DIE SALONS DER REPUBLIK ab 17. Juni -Das Deutsche Architekturmuseum Frankfurt ist wieder geöffnet – Veranstaltungen finden weiterhin digital statt

Salons-der-Republik-damSchwindende Dialogfähigkeit prägt das politische Klima dieser Jahre in einem Maße, dass demokratische Institutionen und Praktiken zunehmend unter Druck geraten. Deutschland bildet hier keine Ausnahme. Um dem Trend zum Rückzug ins „Selbstbestätigungsmilieu“ (Bernhard Pörksen) entgegenzuwirken, bedarf es in unserem Land neuer Räume, deren Atmosphären milieuübergreifende Debatten stimulieren und kultivieren. In den Wintersemestern 2018/19 sowie 2020/21 haben an der Hochschule RheinMain unter der Leitung von Prof. Holger Kleine Studierende der Innenarchitektur Salons entworfen, die Lust auf Demokratie machen.

Die Entwürfe werden vom 17. Juni bis zum 15. Juli im Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt ausgestellt.
DIALOG IM MUSEUM ist ein Kooperationsprojekt des DAM und der Hochschule RheinMain, das sich mit den Auswirkungen von smarten Technologien auf unser Leben beschäftigt.
Ausstellung: 17. Juni – 15. Juli 2021
Flyer

Diese ersten Salons der Republik wurden für den Spreebogen in Berlin und den Paulsplatz in Frankfurt am Main entworfen. Neben den eigentlichen Debattierzimmern umfassen sie auch ortsspezifische Räume: in Berlin eine weitläufige, multifunktionale Wandelhalle und in Frankfurt eine Freitreppe als informeller Treffpunkt der Stadtgesellschaft. Der für den Paulsplatz vorgeschlagene Salon der Republik bringt sich in die Debatte um das dort geplante Demokratiezentrum ein, indem er den Akzent von einem Demokratiemuseum hin zu einer Demokratiewerkstatt mit europaweiter Ausstrahlung verschiebt. Salons für weitere Städte, Dörfer und Regionen werden folgen. Ansprechend und auch provokant gestaltete Räume für Debatten sind gerade in Zeiten der Digitalisierung für unsere Demokratie lebenswichtig. Ebenso wichtig ist freilich, dass die Salons auch digital präsent sind und untereinander vernetzt werden.

Berliner Salon – Die Wandelhalle
Die Wandelhalle des Berliner Salons vermittelt sich als eine weiträumige Landschaft mit Plateaus, die sich um ein S-förmiges, von Sitztreppen gesäumtes Flusstal lagern. Drei Hügel akzentuieren in ihrer offenen Formation den Raumfluss – so das poetische Leitbild. Die Hügel eignen sich als Tribünen für größere Veranstaltungen und zum „Herumlungern“. Überdies übernehmen sie statische Funktionen und bergen dienende Räume.
Der Comic zeigt den Nutzungsmix der Halle, während Modell und Perspektiven verdeutlichen, dass die Halle trotz allem Trubel eine großzügige Weite und bewegte Ruhe bewahren soll. In ihr dominiert ästhetisch gesehen die Einheit und funktional gesehen die Vielfalt – in der Salonetage darunter ist es umgekehrt.

Berliner Salon – Der Dachgarten
Wie die Wandelhalle ist auch das Dach des Berliner Salons als eine weite Landschaft konzipiert. Allerdings kehrt sich hier die Höhenstaffelung um: nicht von einem Flusstal, sondern von einem Deich wird sie durchzogen. Um den Deich lagern sich Freiluftkino und -bühne, Kräuter- und Biergarten, Spielplatz und Liegewiese. Sitztreppen, Pergolen und Heckenreihen gliedern nebst den Erschließungsblöcken und Lichtbrunnen für die Halle die Landschaft. Von ihr aus gesehen präsentieren sich einige der prägnantesten Bauten des Berliner Stadtraums wie Figuren auf einer Theaterbühne.

