Ein wenig wie Fasnacht: Beim zünftigen Zürcher Frühlingsfest „Sechseläuten“ wird der Winter „verbrannt“

Zum Schluss des Sechseläuten wird durch’s Verbrennen der Schneemann-Strohpuppe „Böögg“ der Winter ausgetrieben. Noch hat der „Böög“ eine Gnadenfrist bis sich zum Ende des Umzugs alle auf Festplatz versammelt haben. © Foto:  Jutta Ziegler
Zum Schluss des Sechseläutens wird durch’s Verbrennen der Schneemann-Strohpuppe „Böögg“ der Winter ausgetrieben. Noch hat der „Böög“ eine Gnadenfrist bis sich zum Ende des Umzugs alle auf  dem Festplatz versammelt haben. © Foto: Jutta Ziegler

Das moderne Zürich wird nicht nur seit Jahren als eine der Städte mit der weltweit höchsten Lebensqualität gewählt. Die an Limmat und Zürichsee gelegene Finanzmetropole pflegt mit dem Frühlingsfest Sechseläuten (oder: „Sächsilüüte“, wie es bei den Einheimischen heißt) auch einen Brauch, der tief in der Geschichte der Stadt verwurzelt ist. Gemäß einem Ratsbeschluss aus dem Jahr 1525 läutete nämlich die zweitgrößte Glocke des Grossmünsters im Sommerhalbjahr, das mit der Tagundnachtgleiche Ende März begann, den Feierabend der Handwerker um 18 Uhr, statt bereits um 17 Uhr ein. Seit dem frühen 19. Jahrhundert kam hinzu, dass Buben zu diesem Anlass den Winter symbolisierende Strohpuppen durch die Stadt trugen und diese schließlich zur Austreibung des Winters verbrannten. Zudem haben die Zürcher Zünfte über 450 Jahre die Geschicke der Stadt gelenkt und bestimmt. All diese Wurzeln verbinden sich im heutigen Fest des Sechseläutens.

Zwar wurden die Zürcher Zünfte im Zuge der französischen Revolution aufgelöst, doch gründeten sie sich im 19. Jahrhundert neu und existieren heute noch.

Junge Damen rokokotypisch im Reifrock. © Foto:  Jutta Ziegler
Junge Damen rokokotypisch im Reifrock. © Foto: Jutta Ziegler

Die 26 Zünfte veranstalten jedes Jahr im April das Frühlingsfest Sechseläuten. Sonntagnachmittags findet ein großer Kinderumzug statt, der ein bisschen an Fastnachtsumzüge erinnert. Die rund 3.000 Kinder, die sich bei der diesjährigen Ausgabe des Anlasses sehr ernsthaft, diszipliniert und mit einer Portion Stolz in ihre jeweiligen Rollen versetzten, verkörpern in historischen Kostümen verschiedene Epochen von der Romanik über die Gotik, Barock und Rokoko bis hin zum modernen weltoffenen Zürich. Historische Ereignisse wie etwa die Hirsebreifahrt in der Mitte des 15. Jahrhunderts oder der Aufmarsch zum Knabenschießen 1848 wurden mit reichen Kostümen und möglichst detailgetreu dargestellt.

3. Bildunterschrift: Die Händler aus dem Orient hatten ihre Kamele dabei – die an normalen Tagen als Trampeltiere ein ruhigeres Leben im Zürcher Zoo verbringen. © Foto: Jutta Ziegler
Die Händler aus dem Orient hatten ihre Kamele dabei – die an normalen Tagen als Trampeltiere ein ruhigeres Leben im Zürcher Zoo verbringen. © Foto: Jutta Ziegler

Die Händler aus dem Orient hatten sogar zwei Kamele dabei, andere Gruppen führten allerlei historische Gefährte mit und machten den Kinderumzug auch zu einem Streifzug durch die Geschichte der Mobilität, von der Pferdekutsche über das Boot bis hin zu Fahrradtypen des 19. Jahrhunderts.

Bildunterschrift: Auch das Landvolk aus dem 15. Jahrhundert wurde am Sonntagnachmittag von den Kindern dargestellt. © Foto: Jutta Ziegler
Auch das Landvolk aus dem 15. Jahrhundert wurde am Sonntagnachmittag von den Kindern dargestellt. © Foto: Jutta Ziegler

Am Montagnachmittag zogen dann ca. 3.500 männliche Zünfter, 350 Reiter und etwa 1.200 Musiker und Musikerinnen beim Zug der Zünfte durch die Stadt. Traditionell laden die Zünfte Ehrengäste aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zur Teilnahme ein, und so kommt es, dass die Teilnehmerliste zu einem Who’s who der Wirtschaftsbosse und Politiker der Schweiz gerät. Außerdem ist es Brauch, dass die Frauen, die die Strecke entlang des Umzugs säumen, die vorbeiziehenden Männer mit Blumen beschenken, und dass die Zünfte eben keine weiblichen Mitglieder haben. Vielleicht, so wird gemunkelt, werde irgendwann einmal über eine Frauenquote nachgedacht. Doch so lange muss es wohl reichen, dass die Gesellschaft zu Fraumünster, eine rein weibliche Vereinigung, seit ein paar Jahren immerhin zwischen den Zünften mitmarschieren darf. Ziel des farbenfrohen Umzugs ist die Sechseläutenwiese am Zürichsee, wo die Verbrennung des Bööggs stattfindet.

