FRANK AUERBACH UND LUCIAN FREUD. GESICHTER ab 16. Mai im Städel Museum Frankfurt

Foto: Diether v. Goddenthow
Foto: Diether v. Goddenthow

Für Museums-Direktor Dr. Philipp Demandt ist die Eröffnung der neuen Ausstellung „Frank Auerbach und Lucian Freud. Gesichter“, die vom 16. Mai bis 12. August 2018 im Frankfurter Städel-Museum gezeigt wird, etwas ganz Besonderes. Denn war er, als er die Nachfolge von Max Hollein angetreten hatte, sehr froh, dass er „hier erst einmal ankommen durfte in Frankfurt und die Planungen von Max Hollein  übernehmen und durchführen konnte“, so ist er heute richtig glücklich. Denn die neue Ausstellung ist die erste, die er als neuer Museumsdirektor verantwortet. Kuratiert wurde die Ausstellung von Dr. Regina Freyberger, die Dr. Philipp Demandt aus der Alten Nationalgalerie Berlin als neue Leiterin der „Graphischen Sammlung ab 1750“ ins Städel Museum jetzt gefolgt war.

Museums-Direktor Dr. Philipp Demandt und kuratorin Dr. Regina Freyberger, neue Leiterin der Graphischen Sammlung ab 1750, im Städel Museum. Foto: Diether v. Goddenthow
Museums-Direktor Dr. Philipp Demandt und Kuratorin der Ausstellung Dr. Regina Freyberger, neue Leiterin der Graphischen Sammlung ab 1750, im Städel Museum, heute beim Pressegespräch. Foto: Diether v. Goddenthow

„Wir beginnen im Prinzip mit meinem Programm im Städel hier und heute mit der Ausstellung Frank Auerbach und Lucian Freud“, erläutert Dr. Philipp Demandt heute beim Pressegespräch. „Das ist eine Ausstellung, die ganz exemplarisch eigentlich auch dafür steht, was mir in meiner Karriere als Museumsmensch, als Kurator immer wichtig gewesen ist: Das ist nämlich das Thema der Entdeckung, das ist das Thema der Wiederentdeckung, das ist auch das Thema der ganz großen Unbekannten der Kunstgeschichte. Und zwei Vertreter genau dieser Kategorie möchten wir heute vorstellen und würdigen. Wobei es vielleicht ein bisschen vermessen ist, zu sagen, dass Frank Auerbach und Lucian Freud unbekannt wären. Aber Fakt ist: Dass beide Künstler obgleich in Deutschland, in Berlin, geboren und großgeworden sind, in ihrem Heimatland – auch wenn sie seit vielen Jahren in Großbritannien leben – hier in ihrem Heimatland, in Deutschland eigentlich kaum gezeigt, gesammelt und ausgestellt worden sind. De facto ist die Ausstellung, die wir heute eröffnen, die erste gemeinsame Ausstellung überhaupt von den engen Freunden Frank Auerbach und Lucian Freud“, so Dr. Philipp Demandt.

Worum geht es?

Frank Auerbach (*1931) und Lucian Freud (1922–2011) zählen zu den bedeutendsten figurativen Künstlern der englischen Nachkriegskunst. Vom 16. Mai bis 12. August 2018 versammelt die Graphische Sammlung des Städel Museums erstmals Hauptwerke der beiden Künstler in einer gemeinsamen Ausstellung. „Frank Auerbach und Lucian Freud. Gesichter“ zeigt insgesamt vierzig Zeichnungen und Druckgrafiken, insbesondere Bildnisse, die zu den kompromisslosesten und innovativsten der zeitgenössischen Kunst gehören.

