Schirn Kunsthalle Frankfurt – FANTASTISCHE FRAUEN SURREALE WELTEN VON MERET OPPENHEIM BIS FRIDA KAHLO – bis 5. Juli verlängert

Noch bis zum 7. Juli 2020 präsentiert die Schirn Kunsthalle Frankfurt die große Überblicksausstellung „Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“, die den Künstlerinnen des Surrealismus gewidmet ist. Bildausschnitt: Toyen "Boschaft des Waldes".  Foto: Diether v. Goddenthow
Noch bis zum 7. Juli 2020 präsentiert die Schirn Kunsthalle Frankfurt die große Überblicksausstellung „Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“, die den Künstlerinnen des Surrealismus gewidmet ist. Bildausschnitt: Toyen „Boschaft des Waldes“. Foto: Diether v. Goddenthow

Göttin, Teufelin, Puppe, Fetisch, Kindfrau oder wunderbares Traumwesen – die Frau war das zentrale Thema surrealistischer Männerfantasien. 1924 in Paris gegründet, waren die meisten offiziellen Mitglieder der surrealistischen Bewegung männlich. Nach den katastrophalen Erfahrungen des Ersten Weltkriegs suchten sie nach grundlegender geistiger Erneuerung und alternativen Lebensformen, fußend auf den Theorien Sigmund Freuds zum Unbewussten und seiner Traumdeutung, praktizierten die écriture automatique (automatisches Schreiben), feierten den Zufall, die sexuelle Anarchie in der Tradition des Marquis de Sade (1740–1814) und künstlerische Experimenten auf allen Ebenen.
Ab etwa 1930 gelangten immer mehr Künstlerinnen, oft zunächst als Partnerin oder Modell, in den Kreis um den Gründer der Surrealisten-Gruppe, André Breton. Mit vielen internationalen Ausstellungen unter anderem in London, New York und sogar Tokyo verbreiteten sich die surrealistischen Ideen über mehrere Kontinente. Dabei war die Beteiligung von Künstlerinnen an der Bewegung, an Ausstellungen und Publikationen, wesentlich umfassender als allgemein bekannt ist und bislang dargestellt wurde.

Umkehr der Perspektive. Der weibliche Blick  auf einen Männerakt in Frauenposition. Leonor Fini Portrait de-Nico. © Foto: Diether v. Goddenthow
Umkehr der Perspektive. Der weibliche Blick auf einen Männerakt in Frauenposition. Leonor Fini Portrait de-Nico. © Foto: Diether v. Goddenthow

Was die Künstlerinnen von ihren männlichen Kollegen vor allem unterscheidet, ist die Umkehr der Perspektive: Durch Befragung des eigenen Spiegelbilds oder das Einnehmen verschiedener Rollen sind sie auf der Suche nach einem (neuen) weiblichen Identitätsmodell. Auch das politische Zeitgeschehen, die Literatur sowie außereuropäische Mythen sind Themen, mit denen sich die Surrealistinnen in ihren Werken auseinandersetzen.

Mit rund 260 Gemälden, Papierarbeiten, Skulpturen, Fotografien und Filmen von 34 Künstlerinnen aus Europa, den USA und Mexiko – hauptsächlich aus den 1930er bis 1960er Jahren – bildet die coronabedingt um drei Monate verschobene, ab 6. Mai eröffnete Ausstellung „Fantastische Frauen Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“ ein vielfältiges stilistisches und inhaltliches Spektrum der Künstlerinnen ab. Die Ausstellung konzentriert sich dabei auf Künstlerinnen, die direkt mit der surrealistischen Bewegung verbunden waren, wenn auch oft nur für kurze Zeit: Sie waren mit André Breton persönlich bekannt, stellten mit der Gruppe aus oder verarbeiteten surrealistische Ideen in unterschiedlichster Weise. Präsentiert werden surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“. Die Künstlerinnen gelangten zunächst als Partnerin oder Modell in den Kreis um den Gründer der Surrealisten-Gruppe, André Breton. Schnell brachen sie aus diesem Rollenverständnis aus und schufen selbstbewusst unabhängige Werke.

