122 Arbeiten, darunter 88 Ölgemälde, aus allen Schaffensphasen und Werkgruppen Gerhard Richters vereint die große Herbstausstellung am Düsseldorfer Kunstpalast vom 5. September 2024 bis 2. Februar 2025.
Viele der ausgewählten Arbeiten sind verborgene Schätze: Werke aus rund 50 Privatsammlungen, „die sonst im privaten Zuhause hängen und nun ausnahmsweise für wenige Monate der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, die zuvor selten oder sogar noch nie öffentlich gezeigt wurden“, so Felix Krämer, Generaldirektor des Kunstpalasts, beim Presserundgang. In der umfassendsten Gerhard-Richter-Ausstellung in Deutschland seit über zehn Jahren bieten diese Arbeiten einen Einblick in das gesamte Spektrum seiner Kunst – von den Anfängen in den frühen 1960er-Jahren bis in die jüngste Vergangenheit. Obgleich es nicht das Ziel gewesen wäre, hätte die Ausstellung, so Krämer, aufgrund der reichen Bestände in Privatbesitz retrospektiven Charakter angenommen. Sie sei jedoch keine Retrospektive, sondern zeige einen Ist-Zustand einer so nicht mehr wiederholbaren Ausstellung, da sich die Sammlungen, wenn die Erbengenerationen übernehmen müssten, oftmals – auch durch unvermeidliche Verkäufe – veränderten, Bilder außer Landes kämen.
Biografisches
Gerhard Richter (*1932) zählt weltweit zu den bedeutendsten Künstlern der Gegenwart. Seit über 60 Jahren lotet er die Grenzen der Malerei aus. In seiner Wahlheimat – dem Rheinland – fand Richters Werk ein ideales Umfeld, um sich zu entfalten. Als er im Jahr 1961 von Dresden in die Bundesrepublik Deutschland ausreiste, hatte er bereits eine Ausbildung im Fach Wandmalerei an der Hochschule für Bildende Künste Dresden abgeschlossen. Trotzdem nahm er wenige Monate nach seiner Flucht in den Westen erneut ein Studium an der Kunstakademie in Düsseldorf bei Ferdinand Macketanz auf, wechselte später zu Karl Otto Götz. Die Stadt „war ungeheuer aufregend mit all den Ausstellungen und Veranstaltungen, den vielen Künstlern“, erinnerte sich Richter im Jahr 2004. „Und dann kam der große Glücksfall, dass ich dort an der Akademie die richtigen Freunde fand, also Sigmar Polke, Konrad Fischer und Palermo. Wir erlebten alles gemeinsam, die ersten Happenings, die Fluxus-Auftritte, die schon eine ungeheure Wirkung hatten.“
Richters steiler Aufstieg zum international gefragten Künstler
Im Rheinland begegnete Gerhard Richter nicht nur Künstlerkollegen, sondern auch einer neuen Generation von Sammlern, die nicht mehr ausschließlich für private Haushalte sammelten, sondern ab den 1970er Jahren deutlich expansivere Maßstäbe anlegten. Der Düsseldorfer Galerist Alfred Schmela lud Richter 1964 zu seiner ersten Einzelausstellung ein und verschaffte ihm in den folgenden Jahren, um das Geschäft anzukurbeln, zahlreiche Porträtaufträge von Sammlern des Rheinlandes. 1968 stellte Rudolf Zwirner ihn erstmals in seiner Kölner Galerie aus, wo der Sammler Peter Ludwig sich zum Kauf von Ema (Akt auf einer Treppe, 1966) und dem monumentalen Gemälde Fünf Türen (1967), entschloss. 1972 erwarb Ludwig schließlich alle 48 Porträts, Richters Beitrag zur Biennale di Venezia, noch während diese im Deutschen Pavillon in Venedig ausgestellt waren.
Richters erste institutionelle Ausstellung 1969 im Aachener Kunstverein Gegenverkehr etablierte einen besonders aktiven Aachener Sammlerkreis. Im Jahr 1970 richtete ihm Konrad Fischer, der unterdessen in Düsseldorf eine erfolgreiche Galerie eröffnet hatte die erste Einzelausstellung aus. 1973 erwarb der Sammler Hans Grothe einen Block von zwölf Gemälden, die Gerhard Richter selbst für ihn zusammenstellte, darunter das dreiteilige, 450 cm breite Landschaftsgemälde Alpen II (1968) und Ausschnitt (Makart) von 1971, die beide in der Ausstellung Verborgene Schätze zu sehen sind.
