„Picknick-Zeit“ – Facetten einer beliebten Kulturpraxis – Museum Angewandte Kunst Frankfurt 6.05. – 17.09.2017

Vor dem Museumseingang begrüßt das wohl ikonischste Kunstwerk zum Thema, Edouard Manets „Frühstück im Grünen“, die Besucherinnen und Besucher – in Originalgröße von den Streetart-Künstlern Balázs Vesszösi und Gündem Gözpinar neu interpretiert. Foto: Foto: Diether v. Goddenthow
Vor dem Museumseingang begrüßt das wohl ikonischste Kunstwerk zum Thema, Edouard Manets „Frühstück im Grünen“, die Besucherinnen und Besucher – in Originalgröße von den Streetart-Künstlern Balázs Vesszösi und Gündem Gözpinar neu interpretiert. Foto: Foto: Diether v. Goddenthow

Dass ein Picknick im Grünen mehr sein kann als gemeinsam leckeres Essen und Trinken im Park und am Strand, zeigt vom 6. Mai bis 17. September 2017 die sensationelle Überblicks-Ausstellung „Picknickzeit“ im Museum Angewandte Kunst in einer nie dagewesenen thematischen Breite und Tiefe. Der Kuratorin und Ideengeberin Dr. Charlotte Trümpler gelang nicht nur, nahezu jede Facette des Phänomens Picknick – Traditionen, Moden und Kulturunterschiede – zu thematisieren, sondern das Thema höchst anschaulicher in folgenden 18 Themenfeldern zu präsentieren:

  • England
  • Karikaturen von HANS TRAXLER / Opern Festival Glyndebourne / Henley Royal Regatta – Frankfurter Rudergesellschaft Germania 1869 / Royal Picnics, 2016 / Picknick im Krimkrieg 1854-56 und Civil War 1861-1865
  • Frankreich Kunstevent von DANIEL SPOERRI, Le Déjeuner sous l’herbe, 1983, 2010, 2016
  • Indien Fotografien von ARKO DATTO, Westbengalen 2013–2015
  • Deutschland Picknicks in Frankfurt: Wäldchestag, Lichterfest im Palmengarten, Heinrich-Kraft-Park / Berlin / White Dinner Hamburg-Altona
  • Orient
  • Türkei / Iran: Bildcollagen von ALI RENANI
  • Scherenschnitte
  • Jagd am Hof von Hessen-Darmstadt, um 1750
  • Japan Picknick während der Kirschblüte
  • Schweiz Picknick in den Bergen
  • Nordische Länder Picknick in Finnland, Dänemark, Island, Norwegen, Schweden
  • Mexiko Picknick am Grab, Día de los muertos, 31. Oktober – 2. November
  • Paneuropäisches Picknick, 19.8.1989
  • Still-Leben Ruhrschnellweg, RUHR.2010, 18. Juli 2010
  • BIGNIK Partizipatives Kunstevent, Region Appenzell AR, St. Gallen, Bodensee
  • Galerie Antiquitäten und Picknick-Artikel
  • Kino Picknick-Szenen in Spielfilmen
  • Psychotherapie PicNic Game
  • Fotografien von BARBARA KLEMM

Die Ausstellung im Einzelnen:

Ein Picknick im Grünen, déjeuner sur l’herbe – das gemeinsame Speisen in der Natur erfreut sich weltweit großer Beliebtheit. Bereits die alten Griechen schätzten es und spätestens mit der Erfindung des Picknickkorbs im England des 18. Jahrhunderts wurde das Mahl im Freien zum gesellschaftlichen Ereignis. Aktuell lässt sich gerade in den westlichen Großstädten ein Revival des Picknicks beobachten, ob beim stilvoll arrangierten „Dîner en Blanc“ oder bei fröhlichen Ausflügen ins Grüne mit Kind, Kegel und Klappgrill.

Mit Picknick-Zeit beschäftigt sich erstmals eine große Ausstellung umfassend mit dem Phänomen Picknick. Vom 6. Mai bis 17. September 2017 folgt die Schau im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt am Main der Faszination des Speisens unter freiem Himmel quer durch verschiedene Zeiten und Kulturkreise. Wie etwa sieht ein prunkvolles Mahl während der königlichen Ruder-Regatta im englischen Henley aus, wie picknickt man auf den höchsten Bergen der Welt, wie im Orient oder im Japan der Kirschblüte? Auf über 1.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche erzählen Picknick-Utensilien unterschiedlichster Form, Machart und Herkunft, zahlreiche Objekte, Installationen, Fotografien und Filme vom Variantenreichtum einer beliebten Kulturpraxis.

