Kategorie-Archiv: Share Reading

Shared Reading: Ab Mai mit 3. Gruppe im Literaturhaus Frankfurt

Foto: Diether v. Goddenthow
Foto: Diether v. Goddenthow

Shared Reading wurde in Liverpool entwickelt und ist eine neue Art, Literatur gemeinschaftlich zu erleben. Eine kleine Gruppe von Menschen kommt unter Anleitung eines ausgebildeten Facilitators (Moderators) zusammen. Sie lesen gemeinsam, laut und langsam einen vorher unbekannten Text oder hören einfach nur zu und beginnen, sich darüber auszutauschen: Es entsteht ein Raum für Begegnungen, neue Lesarten, spontane Gefühle, ausgelöst durch die Kraft der Literatur. Seit März gibt es dieses Angebot im Literaturhaus für zwei Gruppen – Gesundheit und Community. Erstere trifft sich in Zusammenarbeit mit dem Hospital zum Heiligen Geist. Die zweite Gruppe steht allen Interessierten offen. Sie trifft sich jeden Donnerstag um 17.00 Uhr. Ab 17.5. leitet Lisa Schumacher jeweils mittwochs (12 – 13.30 Uhr) eine dritte Gruppe. Bei Interesse melden Sie sich bitte unter schumacher@literaturhaus-frankfurt.de
Shared Reading im Literaturhaus Frankfurt wird gefördert von der Dr. Marschner Stiftung. In Kooperation mit Böhm & Sommerfeldt, Literarische Unternehmungen.

Shared Reading – Die beflügelnde Kraft gemeinsamen lauten Lesens – Frankfurter Literaturhaus u. Stadtbücherei starten erstes Projekt

Frankfurter Literaturhaus. Foto: Diether v. Goddenthow  © atelier-goddenthow
Frankfurter Literaturhaus. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow

Während die „Heilkraft von Sprache“ in der Biblio- und Poesietherapie seit langem erfolgreich eingesetzt wird, ist neu, dass auch gemeinsames lautes Lesen nachweislich bereits positive Effekte auf das persönliche Wohlbefinden, die Lebenszufriedenheit, die Affektbalance und die Kommunikationsfähigkeit haben kann. Kurz „Share Reading“ genannt, stammt „Teilendes Lesen“ ursprünglich aus Liverpool. Vor über 15 Jahren trafen sich Interessenten, um gemeinsam Texte zu hören und darüber zu sprechen. Sie spürten, dass diese Art des gemeinsamen Lesens etwas mit ihnen macht und entwickelten daraus Share Reading. Schließlich gründeten sie die Organisation „The Reader“, die Lesungs-Moderatoren (Facilitater) ausbildet und über 140 Mitarbeiter und noch mehr Freiwillige in ganz England in den vier Share-Reading-Bereichen „Community“, „Wirtschaft“, „Bildung“ und „Gesundheit“ erfolgreich einsetzt.

Die Lese-Revolution ist inzwischen in Deutschland angekommen. Zur Leipziger Buchmesse 2016 hatten die Literaturagenten Thomas Böhm und Carsten Sommerfeldt, die in Liverpool davon erfahren und sich zu Ficilitatern fortbilden ließen, das Konzept vorgestellt und in Berlin erfolgreich Share-Reading-Bibiliotheksgruppen gestartet. Nun wird Share Reading mit entsprechenden Partnern bundesweit etabliert werden, wobei das erste Projekt außerhalb Berlins jetzt in Frankfurt, im Frankfurter Literaturhaus und der Stadtbücherei, gestartet wird. Das Konzept wurde in diesen Tagen bei einem Pressegespräch vorgestellt:

v.li. Dr. med. Christiane Faust-Bettermann, Hospital zum Heiligen Geist, Benno Hennig von Lange,Programm-Assistenz und junges Literaturhaus, Facilitator; Hauke Hückstadt, Leiter des Literaturhauses Frankfurt; Dr. Dabine Homulius, Leiterin der Frankfurter Stadtbücherei; Sigrid Scherer, BHF-Stiftung Frankfurt; Carsten Sommerfeldt, Böhm & Sommerfeldt | Literarische Unternehmungen, Berlin. Foto: Diether v. Goddenthow  © atelier-goddenthow
v.li. Dr. med. Christiane Faust-Bettermann, Hospital zum Heiligen Geist, Benno Hennig von Lange,Programm-Assistenz und junges Literaturhaus, Facilitator; Hauke Hückstadt, Leiter des Literaturhauses Frankfurt; Dr. Dabine Homulius, Leiterin der Frankfurter Stadtbücherei; Sigrid Scherer, BHF-Stiftung Frankfurt; Carsten Sommerfeldt, Böhm & Sommerfeldt | Literarische Unternehmungen, Berlin. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow

Der Reiz des niedrigschwelligen Zugangs zur Literatur

Share Reading entspricht unserer „immerwährenden Forderung nach größtmöglicher Zugänglichkeit von Literatur. Das Literaturhaus macht Literatur erlebbar, und Share Reading macht Literatur auch erfahrbar. Und wir sind froh, dass wir in Zukunft diese neue, weitere Spielart in diesem Hause erlebbar machen können“, eröffnet Hauke Hückstadt, Leiter des Literaturhauses Frankfurt, das Pressegespräch. Share Reading sei das Beste, was (seit langem) „aus England zu uns gekommen ist.“, so Hückstadt.