Das Rheinland war für Richter aber auch ein Ort, der ihm als Labor für experimentelle Präsentationsformen diente. Hier stellte er erstmalig besondere und manchmal auch kontroverse Werkreihen vor und konnte die Reaktion des Publikums und der Sammler*innen beobachten. So präsentierte er 1974 im Museum Abteiberg eine Ausstellung mit ausschließlich grauen Bildern und 1989 den so genannten RAF-Zyklus 18. Oktober 1977 in Krefeld.
Neben den institutionellen Ausstellungen fanden im Rheinland viele selbst organisierte Formen des Ausstellens statt, die mit den Konventionen der Vorgängergenerationen brachen und Neues erprobten. Für einen Düsseldorfer Auftritt mietete Richter mit seinen Künstlerfreunden 1963 einen leerstehenden Verkaufsraum und zeigte die Ausstellung Leben mit Pop – eine Demonstration für den kapitalistischen Realismus. Hier präsentierte er das Werk Party, das er später seinem Ateliernachbarn Günther Uecker schenkte. Nicht selten kamen auf diese Weise Werke in Privatsammlungen. Das Kissenbild von 1970 fand den Weg zu Gotthard Graubner: Mit diesem Werk persifliert Richter auf liebevolle Weise die Kissenbilder des Künstlerkollegen. Das kleine Format und die Zugewandtheit weisen darauf hin, dass das Gemälde von vornherein als Geschenk für seinen Freund gedacht war.
„Gerhard Richter. Rheinland!“. Eine Ausstellung geboren aus der Corona-Not
Die Idee zu dieser Ausstellung, so Krämer, wurde von ihm und seinem Kollegen, dem kaufmännischen Geschäftsführer Harry Schmitz, vor bald drei Jahren aus der Not der Corona-Zeit heraus geboren, als im Kulturbetrieb nichts mehr ging. Selbst internationale und europäische Kunsttransporte waren unmöglich geworden. „Wir machten uns gewaltige Sorgen, wie es mit dem Ausstellungsprogramm weitergehen solle.“ Ihm sei rasch klar gewesen: „Wir müssen etwas Regionales, etwas mit Privatsammlern aus der Region machen“, erinnert sich der Generaldirektor. Da sagte Harry Schmitz: „Gerhard Richter. Rheinland!“. Das war’s! In diesem Moment, so Krämer, entstand eigentlich die Ausstellung. Dank seiner ohnehin regelmäßigen Kontakte zu den bedeutenden rheinländischen Sammlungen und den damit verbundenen profunden Kenntnissen darüber, „wo was hängt“, wurden die Sammler um ein Angebot möglicher Leihgaben gebeten. Für die inhaltlichen kuratorischen Fragen sowie die Herausgabe des Begleitkatalogs konnte der Richter-Experte Markus Heinzelmann, Professor für Museale Praxis an der Ruhr-Universität, gewonnen werden.
Angefragt wurden „Sammlungen“, die eine besonders enge und starke Beziehung zu Gerhard Richter pflegten, darunter auch Sammler, die „Richter“ bereits kauften, als dieser noch erschwinglich war. Manchmal verließen Werke im Tausch gegen erbrachte Leistungen das Atelier von Richter. Der Steuerberater und Kunstsammler Willi Kemp erhielt als Dank für einen kleinen Gefallen, den er dem Künstler getan hatte, eine Arbeit. Als Entlohnung für seine Dienste bekam auch Richters Mitarbeiter Ludger Schäfer ein Werk.
Man müsse sich vorstellen, „dass viele dieser jetzt hier präsentierten Bilder normalerweise im Wohnzimmer über dem Sofa, im Esszimmer, im Büro oder im Flur hängen“, so Krämer. Er sei sehr dankbar, dass so viele private Leihgeber bereit waren, „uns ihre ‚verborgenen Schätze‘ vorübergehend anzuvertrauen. So können bedeutende Arbeiten, welche sonst im privaten Zuhause hängen, ausnahmsweise für wenige Monate der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden“. Und „selbst für diejenigen, die Richters Œuvre bereits gut kennen“ dürfte „unter den normalerweise verborgenen Schätzen aus rheinischen Privatsammlungen Neues zu entdecken geben!“, versichert der Generaldirektor.
Zunächst etwas zögerlich, dann kamen immer mehr Bildangebote. Schließlich waren es gut 200, aus denen wir eine Konzeption und die Themenbildung für die Ausstellung entwickelten und letztlich 122 passende Werke auswählten, erläuterte Heinzelmann. Die Sammler*innen wollen jedoch ungenannt bleiben, und er gendere an dieser Stelle ganz bewusst, da er überwiegend mit Sammlerinnen zusammengearbeitet habe.
