Kategorie-Archiv: Preis für Bürgermut Wiesbaden

Wahre Helden geehrt mit dem Preis für Bürgermut u. Ludwig Beck-Preis für Zivilcourage der Landeshauptstadt Wiesbaden 2019

Den mit 10.000 Euro dotierte Ludwig-Beck-Preis für Zivilcourage, verliehen Stadtverordnetenvorsteherin Christa Gabriel (links) und Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende (rechts) am 22. August 2019 an Anthony Sadler, Aleksander Skarlatos und Spencer Stone für ihren heldenhaften Einsatz zur Überwältigung eines islamistischen Attentäters während eines Terroranschlags in einem Thalys-Schnellzug. ©  Foto: Diether  v Goddenthow
Den mit 10.000 Euro dotierten Ludwig-Beck-Preis für Zivilcourage verliehen Stadtverordnetenvorsteherin Christa Gabriel (links) und Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende (rechts) am 22. August 2019 an Anthony Sadler, Aleksander Skarlatos und Spencer Stone für ihren heldenhaften Einsatz zur Überwältigung eines islamistischen Attentäters während eines Terroranschlags in einem Thalys-Schnellzug. © Foto: Diether v Goddenthow

Am 22. August 2019 verliehen Stadtverordnetenvorsteherin Christa Gabriel und Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende im Festsaal des Rathauses den Wiesbadener Preis für Bürgermut 2019 sowie den Ludwig-Beck-Preis für Zivilcourage an vier junge Männer, die ihr Leben für andere riskierten. Der mit 2.500 Euro dotierte Preis für Bürgermut 2019 ging an Schahabedin Azodifar für sein lebensrettendes Einschreiten gegen einen psychisch kranken Messerstecher in Wiesbaden. Den mit 10.000 Euro dotierten Ludwig-Beck-Preis für Zivilcourage erhielten Anthony Sadler, Aleksander Skarlatos und Spencer Stone für ihre mutige Vereitlung eines Terrormassakers im Thalys-Schnellzug von Amsterdam nach Paris 2015. Laudator für den Preisträger des Preises für Bürgermut war Polizeipräsident Stefan Müller. Elmar Theveßen, Leiter des ZDF-Studios in Washington, hielt die Laudatio auf die Preisträger des Ludwig-Beck-Preises für Zivilcourage.

Gert-Uwe Mende – mit Taperkeit über staatsbürgerlichen Mut hinaus

Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende ©  Foto:  v Goddenthow
Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende © Foto: v Goddenthow

Bei den diesjährigen Preisträgern müsse der Begriff der Zivilcourage über die Bedeutung von „staatsbürgerlichem Mut“ hinaus noch weiter gefasst werden. Denn bei Schahabedin Azodifar und den drei US-Amerikanern, Anthony Sadler, Aleksander Skarlatos und Spencer Stone, stehe das „Attribut ‘Tapferkeit‘ ganz oben, wenn es um die Beurteilung dessen gehe, was sie geleistet haben“, unterstrich Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende in seiner einführenden Begrüßungsrede: „Es geht heute Abend um Menschen, die sich trotz Gefahr für Leib und Leben selbstlos für andere eingesetzt haben. Für beide Preise hat das Auswahlgremium Menschen ausgewählt, die durch ihren persönlichen Einsatz eine Straftat vereitelt oder zumindest die Folgen deutlich gemildert haben“, sagt der Oberbürgermeister. Er begrüßte neben den Laudationes, Polizeipräsident Stefan Müller und Leiter des ZDF-Studios in Washington Elmar Theveßen, zahlreiche Ehrengäste. Unter ihnen waren die Generalkonsulin der Vereinigten Staaten von Amerika Patricia Lacina, der stellvertretender Kommandeur der US Army Garrison Wiesbaden, Gregory Burke, der Command Sergeant Major Christopher Truchon sowie die beiden Großnichten von Widerstandskämpfer Ludwig Beck, Marianne Tobeck und Gabriele Schreiner-Hammes.