Frank Auerbach, Selbstbildnis 2017, wurde 2017 vom Städel-Museum mit Mitteln der Jürgen R. und Eva-Maria Mann Stiftung erworben, und bildete mit den Anstoß für diese Ausstellung.Foto: Diether v. Goddenthow
Frank Auerbach, Selbstbildnis 2017, wurde 2017 vom Städel-Museum mit Mitteln der Jürgen R. und Eva-Maria Mann Stiftung erworben, und bildete mit den Anstoß für diese Ausstellung.Foto: Diether v. Goddenthow

Über nahezu vier Jahrzehnte, bis zum Tod von Lucian Freud, waren die Künstler eng befreundet. Sie verband nicht nur die Wertschätzung für die Kunst des je anderen, sondern auch das Schicksal, in Berlin als Söhne jüdischer Familien geboren worden zu sein. Noch im Kindesalter mussten sie aus dem nationalsozialistischen Deutschland nach England flüchten beziehungsweise emigrieren. Ihre Werke sind Ausdruck eines sehr persönlichen Sehens und Erlebens und entstanden trotz großer formaler und stilistischer Unterschiede nach überraschend gleichen Strategien: Über Wochen, manchmal Jahre hinweg beobachteten und porträtierten Auerbach und Freud beharrlich dieselben Menschen aus ihrer jeweils näheren Umgebung. Wiederholung und Beschränkung sind ihnen Mittel der Konzentration auf der Suche nach Erkenntnis: über das Gegenüber, über sich selbst und über die Welt.

Anlass der Sonderausstellung sind mehrere exzeptionelle Neuerwerbungen für das Städel Museum: der Ankauf eines gezeichneten Selbstbildnisses (Self-Portrait, 2017) von Auerbach durch den Städelschen Museums-Verein e. V. mit Mitteln der Jürgen R. und Eva-Maria Mann Stiftung sowie der Radierung Pluto (1988) von Freud mit Mitteln der Heinz und Gisela Friederichs Stiftung, die versprochene großzügige Schenkung ausgewählter Druckgrafiken und Zeichnungen von Auerbach und Freud aus Kölner Privatbesitz sowie die Stiftung einer Druckplatte Auerbachs durch den Künstler und den Balakjian Estate. Ergänzt um weitere, auch internationale Leihgaben bilden diese Werke wichtige Eckpunkte der Sonderausstellung.

„Das Städel Museum erwarb bereits 1994 mit Lucian Freuds Large Head eine der ersten, wenn nicht sogar die erste Radierung des Künstlers für ein deutsches Museum überhaupt. Es ist ein großer Glücksfall, dass wir dieser Arbeit nun weitere neu in die Sammlung gekommene Werke von Auerbach und Freud an die Seite stellen können. Sie stärken diese herausragenden Positionen der figurativen Kunst des 20. beziehungsweise 21. Jahrhunderts und steigern die beachtliche Qualität der Graphischen Sammlung“, kommentiert Städel Direktor Philipp Demandt.

„Von Beginn ihres Schaffens an ringen Auerbach und Freud um ein tieferes Verständnis der sichtbaren Welt. Es geht ihnen nicht um Abbildhaftigkeit, sondern um Wahrheit, und dabei kommen sie immer wieder zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen, Erkenntnissen, müsste man korrekterweise eigentlich sagen. Die so unterschiedlichen Werke der beiden Künstler lohnt es also unter diesem Gesichtspunkt einmal gemeinsam zu sehen“, stellt Regina Freyberger, Leiterin der Graphischen Sammlung ab 1750 am Städel Museum, heraus.

Die Ausstellung

Impression der Ausstellung: FRANK AUERBACH UND LUCIAN FREUD. GESICHTER 16. MAI BIS 12. AUGUST 2018. Foto: Diether v. Goddenthow
Impression der Ausstellung: FRANK AUERBACH UND LUCIAN FREUD. GESICHTER
16. MAI BIS 12. AUGUST 2018. Foto: Diether v. Goddenthow