Ausstellungsimpression „Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“, Schirn Kunsthalle Frankfurt.© Foto: Diether v. Goddenthow
Ausstellungsimpression „Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“, Schirn Kunsthalle Frankfurt.© Foto: Diether v. Goddenthow

Neben bekannten Namen wie Louise Bourgeois, Claude Cahun, Leonora Carrington, Frida Kahlo, Meret Oppenheim oder Dorothea Tanning sind zahlreiche bislang weniger bekannte Persönlichkeiten wie Toyen, Alice Rahon oder Kay Sage aus mehr als drei Jahrzehnten surrealistischer Kunst zu entdecken. Sie werden in der Schirn jeweils mit einer repräsentativen Auswahl ihrer Arbeiten vorgestellt. Die Ausstellung spiegelt zudem Netzwerke und Freundschaften zwischen den Künstlerinnen in Europa, den USA und Mexiko. Für die Präsentation konnte die Schirn bedeutende Leihgaben aus zahlreichen deutschen und internationalen Museen, öffentlichen wie privaten Sammlungen gewinnen und in Frankfurt zusammenführen, u. a. aus dem Metropolitan Museum of Art, New York; der Tate, London; den National Galleries of Scotland, Edinburgh; dem Centre Pompidou, Paris; dem Musée d’art moderne de la ville de Paris; dem Musée national Picasso, Paris; dem Kunstmuseum Bern; dem Kunstmuseum Basel; dem Moderna Museet, Stockholm; dem mumok – Museum moderner Kunst Stiftung Ludwig, Wien, und dem Museum de Arte Moderno, Mexiko-Stadt.
Die Ausstellung „Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“ konnte dank der Unterstützung des Kulturfonds Frankfurt RheinMain und der Dr. Marschner Stiftung realisiert werden. Hinzu kommt die Förderung der Bank of America als Partner der Schirn 2020.

Kuratiert hat die Ausstellung Dr. Ingrid Pfeiffer, die mit „Fantastische Frauen“ ein wenig die Lücke schließen möchte, einige der bis heute oft in Publikationen und Überblicksausstellungen vielen fehlenden Namen und Werke von Vertreterinnen des weiblichen Surrealismus zu  präsentieren. „In der Zusammenschau werden das internationale Netzwerk, die unglaubliche Vielfalt und die beeindruckende Eigenständigkeit der bekannteren wie auch unbekannteren Künstlerinnen des Surrealismus deutlich. Denn der Surrealismus war eine Geisteshaltung, kein Stil“, so die Kuratorin.

THEMEN UND KÜNSTLERINNEN DER AUSSTELLUNG

Ausstellungsimpression „Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“, Schirn Kunsthalle Frankfurt. Meret Oppenheim "Abendkleid mit Büstenhalter" © Foto: Diether v. Goddenthow
Ausstellungsimpression „Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“, Schirn Kunsthalle Frankfurt. Meret Oppenheim „Abendkleid mit Büstenhalter“ © Foto: Diether v. Goddenthow

Die große Überblicksausstellung erstreckt sich über die gesamte Länge beider Galerien der Schirn und stellt die Künstlerinnen des Surrealismus mit einer repräsentativen Auswahl an Werken und auch in topografischen Räumen vor. Denn viele der Künstlerinnen bildeten in den unterschiedlichen Zentren des Surrealismus Netzwerke: in Frankreich, England, Belgien, der Tschechoslowakei, der Schweiz, Skandinavien, später in den USA und Mexiko.

Gleich zu Beginn der Ausstellung präsentiert die Schirn Meret Oppenheim (1913 Berlin – 1985 Basel), die als eine der ersten surrealistischen Künstlerinnen zu frühem Ruhm gelangte. Sie bewegte sich in jungen Jahren im unmittelbaren Umfeld der Surrealisten in Paris. Die Gruppe traf sich regelmäßig, diskutierte über politische Entwicklungen ebenso wie über die damals neue Psychoanalyse, deren Erkenntnisse sie als Impulse nutzte, um die Gesellschaft mit den Mitteln der Kunst zu verändern. Bereits 1936 nahm das New Yorker Museum of Modern Art Oppenheims ikonische „Pelztasse“ in seine Sammlung auf – sie gilt bis heute als das surrealistische Objekt schlechthin. Die Schirn zeigt Werke der Künstlerin aus den 1930er- bis 1970er-Jahren, darunter Skulpturen wie Urzeit-Venus (1933/62) und Gemälde, etwa Das Auge der Mona Lisa (1967). Die offiziellen Mitglieder der surrealistischen Gruppe um André Breton waren zunächst Männer, ab den 1930er-Jahren stießen zahlreiche Künstlerinnen dazu und beteiligten sich an den internationalen Surrealismus-Ausstellungen, etwa in New York (1936), Paris (1936 und 1938), Tokyo (1937), Amsterdam (1938) und Mexiko-Stadt (1940). Man kann von verschiedenen Generationen des Surrealismus sprechen: Die Künstlerinnen waren meist jünger, viele ihrer Hauptwerke entstanden daher in den 1940er- und 1950er-Jahren. Obwohl bis in die 1960er-Jahre weitere Ausstellungen der Gruppe stattfanden und sie sich erst 1969 auflöste, sahen zahlreiche Chronisten den Surrealismus mit dem Zweiten Weltkrieg als beendet an. Auch aufgrund dieser Erzählweise fanden die Werke der Künstlerinnen bislang zu wenig Berücksichtigung.