Share Reading sei eine neue Form, Literatur erlebbar zu machen, unterstreicht Carsten Sommerfeldt die Ausführungen seines Vorredners. Dort, wo Alltagssprache vielleicht aufhöre, könnten sich die Teilnehmer literarischer, verdichteter Sprache bedienen, um Gedanken, Ideen, Assoziationen, die der Text auslöst, miteinander zu teilen, so Sommerfeldt.

Ablauf

Eine kleine Gruppe von bis zu 10, 12 Personen trifft sich unter Leitung eines Facilitators in einem geschützten Raum. Der Facilitator, ein speziell ausgebildeter Moderator,  bringt zur Session einen Prosa-Text mit, eine in sich abgeschlossene, vielleicht ein-, eineinhalb Seiten lange Geschichte, die  noch keiner kennt. Er  verteilt Text-Kopien und beginnt dann den Text langsam, laut vorzulesen. Anschließend leitet der Facilitator informell in ein offenes Gespräch über. Die Teilnehmer können über ihre Assoziationen, Bilder und Empfindungen miteinander sprechen. Niemand muss etwas sagen. Jeder darf auch bloß dem Austausch lauschen und gehört dennoch dazu. Es wird nichts von ihm verlangt. „Für uns ist es unglaublich inspirierend, motivierend und eine schöne beglückende Erfahrung,  wie schnell Menschen beginnen, sich über das, was sie in dem Text finden, austauschen zu wollen. Und wie wenig es bedarf,  um diese Menschen miteinander sprechen zu lassen“, freut sich Sommerfeldt.

In den letzten 15 bis 20 Minuten der 90minütigen Session  wird ein  – eventuell inhaltlich am vorherigen Prosa-Text orientiertes – Gedicht gelesen, wobei die Teilnehmer ganz nebenbei mögliche Berührungsängste zu Gedichten verlieren und einen neuen Zugang zur Lyrik finden können.

Share Reading ist  kein Lese-Zirkel

Share-Reading unterscheidet sich jedoch klar von einem Lese-Kreis, insbesondere dadurch, dass die Teilnehmer keine Buch-Lektüre im Vorfeld des Treffens lesen, keinen Titel kennen, um darüber kundig miteinander sprechen oder gezielt daraus vorlesen zu können. Vielmehr hören  Share-Reading-Teilnehmer einen ihnen völlig unbekannten Text zum ersten Mal gemeinsam mit anderen. Der Reiz des Unbekannten und der unvorhersehbaren Assoziationen der Teilnehmer außerhalb ihrer jeweiligen vertrauten üblichen Zugehörigkeit, sind ein zentrales Element, welches den Erfolg des Konzeptes von Share Reading ausmacht. „Das, was die anderen in dem Text finden, und das Achtsame, der Umgang miteinander, dass eine Gruppe von Menschen aufmerksam zuhört, wie sich Gedanken und Gefühle über diesen literarischen Text spontan entwickeln, das ist, glaube ich, das das Besondere an Share Reading!“ unterstreicht Carsten Sommerfeldt seine Begeisterung für dieses Projekt.

„Teilendes Lesen“ soll in Frankfurt – zunächst einmal für sechs Monate –  in drei Gruppen gestartet werden, wobei zwei davon, ähnlich wie in Berlin, im Bereich „Community“ angesiedelt sein werden. In England werde Share Reading seit Jahren auch in Kliniken und Altenheimen, in Gruppen Demenz- und Suchtkranker erfolgreich eingesetzt, erläutert Carsten Sommerfeldt. Share Reading fördere soziale Interaktion, das Gemeinschaftsgefühl und helfe außerdem beim Teambuilding sowie in der Arbeit mit Kindern, einsamen Menschen, Burnoutpatienten und psychisch Kranken, aber auch jedem, der keine dicken Bücher durcharbeiten und trotzdem Freude an Literatur haben möchte. Es ermögliche jedem, unabhängig seiner Bildung, seelischen Verfassung, sozialen Situation oder seines Alters Zugang zur Literatur, und hierüber zu Gemeinschaft.