Berlin: Im Band des Bundes.
An wenigen Orten verdichtet sich die Geschichte des 20. Jahrhunderts auf so fühlbare Weise wie im Spreebogen: Die Lagepläne zeigen das gründerzeitliche Alsenviertel, die nationalsozialistischen TabulaRasa-Planungen von 1938, die Nachkriegswüstenei, die Mauer und das Band des Bundes. Das von uns gewählte Grundstück erlaubt wie kein anderes, die Nähe zwischen Bürger*innen und ihren Repräsentant*innen zu symbolisieren und konkret zu realisieren. Bereits 1992 hatten an dieser Stelle die Stadtplaner des Regierungsviertels, Axel Schultes und Charlotte Frank, ein Bürgerforum vorgeschlagen. Wir aktualisieren diese Idee, indem wir den Akzent auf das Praktizieren der Demokratie legen. In dem Berliner Salon der Republik schichten sich vier Raumwelten: zu ebener Erde die Eingänge, Fahrradparkplatz, Bücherbörse. Darüber eine Etage mit 42 Salons, dann die Wandelhalle mit variabel bespielbaren Plateaus, obenauf die Dachlandschaft. Der Comic illustriert, wie sich ein Tag im Salon der Republik abspielen könnte.

Salonstudien I: Berlin.
Die spezifischen Atmosphären der Salons stimulieren die unterschiedlichsten Gesprächsformen: sich besprechen, sich aussprechen, sich anvertrauen, andeuten, palavern, plaudern, debattieren, diskutieren, überreden, argumentieren, sich fetzen, aufmuntern, sich etwas verbitten … Wir nennen diese Räume Salons, da Salons Schwellenräume sind: zwischen Privat und Öffentlich, zwischen verschiedenen Milieus, Metiers und Klassen.

Unter diese Salons der Streitkultur haben sich weitere 14 Salons geschmuggelt, in denen sich die Diskutant*innen non-verbal abreagieren können: in Ateliers fürs Malen und Nähen, in Klettertürmen, Fußbädern, Schlafzelten, an Boxsäcken… Jeder kann hier nach seiner Façon entspannen und weiterdenken.

Salonstudien II: Frankfurt am Main.
Der Entwurf von Salons als attraktiven und intensiven Räumen für Debatten und die Begegnung mit dem Anderen bildete auch im Frankfurter Projekt den Anfang des Seminars. Rückblickend kann man feststellen, dass die hier entworfenen Salons sich als Variationen und Kombinationen von drei „brauchbaren“ Grundtypen verstehen lassen: dem Kreis, dem Vis-à-Vis und dem Auditorium. Die Varianten entstehen durch Verformungen (Vielecke statt Kreise), Fragmentierungen (Halbkreis), durch besondere Behandlungen der Randzone (raumhaltige Wände, Nischen, Erker …), durch besondere Erschließungszonen, Höhenstaffelungen und Galeriebildungen, durch Belichtungskniffe, Materialwechsel und Deckenausbildungen. Das Frei-im-Raum-Schwebende dieser Salongebilde vermittelt sich in Zeichnungen, die Wandabwicklung und Deckenspiegel, Schnitt und Grundriss spielerisch kombinieren.

Raumdramaturgie I:
Ein Pendant zur Paulskirche. Die Neuordnung des Paulsplatzes ist sowohl räumlich wie semantisch eine der komplexesten Aufgaben, die sich heute in Frankfurt stellen. Ein Salon der Republik darf an dieser Stelle nicht ein bloßer Annex der Kirche sein, sondern muss ihr Pedant werden. Anders gesagt: Nicht das geschichtsträchtige Bild der Paulskirche zu untermalen, sondern es mit einem zukunftsweisenden Bild von Demokratie zu ergänzen, ist seine Aufgabe. Dass diesem Erfordernis eine Rekonstruktion der Alten Börse nicht genügen kann, versteht sich von selbst.

Es ist naheliegend, den Platz zum Römer und zur Paulskirche hin zu öffnen und nach Norden zu schließen. Die im Seminar entstandenen Ideen zu einer Kontextualisierung der Paulskirche lassen sich den folgenden vier Grundhaltungen zuordnen:

  •  Spiegelung der Ellipse der Paulskirche in einer zweiten Ellipse.
  • Ergänzung der Ellipse der Paulskirche durch einen andersartigen geometrischen Primärkörper.
  • Kontrastierung des expressiven Rotationskörpers der Paulskirche durch einen ruhigen Kubus.
  • Balancierung der stufenlos aufragenden Wände der Paulskirche durch eine begehbare Treppenskulptur.

Die Treppenskulptur überzeugte uns am meisten. Sie strahlt Präsenz aus, ohne zu dominieren, sie kommuniziert, ohne sich anzubiedern, sie lädt schon auf den ersten Blick und nicht erst nach dem Öffnen der Eingangstür ein und sie bietet mit Treppe und Podium der Stadt etwas, was sie noch nicht besitzt: einen Raum für alle, der zugleich mitten drin und oben drüber ist. Sie fordert zum Vergleich mit anderen Stadträumen heraus: Diese republikanische Treppe wäre zugleich Piazza der Elbphilharmonie und Treppe des Grande Arche de la Defense, und der Blick vom Römerberg zeigt sie als Fortsetzung und Tribüne für den bedeutendsten Platz Frankfurts: Was die spanische Treppe für Rom ist, könnte die republikanische Treppe für Frankfurt werden.