„Frank Auerbach und Lucian Freud. Gesichter“ beginnt mit zwei Selbstbildnissen der Künstler: einer Grafitzeichnung mit abstrahierenden, energisch bewegten Strichen von Frank Auerbach (Self-Portrait, 2017) und einer Radierung mit konkret und nahezu malerisch beschreibenden Linien von Lucian Freud (Self-Portrait: Reflection, 1996). Beiden Bildnissen ist eine ähnlich intensive psychische Aufladung eigen. Sie sind formal sowie in der kritischen und unsentimentalen Selbstreflexion typisch für das OEuvre beider Künstler. Vor allem Bildnisse entstanden ab den 1940er- und 1950er-Jahren in Auerbachs und Freuds Londoner Ateliers, zunächst in Öl, später auch in der Technik der Radierung. Die in der Ausstellung gezeigten Druckgrafiken umreißen dieses Schaffen ab den späten 1970er-Jahren exemplarisch. Dennoch sind beide Künstler keine klassischen Porträtisten: Aufträge sind im Bereich der Druckgrafik selten, und repräsentative Bildnisse sucht man vergebens. Den britischen Politiker Lord Arnold Goodman zeigt Freud mit wirrem Haar im gelben Schlafanzug (Lord Goodman in His Yellow Pyjamas, 1987). Auerbach und Freud geht es nicht um die öffentliche Person mit ihrer spezifischen Biografie, sondern um den Menschen in seiner physischen und psychischen Ganzheit, um seine Präsenz und seine Kreatürlichkeit.

Lucian Freud. Posierender Mann 1985. Radierungauf Velin.Foto: Diether v. Goddenthow
Lucian Freud. Posierender Mann 1985.
Radierungauf Velin.Foto: Diether v. Goddenthow

Deshalb zeigt Freud seine Modelle auch meist nackt und unverstellt. Gleichzeitig erklärt dies das Motiv des Schlafes oder des Einschlafens in Auerbachs und Freuds Schaffen: Denn je müder die Modelle werden, desto deutlicher kommt ihr wahres Gesicht zum Vorschein. Eine gegenseitige Vertrautheit von Künstler und Modell ist dennoch unentbehrlich. Auerbach und Freud wählten ihre Modelle daher stets aus einem sehr engen Personenkreis: Freud saßen immer wieder seine Kinder Modell. Seine Mutter porträtierte er ab den 1970er-Jahren in über eintausend Sitzungen. Daneben entstanden Bildnisse von Personen, die den Künstler inspirierten, wie dem Performancekünstler Leigh Bowery (Large Head, 1993) oder der Arbeitsvermittlerin Sue Tilley (Woman with an Arm Tattoo, 1996). Bei Auerbach verhält es sich ähnlich: Die Malerin Julia Wolstenholme sitzt für ihren Ehemann seit 1958 Modell (Julia, 1981, 1998, 2001). Wiederholt porträtierte Auerbach zudem seinen Sohn Jake (1990, 2006), verschiedene Künstlerkollegen und Freunde.

Der Schaffensprozess

Selbst eine Druckplatte graviernadeln und andere Druckereiutensilien, wie sie für den Herstellungsprozess nötig sind, werden in der Ausstellung gezeigt.  Foto: Diether v. Goddenthow
Selbst eine Druckplatte graviernadeln und andere Druckereiutensilien, wie sie für den Herstellungsprozess nötig sind, werden in der Ausstellung gezeigt. Foto: Diether v. Goddenthow

Jedem Bildnis, sei es auf das Gesicht beschränkt oder um den Körper ergänzt, geht bei beiden Künstlern ein Prozess der Erkenntnis voraus, der auf genauer, forschender Beobachtung gründet. Pro Sitzung zeichnet oder malt Frank Auerbach ein Bildnis. Hält es seiner kritischen Beurteilung bei der nächsten Sitzung nicht stand, wird die Farbe abgeschabt oder der Bleistift ausradiert. Auf demselben Bildträger beginnt Auerbach anschließend erneut. Da bei Radierungen ein solches Vorgehen des ständigen Neuerfahrens, Neusehens und Neuarbeitens technisch unmöglich ist, werden die Druckgrafiken über mehrere Skizzen auf Papier vorbereitet und zuletzt auf der Platte vollendet.
Freuds Arbeitsweise ist hier anders: Mit weißer Kreide notiert er die Umrisse seines Gegenübers auf die vorbehandelte Kupferplatte und beginnt dann mit der Radiernadel von der Mitte aus Körper und Gesichter auszuarbeiten. Seine Modelle studiert er dazu aus wechselnden Positionen. Die Wiederholung einzelner Linien schafft daher nicht nur Plastizität, sie dient auch der Bestätigung des einmal Formulierten. Gelegentliche Korrekturen dokumentieren die schrittweise Annäherung an das Gegenüber.