Share Reading in der Stadtbücherei

„Am meisten begeistert hat mich, dass Bindung entsteht. Bindung zwischen  beispielsweise der Stadt Frankfurt und den Frankfurterinnen und Frankfurtern, aber auch Bindung derer, die dort teilnehmen, untereinander und aneinander, und zwar in dieser sehr konzentrierten und guten Atmosphäre“, erläutert Dr. Sabine Homulius, Leiterin der Stadtbücherei. Dies sei, „was für mich das Projekt ausmacht!“.

Das erste Shared-Reading-Projekt startet am 16. Februar jeweils um 10 Uhr  in der Stadtteilbibliothek Frankfurt-Bornheim, Augsburger Straße 24, und richtet sich an Interessierte über 60 Jahre. Diese treffen sich – zunächst bis Mai 2017 – dreimal monatlich in der Bibliothek und einmal in einem Wohnstift.
Informationen & Anmeldung: Svenja Stöhr, Telefon: 069 – 212 323 68, literarisches.miteinander@stadtbuecherei.frankfurt.de

Das Bornheimer Leseprojekt dient der Gesundheitsvorsorge im Alter. Kooperationspartner sind das Frankfurter Gesundheitsamt, die Dr. Marschner Stiftung  und die BHF-Bank-Stiftung. „Die BHF-Bank-Stiftung fördert seit vielen Jahren die Erforschung und Verbesserung der Lebensbedingungen von Menschen im Alter.“, begründet Sigrid Scherer das Interesse der BHF-Stiftung für Share Reading.

Share Reading im Literaturhaus Frankfurt

„Es ist eine einfache, aber ungeheuer erfolgreiche Methode“, bekräftigt Benno Hennig von Lange, vom Literaturhaus Frankfurt. Neben Lisa Schumacher,  ebenfalls vom Literaturhaus, und Svenja Stöhr, aus der Stadtbücherei, ist von Lange einer der bislang drei ausgebildeten Facilitatoren in Frankfurt. „Für uns schließt Share Reading eine Lücke in der Vermittlung von Literatur“, so von Lange. Das Literaturhaus sei nicht nur für abends. Die die Räume seien den ganzen Tag über da, um genutzt zu werden und man wolle so noch stärker die Energie, die in der Literatur stecke,  nutzen.

Das Literaturhaus Frankfurt, Schöne Aussicht 2, beginnt am 1. März 2017, jeweils mittwochs und donnerstags um 17 Uhr mit einer Community-Gruppe und einer Gesundheitsgruppe, gedacht für ehemalige oder Tagesklinik-Patienten der benachbarten psychosomatischen Klinik im Hospital zum Heiligen Geist.
Informationen und Anmeldung:Benno Hennig von Lange, Telefon 069 – 75 61 84 19 vonlange@literaturhaus-frankfurt.de

Share Reading in psychotherapeutischer Gesundheitsnachsorge

„Ich finde es wundervoll, unseren entlassenen Patienten, denen es besser geht, etwas außerhalb des Krankenhauses anbieten zu können“, freut sich Dr. med. Christiane Faust-Bettermann, Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie am Heilig-Geist-Hospital. Die Oberärztin, die erste Lesungs-Erfahrungen im Literaturhaus mit einer Gruppe aus der Tagesklinik sammeln konnte, schätzt ganz besonders den niedrigschwelligen Ansatz: „Man kam einfach zusammen, und es herrschte gleich so ein wertschätzendes Gemeinschaftsgefühl.“ Angst und Depressionen würden ja häufig auch mit einem gewissen Empathieverlust einhergehen. Patienten könnten mitunter nicht mehr richtig einschätzen, was andere denken und empfinden. Über einen literarischen Text könne das sehr schnell abgeglichen werden, etwa zu erkennen, was andere empfinden, und ob das mit der eigenen Annahme übereinstimmt oder abweicht. Share Reading wäre ein Empathie-Training, so Dr. med. Christiane Fraust-Bettermann. Sie wünschte sich, dass diese Zusammenkünfte in der Rekonvaleszenz einer Depression oder einer Angsterkrankung Patienten hülfen, sich besser zu fühlen, und vielleicht auch das erhalten könnten, was in der Therapie Gutes passiert ist. Vielleicht könne Shared Reading vorbeugen, dass Patienten ganz und gar keinen Rückfall ihrer Erkrankung mehr erlitten.
Mitunter können solche einfachen Projekte schon helfen, Menschen zeitweise aus ihrer Einsamkeit zu holen und auf andere Gedanken zu bringen.

Diether v. Goddenthow (Rhein-Main.Eurokunst)

Weitere Informationen:

Share Reading im Literaturhaus Frankfurt
Stadtteilbibliothek Bornheim
Share Reading Berlin – Literarische Unternehmungen

 

Was ist ein Facilitator?
Ein Facilitator ist ein Prozessbegleiter, der in Unternehmen, Organisationen und mit Einzelpersonen Veränderungen initiiert, begleitet, unterstützt und fördert.Weitere Informationen: http://school-of-facilitating.de/was