Kategorie-Archiv: Museum Wiesbaden

Der Garten der Avantgarde – Grandiose Ausstellung der Sammlung Kirchhoff eröffnet – Wiesbaden ein Zentrum der Klassischen Moderne

Max Slevogt (1866 - 1932). Landschaft mit Dorf und Bergen (Pfalzlandschaft), 1913, Öl auf Leinwand. Foto: Diether v. Goddenthow
Max Slevogt (1866 – 1932). Landschaft mit Dorf und Bergen (Pfalzlandschaft), 1913, Öl auf Leinwand. Foto: Diether v. Goddenthow

Unter großem  Besucherandrang  eröffnete gestern Abend Kunst- und Kulturminister Boris Rhein im Museum Wiesbaden die Ausstellung  „Der Garten der Avantgarde Heinrich Kirchhoff: Ein Sammler von Jawlensky, Klee, Nolde…“, die noch bis zum 25. Februar 2018 zu sehen ist

Genau vor 100 Jahren, im Jahr 1917 zeigte der bedeutende Kunstsammler und Mäzen Heinrich Kirchhoff zum ersten Mal seine Sammlung mit Werken des Impressionismus, Expressionismus bis zur Abstraktion im Museum Wiesbaden.

Arnold Hensler (1891 - 1935). Porträtkopf Heinrich Kirchhoff um 1918/19. (Terrakotta). Museum Wiesbaden.Foto: Diether v. Goddenthow
Arnold Hensler (1891 – 1935). Porträtkopf Heinrich Kirchhoff um 1918/19. (Terrakotta). Museum Wiesbaden.Foto: Diether v. Goddenthow

Heinrich Kirchhoff (1874–1934) ließ sich Anfang des 20. Jahrhunderts in Wiesbaden nieder, um sich seinen Leidenschaften Kunst und Natur zu widmen. Innerhalb weniger Jahre stellte er eine hochwertige Sammlung mit Werken des Jugendstils, des Impressionismus und später des Expressionismus zusammen, darunter Werke von Künstlern wie Alexej von Jawlensky, Paul Klee, Emil Nolde und Franz Marc. Kirchhoff wollte seine Sammlungen für alle Bürger öffnen und die Kurstadt zu einem Zentrum der künstlerischen Moderne werden lassen. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 galten die Werke seiner Sammlung als „Entartete Kunst“ und wurden aus dem Museum Wiesbaden, in dem sie zuvor ausgestellt worden waren, entfernt (mehr …)

Kunst- und Kulturminister Boris Rhein. Foto: Diether v. Goddenthow
Kunst- und Kulturminister Boris Rhein. Foto: Diether v. Goddenthow

Kunst- und Kulturminister Boris Rhein: „Mit ,Der Garten der Avantgarde‘ ist dem Museum Wiesbaden eine spannende Ausstellung gelungen, die Heinrich Kirchhoff einen angemessenen Raum widmet. Besonders freut mich, dass die Kuratoren bei diesem Projekt in enger Kooperation mit der Zentralen Stelle für Provenienzforschung in Hessen und der universitären Forschung zusammengearbeitet haben. Ich wünsche den Besucherinnen und Besuchern einen interessanten Einblick in die Welt eines bemerkenswerten Kunstliebhabers.“

Großer Andrang herrschte nicht nur im völlig überfüllten Vortragssaal, sondern im gesamten Museum. Heinrich Kirchhoff, hätte sicherlich seine Freude gehabt. Foto: Diether v. Goddenthow
Großer Andrang herrschte nicht nur im völlig überfüllten Vortragssaal, sondern im gesamten Museum. Heinrich Kirchhoff hätte sicherlich seine wahre Freude daran gehabt. Foto: Diether v. Goddenthow

 

Ein Rundgang durch die Ausstellung; Der Garten der Avantgarde Heinrich Kirchhoff: Ein Sammler von Jawlensky, Klee, Nolde…
Impression der Ausstellung „Der Garten der Avantgarde. Heinrich Kirchhoff: Ein Sammler von Jawlensky, Klee, Nolde …“ Raum 10 mit Arbeiten von Marc Chagall, Emil Nolde, Lehmbruck u. vielen weiteren Expressionisten. Foto: Diether v. Goddenthow
Impression der Ausstellung „Der Garten der Avantgarde. Heinrich Kirchhoff: Ein Sammler von Jawlensky, Klee, Nolde …“ Raum 10 mit Arbeiten von Marc Chagall, Emil Nolde, Lehmbruck u. vielen weiteren Expressionisten. Foto: Diether v. Goddenthow

Der Garten der Avantgarde – Kunst und Natur
Kirchhoffs „Garten der Avantgarde“ eröffnet den Ausstellungsrundgang im historischen Oktogon der Gemäldegalerie. Umfangen von den floralen Fresken im Deckengewölbe, die seinerzeit der Wiesbadener Künstler und Ausstellungsleiter Hans Völcker anfertigte, ist der Raum dem Geist Kirchhoffs und seiner Leidenschaft für die Zusammenführung von Kunst und Natur gewidmet.

Impressionen des einstigen Gartenparadies.
Impressionen des einstigen Gartenparadies.

In einer von Erstem Weltkrieg und Inflation krisenerschütterten Zeit bot das paradiesisch anmutende Idyll in der Wiesbadener Beethovenstraße 10 vielen Künstlern einen Zufluchtsort, der ihre Sehnsucht weckte. Er zog sie magisch an und diente ihnen rund 20 Jahre bis ca. 1933 als Quelle der Inspiration. Hier fanden sich neben Kakteen, Palmgewächsen, Wasserpflanzen, Farnen oder Stauden auch Blütenmeere, Rosenbüsche und verschiedenste Obstbäume. Versteckt waren zwei Vogelvolieren untergebracht, ein künstlich angelegter Flusslauf führte über einen Wasserfall in eine Grotte und kleinere Sitzgruppen luden in Nischen zum Verweilen ein. Im Gästebuch der Familie trugen sich schon bald namhafte Besucher aus allen Regionen Deutschlands ein. So entstanden mitunter auch kleine Künstlerzeichnungen, die bei einem Besuch – etwa von Conrad Felixmüller oder Paul Klee – hinterlassen wurden.