Schon immer haben Menschen gemeinsam unter freiem Himmel ihre Mahlzeiten verzehrt. In der Zeit des Barock avancierte das Mahl im Freien in französischen Adelskreisen zum beliebten Sommervergnügen und der Begriff „Pique-Nique“ wurde geprägt. Hohe Popularität erreichte das Picknick im 18. Jahrhundert in England. Bis heute ist die Beliebtheit dort ungebrochen und beim berühmten Pferderennen von Ascot, der Henley Royal Regatta, dem Tennisturnier von Wimbledon und der Oper in Glyndebourne wird das Picknick zum gesellschaftlichen Großereignis.

In Japan trifft man sich zur Zeit der Kirschblüte zu kunstvoll inszenierten Picknicks, die auf eine Tradition bis ins 8. Jahrhundert zurückblicken und bei denen Dichtung und Gesang eine große Rolle spielen.

Bei den Picknicks im Nahen Osten wiederum fühlen sich viele Menschen an ihre nomadischen Wurzeln erinnert, wenn sie im Kreis ihrer Verwandten und Bekannten aus den Städten in die Natur pilgern und im Freien grillen und essen. In Deutschland setzt sich diese Tradition in der Leidenschaft fort, mit der Einwandererfamilien den öffentlichen Raum und die Grünflächen als Grillplätze und für Freizeitaktivitäten nutzen.

Darüber hinaus blickt die Ausstellung auf historische wie zeitgenössische Picknick-Rituale und -Objekte in der Schweiz, in Deutschland, Frankreich und in den nordischen Ländern, aber auch in Indien, im Iran oder in Mexiko.

Das Picknick gehört zur kulturellen Praxis aller sozialer Schichten, kann verfeinertes Ritual ebenso wie ungezwungene Alltagspraxis sein. Ob beim High Society Event oder der fröhlichen Landpartie: Das Teilen von Speis und Trank verbindet und stiftet Gemeinschaft; das Picknick in der Natur ist von spielerischer Freiheit geprägt, es kann Entspannung, Ungezwungenheit und bestenfalls die Überwindung gesellschaftlicher Unterschiede ermöglichen.

So unterschiedlich die Picknick-Rituale rund um den Globus aussehen, so groß ist auch die Vielfalt der speziell für diesen Anlass entwickelten Utensilien. Die Ausstellung zeigt zahlreiche Beispiele: Wundervoll dekorierte japanische Lack-Picknicksets aus der Zeit um 1800 aus dem Victoria and Albert Museum in London etwa weisen auf ihre Verwendung durch eine hochentwickelte höfische Gesellschaft hin. Elegant-stabile Lederkoffer der Firma Louis Vuitton wurden in Frankreich für Auto- und Motorradfahrten ins Grüne entwickelt, luxuriöse Picknick-Körbe von Fortnum & Mason lassen mit Porzellangeschirr, Silberbesteck und mundgeblasenen Champagnerflöten keine Wünsche offen. Leichtes Aluminiumgeschirr erweist sich als praktisch beim Bergwandern in der Schweiz, Designprodukte aus Kunststoff stehen für pragmatischen Komfort. Speziell erdachte Tische und Stühle, Kleidung, Fächer und Schirme ergänzen die Auswahl.

Die Frankfurter Fotografin Barbara Klemm hat in den letzten 40 Jahren weltweit zahlreiche Picknick-Szenen aufgenommen, die in der Ausstellung erstmals dem Publikum gezeigt werden. Auf Reisen etwa nach Kapstadt, China, in die Ukraine oder den Iran entstanden, visualisieren die Bilder dieses gesellige Beisammensein in einer großen Spannbreite und zeigen Gemeinsames wie Unterschiedliches.