„Männer-WG der Diltheyschule“ unter Leitung von Tilman Jerrentrup sorgten im Comedian Harmonists-Stil für die richtige Stimmung im Festsaal des Wiesbadener Rathauses. ©  Foto: Diether  v Goddenthow
„Männer-WG der Diltheyschule“ unter Leitung von Tilman Jerrentrup sorgten im Comedian Harmonists-Stil für die richtige Stimmung im Festsaal des Wiesbadener Rathauses. © Foto: Diether v Goddenthow

Für einen wunderbaren und bewusst heiter gehaltenen musikalischen Rahmen sorgte die weit über Wiesbadens Grenzen hinaus bekannte Gruppe „Männer-WG der Diltheyschule“ unter Leitung von Tilman Jerrentrup mit Schlager-Songs im Comedian Harmonists-Stil á la „ Schöne Isabella von Kastilien“ oder „Bei mir bist schön“. Ludwig Beck hatte einst in der Diltheyschule Abitur gemacht- Diese Verbindung ließe es mehr als naheliegend erscheinen, so Mende, dass die Dilthey-Schule auch mit dem Ludwig-Beck-Preis thematisch verbunden sei. Neben einem von Anfang an stattfindenden Austausch mit dem Auswahlgremium habe sich auch diesmal Ulrich Guse, Lehrer an der Dilthey-Schule, mit Oberstufenschülern auf die Preisträger vorbereitet, hob der Oberbürgermeister hervor.

Die Nachfahren der Widerstandskämpfer rund um Ludwig Beck sind heute noch eng miteinander verbunden (vli.) Dieprand von Schlabrendorff, Rechtsanwalt u. Notar,  Sohn des Widerstandskämpfers Fabian von Schlabrendorff, Marianne Tobeck Großnichte von Ludwig Beck und Professor Dr. Friedrich-Wilhelm von Hase, Archäologe, Sohn des Widerstandskämpfers   Generalmajor Karl Paul Immanuel von Hase, der in Plötzensee auf ausdrücklichen Befehl Hitlers durch Hängen hingerichtet   ©  Foto: Diether  v Goddenthow
Die Nachfahren der Widerstandskämpfer rund um Ludwig Beck sind heute noch eng miteinander verbunden (vli.) Dieprand von Schlabrendorff, Rechtsanwalt u. Notar, Sohn des Widerstandskämpfers Fabian von Schlabrendorff, Marianne Tobeck Großnichte von Ludwig Beck und Professor Dr. Friedrich-Wilhelm von Hase, Archäologe, Sohn des Widerstandskämpfers Generalmajor Karl Paul Immanuel von Hase, der in Plötzensee auf ausdrücklichen Befehl Hitlers durch Hängen hingerichtet wurde. © Foto: Diether v Goddenthow

Der „Ludwig-Beck-Preis für Zivilcourage“ trage den Namen des in Wiesbaden-Biebrich geborenen Widerstandskämpfers Generaloberst Ludwig Beck. „In seiner Berliner Wohnung liefen die Fäden für das Attentat auf Hitler zusammen, obwohl er wusste, dass er permanent von der Gestapo observiert wurde. Für den geplanten Staatsstreich nach dem missglückten Attentat auf Hitler war Beck als Staatsoberhaupt vorgesehen und er versuchte bereits im Widerstand, Kontakt mit der englischen Regierung aufzubauen, um günstige Bedingungen für eine Kapitulation Deutschlands auszuhandeln. Wie zahlreiche weitere Widerstandskämpfer bezahlte er sein couragiertes Verhalten mit seinem Leben. Aus diesem Grund gilt er auch heute noch als hervorragendes Beispiel für Zivilcourage, nicht nur bei uns in Wiesbaden“, sagte der Oberbürgermeister.