Aufbruch Impressionismus

Max Liebermann (1847 - 1935) Die Tochter des Künstlers am Strand/ Damenbildnis in Weiß. Öl auf Holz. Privatsammlung, Paris. Foto: Diether v. Goddenthow
Max Liebermann (1847 – 1935) Die Tochter des Künstlers am Strand/ Damenbildnis in Weiß. Öl auf Holz. Privatsammlung, Paris. Foto: Diether v. Goddenthow

Der Grundstein der Kunstsammlung Kirchhoffs wurde vornehmlich durch Gemälde des deutschen Impressionismus gelegt. Mit einem bemerkenswerten Gespür für Qualität erstand der Wiesbadener Sammler Hauptwerke des Triumvirats des deutschen Impressionismus: Max Liebermann, Lovis Corinth und Max Slevogt. Die neuartige Freilichtmalerei, die sich dem Malen vor der Natur verschrieben hatte und an den aus Frankreich kommenden Maleinflüssen orientierte, gehörte noch Anfang des 20. Jahrhunderts zu der vom Kaiser wenig geschätzten Avantgarde. Die Künstler wurden hingegen beim aufstrebenden Großbürgertum äußerst populär und erfreuten sich großer Nachfrage. 1918 gab Kirchhoff bei Liebermann, seinerzeit der gefragteste Porträtmaler, sein Bildnis in Auftrag. Im Umkreis der großen Meister erhielten zahlreiche weitere Künstler, deren Werke unter dem Einfluss des Impressionismus entstanden, die Beachtung des Sammlers. Hierzu gehörten unter anderem Wilhelm Trübner, Julius Hess, Oskar Moll oder der junge Max Beckmann. Kirchhoff berücksichtigte aber nicht nur die zeitgenössischen Strömungen in der deutschen Kunst, sondern widmete sich auch den unterschiedlichen angewandten Techniken.

Roman Zieglgänsberger, Kurator der Ausstellung und Kustos für Klassische Moderne im Wiesbadener Museum, erläutert, dass bei Machtübernahme der Nazis alle Arbeiten von Lovis Corinth (1858 - 1915), die vor seinem Schlaganfall entstanden, im Museum bleiben durften, alle späteren als "entartet" wie die anderen Kirchhoff-Bilder entfernt werden mussten. Hier Lovis Corinth: Selbstbildnis in Hut und Mantel. Öl auf Leinwand. Foto: Diether v. Goddenthow
Roman Zieglgänsberger, Kurator der Ausstellung und Kustos für Klassische Moderne im Wiesbadener Museum, erläutert, dass bei Machtübernahme der Nazis alle Arbeiten von Lovis Corinth (1858 – 1915), die vor seinem Schlaganfall entstanden, im Museum bleiben durften, alle späteren als „entartet“ wie die anderen Kirchhoff-Bilder entfernt werden mussten. Hier Lovis Corinth: Selbstbildnis in Hut und Mantel. Öl auf Leinwand. Foto: Diether v. Goddenthow

So fanden sich in seiner Sammlung neben Gemälden, Plastiken, Zeichnungen und Aquarellen auch Holzschnitte, Lithografien und Radierungen. Seine über 2.000 Werke umfassenden Bibliothek enthielt unter anderem die von Max Slevogt angefertigten, äußerst seltenen Lithografien zur Luxusausgabe von James Fenimore Coopers Lederstrumpf und die 305 Original-Tuschlithografien zu Johann Wolfgang von Goethes Benvenuto Cellini.

Die „Freie Secession“ und die „Neue Secession“
Zu Max Liebermann, der zwischen 1909 und 1915 wiederholt zu Gast in Wiesbaden war, entstand eine lebenslange Freundschaft. Vermutlich ist auf diese Verbindung Kirchhoffs Interesse an den Berliner Secessionisten zurückzuführen. Die Secession war um die Jahrhundertwende als Gegenbewegung zum etablierten Kunstbetrieb entstanden und versuchte jungen Künstlern Rückhalt gegenüber der kaiserlich konservativen Kunstpolitik zu geben. Nach inneren Streitigkeiten spaltete sich 1914 unter Führung von Max Liebermann die ‚Freie Secession‘ ab, zu der u. a. die Künstler Wilhelm Lehmbruck, Oskar Moll und Renée Sintenis gehörten und die alle Eingang in die Sammlung fanden. Vier Jahre zuvor hatte sich bereits die „Neue Secession“ in Berlin gegründet. Kirchhoff beobachtete die Bewegungen der Berliner Kunstszene genau und versuchte durch seine Ankäufe entsprechende künstlerische Gruppierungen hervorzuheben. In den darauffolgenden Jahren konnten die Freien Secessionisten auch im Museum Wiesbaden ihre Ausstellungen zeigen.

Künstlerförderung in Zeiten der Krise
Die Schrecken des Ersten Weltkriegs stürzten viele Künstler in eine Lebens- und Schaffenskrise. In ihren Werken versuchten sie die traumatischen Eindrücke zu bewältigen und neue Ausdrucksmittel für das Erlebte zu finden. Es war eine Zeit der gesellschaftlichen Umbrüche und künstlerischen Reformen. Vor allem die jungen Talente, deren Studium zum Teil durch den Krieg jäh unterbrochen wurde, lebten am Existenzminimum. Die Brücke- Künstler hatten es bereits gezeigt: Ohne einen privaten Förderer war auf den künstlerischen Durchbruch kaum zu hoffen. Es war daher ein häufig zu beobachtendes Phänomen, dass sich Künstler einen Sammler suchten und um finanzielle oder ideelle Unterstützung baten. Heinrich Kirchhoff engagierte sich in dieser Zeit besonders für die jungen Maler, die noch am Beginn ihrer Karriere standen. Unter ihnen sind Josef Eberz, Conrad Felixmüller und Walter Jacob hervorzuheben. Als „Mäzen der Moderne“ lud er sie nach Wiesbaden ein und bot ihnen intensive Förderung, Unterkunft und Atelierplatz. Zugrundliegende Vereinbarungen gewährten den Künstlern ein finanzielles Monatsauskommen, wofür sie dem Sammler ein Vorkaufsrecht einräumten. So entstanden zahlreiche Arbeiten vor Ort, die das Umfeld des Sammlers festgehalten haben. Ein besonderer Höhepunkt ist die Grablegung von Walter Jacob. Das Gemälde thematisiert den gemarterten Künstler, der durch seinen Mäzen entschlossen über das Leid hinweggetragen wird. Die Gesichtszüge der Dargestellten sind für den Betrachter eindeutig als die von Heinrich Kirchhoff und Walter Jacob zu identifizieren.

