Krisen sichtbarer machen – Sonderausstellung „Making Crises Visible“ ab 12. Februar im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt

Die chinesischen Studierenden des Shanghai Institute of Visual Art haben sich mit dem faszinierenden und verhängnisvollen Material Plastik auseinandergesetzt, um diese Ambivalenz herauszustellen. Die Mode aus weggeworfenem Plastik soll zu einem neuen Verhältnis zum Material führen. Bis China 2018 die Einfuhr stoppte, entledigte sich Europa dort seiner Tonnen an Plastikmüll, ohne ausreichend zu kontrollieren, wie China diesen entsorgte. Ein neues Bewusstsein ist sowohl in Asien als auch hier nötig. © Foto: Diether v Goddenthow
Die chinesischen Studierenden des Shanghai Institute of Visual Art haben sich mit dem faszinierenden und verhängnisvollen Material Plastik auseinandergesetzt, um diese Ambivalenz herauszustellen. Die Mode aus weggeworfenem Plastik soll zu einem neuen Verhältnis zum Material führen. Bis China 2018 die Einfuhr stoppte, entledigte sich Europa dort seiner Tonnen an Plastikmüll, ohne ausreichend zu kontrollieren, wie China diesen entsorgte. Ein neues Bewusstsein ist sowohl in Asien als auch hier nötig. © Foto: Diether v Goddenthow

Sonderausstellung „Making Crises Visible“ thematisiert Krisen, Krieg und Konflikt vom 12. Februar bis 2. Juni 2020 im Senckenberg Naturmuseum

Ob Umweltkrisen, Klimawandel,  Artensterben, Finanzkrise, Demokratie in der Krise, Migration, Radikalisierung, Kriege oder Konflikte weltweit – „Haben wir gewissermaßen eine Inflation der Krisen oder eine Inflation des Begriffs der Krise?“, so Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese, Leiterin des Programms Wissenschaft und Gesellschaft der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung, bei einem Pressegespräch im Vorfeld der gestern Abend unter Schirmherrschaft von Angela Dorn, Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, eröffneten ungewöhnlichen Ausstellung „Making Crises Visible“ im Senckenberg Naturmuseum Frankfurt. Die Frage sei, was Menschen mit all den echten oder wahrgenommenen Krisen machten: „Wie gehen wir damit um? Was sollen wir tun? Sollen wir überhaupt etwas tun?“ Diese und ähnliche Fragestellungen gaben den Anstoß für das ganz ungewöhnliche Experiment: Wissenschaft, Kunst und Design zusammenzubringen, um sich dieser allgegenwärtigen „Krisen-Situation“ nicht ratlos ausgeliefert zu fühlen, sondern aktiv auf diese zu reagieren.
Dabei soll der Dreiklang „Wissenschaft, Kunst und Design“ helfen. Er will neue Perspektiven auf aktuelle Themenfelder wie Migration, Klimawandel oder Radikalisierung aufzeigen und emotionalisieren, die Krisen fühlbarer und erfahrbarer machen.

Das Senckenberg Naturmuseum verstehe sich hierfür als Plattform des Dialogs und des Austauschs. „Wir wissen als Wissenschaftler, dass die Klimakrise und das Artensterben fundamental sind und die Welt verändern werden, dass wir in 50 Jahren die Welt, wie wir sie kennen, nicht mehr erkennen werden“, so Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese.  Deswegen werden „wir uns mit diesen Veränderungen auseinandersetzen müssen, weil Menschen ganz persönlich betroffen sein werden. Und deshalb haben wir uns entschieden, auch neue Formen des Austausches zu entwickeln“, um eben die Wissenschaft, die Kunst und das Design und die Besucherinnen und Besucher auf Augenhöhe zusammenzubringen. Wenn diese unterschiedlichen Wissenssysteme aufeinander prallten, würde diese sich durchaus reiben und Emotionen auslösen.