Christa Gabriel – Vorbilder gegen eine Kultur des Wegsehens

Stadtverordnetenvorsteherin Christa Gabriel. ©  Foto: Diether  v Goddenthow
Stadtverordnetenvorsteherin Christa Gabriel. © Foto: Diether v Goddenthow

Wer für aktive Zivilcourage eintrete, so Christa Gabriel , verkörpere Werte, die für eine stabile Gesellschaft unverzichtbar seien. „Denn eine Gesellschaft lebt nicht von Egoisten, sondern von Menschen, die sich mit anderen verbunden fühlen. Wer Zivilcourage und Bürgermut zeigt, der tut nicht nur Gutes, sondern der leistet Großes“, sagte die Stadtverordnetenvorsteherin und fügte hinzu, dass es solche Vorbilder gerade heutzutage brauchte, den denen entgegentreten, die  „die aggressiv gegen andere vorgehen, nur weil die ihnen fremd erscheinen, weil sie eine andere Kultur, oder einer anderen Religion angehören oder weil sie eine andere Hautfarbe haben.“
Zivilcourage und Bürgermut seien gelebter Gemeinsinn, und man freue sich, „ dass es immer wieder Vorbilder gibt, die andere dazu anregen, es ihnen gleichzutun.“ Diese Menschen zeigten, „dass es durchaus möglich ist, dort zu helfen, wo andere weg schauen.“, sagte Gabriel und unterstrich, dass die Preisträger mit ihrem Engagement ein“ ganz deutlich sichtbares Zeichen gegen die weit verbreitete Unkultur des Wegsehens, des Weghörens und des fehlenden Interesses für den Nächsten“ gesetzt hätten.

Preis für Bürgermut – Laudatio Stefan Müller

Polizeipräsident Stefan Müller. ©  Foto:   v Goddenthow
Polizeipräsident Stefan Müller. © Foto: v Goddenthow

Polizeipräsident Stefan Müller dankte Schahabedin Azodifar für sein beherztes aktives Eingreifen, und dass er eben nicht weggeschaut habe. „Sie haben das mit vorbildlichem Mut getan, mit Bürgermut. Aus diesem Grund freue ich mich außerordentlich, dass Ihnen der Preis für Bürgermut der Landeshauptstadt verliehen wird“. Zuvor hatte der Polizeipräsident den Fall, der auch vor dem Landgericht Wiesbaden verhandelt wurde, kurz aus polizeilicher Sicht nachgezeichnet: So hatte die später Gerettete, eine junge Wiesbadenerin, am 9. Juni 2019 ihre Wohnung verlassen, um ihren Freund zu besuchen. Auf dem Weg zum Auto telefonierte sie mit ihrem Partner. Es sei eine völlig belanglose Situation gewesen, wie sie hundertfach in Wiesbaden vorkäme, jeden Tag, jeden Morgen, jeden Abend. Doch die Situation sollte, so der Polizeipräsident, in der nächsten Sekunde eine dramatische Wende nehmen: „Die junge Frau war im Telefonat vertieft, als aus dem Nichts ein fremder Mann vor ihr auftauchte, und sie anstarrte. Plötzlich zog der Mann ein Messer aus der Hosentasche und stach mit diesem ruckartig in Richtung des Halses des Opfers, ohne Grund, ohne Vorwarnung, ohne einen Streit, ohne einen Anlass“. Als Motiv für seine Tat  habe der Täter bei seiner späteren psychiatrischen Begutachtung angegeben, dass er einen Mord begehen wollte, eine Frau töten wollte. Der Täter hatte einfach so zugestochen, ohne einen für die Frau ersichtlichen Grund, ohne Vorwarnung, ohne einen Streit, ohne einen Anlass, so der Polizeipräsident.