Alexej von Jawlensky – Ein Künstler für Wiesbaden
Der für Wiesbaden bedeutendste Künstler, den Kirchhoff unterstützte, war Alexej von Jawlensky. Nach Kriegsende versuchte er sich von seinem Schweizer Exil aus wieder nach Deutschland zu orientieren. Eine 1920/21 zu diesem Zweck von Galka Scheyer arrangierte Wanderausstellung war in keiner Stadt so erfolgreich wie in Wiesbaden. Maßgeblich dazu beigetragen hatte Heinrich Kirchhoff, der auf Anhieb fünf Gemälde des Künstlers erwarb und ihn zu sich in seinen „Garten der Avantgarde“ einlud. Aufgrund dieses herausragenden Erfolges ließ sich Jawlensky wenig später dauerhaft in Wiesbaden nieder. Die zunehmende Abstraktion im Werk des Malers, seine serielle Bearbeitung eines wiederkehrenden Themas – die Gartenvariationen – weckten die Faszination Kirchhoffs und führten dazu, dass er im Laufe der Zeit über 100 Arbeiten des Künstlers sammelte, darunter nicht weniger als 50 Ölgemälde. Jawlensky zog in die unmittelbare Nachbarschaft seines Sammlers, begleitete ihn auf Ausstellungen und genoss die freundschaftliche Aufnahme in die Familie Kirchhoffs. Aus der Zuneigung zueinander entstanden eine Reihe intimer Werke, in denen Jawlensky seine Hinwendung zur Abstraktion unterbrach. So zog vor allem die Ehefrau des Sammlers mit ihrer von den Künstlern vielgerühmten Schönheit Jawlensky in den Bann. In einem „intimen“ Kabinett sind diese Arbeiten zusammen mit Briefen, Skizzen und einem außergewöhnlichen Schmuckstück, das der Künstler eigenhändig für Tony Kirchhoff kreierte, zu betrachten.

Herzstück Expressionismus
Das Herzstück der ‚Sammlung Kirchhoff‘ bildeten die Expressionisten. Bereits während des Krieges und noch vor Kirchhoffs erster Ausstellung im Museum Wiesbaden hatte er begonnen, farbintensive und formal expressive Gemälde zu sammeln. Gezielt suchte Kirchhoff nach exemplarischen Spitzenwerken seiner Zeit, um den Facettenreichtum des Expressionismus zu erfassen. Jeder Künstler vertrat innerhalb der Sammlung eine eigene künstlerische Position, wodurch schließlich die verschiedensten geistigen und stilistischen Strömungen zusammenfanden und ein Gesamtbild des deutschen Expressionismus widerspiegelten.

Kunsthistorikerin Sibylle Discher, gab mit Ihrer Dissertation und folgender Rekonstruktion der Ausstellung Kirchhoff den Anstoß zur Ausstellung "Der Garten der Avantgarde. Heinrich Kirchhoff: ein Sammler von Jawlensky, Klee, Nolde ...", hier im Raum !0, Herzstück Expressionismus. Foto: Diether v. Goddenthow
Kunsthistorikerin Sibylle Discher, gab mit Ihrer Dissertation und folgender Rekonstruktion der Ausstellung Kirchhoff den Anstoß zur Ausstellung „Der Garten der Avantgarde. Heinrich Kirchhoff: ein Sammler von Jawlensky, Klee, Nolde …“, hier im Raum !0, Herzstück Expressionismus. Foto: Diether v. Goddenthow

Unter den Bildern finden sich farbgewaltige Arbeiten wie die von Emil Nolde oder solche, die bereits früh in Richtung der Abstraktion deuteten, wie die von Christian Rohlfs. Oskar Kokoschkas Alpenlandschaft weist stattdessen eine ähnliche, kristalline Formensprache auf wie die kurz vor dem Krieg entstandenen Arbeiten von Franz Marc, während Marc Chagall eine ganz eigene poetische Sprache in seinen Bildern entwickelte. Gingen die Kompositionen zwar stilistisch weit auseinander, so ähnelten sie sich inhaltlich: Immer wieder wird der Mensch ins Zentrum gerückt und seine Existenz, sein Handeln und seine Verletzlichkeit überprüft, um der Frage nach der eigenen Identität auf den Grund zu gehen.

Konstruktive und abstrakte Tendenzen

Wassily Kandinsky (1866 - 1944) Ein Zentrum, 1924. Öl auf Leinwand. Foto: Diether v. Goddenthow
Wassily Kandinsky (1866 – 1944) Ein Zentrum, 1924. Öl auf Leinwand. Foto: Diether v. Goddenthow

Der Ausgang des Ersten Weltkrieges und der Umsturz von der Monarchie zur ersten deutschen Demokratie führten zu großen Veränderungen. Die herbe Kriegsniederlage und die einsetzende Inflation entrissen den Bürgern ihren Halt, erschütterten ihren Glauben und zwangen sie zum Umdenken. Altbekannte Strukturen zerbrachen und die Gesellschaft geriet ins Wanken. Aus der Zerstörung heraus entstanden künstlerische Ideen einer neuen Lebensgestaltung durch geometrische, abstrakte Konstruktionen. Paul Klee, Wassily Kandinsky und Lyonel Feininger waren 1921/22 als Lehrer dem Bauhaus beigetreten. Ein Jahr später kam auch László Moholy-Nagy hinzu. In jener Zeit begann Kirchhoff, der durch Jawlensky inzwischen mit abstrakten Positionen vertraut geworden war, seine impressionistischen Werke zu veräußern und sich zunehmend eben diesen Bauhaus- Vertretern zuzuwenden. Bedenkt man, dass Kirchhoff zu diesem Zeitpunkt kaum länger als zehn Jahre sammelte, wird die Radikalität und Kompromisslosigkeit deutlich, mit der er entschlossen den Weg vom Impressionismus zur Abstraktion in kürzester Zeit zurücklegte. Das Ende der Sammlung kam abrupt. 1933 wurde mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten eine so progressive Kunstsammlung im öffentlichen Raum undenkbar. Noch bevor Heinrich Kirchhoff im Oktober 1934 unerwartet verstarb, wurden Teile seiner Sammlung aus dem Museum Wiesbaden entfernt und zurückgegeben. Heute finden sich die Werke weltweit in den rennommiertesten Museen wieder, was bis heute für ihre außergewöhnliche Qualität und Bedeutung spricht.