Vieles sei nicht das, so Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese, was Besucher in einem Naturkundemuseum erwarteten. Mit der nicht nur im 2. Obergeschosse, sondern im gesamten Naturmuseum gezeigten Ausstellung, wolle man Menschen emotional berühren:
Man wolle die Leute sozusagen auch direkt anhalten, etwa beim Bestaunen eines Elefanten-Skeletts, über dessen aktuelle Lebenssituation nachzudenken. Und in dem Prozess des Nachdenkens würden Menschen auch ein Stück selber aktiv werden.

Zur Ausstellung

Ein auf den ersten Blick schön bunt wirkendes Korallenriff (im Raum, in dem ab Oktober ein OriginalRekonstruktion präsentiert wird) entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Halde aus alltäglichem Plastikmüll, an dem zusehends unsere Meere zu ersticken drohen. Diese Installation aus zusammengetragenem Hausmüll symbolisiert zugleich auch das Absterben der Korallenriffe und überlässt es un, daraus eigene Konsequenzen zu ziehen.© Foto: Diether v Goddenthow
Ein auf den ersten Blick schön bunt wirkendes Korallenriff (im Raum, in dem ab Oktober ein OriginalRekonstruktion präsentiert wird) entpuppt sich bei näherem Hinsehen als Halde aus alltäglichem Plastikmüll, an dem zusehends unsere Meere zu ersticken drohen. Diese Installation aus zusammengetragenem Hausmüll symbolisiert zugleich auch das Absterben der Korallenriffe und überlässt es un, daraus eigene Konsequenzen zu ziehen.© Foto: Diether v Goddenthow

Die Ausstellung thematisiert ganz unterschiedliche Krisen, macht menschliche Krisen, aber auch die Menschen, Tiere und Umwelt sichtbar, die von den Krisen betroffen sind. Insgesamt 50 künstlerische Arbeiten junger Studierender der Hochschule für Gestaltung in Offenbach zeigen wissenschaftliche Forschungsergebnisse des Leibniz Forschungsverbundes „Krisen einer globalisierten Welt“, die an unterschiedlichen Stationen im Senckenberg Naturmuseum zu sehen sind. Schirmherrin der Schau ist die Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst Angela Dorn.

Um den Stumpf des Mammutbaums in der Botanik-Dauerausstellung des Senckenberg Naturmuseums wachsen fiktive Reispflanzen – neue genmanipulierte Arten, die vielleicht die Ressourcenknappheit zukünftig lindern könnten? Ein 16 Quadratmeter großer Teppich zeigt den beengten Grundriss einer typischen Unterkunft für Geflüchtete und wie Menschen dort leben. Im Obergeschoss dehnt sich ein Korallenriff aus zahlreichen Plastikverpackungen in den Raum aus.
30 Menschenrechtsartikel gedruckt auf eine Rettungsfolie kleiden den Ausstellungsraum zur Menschwerdung und Urmenschendame „Lucy“ aus. Wie der sprichwörtliche rote Faden kennzeichnen rote Flächen diese und viele weitere Kunstwerke, die im ganzen Museum zu sehen sind und in den letzten zwei Semestern von Studierenden der Hochschule für Gestaltung Offenbach erarbeitet wurden. Gemeinsam mit den Forscher*innen des Leibniz-Forschungsverbundes „Krisen einer globalisierten Welt“ und des Forschungsverbundes „Normative Orders“ entwickelten die jungen Künstler*innen kreative Ideen für die Visualisierung von Forschungsergebnissen. „Das Resultat sind außergewöhnliche, unbedingt sehenswerte Arbeiten“, freut sich Prof. Dr. Nicole Deitelhoff vom Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK).