Geistesgegenwärtig habe die junge Frau eine Körperbewegung nach hinten gemacht, so dass sie „glücklicherweise“ nur leicht am Hals getroffen wurde und schreiend wegrennen konnte. Aus einiger Entfernung habe Schahabedin Azodifar, der heutige Preisträger diese Situation zwar vage wahrgenommen, aber im ersten Moment eher an einen Streit zwischen einem Pärchen gedacht, da er das Messer nicht gesehen hatte. „Doch augenblicklich änderte sich sein Blick auf die Szenerie als die Frau schrie ‘Mein Gott, der hat ein Messer!‘, berichtete der Polizeipräsident, und stellte die Frage in den Raum: „Wie reagiert man in einer solchen Situation als ein Unbeteiligter? Sie alle dürfen sich diese Frage stellen, und sich beantworten. Wegschauen? Wegrennen? Sich in Sicherheit bringen? Die Polizei anrufen?“ Es gäbe viele Optionen, so Müller, aber „unserer Preisträger hatte keine Zeit, zu überlegen oder gar, abzuwägen. Für ihn gab es keine ‚Was-wäre wenn-Frage?‘“ Azodifar ging sofort in Richtung zur verängstigten Frau. „Ich wollte der Frau das Gefühl geben: Ich bin jetzt da, beruhigen sie sich bitte!“, zitierte Müller aus dem Wiesbadener Kurier und konstatierte: „Was für ein bemerkenswerter Satz! ‚Ich bin jetzt da! Beruhigen Sie sich bitte!‘“

„Leider hielt das beruhigende Gefühl nicht lange an“, so der Polizeipräsident weiter. „Denn der Täter, welcher kurzzeitig verschwunden war, tauchte plötzlich wieder auf und ging entschlossen mit dem Messer ein zweites Mal auf die verängstigte Frau zu. Eine ganz schwierige Situation. Ich weiß das von meinen eigenen Kollegen: Eine höchst respektvolle Situation, wenn Sie einem Messerangreifer gegenüberstehen!“, so Müller, denn unterhalb von drei Metern habe man kaum noch eine Chance, sich gegen gravierende Verletzungen ausreichend zu schützen.

Den mit 2.500 Euro dotierte Preis für Bürgermut 2019 erhielt Schahabedin Azodifar für sein mutiges Einschreiten bei einem Überfall in Wiesbaden. Hier mit Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende und Stadtverordnetenvorsteherin Christa Gabriel. ©  Foto: Diether  v Goddenthow
Den mit 2.500 Euro dotierte Preis für Bürgermut 2019 erhielt Schahabedin Azodifar für sein mutiges Einschreiten bei einem Überfall in Wiesbaden. Hier mit Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende und Stadtverordnetenvorsteherin Christa Gabriel. © Foto: Diether v Goddenthow

Doch der „Mann, den wir heute auszeichnen, zögerte abermals keine Sekunde, stellte sich schützend vor die Frau und schickte sie sogar auf die andere Straßenseite. Das Signal an den Angreifer war eindeutig“. Die angegriffene Frau habe das Handeln „ihres Beschützers“, wie sie ihn später nannte, so Müller, als „wilde Entschlossenheit!“ bezeichnet. Diese Entschlossenheit habe wohl auch auf den Täter derart gewirkt, dass dieser seinen Angriff beendete und  flüchtete, so Müller, in dessen Brust allerdings zwei Seelen schlügen: Die des Polizeipräsidenten, „dessen Mitarbeiter das ganze Jahr Präventionskurse, auch in der Stadt, machen und vielen Bürgern und Bürgerinnen nahebringen, dass man sich bestenfalls nicht selbst in Gefahr bringen sollte, auch wenn man Menschen genau vor einer solchen Gefahr schützen möchte.“ „Und auf der anderen Seite meines Herzens“, so der Mensch Stefan Müller, „ bin ich zutiefst beeindruckt:‘ Mensch, das hat der Klasse gemacht!‘ Ein Lebensretter mit Bürgermut! Und da muss man den Hut ziehen!“ Das tat der  Polizeipräsident einmal mehr mit den Worten: „Lieber Herr Azodifar, Sie haben mit ihrem entschlossenen Handeln eine junge Frau vor dem Schlimmsten bewahrt und ohne den geringsten Zweifel an ihrer Entschlossenheit zuzulassen, sich einem Angreifer in den Weg gestellt. Wie sagte noch die Frau: ‚Er war wild entschlossen!'“