Ausstellungsimpression „Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“, Schirn Kunsthalle Frankfurt. Hier Werke von Leonora Carrington © Foto: Diether v. Goddenthow
Ausstellungsimpression „Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“, Schirn Kunsthalle Frankfurt. Hier Werke von Leonora Carrington © Foto: Diether v. Goddenthow

Le désir (das erotische Begehren) ist ein zentrales Thema des Surrealismus, der Körper der Frau ein wiederkehrendes Motiv in den Werken. Das Verhältnis der männlichen Surrealisten zu ihren Kolleginnen ist insgesamt als ambivalent zu bewerten. In vielerlei Hinsicht lehnte die Bewegung traditionell bürgerliche Vorstellungen von Familie, Sexualmoral und Eheleben ab. In den Werken der Künstler wird die Frau aber oft objektiviert, als passive Kindfrau, Fetisch oder Muse, fragmentiert oder geköpft dargestellt. Davon unterscheidet sich die Perspektive der Künstlerinnen: Zahlreiche Selbstporträts und Darstellungen der Frauen sind geprägt von einem spielerischen, selbstbewussten Umgang mit ihrem Körperbild und der weiblichen Sexualität. Die Ausstellung zeigt u. a. das Autoportrait, à l’auberge du Cheval d’Aube (1937/38) von Leonora Carrington (1917 Clayton Green – 2011 Mexiko-Stadt), in dem sie sich in der Kleidung eines jungen Mannes aus dem 18. Jahrhundert in Hosen dargestellt hat, flankiert von ihrem wiederkehrenden Alter Ego, einem Pferd, und einer Hyäne als Symbol ihres Freiheitsdrangs. Ithell Colquhoun (1906 Assam – 1988 Lamorna) malte mit Tree Anatomy (1942) eine humorvolle Umdeutung einer Vulva. Die Künstlerin Claude Cahun (1894 Nantes – 1954 Saint Helier) schuf bereits in den 1920er-Jahren ihr Hauptwerk, eine Serie von beeindruckenden und äußerst aktuellen fotografischen Selbstporträts und Fotomontagen, in der sie Androgynität und das Spiel mit Geschlechterrollen thematisierte, etwa um 1927 in Self-Portrait (I am in Training … Don’t Kiss Me). Das Werk von Leonor Fini (1907 Buenos Aires – 1996 Paris) enthält überproportional viele Männerakte, denen starke Frauenfiguren den Weg weisen wie in Dans la tour (Im Turm; 1952) oder Schutz gewähren wie in Divinité chtonienne guettant le sommeil d’un jeune homme (Erdgottheit, die den Schlaf eines Jünglings bewacht; 1946). Die Künstlerinnen rebellierten gegen geschlechtsspezifisches Rollenverhalten und präsentierten sich auch selbst mit einem betont androgynen Aussehen (Oppenheim, Cahun, Toyen) oder in unterschiedlichen Rollen und Maskeraden (Fini).

Ausstellungsimpression „Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“, Schirn Kunsthalle Frankfurt.  Remedios Varo Schoepfung mit Hilfe der Gestirne. © Foto: Diether v. Goddenthow
Ausstellungsimpression „Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“, Schirn Kunsthalle Frankfurt. Remedios Varo Schoepfung mit Hilfe der Gestirne. © Foto: Diether v. Goddenthow

Die Surrealisten nutzten Spiele und Techniken wie die écriture automatique (automatisches Schreiben), Traumprotokolle oder Collagen, um Zugang zum Unbewussten zu eröffnen und dem Zufall Raum zu geben. Jacqueline Lamba (1910 Saint-Mandé – 1993 La Rochecorbon), Emmy Bridgwater (1906 Birmingham – 1999 Solihull) oder Unica Zürn (1916 Berlin – 1970 Paris) arbeiteten in ihrem Werk ganz zentral mit diesen Methoden. Eine eigene Sektion der Ausstellung ist den cadavres exquis gewidmet. Diese Zeichnungen oder Collagen entstanden als Gruppenspiel: Auf einem gefalteten Papier führten die Teilnehmer nacheinander die Darstellung des Vorgängers fort, ohne zu sehen, was jener kreiert hatte. Solche kollektiven Kunstwerke sollten auch den Zusammenhalt der Gruppe stärken. An diesen Spielen nahmen Mitglieder der Gruppe wie André Breton, Paul Éluard, Valentine Hugo (1887 Boulogne-sur-Mer – 1968 Paris), Jacqueline Lamba oder Yves Tanguy ebenso teil wie Laien oder Autodidakten, etwa Nusch Éluard (1906 Mulhouse – 1946 Paris).

