Frankfurt studiert. Seit 2009 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) im Programmbereich Sicherheits- und Weltordnungspolitik von Staaten. Seine Forschungsschwerpunkte sind Rüstungskontrolle, strategische Waffensysteme und sicherheitspolitische Folgen neuer Technologien. Seine neuesten Publikationen sind The Nuclear Taboo, Battlestar Galactica, and the Real World: Illustrations From a Science-Fiction Universe (2016, mit Annika Poppe und Carsten Rauch in Security Dialogue) und Waffen aus dem 3D-Drucker: Additives Fertigen als sicherheitspolitisches Risiko? (HSFK-Report 9/2106).

Mittwoch, 18. Januar 2017, 19 Uhr Vortrag
Schwert und Kreuz. Die Waffe als Objekt und Symbol im frühen Mittelalter

Mit Dr. des. Daniel Föller (Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“) Die Allgegenwart von Waffen und Gewalt sowie deren christliche Rechtfertigung bestimmen unser Bild vom Mittelalter – eine Gegenwelt zur Moderne, die wir mit Abscheu und Faszination zugleich betrachten. Das mittelalterliche Schwert mit seiner Kreuzform fungiert dabei als Kristallisationspunkt jener Vorstellungen. Wie aber gingen mittelalterliche Menschen mit der Waffe um, als Objekt und als Symbol? Durch die Auseinandersetzung mit einigen ausgewählten Objekten und Texten des frühen Mittelalters soll dieser Frage nachgegangen werden. Damit wird nicht nur der Blick auf eine andere Art des In-der-Welt-seins möglich, sondern auch ein tieferes Verständnis eigener Vorstellungsräume.

Dr. des. Daniel Föller ist Mittelalterhistoriker. 2012 wurde er mit einer Arbeit über kognitive Strategien im wikingerzeitlichen Skandinavien promoviert, seit 2013 ist er Postdoc-Fellow am Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ der Goethe-Universität, seit 2016 forscht er zudem gemeinsam mit ArchäologInnen und SoziologInnen am LOEWE-Schwerpunkt „Prähistorische Konfliktforschung“. Sein derzeitiges Projekt befasst sich mit dem Habitus von Gewaltakteuren im karolingischen Europa (ca. 700–900 n. Chr.).

Mittwoch, 1. Februar 2017, 19 Uhr Vortrag und Gespräch mit dem Kurator
Vom Koffertrolley bis zur Drohne. Die Dimensionen der Waffe im Recht

Mit Prof. Dr. Christoph Burchard, LL.M. (NYU) (Professor für Straf- und Strafprozessrecht, Internationales und Europäisches Strafrecht, Rechtsvergleichung und Rechtstheorie der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“) und
Dr. Daniel Tyradellis (Kurator der Ausstellung)

So vielfältig Waffen in der sozialen Lebenswirklichkeit in Erscheinung treten, so divers sind die Dimensionen von Waffen im Recht. Es gibt nicht „den“ Rechtsbegriff der Waffe, sondern die verschiedensten Begriffe, die sich den jeweiligen Zielen einer gesetzlichen Regelung anpassen. Je nach Kontext fungieren die unterschiedlichsten Gegenstände – vom Koffertrolley bis zur Drohne – als Waffe. In diesem Vortrag mit Kuratorengespräch werden wir diese Relativität der Waffen im Recht erkunden.

Prof. Dr. Christoph Burchard ist Inhaber der Professur für Straf- und Strafprozessrecht, Internationales und Europäisches Strafrecht, Rechtsvergleichung und Rechtstheorie sowie Principal Investigator am Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Internationalisierung und Europäisierung der Strafrechtspflege. Dr. Daniel Tyradellis, geb. 1969 in Köln, Philosoph.

Mittwoch, 8. Februar 2017, 19 Uhr
Vortrag Burka und Kalaschnikow. Mediale Inszenierungen von Jihadistinnen

Mit Prof. Dr. Susanne Schröter (Professorin für Ethnologie der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“) Europäische Frauen, die sich dem IS anschließen, inszenieren sich im Internet gern in martialischer Pose mit Sturmgewehren, Pistolen oder Granatwerfern. Und suggerieren dadurch eine aktive Beteiligung an Kampfhandlungen. Diese Selbstdarstellungen sind erklärungsbedürftig, weil sie immer wieder in neuen Varianten produziert werden, obwohl der IS wiederholt darauf hingewiesen hat, dass Frauen keine Kämpferinnen sein können, sondern ihre Aufgabe darin besteht, Kämpfer zu versorgen und zukünftige Kämpfer zu gebären.