 

Ludwig-Beck-Preis für Zivilcourage –  Laudatio Elmar Theveßen 

Laudator Elmar Theveßen, Leiter des ZDF-Studios in Washington. ©  Foto: Diether  v Goddenthow
Laudator Elmar Theveßen, Leiter des ZDF-Studios in Washington. © Foto: Diether v Goddenthow

Elma Theveßen begann mit einem Dank dafür, „dass ich heute hier sein darf, um mich mit Ihnen gemeinsam für etwas zu bedanken, was wir in unserer heutigen Zeit viel häufiger gebrauchen könnten: Mut, Anstand und Mitmenschlichkeit.“ Er käme, so Theveßen, „gerade aus dem Land, in dem der Begriff Held – Hero – besonders gern, ja geradezu inflationär benutzt wird: Sportheroes, Musikheroes, Showheroes, Politheroes – Helden allerorten, in den allermeisten Fällen haben sich die Genannten auch Verdienste erworben, in vielen Fällen sind sie Vorbilder im besten Sinne, aber nicht gerade selten halten sich auch manche nur selbst für Helden – das soll insbesondere in der Politik ab und an vorkommen“, kritisierte der ZDF-Auslandsstudioleiter „all das Heldengetümmel“, in dem wir schnell den Blick dafür verlieren könnten, „was denn wirklich WAHRE Helden sind“.

Drei WAHRE Helden seien heute unter uns: die beiden amerikanischen US-Soldaten Spencer Stone und Alek Skarlatos, die mit ihrem Freund Anthony Sadler auf ihrer Europatour am 21. August 2015, spätnachmittags, 17.45 Uhr, im Thalys-Zug von Amsterdam nach Paris saßen, als „ein islamistischer Terrorist, der angesichts seiner feigen, menschenverachtenden Tat eine namentliche Erwähnung nicht verdient, mit einer AKM-Kalaschnikow, einer Pistole, einem Messer und einer Flasche Benzin möglichst viele Menschen töten“ wollte. Das Leben von 550 Passagieren an Bord habe auf dem Spiel gestanden, so Theveßen weiter. Da habe der junge amerikanische Soldat Alek Skarlatos „Get him“ – „Ergreift ihn!“ gerufen, und die damals 23 und 22 Jahre alten Freunde stürzen los und überwältigen den 25-jährigen Täter. „Spencer Stone wird dabei durch Messerstiche und -schnitte verletzt. Hätte das Gewehr des Terroristen keine Ladehemmung gehabt, es wäre wohl viel schlimmer ausgegangen.“,  gab der Laudator zu bedenken.

Diese drei Helden, so Theveßen, stünden in einer Reihe mit dem französischen Polizisten Ahmed Merabet, 42-jähriger Sohn algerischer Einwanderer, „der sich im Januar 2015 den Terroristen bei ihrem Anschlag auf die Mitarbeiter des Satiremagazins „‘Charlie Hebdo‘ entgegen stellte“ und erschossen wurde. Sie stünden in einer Reihe mit den Helden, „die am 11. September 2001 beim United Airlines Flug 93 den Sturm auf das Cockpit wagten, um den Terroristen ihre Waffe, das Flugzeug, zu entreißen, wohl wissend, dass sie dennoch sterben würden. Das Flugzeug stürzte in ein Feld bei Shanksville in Pennsylvania.“, so der Laudator, der noch eine Vielzahl weiterer Heldentaten aufzählte, in dessen Reihe nun die heute drei Ausgezeichneten stünden.