Heinrich Kirchhoff und seine Nachfolger
Heinrich Kirchhoff zog mit seinem Garten und seinen Bildern nicht nur Botaniker und Künstler an, sondern auch viele Sammler (wie August von der Heydt), Kunsthistoriker (wie Julius Meier-Graefe) oder Kunsthändler (wie Hans Goltz). Für das Museum Wiesbaden von größter Bedeutung entpuppten sich jedoch die beiden Besuche der Künstlerin Hanna Bekker vom Rath (1893–1983). Zweimal hat sich Hanna Bekker bei Kirchhoff ins Gästebuch eingetragen: am 5. Januar 1918 und noch einmal, neun Jahre später, am 20. Oktober 1927. Möglicherweise war es Kirchhoff, der als Künstlermagnet und starke Persönlichkeit einen derart prägenden Eindruck bei ihr hinterließ, dass sie um 1920 begann, selbst Kunst zu sammeln. Eine ihrer ersten Erwerbungen war denn auch die Büste der Knieenden des Bildhauers Wilhelm Lehmbruck, der mit der zeitgleich entstandenen Skulptur Badende in der Sammlung Kirchhoff vertreten war. Wenn man so möchte, kam Hanna Bekker als junge Künstlerin zu Kirchhoff (sie wurde in Stuttgart von der Malerin Ida Kerkovius unterrichtet) und wurde, nach den vielfältigen Eindrücken, die sie dort empfangen hatte, zur Sammlerin und Mäzenin. Ihr Frankfurter Kunstkabinett, das sie nach dem Zweiten Weltkrieg 1947 eröffnete, war denn auch immer mehr als nur ein Mittel zum Geld verdienen. Sie unterstützte insbesondere diejenigen expressionistischen Künstler, denen sie bereits während des Nationalsozialismus das Malen trotz Arbeitsverbot mutig in ihrem Privathaus in Hofheim am Taunus, dem sogenannten Blauen Haus, ermöglicht hatte. Ihre Privatsammlung mit Hauptwerken von Künstlern wie Max Beckmann, Erich Heckel, Adolf Hölzel, Alexej von Jawlensky oder Karl Schmidt-Rottluff, die ehemals alle auch in der Sammlung Kirchhoff vertreten waren und deren Malerei sie dort kennengelernt hatte, kam 1987 an das Museum Wiesbaden, wo sie heute das hoch qualitätsvolle Fundament der Abteilung Klassische Moderne bildet.

Solch ein Besucheransturm hatten die Ausstellungsmacher in ihren kühnsten Träumen nicht erwartet. Mit der Überblicksausstellung zur Klassischen Moderne "Der Garten der Avantgarde ...." haben sie voll ins Schwarze getroffen. Foto: Diether v. Goddenthow
Solch ein Besucheransturm hatten die Ausstellungsmacher in ihren kühnsten Träumen nicht erwartet. Mit der Überblicksausstellung zur Klassischen Moderne „Der Garten der Avantgarde ….“ haben sie voll ins Schwarze getroffen. Foto: Diether v. Goddenthow

Im Frühjahr 2018 präsentiert das Museum Wiesbaden die Stiftung Brabant. Der Wiesbadener Sammler Frank Brabant (*1937) ist, wenn man so möchte, ein „Enkel“ von
Heinrich Kirchhoff, da er 1963 just bei Hanna Bekker in Frankfurt sein erstes Kunstwerk erwarb – einen Holzschnitt von Max Pechstein. Ihre Persönlichkeit war es nicht zuletzt, die seine Kunstleidenschaft weckte. Heute umfasst seine Sammlung, deren Schwerpunkt ähnlich wie bei Kirchhoff auf expressionistischer und neusachlicher Kunst liegt, etwa 600 Werke. Die Hälfte wird Brabant anlässlich seines 80. Geburtstags großzügig dem Museum Wiesbaden stiften. Jawlenskys frühes Hauptwerk Helene im spanischen Kostüm – das größte Gemälde, das der russische Maler je geschaffen hat – schenkte Brabant dem Museum im Vorgriff darauf bereits im Jahr 2014.

Kunst- und Kulturminister Boris Rhein (li). freut sich mit Museumsdirektor Dr. Alexander Klar über das gute Gelingen dieser Ausstellung. Foto: Diether v. Goddenthow
Kunst- und Kulturminister Boris Rhein (li). freut sich mit Museumsdirektor Dr. Alexander Klar über das gute Gelingen dieser Ausstellung. Foto: Diether v. Goddenthow

Durch das Hitlerregime wurde die Sammlung Kirchhoff in alle Welt zerstreut. Dennoch bleibt sein Geist in Wiesbaden lebendig, zum einen durch die Werke, die das Museum Wiesbaden seit 1950 zurückerwerben konnte, durch die von Kirchhoff inspirierten Hanna Bekker und Frank Brabant, ihre Sammlungen und nicht zuletzt durch diese Ausstellung.

 

Der Begleitkatalog

katalog-coverZur Ausstellung erschienen ist der gleichnamige Begleit-Katalog:
Der Garten der Avantgarde
Heinrich Kirchhoff: Ein Sammler von Jawlensky, Klee, Nolde…
Roman Zieglgänsberger und Sibylle Discher (Hrsg.)
ca. 432 Seiten, 250 Abbildungen, 22 x 26,5 cm
Imhof Verlag, 2017
ISBN 978-3-7319-0584-4
Euro 35,- (Sonderpreis im Museumsshop)
Mit Beiträgen von Annette Baumann, Astrid Becker, Herbert Billensteiner, Sibylle Discher, Peter Forster, Franz Josef Hamm, Gerhard Leistner, Miriam Olivia Merz, Jutta Penndorf, Christiane Remm, Roman Zieglgänsberger

Ort:
Museum Wiesbaden
Hessisches Landesmuseum
für Kunst und Natur
Friedrich-Ebert-Allee 2, 65185 Wiesbaden
Fon 0611 ⁄335 2250, Fax 0611 ⁄335 2192
www.museum-wiesbaden.de
museum@museum-wiesbaden.de

Führungen und Veranstaltungen zur Ausstellung
Der Garten der Avantgarde
Heinrich Kirchhoff: Ein Sammler von Jawlensky, Klee, Nolde…