Wissenschaft ist relevant für die Gesellschaft, aber häufig sehr komplex, abstrakt und manchmal schwer zu verstehen. Wie kann man aber die Erforschung von Krisen, Kriegen und Konflikten transportieren – wie kann man sie sichtbar machen? Das Projekt „Making Crises Visible“ hat diesen Versuch gewagt. „Die Verbindung von Wissenschaft, Kunst und Gestaltung bietet ein außergewöhnliches Potential, durch das wir aktiv einen Dialog über Themen von globaler Bedeutung anregen wollen. In einer sich wandelnden Gesellschaft stellen wir unseren Besucher*innen wissenschaftliche Fakten und künstlerische Inspirationen bereit, um neue Wege der Interaktion und des Austausches im Museum anzustoßen. Das ist die Basis, um unsere Zukunft gemeinsam aktiv zu gestalten und das unterstützen wir sehr gerne!“, erklärt Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese, Leiterin des Senckenberg-Programms Wissenschaft und Gesellschaft. Prof. Klaus Hesse von der Hochschule für Gestaltung Offenbach erläutert: „Zu Forschungsbereichen wie Ressourcenknappheit, Radikalisierung, Umweltkrisen, Anthropozän und seine Folgen, Krisen der liberalen Weltordnung oder Krisen internationaler Normen sind Plakate, Objekte, Filme und Installationen entstanden, die das Publikum auf ganz unterschiedliche und unerwartete Weise ansprechen.“ Im zentralen Ausstellungsraum im zweiten Obergeschoss werden darüber hinaus der Krisenbegriff und die Krisenrhetorik thematisiert und das Gesamtprojekt vorgestellt. Auch vertiefende Informationen zu den visualisierten wissenschaftlichen Projekten liegen dort zum Mitnehmen bereit.

Die künstlerische Auseinandersetzung mit den Forschungsprojekten soll deren Verfahren und Ergebnisse einerseits exemplarisch visualisieren, andererseits auch ein Bewusstsein für die nicht nur lähmende, sondern auch aktivierende Kraft von Krisen schaffen. „Krisen sind nicht nur die reine Zuspitzung eines Problems, sondern ein Transformationsprozess mit immensem kreativen Potential, der einen Ausgangspunkt für eine Neuorientierung bilden kann“, so Deitelhoff. Ziel des Projektes ist es, dies abzubilden und die öffentliche Wahrnehmung und den Dialog zu Krisen in der Gesellschaft anzuregen. Besucher*innen sind eingeladen, Teil eines kreativen Lösungsprozesses in einem experimentellen Meinungsaustausch zu werden. Ein weiteres Anliegen des Projekts ist die Förderung des Wissenstransfers zwischen Friedens- und Konfliktforschung, Wissenschaft, Kunst und Design.

Es wird nur der reguläre Museumseintritt erhoben.
Mehr Informationen unter:https://makingcrisesvisible.com/ oder unter museumfrankfurt.senckenberg.de

Rahmenprogramm
Ein umfangreiches Rahmenprogramm aller Projektpartner*innen bietet die Möglichkeit das Thema zu vertiefen und seine verschiedenen Facetten zu beleuchten. Neben Vorträgen und Podiumsdiskussionen im Senckenberg Naturmuseum bietet die Goethe Universität Frankfurt thematische Workshops an. Das ganztägige Klimasymposium „All the world’s future“ am 25. April 2020 in Kooperation mit der EKHN Stiftung und SEEHOF thematisiert gegenwärtige Erkenntnisse, unterschiedliche Perspektiven und neue Ideen zu Klimawandel, Umweltverschmutzung und Biodiversitätsverlust. Als Satelliten-Ausstellung wird im Offenen Haus der Kulturen in Frankfurt die Schau „Making Crises Political“ vom 19. Februar bis 1. März 2020 gezeigt. Weitere Informationen zum gesamten Programm unter: https://makingcrisesvisible.com/

Partner
Träger des interdisziplinären Forschungs- und Ausstellungsprojekts „Making Crises Visible“ sind das Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK/PRIF), die Goethe Universität Frankfurt und das Senckenberg Naturmuseum in Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Forschungsverbund „Krisen einer globalisierten Welt“ und der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main.