Gastkanton ist in diesem Jahr Basel-Stadt

Geschenk des Gastkantons an die Zürcher: die Basler Laterne, gestaltet von Christoph Knöll, beim Zug der Zünfte am Montagnachmittag.© Foto: Carsten Siebert
Geschenk des Gastkantons an die Zürcher: die Basler Laterne, gestaltet von Christoph Knöll, beim Zug der Zünfte am Montagnachmittag.© Foto: Carsten Siebert

Zur Tradition des Sechseläutens gehört es seit 1991 auch, dass jedes Jahr ein Schweizer Kanton als Gastkanton zum Sechseläuten eingeladen wird. Diesmal war dies Basel-Stadt. Die am Rheinknie gelegene Stadt präsentierte sich getreu ihrem Motto „Basler Hochkultur und Alltagskunst“ auf dem Lindenhof. Hier konnte man nicht nur Laternenmaler Christoph Knöll über die Schulter schauen, sondern auch selbst Hand anlegen und auf einem rund hundert Jahre alten Nachbau einer Gutenbergpresse aus dem Basler Papiermühle-Museum ein Sechseläutenmotiv drucken: einen Schneemann mit rauchender Pfeife, in der einen Hand einen Besen, in der anderen ein Schild mit dem Basler Stadtwappen. Auch bei den Umzügen zeigten die Basler Präsenz.

Vogel Gryff, Wild Maa und Leu – Kleines Vogel Gryff Spiel beim Kinderumzug auf der Zürcher Quaibrücke. © Foto:  Jutta Ziegler
Vogel Gryff, Wild Maa und Leu – Kleines Vogel Gryff Spiel beim Kinderumzug auf der Zürcher Quaibrücke. © Foto: Jutta Ziegler

Beim Kinderumzug wirkten rund 160 Basler Kinder mit, das Kleine Vogel Gryff Spiel kam zum Einsatz, und der Zug der Zünfte wurde von einer rund 470-köpfigen Delegation aus Basel angeführt, darunter Fasnächtler in ihren typischen Kostümen, Ehrengesellschaften, Basler Zünfte, Polizeimusik und Sportverbände. Zwischen die Gruppen der Zünfte mischten sich in schöner Schissdräckzügli-Manier Basler Trommler oder Pfeifer. Schade nur, dass Jean Tinguelys monumentale Maschinenskulptur „Klamauk“, die zischend und rauchend mitgeführt werden und wohl dem Böögg ein bisschen Konkurrenz machen sollte, dem unbeständigen Wetter zum Opfer gefallen war. Am Ende blieb es trocken, aber man wollte das knapp vierzig Jahre alte Kunstwerk aus dem Museum Tinguely in Basel nicht der Gefahr aussetzen, nass zu werden.

Bei den Umzügen und der Präsentation des Gastkantons verbanden sich Zürcher Sechseläuten und Basler Fasnacht auf das Schönste, und die Basler Regierungspräsidentin Elisabeth Ackermann hatte die ehrenvolle Aufgabe, mit dem Glockenschlag um 6 Uhr abends den Scheiterhaufen unter dem Böögg anzuzünden. Beim Böögg, was in Zürich so viel heißt wie „verkleidete, vermummte Gestalt“, handelt es sich um einen 3,60 Meter großen als Schneemann dargestellten Strohmann auf einem etwa zehn Meter hohen Scheiterhaufen. Der Strohmann ist übrigens mit über hundert Feuerwerkskörpern gespickt. Die Zeit, die vergeht, bis der Bööggenkopf mit großem Donnerknall abfällt, gilt in Zürich und darüber hinaus als Gradmesser für die Qualität des Sommers.

Der angesagte Club Mascotte veranstaltete eine Sächsilüüte-Party für geladene Gäste mit Böögg-Toto und bestem Blick auf den Sechseläutenplatz. Auch Böögg-Bauer Lukas Meier schaute kurz vorbei und gab seinen Tipp ab: 11 Minuten und 48 Sekunden würde es dauern, bis der Böögg seinen Kopf verliert.

Schnell lodern die Flammen empor, während der Böögg von den Reitergruppen der Zünfte umrundet wird, Der zündende Moment: Nach 20 Minuten und 31 Sekunden ist es so weit – der Kopf des Bööggs wird mit lautem Knall vom Körper getrennt. © Foto:  Jutta Ziegler
Schnell lodern die Flammen empor, während der Böögg von den Reitergruppen der Zünfte umrundet wird, Der zündende Moment: Nach 20 Minuten und 31 Sekunden ist es so weit – der Kopf des Bööggs wird mit lautem Knall vom Körper getrennt. © Foto: Jutta Ziegler

Spannend wurde es auf dem Festplatz, wo nach und nach die Zünfter eintrafen und die Reitergruppe jeder Zunft unter den beschwingten Klängen des Sechseläutenmarsches drei Runden um den Scheiterhaufen drehte. Nach 20 Minuten und 31 Sekunden hatten sich die lodernden Flammen nach oben gearbeitet. Für den Moment kurz bevor der Kopf endlich mit dem ersehnten Donnerschlag abfiel, hatte sich Böögg-Bauer Lukas Meier einen Gag erlaubt: Aus dem Hut stieg roter und blauer Rauch, eine Hommage an den Basler Fußballclub FCB. Was die Brenndauer anbelangt: Der Böögg strafte seinen Erbauer, der auf 11 Minuten und 48 Sekunden getippt hatte, Lügen und bewerkstelligte ein mittelmäßiges Ergebnis, das keinen allzu guten Sommer verheißt. Andere meinen jedoch, wie sich in den letzten Jahren gezeigt habe, tauge der Böögg als Wetterfrosch ohnehin nicht viel. Sei’s drum, ein tolles Spektakel, das auch eine weitere Anreise lohnt, ist das Sechseläuten allemal.

(Jutta Ziegler – Rhein-Main.Eurokunst)