Führungen
Sa 28 Oktober 15:00 Uhr
So 29 Oktober 15:00 Uhr
Di 31 Oktober 15:00 Uhr
Sa 4 November 15:00 Uhr
So 5 November 15:00 Uhr
Di 7 November 18:00 Uhr
So 12 November 15:00 Uhr
Di 14 November 18:00 Uhr
Sa 18 November 15:00 Uhr
Di 21 November 18:00 Uhr
Sa 25 November 15:00 Uhr
Di 28 November 18:00 Uhr
So 3 Dezember 15:00 Uhr
Di 5 Dezember 18:00 Uhr
Sa 9 Dezember 15:00 Uhr
Di 12 Dezember 18:00 Uhr
Sa 16 Dezember 15:00 Uhr
So 17 Dezember 15:00 Uhr
Sa 23 Dezember 15:00 Uhr
Sa 30 Dezember 15:00 Uhr

Vorträge
Do 1 Februar 2018 19:00 Uhr
Die Sammlung Kirchhoff. Ein Leuchtfeuer für Wiesbaden
Dr. Sibylle Discher, Co-Kuratorin der Kirchhoff-Ausstellung

Do 8 Februar 2018 19:00 Uhr
Frühe Sammler des russischen Malers Alexej von Jawlensky
Angelica Jawlensky Bianconi, Alexej von Jawlensky-Archiv, Locarno

Kunst & Kuchen
Do 9 November 15:00 Uhr Der Garten der Avantgarde. Heinrich Kirchhoff: Ein Sammler von Jawlensky, Klee, Nolde…

Art after Work
Di 21 November 19:00 Uhr
„Gartenlust“ – Der Sammler Heinrich Kirchhoff

Angebote für Kinder und Familien

Sa 4 November 11:00 – 14:00 Uhr
Offenes Atelier Spezial am eintrittsfreien Samstag zur Ausstellung „Der Garten der Avantgarde. Heinrich Kirchhoff: Ein Sammler von Jawlensky, Klee, Nolde…“

Sa 18 November 11:00 – 13:30 Uhr
Museumswerkstatt für Kinder: „Mein Traumgarten“. Künstlerisches Gestalten zur Ausstellung „Der Garten der Avantgarde“.

Ort:
landesmuseum-wiesbadenMuseum Wiesbaden
Hessisches Landesmuseum
für Kunst und Natur
Friedrich-Ebert-Allee 2, 65185 Wiesbaden
Fon 0611 ⁄335 2250, Fax 0611 ⁄335 2192
www.museum-wiesbaden.de
museum@museum-wiesbaden.de

Öffnungszeiten
Mo geschlossen Di, Do 10:00—20:00 Uhr Mi, Fr—So 10:00—17:00 Uhr An Feiertagen 10:00—17:00 Uhr geöffnet. Auch Ostermontag und Pfingstmontag geöffnet

Eintritt Sonderausstellung* 10,— Euro (7,— Euro) * Eintritt in die Sonderausstellungen beinhaltet den Besuch der Sammlungen. Familienangebot: Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre in Begleitung ihrer Eltern freier Eintritt. Weitere Ermäßigungen und Tarife für Gruppen unter: www.museum-wiesbaden.de ⁄preise

Verkehrsanbindung PKW und Reisebusse: A 66, Abfahrt Wiesbaden-Erbenheim, Richtung Stadtmitte, Parkhaus Rheinstraße Bahn: Zum Hbf Wiesbaden mit DB und S1, S8 und S9 aus Richtung Frankfurt und Mainz. Vom Hbf 10 min Fußweg zum Museum Linienbusse: Rheinstraße und Wilhelmstraße.

Service Auch während der Sanierungsmaßnamen an der Fassade sind Museum und Café weiterhin geöffnet. Derzeit wie gewohnt über den Haupteingang in der Friedrich-Ebert-Allee.

„Der Garten der Avantgarde: Heinrich Kirchhoff – ein Sammler von Jawlensky, Klee, Nolde…“ – Sensationelle Überblicksausstellung der Klassischen Moderne im Museum Wiesbaden

Genau 100 Jahre nachdem der Privatier und Kunstsammler Heinrich Kirchhoff seine bedeutende Sammlung mit Werken der Avantgarde erstmals im Museum Wiesbaden gezeigt hatte, wird diese nun am selben Ort wieder zusammengeführt. Kirchhoff (1874–1934) ließ sich zur Jahreswende 1908/09 in der Kurstadt Wiesbaden nieder mit dem Wunsch, sich dort seinen Leidenschaften Kunst und Natur zu widmen. links: Kunsthistorikerin Sibylle Discher und Roman Zieglgänsberger, Kustos für die "Klassische Moderne" im Raum 6 "Künstlerförderung in Zeiten der Krise" der Ausstellung „Der Garten der Avantgarde. Heinrich Kirchhoff: Ein Sammler von Jawlensky, Klee, Nolde …“ im Museum Wiesbaden vom 27. Okt. bis 24. Feb. 2018. Foto: Diether v. Goddenthow
Genau 100 Jahre nachdem der Privatier und Kunstsammler Heinrich Kirchhoff seine bedeutende Sammlung mit Werken der Avantgarde erstmals im Museum Wiesbaden gezeigt hatte, wird diese nun am selben Ort wieder zusammengeführt. Kirchhoff (1874–1934) ließ sich zur Jahreswende 1908/09 in der Kurstadt Wiesbaden nieder mit dem Wunsch, sich dort seinen Leidenschaften Kunst und Natur zu widmen.
links: Kunsthistorikerin Sibylle Discher und Roman Zieglgänsberger, Kustos für die „Klassische Moderne“ im Raum 6 „Künstlerförderung in Zeiten der Krise“ der Ausstellung „Der Garten der Avantgarde. Heinrich Kirchhoff: Ein Sammler von Jawlensky, Klee, Nolde …“ im Museum Wiesbaden vom 27. Okt. bis 24. Feb. 2018. Foto: Diether v. Goddenthow

Am Donnerstag, 26. Oktober, um 19.00 Uhr eröffnet das Museum Wiesbaden mit 205 Bildern der „Klassischen Moderne“ die sensationelle Ausstellung „Der Garten der Avantgarde: Heinrich Kirchhoff – ein Sammler von Jawlensky, Klee, Nolde…“. Mit internationalen Leihgaben wurde ein bedeutender Teil der einst 800 Werke umfassenden Sammlung des Wahl-Wiesbadeners (1874-1934) rekonstruiert und damit ein Kunst-Sammler und -Mäzen von internationalem Rang wiederentdeckt.