Das Schrecklichste daran sei aber, so Theveßen, dass der Bedarf an wahren Helden offenbar schnell wachse. „Schießereien, Mordanschläge, Terrorattacken – unsere Welt ist so angefüllt mit Hass, dass fast täglich Menschen sterben“. Der Terror an sich mache „keinen Unterschied was Religion, ethnische Herkunft oder politische Überzeugungen angeht – die Täter stammen aus allen Strömungen, die Opfer haben unterschiedlichste Hintergründe, die Helden übrigens auch“ – alle Altersgruppen, alle Geschlechter, alle Ethnien und Glaubensrichtungen seien vertreten. Ihre Gemeinsamkeit sei, dass sich keiner danach dränge, „ein Held zu sein, aber als die Umstände es erfordern, ist ihnen das Leben anderer Menschen wichtiger als ihr eigenes.“

Was befähigt Menschen zu selbstlosem Heldenmut?

Welche Grundlagen Menschen nun befähigten, in Ausnahmesituationen zu solchen Helden zu werden, könne nicht generell gesagt werden. Die drei heute Geehrten, seien Freunde aus jener Zeit, da sie noch Schüler an der Freedom Christian School in Fair Oaks, Kalifornien waren. Wer sich die Ziele dieser Schule genauer anschaue, entdecke wertvolle Anhaltspunkte:

„Die Schüler sollen sich als Teil einer lokalen und globalen Gemeinschaft verstehen. Das erfordere Wissen über und Wertschätzung für den Beitrag verschiedener Kulturen. Zu den vermittelten Werten gehören der Respekt für alle Menschen, unabhängig von ihrer Kultur und ihrem sozioökonomischen Stand, und die persönliche Verantwortung für das Wohlergehen anderer. Nun, ich bin sicher, die drei haben in ihrer Schulzeit damals – genau wie ich an meinem bischöflichen Gymnasium am Niederrhein – auch den ein oder anderen Blödsinn angestellt, aber genauso sicher bin ich, dass vieles von damals hängengeblieben ist, eine wichtige Rolle spielt in ihrem privaten und ihrem beruflichen Leben.“, so der Laudator und fragte: „Was, wenn es bei viel mehr Menschen ähnlich wäre wie bei ihnen, wenn wir uns wieder mehr besinnen auf Werte wie Respekt, Anstand, Mut und Mitmenschlichkeit? Bräuchten wir dann nicht weniger wahre Helden, die ihr Leben aufs Spiel setzen?“

Menschenverächter und Feiglinge

Islamisten, wie der Terrorist im Thalys-Zug, seien Menschenfeinde. Sie sprächen denen, die anders denken, ja anders seien, die einen anderen Glauben häben oder einer anderen politischen Überzeugung anhingen, die Legitimation ab. „Genau dasselbe machen auch Links- und Rechtsextremisten, und leider auch nicht wenige Rechtspopulisten. Politische Gegner werden als Feinde gesehen, Kritiker als Volksverräter gebrandmarkt, Journalisten als Lügner geschmäht, obwohl die eigentlichen Lügen doch von den Extremisten und Populisten verbreitet werden. Verbal treiben derzeit vor allem rechte Anführer Keile in die Gesellschaften Europa. Wenn sie beschwören „Wir wollen unsere Kultur behalten, wir wollen unser Land behalten“, Mitbürger als „Kümmeltürken“ und „Kameltreiber“ beschimpfen, „Kopftuchmädchen“ mit „Taugenichtsen“ gleichsetzen und „Afrikanern“ in völkisch-rassistischer Manier genetische Eigenschaften von Insekten oder Mikroorganismen zuordnen, dann beginnt so die Entwertung aller, die angeblich anders sind“, mahnte der Laudator.

Wie die Terroristen von Pittsburgh und Poway, die Juden ermordeten, wie der Attentäter von Christchurch, der 50 Muslime erschoss, wie der Schütze von El Paso, der Männer, Frauen und Kinder hispanischer Herkunft ausmerzen wollte, wie die islamistischen Mörder, die in London, Paris, Berlin, Barcelona und an vielen anderen Orten hunderte von Menschen töteten, sei auch der Terrorist, der Angreifer im Thalys-Zug „ein Menschenverächter und Feigling“ gewesen, der Gottseidank gestoppt wurde von mutigen Menschen wie Anthony, Alek und Spencer, so Theveßen. .