Prof. Dr. Susanne Schröter ist Professorin für Ethnologie kolonialer und postkolonialer Ordnungen des Exzellenzclusters „Die Herausbildung normativer Ordnungen“, Vorstandsmitglied des Deutschen Orient-Instituts und des Hessischen Forums Religion und Gesellschaft sowie Mitglied der Hessischen Integrationskonferenz. Sie leitet das Frankfurter Forschungszentrum Globaler Islam am Exzellenzcluster. Forschungsschwerpunkte: Islamischer Feminismus und Frauenbewegungen in der islamischen Welt; Konstruktionen von Gender und Sexualität; islamischer Extremismus und Terrorismus; progressiver Islam; Staat- und Nationenbuildung; Säkularismus und Religion; Globalisierung. Regionen: Südostasien, Nordafrika, Deutschland

Donnerstag, 23. Februar 2017, 20.15 Uhr Im Deutschen Filmmuseum: Vortrag und Filmscreening I
„Winchester ´73“: The Gun That Changed Hollywood (1950, Anthony Mann)

Prof. Dr. Vinzenz Hediger (Professor für Filmwissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“) Anthony Manns Western „Winchester ´73“ erzählt die Geschichte eines Präzisionsgewehrs und seiner wechselnden Besitzer in einem Reigen der Gewalt, dessen Ausgangspunkt ein ungelöster Bruderzwist bildet. Der Film markiert aus mehreren Gründen einen Wendepunkt in der Geschichte des Hollywood-Kinos. Der Film läutet die Phase der „Super-Western“ ein, der Prestige-Filme über die Eroberung des amerikanischen Westen, mit denen Hollywood auf die Krise der 1950er Jahre reagierte und die bis in die 1960er neben den Monumentalfilmen mit biblischen und antiken Vorlagen das wirtschaftliche Rückgrat der Industrie bildeten. Für Hauptdarsteller James Stewart handelte dessen Agent Lew Wasserman den ersten Gewinnbeteiligungsvertrag für einen Schauspieler aus, der dem Star 50 Prozent der Netto-Einnahmen sicherte. Die Kooperation mit Universal Pictures führte schließlich dazu, dass Wasserman das Studio Ende der 1950er Jahre ganz übernahm und MCA-Universal zum ersten Medienkonglomerat neuen Typs ausbaute. Ausgehend von einer Rekonstruktion dieses folgenreichsten Waffendeals der Kinogeschichte stellt der Vortrag die Frage nach einer Ästhetik der Waffengewalt im Hollywood-Kino.

Prof. Dr. Vinzenz Hediger, geb. 1969, ist Professor für Filmwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er wurde 1999 an der Universität Zürich promoviert und war bis 2004 Postdoktorand am dortigen Seminar für Filmwissenschaft. 2004 erfolgte die Berufung auf den neu geschaffenen Krupp-Stiftungslehrstuhl für Theorie und Geschichte bilddokumentarischer Formen an der Ruhr-Universität Bochum, den er bis zu seinem Wechsel nach Frankfurt 2011 innehielt. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Filmtheorie sowie in der Erforschung nicht-kanonischer Filmformate wie des Wissenschafts- und Industriefilms. Er ist der Gründungsherausgeber der Zeitschrift für Medienwissenschaft (www.zfmedienwissenschaft.de. Zuletzt erschienen: Essays zur Filmphilosophie (gemeinsam mit C. Voss, L. Engell, O. Fahle, Fink 2015).

Mittwoch, 8. März 2017, 19 Uhr
Diskussion, Kommentar und Filmscreening
Kabul Street Art. Rückeroberung der Stadt mit Farbe

Mit Dr. Stefan Kroll (Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“), Niklas Schenck (Journalist) und Ronja von Wurmb-Seibel (Journalistin und Autorin)
Eines der sichtbarsten Zeichen der Interventionsgesellschaft in Kabul sind Sprengschutzmauern, die die Stadt durchziehen. Die Mauern dienen dem Schutz von Regierungsgebäuden, Botschaften und Wohnkomplexen lokaler und ausländischer Eliten. Die Mauern verändern die Gestalt der Stadt und konstruieren Räume vermeintlicher Sicherheit und Unsicherheit. Zugleich bieten sie eine Projektionsfläche für lokale Künstler und Aktivisten, die sich den Eingriffen in ihre Lebenswelt widersetzen. Graffitis, die auf den Mauern angebracht werden, sind zugleich eine ästhetische und politische Reaktion auf die Transformation der Stadt. Um die Künstler, die die Mauern bemalen, gruppiert sich eine kleine Szene von Schauspielern, Dichtern, Malern und Musikern, die ihre Gesellschaft von innen verändern wollen. 2014 wurden sie zum Ziel eines Anschlags der Taliban. Die meisten kämpfen seither noch lauter – aber auch noch riskanter.