Das Projekt PIK-NIK des jungen indischen Fotografen Arko Datto gibt Einblick in aufwendige, mit einer ungeheuren Logistik verbundene Picknicks während der Wintermonate 2013–2015 in Westindien, bei denen dröhnende Musik und exzessiver Tanz eine ebenso große Rolle spielen wie das Essen. Ali Renanis Bildcollagen fächern die vielseitigen Aktivitäten rund ums Essen im Freien während des Neujahrsfestes Nouruz in Iran auf, einem Land mit einer leidenschaftlich picknickenden Bevölkerung.

In einer eigens für Picknick-Zeit angefertigten Serie von Karikaturen bringt der Maler, Cartoonist und Illustrator Hans Traxler die Besonderheiten des britischen Picknicks auf amüsante Weise auf den Punkt: Wer – außer den Briten – käme etwa auf die absurde Idee, sich Mahlzeiten im (nicht am!) Swimmingpool servieren zu lassen? Ebenfalls speziell für die Ausstellung entstand eine Reihe von Scherenschnitten, in denen junge Schweizer Künstler verschiedene Facetten des Picknickens thematisieren. Bereits vor dem Museumseingang begrüßt das wohl ikonischste Kunstwerk zum Thema, Edouard Manets „Frühstück im Grünen“, die Besucherinnen und Besucher – in Originalgröße von den Streetart-Künstlern Balázs Vesszösi und Gündem Gözpinar neu interpretiert.
Auch in der Aktionskunst findet die Methode Picknick Verwendung. In dem gigantischen partizipativen Kunstprojekt BIGNIK der Riklin-Brüger wird seit 2013 in der Region St. Gallen die größte Picknickdecke der Welt hergestellt. Der Nouveau Réaliste Daniel Spoerri lud 1983 hundert Personen aus der Pariser Kunstszene zu einem Bankett im Park des Schlosses Montcel in Jouy-en-Josas ein, dessen gesamte Überreste – eine 40 Meter lange Tafel, Stühle, Geschirr, Besteck, Flaschen und Essensreste – er anschließend vor Ort vergraben ließ. Erst im Jahr 2010 wurden Teile von Spoerris Déjeuner sous l’herbe als erstes zeitgenössisches Kunstwerk von Archäologen ausgegraben. Ein vom Künstler angefertigter Bronzeabguss der Ausgrabungsobjekte ist in der Ausstellung ebenso zu sehen wie eine Fotodokumentation von BIGNIK.

Auch auf ungewöhnliche Aspekte der Picknick-Kultur wirft die Ausstellung einen Blick, so etwa auf den Día de los Muertos, den Totentag in Mexiko, bei dem mit den Ahnen ein mehrtägiges Fest gefeiert und auf den Friedhöfen gepicknickt wird oder auf den beim britischen Adel seit den Napoleonischen Kriegen beliebten Zeitvertreib des Picknickens am Rande der Schlachtfelder.

Als Massenveranstaltung kann das Picknick sogar politische Sprengkraft entfalten, und so erzählt die Ausstellung auch vom Paneuropäischen Picknick, das am 19. August 1989 den ersten Hunderten von DDR-Bürgern an der ungarisch-österreichischen Grenze zur Flucht in den Westen verhalf und damit eine entscheidende Rolle beim Beginn des Falls des „Eisernen Vorhangs“ spielte.

Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher Katalog von 396 Seiten mit 400 Abbildungen. Beiträge von international renommierten Fachleuten erörtern und vertiefen die zahlreiche n Themen der facettenreichen Ausstellung. Der Katalog ist im Museum zum Preis von 29 Euro erhältlich, im Buchhandel kostet er 32 Euro.

Ein anspruchsvolles Begleitprogramm aus Vorträgen, Workshops und Diskussionen vertieft einzelne Aspekte, ergänzt durch ein spezielles Filmprogramm in Kooperation mit dem Deutschen Filmmuseum. Darüber hinaus laden zahlreiche Veranstaltungen im Metzlerpark am Museum Angewandte Kunst dazu ein, den Sommer 2017 zum „Picknick-Sommer“ zu machen. Dort steht auch das eigens für die Ausstellung angefertigte überdimensionale Fondue-Caquelon aus Holz, das Platz zum Picknicken bietet für 8 Personen.

Die Ausstellung wird ermöglicht dank der freundlichen Förderung des Schweizerischen Generalkonsulats in Frankfurt am Main, der Europäischen Zentralbank, von Gstaad Saanenland Tourismus und des Hotelpartners Fleming’s Hotels & Restaurants.