Als vor drei Jahren das Museum Wiesbaden der Kunsthistorikerin Sibylle Discher sein Archiv zu Recherchezwecke für ihre geplante Dissertation über den Kunst-Sammler und -Mäzen Heinrich Kirchhoff öffnete, hätte wohl niemand geahnt, dass hieraus – genau nach 100 Jahren der ersten Ausstellung des Sammlers und Gartenliebhabers Kirchhoff im Museum Wiesbaden – eine grandiose Überblicks-Ausstellung der Klassischen Moderne: „Der Garten der Avantgarde. Heinrich Kirchhoff: Ein Sammler von Jawlensky, Klee, Nolde …“ entstehen würde. Die Ausstellung läuft bis zum 24. Februar 2018 im Museum Wiesbaden.

„Die Kunsthistorikerin Sibylle Discher und der Kustos für die Klassische Moderne im Museum Wiesbaden haben in einer fruchtbaren wissenschaftlichen Zusammenarbeit dieses herausragende Projekt für das Museum Wiesbaden durchgeführt. Sibylle Discher rekonstruierte die Sammlung Kirchhoff , und Roman Zieglgänsberger gelang zum wiederholten Mal das Kunststück, dazu eine Ausstellung zu konzipieren, die sich sowohl an Fachkollegen wie an ein breites Publikum richtet“, erklärt Museums-Direktor Dr. Alexander Klar beim heutigen Pressegespräch. „Mit der Ausstellung und dem Ausstellungskatalog ‚Der Garten der Avantgarde. Heinrich Kirchhoff: Ein Sammler von Jawlensky, Klee, Nolde …‘ wird ein wesentlicher Aspekt unserer Museumsgeschichte aufgearbeitet sowie der Erforschung der Kunst der Moderne in Deutschland ein weiterer wertvoller Mosaikstein hinzugefügt“, so der Museumsdirektor. Man könne die Bedeutung Heinrich Kirchhoffs für Wiesbaden – sowohl für die damalige Kur- und Bäderstadt als auch für die heutige Landeshauptstadt – nicht hoch genug einschätzen.

Skulptur "Die Badende" und im Hintergrund das Bild "Susanna im Bade" (1913) von Wilhelm Lehmbruck (1881– 1919) Foto: Diether v. Goddenthow
Skulptur „Die Badende“ und im Hintergrund das Bild „Susanna im Bade“ (1913) von Wilhelm Lehmbruck (1881– 1919) Foto: Diether v. Goddenthow

Ohne ihn hätte es nach dem Zweiten Weltkrieg keinen historischen Anlass gegeben, wieder eine Abteilung Klassische Moderne im Museum Wiesbaden aufzubauen. Ohne ihn hätte sich Alexej von Jawlensky 1921 nicht in der Stadt niedergelassen, und ohne ihn hätte die Avantgarde hier zwischen 1916 und 1933 schlicht keine Heimat in einem kunstsinnigen und ‚floralen‘ Paradies gefunden“, ergänzt Kustos Roman Zieglgänsberger. Ja, nicht nur für Wiesbaden, auch für die Entwicklung der Moderne in Deutschland insgesamt war der Sammler Kirchhoff von größter Wichtigkeit, so Zieglgänsberger.

Künstlerliste
Allein ein Blick auf die Künstlerliste der jetzt im Wiesbadener Museum gezeigten 205 Werke aus der ehemaligen Kirchhoff-Sammlung zeugt von der herausragenden Bedeutung des Kunst-Sammlers und -Mäzens:

Ernst Barlach (1870– 1938)
Max Beckmann (1884– 1950)
Heinrich Campendonk (1889– 1957)
Marc Chagall (1887– 1985)
Lovis Corinth (1858– 1925)
Josef Eberz, (1880– 1942)
Alois Erbach (1888– 1972)
Fritz Erler (1868– 1940)
Edmund Fabry (1892– 1939)
Conrad Felixmüller (1897– 1977)
Rudolf Grossmann (1882– 1941)
George Grosz (1893– 1959)
Erich Heckel (1883– 1970)
Arnold Hensler (1891– 1935)
Julius Hess (1878– 1957)
Adolf Hölzel (1853– 1934)
Walter Jacob (1893– 1964)
Alexej von Jawlensky (1864– 1941)
Andreas Jawlensky, (1902– 1984)
Wassily Kandinsky (1866– 1944)
Alexander Kanoldt (1881– 1939)
Paul Klee (1879– 1940)
Oskar Kokoschka (1886– 1980)
Wilhelm Lehmbruck (1881– 1919)
Max Liebermann (1847– 1935)
August Macke (1887– 1914)
Franz Marc (1880– 1916)
László Moholy-Nagy (1895– 1946)
Oskar Moll (1875– 1947)
Otto Mueller (1874– 1930)
Emil Nolde (1867– 1956)
Max Pechstein (1881– 1955)
Walter Püttner (1872– 1953)
Christian Rohlfs (1849– 1938)
Edwin Scharff (1887– 1955)
Kurt Schwitters (1887– 1948)
Renée Sintenis (1888– 1965)
Max Slevogt (1868– 1932)
Wilhelm Trübner (1851– 1917)
Josef Vinecky (1882– 1949)
Hans Völcker (1865– 1944)

Wer war Heinrich Kirchhoff?

Bildnis Heinrich Kirchhoff (1918) von Max Liebermann (1847 - 1935) Foto: Diether v. Goddenthow
Bildnis Heinrich Kirchhoff (1918) von Max Liebermann (1847 – 1935)
Foto: Diether v. Goddenthow

Heinrich Kirchhoff, am 10.Juli 1874 in Essen-Rüttenschied geboren, war zunächst in das gutgehende Bauunternehmen seines Vaters eingetreten, veräußerte es aber nach dessen Tod und übersiedelte 1908 als wohlhabender Privatier in die preußisch-kaiserlich geprägte Kur- und Bäderstadt Wiesbaden. Kirchhoff erwarb das große Grundstück Beethovenstrasse 10 am Wiesbadener Sonnenberg. Hierauf ließ er sich von dem Essener Architekt Paul Dietzsch nicht nur eine komfortable Villa errichten, sondern legte ein exotisches Gartenparadies an.