Dr. Stefan Kroll ist Sozialwissenschaftler und Mitarbeiter des Exzellenzclusters „Die Herausbildung Normativer Ordnungen“. In seinen Forschungen hat er sich mit internationalen Interventionen und ihrer Rechtfertigung in Gegenwart und Geschichte befasst.

Niklas Schenck und Ronja von Wurmb-Seibel sind Journalisten und haben im letzten Jahr des NATO-Einsatzes in Afghanistan gelebt. Seither arbeiten sie an einem Kino-Dokumentarfilm über einen Selbstmordanschlag der Taliban auf Kabuls Künstler – und wie diese darauf reagierten. Ronja von Wurmb-Seibel schrieb 2014 die Kolumne „Ortszeit Kabul“ in der ZEIT und später das Buch „Ausgerechnet Kabul – 13 Geschichten vom Leben im Krieg“ (DVA 2015). Niklas Schenck hat sich in der Serie „Geheimer Krieg“ (ARD/NDR/Süddeutsche Zeitung) mit dem US-geführten Krieg gegen den Terror und Deutschlands Rolle dabei befasst und wurde für das Multimediaprojekt „Love for my enemies“ für einen EMMY nominiert.

Donnerstag, 16. März 2017, 20.15 Uhr
Im Deutschen Filmmuseum: Vortrag und Filmscreening II „American Sniper“: Wie man einen verlorenen Krieg im Kino doch noch gewinnt (2014, Clint Eastwood)

Mit Prof. Dr. Vinzenz Hediger (Professor für Filmwissenschaft der Goethe-Universität Frankfurt am Main, Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“)
„American Sniper“ von Clint Eastwood ist der bislang erfolgreichste Hollywood-Film über den Irakkrieg. Die Hauptfigur, Chris Kyle, ist ein Scharfschütze, der nach Auskünften des US-Militärs bei seinen Einsätzen im Irak mindestens 168 feindliche Kämpfer mit Distanzschüssen tötete. Nach seinen Kampfeinsätzen avancierte Kyle zu einer Art Fernseh-Kriegsheld. Er trat neben Musikern, Komikern und Schauspielern in den Late Night Talk Shows auf und berichtete von seinen Erfolgen. Schließlich wurde er selbst das Opfer einer Gewalttat: Ein psychisch kranker Veteran, den er mit betreute, erschoss ihn in einem Sportschießstand. Gespielt von Bradley Cooper, einem der zugkräftigsten jüngeren Filmstars der Gegenwart, steht diese Figur im Zentrum des Films von Clint Eastwood, der selbst ursprünglich als Westernheld berühmt wurde – unter anderem durch die Spaghettiwestern von Sergio Leone – und als Regisseur für den Spätwestern „Unforgiven“ 1994 seinen ersten Oscar gewann. Der Vortrag liest Eastwoods Film als Versuch, den Scharfschützen nachträglich zur Heldenfigur in einem asymmetrischen Krieg zu küren, den die Amerikaner gleich zu Beginn schon verloren hatten. Der Vortrag geht dabei aus von einem Zitat von Frantz Fanon über den Algerienkrieg, mit dem der Schriftsteller und Widerstandskämpfer auf den besonders engagierten Einsatz von Landbesitzern in den Foltereinheiten des französischen Militärs verwies: „In Zeiten der Krise zückt der Cowboy seine Kanone und seine Folterwerkzeuge“.

Prof. Dr. Vinzenz Hediger, geb. 1969, ist Professor für Filmwissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er wurde 1999 an der Universität Zürich promoviert und war bis 2004 Postdoktorand am dortigen Seminar für Filmwissenschaft. 2004 erfolgte die Berufung auf den neu geschaffenen Krupp-Stiftungslehrstuhl für Theorie und Geschichte bilddokumentarischer Formen an der Ruhr-Universität Bochum, den er bis zu seinem Wechsel nach Frankfurt 2011 innehielt. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Filmtheorie sowie in der Erforschung nicht-kanonischer Filmformate wie des Wissenschafts- und Industriefilms. Er ist der Gründungsherausgeber der Zeitschrift für Medienwissenschaft (www.zfmedienwissenschaft.de. Zuletzt erschienen: Essays zur Filmphilosophie (gemeinsam mit C. Voss, L. Engell, O. Fahle, Fink 2015).

Museum Angewandte Kunst
Schaumainkai 17
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