Auf Anekdoten während der Vorbereitungszeit befragt, fiel Heinzelmann spontan der kuriose Fall eines Sammlers ein, der ein Richter-Gemälde vergessen hatte zu benennen, weil es auf dem Klo hing und er es einfach übersehen hatte. Der Kurator verriet nicht, um welches Gemälde es sich dabei handelt, nur so viel: „ein kleines rötliches“. Wer durch die Ausstellung geht, möge auch auf die Rahmungen und kleine Details achten.
„Die Ausstellung ermöglicht einen Einblick in die engen Beziehungen Richters zu Künstlerkollegen und Sammlerinnen und Sammlern des Rheinlandes, die ihn seit den frühen 1960er Jahren begleitet und mit ihren Ankäufen in der internationalen Kunstwelt verankert haben“, so Heinzelmann.
Im Rheinland hat das Sammeln von Kunst eine lange Tradition. Schon früh waren damit strategische Absichten verbunden, die den Zusammenhalt der eigenen Sammlung im Blick hatten und den eigenen Namen in der Geschichte verankern sollten. In den Jahren, als frühe Sammler sich aus finanziellen Gründen zurückzogen, traten die großen Konzerne in den Vordergrund, für die Richter bedeutende Auftragsarbeiten plante und realisierte. Die Führung des systematischen Werkverzeichnisses seiner Gemälde übte dabei auf Sammler eine besondere Attraktivität aus und nimmt einen Status zwischen Dokumentation und Werk ein.
Der Rundgang:
Der Rundgang durch die, soweit möglich, chronologisch geordnete Themenvielfalt der Ausstellung ist – auch räumlich – gekonnt gegliedert in die Schwerpunkte: „Frühe Fotobilder“, „Landschaftsbilder“, „Farben und Graue Bilder“, „Weiche Abstraktionen“, „Freie Abstraktionen“, „Übermalte Fotografien“, „Vielfalt“ und „Persönliche Bilder“.
Frühe Fotobilder
Im ersten Raum werden die Betrachter von Richters frühen imposanten „Fotobildern“ empfangen, die der Künstler ab Herbst 1962 auf der Grundlage von Fotografien schuf. Richter übertrug die schwarz-weißen Abbildungen aus Zeitungen, Magazinen, Werbebeilagen oder privaten Fotoalben auf die Leinwand, indem er sie stark vergrößerte und mit einem Pinsel oder Tuch die noch feuchte Farbe verwischte. Es entstand eine Unschärfe, durch die die Motive verfremdet und zugleich beglaubigt wurden: Sie erinnern an Schnappschüsse von Amateuren, die ebenfalls häufig unscharf oder verwackelt sind. Richter zielte mit diesem Verfahren auf das „Unkünstlerische“. Beim Abmalen übernahm er die vorgegebene Komposition und begab sich so auf maximale Distanz zum Bildgegenstand. Wer genau hinschaut, erkennt in den Werken auch die perfekte Pinselvirtuosität des ausgebildeten versierten Wandmalers, der aus banalen Motiven grandiose „unkünstlerische“ Kunstwerke schuf.
Landschaftsbilder und die Abstrakten Bilder
Raum 2 widmet sich Gerhard Richters Verständnis von Landschaften und den „Abstrakten Bildern“ als gedankliche Einheit. Seine Landschaften erzählen ohne Bezüge zur Gegenwart von einer unbestimmten Vergangenheit. Besonders in seinen Wolkenbildern kommt dies zum Ausdruck, die teils erhaben wirken oder an die romantischen Landschaften eines Caspar David Friedrich erinnern, jedoch ohne dessen religiösen Pathos, wonach das Malen der Natur einem Gottesdienst gleichkomme.
„Auf ähnliche Weise wie schon Richters frühe Bilder nach Fotovorlagen einen tieferen Sinn verweigern, sind“, so die Texttafel, „auch seine Landschaften ein Ausdruck von Bedeutungsverlust und Maskerade.“
Farben und Graue Bilder
Raum 3 widmet sich Gerhard Richters ersten Farbtafeln und Grauen Bildern. Von Farbmusterkarten aus Malereigeschäften inspiriert, entwickelte Richter im Jahr 1966 die ersten Farbtafeln, die stark von der Minimal Art und der Konzeptkunst beeinflusst sind. Seine ersten Grauen Bilder entstanden zufällig, als er auf der Suche nach neuen Bildideen einige Leinwände mit grauer Farbe überzog. „Mit der Zeit bemerkte ich Qualitätsunterschiede zwischen den Grauflächen und auch, dass diese nichts von der destruktiven Motivation zeigten. Die Bilder fingen an, mich zu belehren.“ (Texttafel).