Ausschnitt aus dem BBC-Film At a Printmaker’s Workschop von 1970

In diesem Ausschnitt von 1970 wird in Werkstatt von Studio Prints der Herstellungsprozess einer aufwendigen Radierung des Künstlers Anthony Gross gezeigt. Beim Befeuchten des Papiers und beim Drucken mit der Walzenpresse sieht man Dorothea Wight, die 1968 die Londoner Druckereiwerkstatt geründet hatte.

Biografisches

Foto: Diether v. Goddenthow
Foto: Diether v. Goddenthow

Auerbach und Freud verbindet das tragische Schicksal, als Kinder jüdischer Familien in den 1930er-Jahren aus Deutschland geflüchtet beziehungsweise emigriert zu sein. Die britische Staatsbürgerschaft nahm Freud 1939, Auerbach 1947 an. Begegnet waren sie einander vermutlich erstmals 1956, in Auerbachs erster Ausstellung in London – ein Kunsterlebnis, das bei Freud großen Eindruck hinterließ. Überhaupt verband beide Künstler zunächst eine tiefe Wertschätzung für die Kunst des jeweils anderen. Freud bat gegen Ende des Werkprozesses nicht selten Auerbach um seine Meinung; sie arbeiteten auch für ihre Radierungen meist mit denselben Druckern zusammen, und sie porträtierten einander. Über Jahre baute Freud zudem eine der größten Privatsammlungen mit Werken Auerbachs auf. Nach seinem Tod wurde diese Sammlung dem britischen Staat gestiftet und auf verschiedene Museen verteilt. Zwei Zeichnungen daraus, heute im Fitzwilliam Museum in Cambridge, sind als Dokument dieses engen künstlerischen Austausches nun erstmals in Deutschland zu sehen. Auerbach wiederum schenkte neun seiner Radierungen von Freud 2012 dem Courtauld Institute in London; eine weitere Radierung, Ib von 1982, die sich bis heute im Besitz Auerbachs befindet, wird ebenfalls in der Ausstellung gezeigt. Die Biografie beider Künstler wird dem Betrachter – zusammen mit den angewandten Drucktechniken – im letzten Raum der Ausstellung erschlossen.

Katalog: Zur Ausstellung erschien der sehr empfehlenswerte, von Dr. Regina Freyberger verfasste Katalog mit dem Titel „Frank Auerbach und Lucian Freud. Gesichter“, herausgegeben vom Städel Museum, deutsch, 104 Seiten, 15 Euro, ermöglicht durch den Städelschen Museums-Verein e. V.

Information: www.staedelmuseum.de
Besucherservice und Führungen: +49(0)69-605098-200, info@staedelmuseum.de
Ort: Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt am Main

Öffnungszeiten: Di, Mi, Sa, So 10.00–18.00 Uhr; Do, Fr 10.00–21.00 Uhr; montags geschlossen
Sonderöffnungszeiten (10.00–18.00 Uhr): 20.5., 21.5., 22.5., 31.5.

Eintritt: 14 Euro, ermäßigt 12 Euro, Familienkarte 24 Euro; bis 21. Mai kostet der Eintritt an den Feiertagen 16 Euro, ermäßigt 14 Euro, Familienkarte 24 Euro; freier Eintritt für Kinder unter 12 Jahren; Gruppen ab 10 regulär zahlenden Personen: ermäßigter Eintrittspreis pro Person. Für Gruppen ist vorab eine Anmeldung unter Telefon +49(0)69-605098-200 oder info@staedelmuseum.de erforderlich.

Überblicksführungen durch die Ausstellung: freitags 18.00 Uhr, sonntags 14.00 Uhr sowie Montag, 21. Mai, und Donnerstag, 31. Mai, 12.00 Uhr. Die Teilnehmerzahl ist begrenzt, eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
Kartenvorverkauf: tickets.staedelmuseum.de
Für Mitglieder des Städelschen Museums-Vereins ist der Eintritt in die Sonderausstellung frei.