Wie der Gartenliebhaber jedoch auch zum Kunstliebhaber wurde, weiß man nicht genau; „Während man davon ausgehen kann, dass Kirchhoff – tatkräftig unterstützt von diversen Botanikern – von Beginn an vorhatte, einen exotischen Garten nach seinen Ideen anzulegen, weiß man bis heute nicht, ob es eine familiäre Vorbildung in Sachen Kunst und Kultur gegeben hatte, die er etwa bereits in seiner Jugend genossen und in Wiesbaden nur intensivierte, weil ihm hier als Rentier nun mehr Zeit dafür blieb. Vielmehr scheint es so, dass sein Interesse für die bildende Kunst erst hier vor Ort entfacht wurde – Aber wie kam es dazu?“ fragt Roman Zieglgänsberger.

Impressionen des einstigen Gartenparadies.
Impressionen des einstigen Gartenparadies.

Der Kustos  nimmt an, dass Kirchhoff in Wiesbaden auf Menschen der Kunstszene traf, die ihn begeisterten und diese zweite Leidenschaft in ihm weckten und verfestigten. Ereignisse wie der Skandal um die modernen Kurhaus-Gemälde des beim Kaiser 1907 in Ungnade gefallenen Künstlers Fritz Erler sowie das Gesamtkunstwerk Muschelsaal als auch die Verbindung „Kunst und Kultur“ bei der 1. Großen Kunst- und Gewerbeausstellung im Jahr 1909 sowie neue Parkanlagen mit kunstvollen Skulpturen könnten zudem in Kirchhoff den Drang provoziert haben, beides – die Gartenkunst und die bildenden Künste – kreativ und intelligent miteinander zu vereinen. Der Fall Fritz Erler habe ihn elektrisiert. Auf Erler hatte sich Kirchhoff zuerst „eingeschossen“. Er  hatte entgegen des wilhelminischen Zeitgeistes dem Künstler allein vier Werke abgekauft. Vielleicht war das Ereignis um den modernen Künstler Erler die  Initialzündung, gegen den spießig-kaiserlichen zeitgenössischen Kunst-Geschmack insgesamt aufzubegehren, einen neuen Blick für avantgardistische Kunstströmungen zu bekommen, und vielen  jungen Künstlern der Klassischen Moderne beizustehen, sie mit Ankäufen ihrer Werke,  mit Besorgung und Finanzierung von Wohnung und Ateliers auf Zeit, zu fördern? Mitunter schloss er mit seinen „Schützlingen“ Verträge, sicherte ihnen für zwei Jahre Förderung zu und behielt sich im Gegenzug ein Vorkaufsrecht der Werke vor, erläutert .Sibylle Discher.

Kirchhoff erkannte, dass das 1915 eröffnete neue Wiesbadener Museum bis dato eher über überschaubare Kunstbestände aus dem Legat Johann Isaak von Gernings verfügte, aber praktisch keinerlei Gegenwartskunst vorzuweisen hatte.  In diese von ihm erkannte Lücke stieß Kirchhoff vor, indem er  anbot, seine Werke dort als Dauerleihgaben zu präsentieren.  Bei dem progressiven Direktor des Wiesbadener Museums, Eberhard von Schenk zu Schweinsberg, welcher  Kirchhoff  bei Kunstkäufen  beraten und sich mit dem Sammler befreundet hatte, rannte er offene Türen ein. Die unentwegte Bestückung des Museums Wiesbaden mit Kirchhoffs wachsender Sammlung führte dazu, dass Wiesbaden in den  folgenden Jahren bis 1933 zu einem regelrechten Zentrum der Avantgarde wurde.
Kirchhoffs Vision sei es gewesen, „zwischen den beiden Weltkriegen in der bis dahin auch künstlerisch strikt kaisertreuen Kurstadt Wiesbaden ein weiteres Zentrum der Avantgarde neben Berlin zu schaffen.“ unterstreicht Dr. Alexander Klar. Dass ihm das gelungen sei, bezeuge sein – ebenfalls ausgestelltes und digital zugängliches – Gästebuch, so der Museumsdirektor. Dort ist – zum Teil mit Zeichnungen der Gäste – wunderbar belegt, dass  in der Villa  Kirchhoff das „Who is Who“ der damaligen Avantgarde ein- und ausging. Unter seinen Gästen waren nicht nur Kunstgelehrte und Sammler, sondern vor allem Maler wie Beckmann, Kandinsky, Klee, Nolde oder Rohlfs.

Kirchhoff war der erste deutsche Sammler, der seine privat erworbenen Kunstwerke von Anfang an völlig uneigennützig Museen nicht nur für Sonderausstellungen, sondern als Dauerleihgaben zur Verfügung stellte, weswegen er seine erworbenen Werke im Museum Wiesbaden öffentlich zeigte.

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 musste Kirchhoffs Freund, der progressive Direktor des Wiesbadener Museums, Eberhard von Schenk zu Schweinsberg, seinen Hut nehmen. Kurz darauf stirbt Heinrich Kirchhoff im Alter von erst 60 Jahren 1934 an einem „Herzanfall“, wie es in der Anzeige heißt, was durchaus im Zusammenhang mit dem brutalen politischen Umschwung in Verbindung stehen könnte, mutmaßt Roman Zieglgänsberger.

Nach Kirchhoffs Tod muss die Familie die Bilder, die nicht mehr im Wiesbadener Museum hängen dürfen, zurücknehmen. Die Sammlung wird in alle Himmelsrichtungen veräußert, auch nach dem Krieg noch, quasi um zu überleben.
Und mit seiner Sammlung verschwand auch der Name Kirchhoff bis auf Weiteres aus der deutschen Kulturgeschichte, erläutert Alexander Klar, der Kirchhoff von seiner tatsächlichen Bedeutung her als dritten bedeutenden Kunstsammler seiner Generation aus dem Ruhrgebiet in eine Reihe mit Karl Ernst Osthaus und Eberhard von der Heydt stellt.

Die Ausstellung zeichnet die Genese der „Sammlung Kirchhoff“ über einen Zeitraum von zwei Jahrzehnten von 1914 bis 1933 nach. Sie zeigt damit anhand der von Kirchhoff geschätzten Maler die Entwicklung der deutschen Kunst vom Impressionismus (Corinth, Liebermann, Slevogt) über den facettenreichen Expressionismus (Chagall, Kokoschka, Lehmbruck, Macke, Marc) bis zur Abstraktion (Kandinsky, Moholy-Nagy). Am Ende wird anhand präzise ausgewählter Werke aus der ehemaligen Sammlung Kirchhoff – aufwendig recherchiert und zusammengetragen aus nationalen und internationalen Museen und Privatsammlungen – klar, dass der vergessene „Garten Kirchhoff“ deutschlandweit eines der wichtigsten Sammelbecken der Avantgarde in den 1920er-Jahren war.