Weiche Abstraktionen
Im Raum 4, „Weiche Abstraktionen“, werden Werke von Richters malerischem Neuanfang ab 1976 gezeigt. „Nachdem er das Gefühl gewonnen hatte“, so die Texttafel, „dass ihm das Thema der Grauen Bilder (1966–1976) keine künstlerische Perspektive mehr bot“, begann er, abstrakte Gemälde zu entwickeln, die „bunt, sentimental, assoziativ, anachronistisch, beliebig, vieldeutig, fast wie Pseudopsychogramme, nur eben nicht lesbar, also ohne Sinn und Logik“ sein sollten, wird Richter zitiert.
Freie Abstraktionen
Raum 5 widmet sich Richters „Freien Abstraktionen“. Die Übergänge zu diesen sind in seinem Werk fließend, und die Unterschiede zu den „Weichen Abstraktionen“ sind für die Betrachter eher marginal. Gerhard Richter beschreibt seine „Freien Abstraktionen“ in einem Beitrag zur documenta 7 (1982): „Abstrakte Bilder sind fiktive Modelle, weil sie eine Wirklichkeit veranschaulichen, die wir weder sehen noch beschreiben können, auf deren Existenz wir aber schließen können.“ (Texttafel).
Übermalte Fotografien
Im Raum 6 sind Werke zu sehen, die Richters Weiterentwicklung zeigen, Fotos zu übermalen. Ab etwa 1989 begann Richter, auf der Grundlage 10×15 Zentimeter großer Fotoabzüge, Fotomotive aus seinem Alltag mit Öl- oder Lackfarben zu übermalen. Richter nutzte hierfür Ölfarbenreste von seinen abstrakten Gemälden und trug diese auf die Fotos auf, wodurch surreale Farbinseln und Grate entstanden. (Texttafel).
Vielfalt
Im vorletzten Raum 7 der Richterschau werden Besucher nochmals mit Richters enormer Vielfalt an Themen, Motiven, Stilen, Gattungen und Techniken überrascht. Romantische Landschaften stehen neben abstrakten Bildern oder konzeptuellen Arbeiten, diese wiederum neben Hinterglasmalereien und übermalten Fotografien.
Persönliche Bilder
Den Abschluss der grandiosen Richter-Schau bilden in Raum 8 seine unter „Persönliche Bilder“ subsumierten Werke. Die Überschrift steht bewusst im Widerspruch zu Richters stetigem Bemühen, die Distanz zwischen seiner Person und seinem Werk zu wahren. Hier wird darauf hingewiesen, dass „seit einiger Zeit die Interpretation offener geworden ist.“ Motive wie Urlaubsziele und Freundschaftsszenen zeigen eine private Seite, die sich über die Jahrzehnte in einem Tableau verdichtete. (Texttafel).
Sich Zeit lassen und mit Audioguide
Man sollte sich für diese wunderbare, auch für Laien verständliche und didaktisch hervorragend aufgebaute Ausstellung genügend Zeit nehmen – mindestens zweimal durchgehen, am besten mit dem über die Kunstpalast-App angebotenen Audioguide. Dieser wurde von dem Schauspieler Christian Friedel (Zone of Interest) eingesprochen. Für junge Besucher gibt es zudem eine maßgeschneiderte Tonie-Tour, die Kinder ab drei Jahren mit spannenden Geschichten an die Werke Richters heranführt.
Weitere Richterbilder im Kunstpalast
Wer nach der Richter-Schau noch aufnahmefähig ist, dem seien auch die Richter-Werke im neu gestalteten Rundgang „Alles Kunst?! Von Rubens bis Aldi. Die Sammlung Kunstpalast.“ empfohlen.
Der Kunstpalast selbst, so Krämer, besitze eine Reihe herausragender Gemälde von Gerhard Richter, darunter Helga Matura mit Verlobtem aus dem Jahre 1966 nach einer Vorlage aus der Illustrieren Quick oder die monumentale Vermalung Rot-Blau-Gelb von 1972 sowie das vierteilige Gemälde Fenster von 1968, welches den Besucher in der aktuellen Ausstellung empfängt.
(Quelle: Kunstpalast /Diether von Goddenthow /Rhein-Main.Eurokunst)
Ort:
Kunstpalast
Ehrenhof 4-5
40479 Düsseldorf
Öffnungszeiten
Di – So: 11:00 – 18:00
Do: 11:00 – 21:00
Mo: geschlossen