Im Kreis der Surrealisten spielte die Auseinandersetzung mit antiker Mythologie sowie vorchristlichen und außereuropäischen Mythen und Sagen eine wichtige Rolle. Die mythische Sagengestalt des Mittelalters Melusine (Frau und Meereswesen) und die rätselhafte ägyptische Sphinx (Frau und Löwe mit Flügeln) stehen oft als Symbole für die Metamorphose, das Veränderliche, aber auch für die dämonische Verführerin und Femme fatale. Auf der Suche nach Vorbildern für ein weibliches Identitätsmodell griffen die Künstlerinnen das Motiv des Mischwesens besonders häufig auf. Die Schirn zeigt u. a. La venadita (Der kleine Hirsch; 1946) von Frida Kahlo und die Skulptur La Grande Dame (1951) von Leonora Carrington und José Horna. Die tschechische Malerin Toyen (1902 Prag – 1980 Paris) entwickelte für sich ein geschlechtsneutrales Pseudonym, abgeleitet vom französischen citoyen (Bürger). Ihr ging es nicht um Gegensätze zwischen männlich und weiblich, animalisch und menschlich, sondern um Ähnlichkeiten. In Le Paravent (1966) setzt sie einen Mund an die Stelle des Geschlechts der weiblich anmutenden Figur und schafft eine Szene, die zwischen Begehren und Furcht changiert.

Ausstellungsimpression „Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“, Schirn Kunsthalle Frankfurt. Rachel Baes "Die absolute Unendlichkeit" © Foto: Diether v. Goddenthow
Ausstellungsimpression „Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“, Schirn Kunsthalle Frankfurt. Rachel Baes „Die absolute Unendlichkeit“ © Foto: Diether v. Goddenthow

Während des Zweiten Weltkriegs emigrierten viele der Surrealisten, u. a. in die USA oder nach Mexiko. Eine lebendige surrealistische Szene entwickelte sich in Mexiko um Frida Kahlo (1907 Coyoacán – 1954 Mexiko-Stadt). Die Malerin kombinierte in ihrer individuellen Ikonografie Motive der präkolonialen Kultur Mexikos mit christlichen Symbolen sowie ihrer persönlichen Biografie. Sie betonte matriarchale, feministische Traditionen und trug bewusst die Tracht der Gegend um Tehuana, die für ihre von Frauen dominierte Kultur bekannt war. Die Schirn zeigt u. a. ihre Hauptwerke Autorretrato con collar de espinas y colibrí (Selbstbildnis mit Dornenhalsband; 1940) und Autorretrato en la frontera entre México y los Estados Unidos (Selbstbildnis auf der Grenze zwischen Mexiko und den USA; 1932). Zu einer zentralen Persönlichkeit in Mexiko-Stadt wurde auch die Dichterin und Malerin Alice Rahon (1904 Chenecey-Buillon – 1987 Mexiko-Stadt), die erste Frau, deren Texte 1936 in den Éditions surréalistes verlegt wurden. Unter den weiteren surrealistischen Künstlerinnen, die sich in Mexiko niederließen und sich intensiv mit der präkolumbianischen Vergangenheit, der überbordenden Natur und den mexikanischen Mythen auseinandersetzten, waren die Malerin und Schriftstellerin Leonora Carrington, die Malerin Bridget Tichenor (1917 Paris – 1990 Mexiko-Stadt) sowie Remedios Varo (1908 Anglés – 1963 Mexiko-Stadt), deren Malstil die surrealistischen Techniken der Fumage, Frottage und Décalcomanie mit der Darstellung detailreicher altmeisterlicher Figuren vereint.

Ausstellungsimpression „Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“, Schirn Kunsthalle Frankfurt.© Foto: Diether v. Goddenthow
Ausstellungsimpression „Fantastische Frauen. Surreale Welten von Meret Oppenheim bis Frida Kahlo“, Schirn Kunsthalle Frankfurt.© Foto: Diether v. Goddenthow