Raumdramaturgie II:
Erkundungen des Innen. Was das Raumprogramm betrifft, gibt es am Paulsplatz weder ausreichend Platz für das für Berlin konzipierte „Ganztagsprogramm“ noch ist dieses hier inmitten der dichten Stadt nötig. Auch der Bedarf an Verwaltungsräumen kann in angrenzenden Gebäuden gedeckt werden. Und mit der Paulskirche sind Räumlichkeiten für Plenum und Dauerausstellung bereits vorhanden. Was benötigt wird, sind ein Auditorium mittlerer Größe für etwa 200 bis 300 Personen, diverse Debattiersalons für 15 bis 50 Personen, ein zum Platz sich öffnendes Café, zum Verweilen einladende Zwischenräume sowie Zonen für Wechselausstellungen und Kinderbetreuung.

Die Entwurfsstudien verfolgen verschiedene Leitideen der Innenraumbildung zum Zwecke der Kommunikation: mal schweben die Salons wie Wolken unter der Decke einer sehr hohen, beidseitig verglasten Halle… mal sind sie halbgeschossig versetzt, um Sichtbeziehungen über die zentralen Hallen hinweg zu erlauben… mal umlagern die Salons die Wegräume und können sich bei Bedarf zu diesen wie Guckkastenbühnen öffnen… mal wird ein ruhig im Stadtraum liegender Kubus von sanft bewegten Wellen durchzogen, die den gesamten Innenraum in ein Auditorium mit unscharfen Rändern verwandeln… mal wird der Innenraum von einer gebäudehohen, von oben belichteten Stirnwand beherrscht… mal wird er von durchbrochenen Blöcken, die die Frankfurter*innen an das Gebirgsmassiv des Museums für Moderne Kunst von Hans Hollein erinnern könnten, skulpturiert.

Ein Salon der Republik sollte individuell erkundet werden können. Wegeführung, Blickführung und Lichtführung eröffnen Optionen für individuelle Aneignungen. Mithilfe der Storyboards wurde überprüft, ob sich Übersichtlichkeit versus Überdecken, Sammeln versus Verteilen, Reihung versus Sequenzierung und konkav-einladende versus linear-vorwärtstreibende Raumbildungen in der Eingangshalle und den Wegräumen ausbalancieren.

DEUTSCHES ARCHITEKTURMUSEUM (DAM)
Schaumainkai 43
60596 Frankfurt am Main \ Germany
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BEGLEITPROGRAMM
Di, 22. Juni 2021, 19:00
Dialog im Museum #12: Die Salons der Republik
mit:
Prof. Holger Kleine,
Professor für Künstlerisch-Konzeptionelles Entwerfen,
Hochschule RheinMain
Prof. Dr. Nicole Deitelhoff,
Geschäftsführendes Vorstandsmitglied am Leibniz-Institut
Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung
Prof. Dr. Jeanette Hofmann,
Principal Investigator der Fachgruppe „Demokratie und Digitalisierung“ am Weizenbaum-Institut für die vernetzte Gesellschaft
Dr. Meron Mendel,
Direktor der Bildungsstätte Anne Frank
Mitglieder der Architekten- und Stadtplanerkammer Hessen (AKH)
können mit der Teilnahme zwei Fortbildungspunkte erwerben.

Di, 13. Juli 2021, 19:00
Straße, Internet, Salon — (k)ein Raum für Debatten?
Anmeldung zu allen Veranstaltungen unter
www.hs-rm.de/dialog-im-museum

Begleitband:
DIE SALONS DER REPUBLIK – RÄUME FÜR DEBATTEN
Herausgegeben von Holger Kleine Erschienen im Juni 2021 Broschur, 16,5 × 24 cm 176 Seiten, 100 farb. und s/w Abb. Deutsch ISBN 978-3-86859-708-0

Ausstellungen im DAM

  • DAM Preis 2021 – Die 25 besten Bauten in/aus Deutschland bis 27. Juni 2021
  • Einfach Grün – Greening the City bis 11. Juli 2021
  • Die Salons der Republik – Räume für Debatten 17. Juni bis 15. Juli 2021
  • Antike Radikal – Häuser und Kirchen von Heinz Bienefeld 26. Juni – 26. September 2021