Aufstehen für Respekt, Anstand und Mitmenschlichkeit

Warum warteten wir „bis zu dem Punkt, an dem nur Menschen unter Einsatz ihres Lebens noch schlimmeres verhindern können“, statt all jenen entschlossen entgegen zu treten,“ die den fruchtbaren Boden bereiten für schreckliche Terrortaten“? Wo seien die Helden, die ohne ihr Leben riskieren zu müssen, „nur aufstehen müssten für Respekt, Anstand und Mitmenschlichkeit?“ „Menschenwürde, Religions- und Meinungsfreiheit, Solidarität und Rechtsstaatlichkeit – die Gemeinsamkeit dieser Werte war die Lehre aus der Katastrophe des Zweiten Weltkriegs. Das ist kein romantischer Firlefanz, das sind existenzielle und rechtsverbindliche Verpflichtungen“, unterstrich Theveßen und zitierte den damalige US-Präsident Barack Obama aus dessen Appell an die Europäer vom Frühjahr 2016 während der Hannovermesse, sich stärker ihrer Rolle als Wahrer der Menschenrecht bewusst zu werden:

„Ich sage Ihnen, dem Volk von Europa: Vergessen Sie nicht, wer Sie sind! Sie sind die Erben des Ringens um Freiheit. Sie sind die Deutschen, Franzosen, Niederländer, Belgier, Luxemburger, Italiener und, ja, auch die Briten, die sich über alte Trennlinien erhoben und Europa auf den Weg der Einheit gebracht haben. Sie sind die Polen der Solidarność, die Tschechen und Slowaken, die eine Samtene Revolution wagten. Sie sind die Letten, Litauer und Esten, die ihre Hände für die große Menschenkette der Freiheit gereicht haben. Sie sind die Ungarn und Österreicher, die einst den Grenzzaun aus Stacheldraht durchschnitten. Und Sie sind die Berliner, die in jener Novembernacht endlich die Mauer niedergerissen haben. Sie sind die Menschen von Madrid und London, die sich angesichts der Bombenanschläge weigerten, sich der Angst zu ergeben. Und Sie sind die Pariser, die das Bataclan wiedereröffnen. Ihr seid die Menschen von Brüssel mit ihrem Platz voller Blumen und Flaggen, zwischen denen ein Belgier eine Botschaft hinterließ: ‚Wir brauchen mehr. Mehr Verständigung. Mehr Dialog. Mehr Menschlichkeit.‘ Genau das sind Sie. Vereint, zusammen. Sie sind Europa – geeint in der Vielfalt, geleitet von den Idealen, die die Welt erleuchten, und stärker, wenn Sie geeint zusammenstehen.“ (Barack Obama zit.n. Elmar Theveßen, Rede vom 22.08.2019)

Viele seien in diesem Saal, so Theveßen, „die dazu beigetragen haben, dass aus den Trümmern des Krieges, Frieden, Freiheit, Stabilität, Wohlstand, Sicherheit, Menschenwürde erstanden sind. Was für eine Leistung! Stolz und Mut sollten unsere Haltung sein, nicht Angst und Verzagtheit!“, so der Laudator, der mit den Worten schloss:„Nicht jeder wird bereit sein, soweit zu gehen wie Sie, lieber Herr Stone, lieber Herr Skarlatos und lieber Herr Sadler, wahre Helden mit ihrer mutigen Tat an jenem 21. August 2015. Vielen Dank dafür! Aber jeder kann dennoch ein Stück beitragen im Kampf gegen Krieg, gegen Terror und gegen einen drohenden Rückfall in die düsterste Zeit unserer Geschichte.“

(Mit freundlicher Genehmigung: Ausschnitte aus den Reden von Gert-Uwe Mendig, Christa Gabriel, Stefan Müller und Elmar Theveßen vom 22.8.2019– Dokumentation: Diether v. Goddenthow /Rhein-Main.Eurokunst)