Die Fotografie bot den Surrealistinnen zahlreichen Möglichkeiten, die Abbildung der Realität durch Retuschen, nachträgliches Kolorieren, Montagen und extreme Belichtungen zu verfremden und infrage zu stellen. Jane Graverol (1905 Ixelles – 1984 Fontainebleau) oder Lola Álvarez Bravo (1903 Lagos de Moreno – 1993 Mexiko-Stadt) nutzten zudem die Technik der Collage, um Widersprüchliches zu verbinden. Gerade unter den Fotografinnen positionierten sich einige Künstlerinnen politisch. Das Werk von Dora Maar (1907 Paris – 1997 ebenda) weist neben surrealistischen Themen, die Schirn zeigt etwa 29, rue d’Astorg (1936), ein tiefgreifendes Interesse am Zeitgeschehen auf. Neben Breton unterzeichnete sie 1934 das Manifest Appel à la lutte (Aufruf zum Kampf) gegen die erstarkenden faschistischen Strömungen. Claude Cahun war in den Jahren um 1940 aktiv im Widerstand tätig und verstarb letztlich an den Folgen einer Inhaftierung. Eine besondere Rolle nimmt Lee Miller (1907 Poughkeepsie – 1977 Chiddingly) ein, die nach ihrer surrealistischen Phase ab 1944 als Kriegsfotografin tätig war.

Auch zum surrealistischen Film leisteten Künstlerinnen wesentliche Beiträge: Die Schirn zeigt La Coquille et le clergyman (Die Muschel und der Kleriker; 1927) von Germaine Dulac (1882 Amiens – 1942 Paris), der heute als erstes surrealistisches Werk der Filmgeschichte gilt. Maya Deren (1917 Kiew – 1961 New York) war eine Hauptakteurin der US-amerikanischen filmischen Avantgarde der Nachkriegszeit. Mit Filmproduktionen wie Meshes of the Afternoon (1943) hatte sie schon zuvor gegen die vorherrschenden Erzählstrukturen Hollywoods, in denen Weiblichkeit zumeist von einem männlichen Standpunkt aus beleuchtet wurde, gearbeitet.

Ausstellungs-Impression Fantastische Frauen.  © Foto: Diether v. Goddenthow
Ausstellungs-Impression Fantastische Frauen. © Foto: Diether v. Goddenthow

Einige der vorgestellten Künstlerinnen waren nur kurzzeitig mit dem Surrealismus verbunden. Die US-amerikanische Künstlerin Dorothea Tanning (1910 Galesburg – 2012 New York) wandte sich in der Zwischenkriegszeit dem Surrealismus zu, um eine alternative Erzählung für die Kunst, die Gesellschaft und sich selbst zu finden. Wie auch Oppenheim oder Carrington wollte sie später nicht (mehr) als Surrealistin bezeichnet werden oder ihre Werke in Ausstellungen nur mit Arbeiten von Frauen zeigen. Die Künstlerinnen des Surrealismus betrachteten sich als Individuen, die unabhängig von ihrem Geschlecht und einer stilistischen Festlegung wahrgenommen werden wollten. Dennoch gehörten sie historisch zur surrealistischen Bewegung und spielten in dem in der Schirn vorgestellten Netzwerk eine zentrale Rolle.

Den Schlusspunkt und gleichzeitig Ausblick der Ausstellung bildet das Werk von Louise Bourgeois (1911 Paris – 2010 New York), die sich in ihren Gemälden, etwa der Serie Femme maison (1945-47), und ihrer skulpturalen Objektkunst intensiv mit Sexualität und weiblicher Identität auseinandersetzte. Sie gehörte derselben Generation von Künstlerinnen an wie Meret Oppenheim; die Rezeption ihres Werkes begann aber erst viel später. Es wird heute eher der Gegenwartskunst zugeordnet.

0katalog-fantastische-frauenKATALOG FANTASTISCHE FRAUEN. SURREALE WELTEN VON MERET OPPENHEIM BIS FRIDA KAHLO, herausgegeben von Ingrid Pfeiffer. Mit einem Vorwort von Philipp Demandt, SCHIRN, und Poul Erik Tøjner, Louisiana Museum of Modern Art, Humlebæk. Mit Beiträgen von Patricia Allmer, Tere Arcq, Kirsten Degel, Heike Eipeldauer, Annabelle Görgen-Lammers, Rebecca Herlemann, Karoline Hille, Silvano Levy, Alyce Mahon, Christiane Meyer-Thoss, Laura Neve, Ingrid Pfeiffer, Gabriel Weisz Carrington sowie Biografien der einzelnen Künstlerinnen und farbigen Ansichten der Werke. Deutsche und englische Ausgabe, je 420 Seiten, 350 Abb., 24 x 29 cm, Hardcover, Hirmer Verlag, 39 € (SCHIRN), ca. 49,90 € (Buchhandel).

Ort:
0schirnSCHIRN KUNST­HALLE FRANK­FURT
Römer­berg
60311 Frank­furt
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