Joseph Beuys. Ulysses vom 30. Juni bis 26. September 2021 im Hessischen Landesmuseum Darmstadt

© Hessisches Landesmuseum Darmstadt
© Hessisches Landesmuseum Darmstadt

Wenn ein Jahrhundert-Roman von einem Ausnahmekünstler fortgesetzt wird, lässt das aufhorchen. »Joseph Beuys verlängert im Auftrag von James Joyce den Ulysses um sechs weitere Kapitel« ist der Titel einer Arbeit, die Joseph Beuys in den Jahren 1957 bis 1961 geschaffen hat. Sie umfasst sechs Hefte im DIN A5-Format mit 750 Seiten und 355 Zeichnungen in Bleistift und teilweise in Wasserfarben. Noch zu Lebzeiten hatte der Künstler zu Präsentationszwecken die Hefte 1 und 2 aufbinden lassen, während die Hefte 3, 4, 5 und 6 bis heute im Originalzustand erhalten sind. Zwar gehören die sechs Hefte seit 1996 zum Bestand der Graphischen Sammlung am Hessischen Landesmuseum Darmstadt, jedoch sind sie, da unveröffentlicht, weitestgehend unbekannt geblieben.

Das Ulysses-Zeichnungs-Konvolut entstand in der Zeit nach dem Ende von Beuys’ Bildhauer-Studium und bevor der Künstler 1961 den Lehrstuhl für monumentale Bildhauerei der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf übernahm. Es ist »Beuys vor Beuys«, dem wir hier begegnen in einer Phase intensiver künstlerischer Reflektion und Neuorientierung. Damals zog sich Beuys für einige Monate aufs Land zurück, um sich der Feldarbeit zu widmen. In den Jahren 1957 bis 1961 schuf Beuys seine zwei wesentlichen Zeichnungskonvolute: die »4 Bücher aus ›Projekt Westmensch‹« sowie die sechs Hefte »Joseph Beuys verlängert im Auftrag von James Joyce den Ulysses um sechs weitere Kapitel«. Mit beiden Werken formulierte Beuys Grundelemente seiner künstlerischen Praxis, die ihm als Quellen der Reflexion dienen und aus denen er fortan schöpfen sollte.

Die sechs »Ulysses«-Hefte mit ihren ›ultravisiblen‹ Zeichnungen sind ein bislang noch unbekanntes Highlight in Beuys‘ künstlerischem Werk. In der Ausstellung sind nicht nur die originalen Hefte mit ihren aufgeschnittenen Zeichnungsblättern zu sehen, sondern alle derzeit zur Verfügung stehenden medialen Vermittlungsmöglichkeiten werden eingesetzt, um das gesamte Zeichnungskonvolut zu vergegenwärtigen. Wir danken dem Nachlass Joseph Beuys, Düsseldorf, für die Erlaubnis, die sechs Hefte in der Ausstellung in dieser Form reproduzieren und zeigen zu dürfen. Anlässlich des 100. Geburtstages von Joseph Beuys (1921-1986) vergegenwärtigt die Ausstellung »Joseph Beuys. Ulysses« alle sechs Hefte sowohl analog wie auch digital. Beuys‘ immenses Potential an künstlerischen Vorstellungen und Energien, das bislang zwischen den schwarzen Kladden verschlossen und verborgen war, wird somit offengelegt und in Gänze erstmals optisch zugänglich gemacht.

Eva Claudia Scholtz, Geschäftsführerin der Hessischen Kulturstiftung: »Im Jahr 1996 hat die Hessische Kulturstiftung Joseph Beuys‘ sechs Ulysses-Hefte für das Hessische Landesmuseum in Darmstadt erworben. Dass der gesamte Ulysses heute, im 100. Geburtsjahr Joseph Beuys‘, dank neuer technischer Möglichkeiten während der Ausstellung »Joseph Beuys. Ulysses« für jedermann und vollständig zugänglich ist, scheint mir ein besonderer Grund zur Freude und eine einmalige Gelegenheit für einen Besuch in Darmstadt zu sein! In James Joyce‘ Ulysses entdeckte Beuys für sich die heilende Kraft der Kunst. Sie konzentrierte sich im mäandernden Bewusstseinsstrom des Romans. Joseph Beuys verschränkt in seinem Ulysses den eigenen Gedankenfluss mit Joyce‘ Werk und durchstreift das kreative und gestalterische Potenzial unseres Denkens.«

Ausschließlich hier in dieser Ausstellung besteht die Chance, das Werk »Joseph Beuys verlängert im Auftrag von James Joyce den Ulysses um sechs weitere Kapitel« auf diese Weise zu sehen und zu studieren: Alle originalen sechs Hefte liegen in Vitrinen und die aufgeschnittenen Seiten von Heft 1 und die Doppelblätter von Heft 2 sind gerahmt ausgestellt. In einem riesigen Oberlichtsaal ist das komplette Werk mit seinen 750 Seiten und 355 Zeichnungen in 4,5 fach vergrößerten Ausdrucken an den Wänden tapeziert. Zudem wird in einem speziell verdunkelten Ausstellungsraum eine virtuelle immersive Begegnung mit Joseph Beuys‘ zeichnerischem Œuvre möglich. Die Besucher*innen können Dank einer digitalen interaktiven Animation, die auf Basis modernster Scanverfahren entwickelt wurde, in den Heftseiten blättern und zoomen, als würden sie in Beuys‘ Zeichnungen wandeln und in des Künstlers Gedanken blicken.

»Mit dem »Ulysses«-Zeichnungskonvolut hat Darmstadt neben dem »Block Beuys« ein zweites internationales Highlight von Joseph Beuys. Unsere Ausstellung ist ein herausragender Beitrag zum Beuys-Jubiläum und wirft ein weiteres Schlaglicht auf unsere bedeutende Sammlung.«, sagt Direktor Dr. Martin Faass.

Die Kuratorin der Ausstellung, Dr. Mechthild Haas, ergänzt: »Die »Ulysses«-Zeichnungen sind evolutiv, es geht um Durchdringung, Wandel und Veränderung. Zeichnend entfaltet Joseph Beuys in den sechs Heften sein Denken, es ist ein faszinierendes Reservoir an Themen und Motiven, das Basismaterial seiner künftigen künstlerischen Arbeit.«

Auch der Autor James Joyce (1882-1941) und sein Ulysses-Manuskript, das im Jahr 1922 als Buch erschien, sind in der Ausstellung Thema. Insbesondere Joyce’s vielstufige Schreibgenese wird vermittelt. Im nichtlinearen Sprachstrom des Romans spiegelt sich der Bewusstseinsstrom seiner Protagonisten mit allen ihren Assoziationen, Erinnerungsfetzen und Vorstellungen wider. Ohne dass sie erzählerisch entfaltet sind, erscheinen überall Dutzende von Themen als Motive und sind als Motivcluster in wechselnder Akzentuierung und Dynamik miteinander verstrebt.

Die Ausstellung »Joseph Beuys. Ulysses« bietet den Besucher*innen die einzigartige Möglichkeit, dem Kosmos nachzuspüren, den Beuys in seinen sechs Heften in Anlehnung an James Joyce und dessen Roman »Ulysses« entwickelt hat.

Ein Bestandskatalog der sechs Hefte ist in Vorbereitung und erscheint im Schirmer/Mosel Verlag, München.

Hessisches Landesmuseum Darmstadt
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