Rundgang durch die Ausstellung!

Der Begleitkatalog

katalog-coverZur Ausstellung erschienen ist der gleichnamige Begleit-Katalog:
Der Garten der Avantgarde
Heinrich Kirchhoff: Ein Sammler von Jawlensky, Klee, Nolde…
Roman Zieglgänsberger und Sibylle Discher (Hrsg.)
ca. 432 Seiten, 250 Abbildungen, 22 x 26,5 cm
Imhof Verlag, 2017
ISBN 978-3-7319-0584-4
Euro 35,- (Sonderpreis im Museumsshop)
Mit Beiträgen von Annette Baumann, Astrid Becker, Herbert Billensteiner, Sibylle Discher, Peter Forster, Franz Josef Hamm, Gerhard Leistner, Miriam Olivia Merz, Jutta Penndorf, Christiane Remm, Roman Zieglgänsberger

20. Wiesbadener Literaturtage starten am 5. Nov. 2017 – spartenübergreifendes Programm

wsbn.littage5.-9.11.17wDas spartenübergreifende Festival Wiesbadener Literaturtage – veranstaltet vom Kulturamt Wiesbaden / Literaturhaus Villa Clementine mit Unterstützung des Kulturfonds Frankfurt RheinMain – feiert in diesem Jahr sein 20. Jubiläum.

Der Auftakt der Literaturtage findet am Sonntag, 5. November, um 18 Uhr im Museum Wiesbaden, Friedrich-Ebert-Allee 2, statt. Das Museum ist einer der Orte, die Frank Witzel bereits als Jugendlichen geprägt haben. Besonders die Gemälde von Jawlensky haben einen tiefen Eindruck bei ihm hinterlassen. Zum Auftakt der Literaturtage kann sich der Besucher mit Frank Witzel auf einen virtuellen literarischen Rundgang mit dem Titel „Wiesbadener Heimsuchung“ begeben. Dabei offenbart sich sein individueller Zugang zu bildender Kunst, jenseits von kunsthistorischen Bildbetrachtungen. Seine Geschichten zu zwei Dutzend Gemälden der umfangreichen Sammlung hat Frank Witzel in einem literarischen Text festgehalten, der auch als Mediaguide in Kooperation mit dem Museum und hr2 produziert worden ist. Musikalisch wird der Auftakt der Literaturtage von dem Gitarrenvirtuosen Volkmar Zimmermann untermalt. Geboren in Wiesbaden, lebt dieser seit langer Zeit in Kopenhagen und gehört zu den besten Interpreten zeitgenössischer Gitarrenmusik.

Am Tag darauf – Montag, 6. November, um 19.30 Uhr – kann man Frank Witzel zusammen mit dem Posaunisten Uwe Dierksen vom Ensemble Modern im Literaturhaus unter dem Motto „Grund unter Grund“ erleben. Witzel liest im ersten Teil des Abends aus seinem neuen Roman „Direkt danach und kurz davor“. Das Gespräch mit ihm führt Shirin Sojitrawalla, DLF und taz. Im zweiten Teil verbindet sich Witzels Lyrik mit den Klängen von Uwe Dierksen. Ein Chor unterschiedlicher Stimmen fragt in Frank Witzels neuem Roman „Direkt danach und kurz davor“ nach dem, was wirklich geschah. So steigt der Leser in die Bodenlosigkeit von Geschichte und sieht hinab in das Grauen des Menschenmöglichen. Mit dem Roman war Frank Witzel für die Longlist des Wilhelm Raabe-Literaturpreises nominiert. Im zweiten Teil des Abends trifft Witzel auf den Posaunisten Uwe Dierksen vom Ensemble Modern. Für die Frankfurter Lyriktage haben die beiden ein Projekt erarbeitet, das die Gründe und Untergründe aufzeigt, die sich durch das Aufeinandertreffen, Ineinandergreifen, Ergänzen und Kontrastieren von Musik und Lyrik ergeben.

Ein ganz besonderes Gastspiel findet am Dienstag, 7. November, um 19.30 Uhr im Kleinen Haus des Hessischen Staatstheaters statt: Zum ersten Mal bringen die Schauspielerinnen Jule Böwe, Julia Riedler und Julischka Eichel das ihnen von Frank Witzel gewidmete Stück „Jule, Julia, Julischka“ zu Gehör. Darin geraten drei Schauspielerinnen auf einer Probebühne derart aneinander, dass bald nicht mehr zu sagen ist, wo ihre Rollen anfangen und ihre Figuren enden. Jule Böwe ist Ensemblemitglied der Berliner Schaubühne. Außerdem kann man sie in vielen Hörspielen und Filmen erleben. Julischka Eichel gehört zum Ensemble im Schauspiel Stuttgart. Neben ihrer Theaterarbeit spielt sie in zahlreichen Kino- und Fernsehfilmen. Julia Riedler ist Ensemblemitglied der Münchner Kammerspiele. Außerdem wirkt sie in Film- und Fernsehproduktionen sowie als Sprecherin in Hörspielen mit. Eingerichtet wurde das Stück von Thomas Martin. Er war von 2010 bis 2017 Chefdramaturg und Hausautor der Berliner Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz.

Der Eintritt für den Auftakt frei. Für die Veranstaltung am Montag, 6. November, Literaturhaus Villa Clementine, Frankfurter Straße 1, kostet der Eintritt 12 Euro, ermäßigt 9 Euro zuzüglich Vorverkaufsgebühr. An der Abendkasse kostet der Eintritt 16 Euro, ermäßigt 13 Euro. Karten gibt es im Vorverkauf bei: Tourist-Information Wiesbaden, Marktplatz 1, Telefon (0611) 1729930; TicketBox in der Wiesbadener Galeria Kaufhof, Kirchgasse 28, Telefon (0611) 304808; Frankfurt Ticket, Frankfurt Hauptwache (B-Ebene), Telefon (069) 1340400; online unter www.wiesbaden.de/literaturtage.

Für die Veranstaltung am Dienstag, 7. November, im Staatstheater Wiesbaden, Kleines Haus, Christian-Zais-Straße 3, kostet der Eintritt 18 Euro, ermäßigt 12 Euro. Kartenvorverkauf: An der Kasse im Theater oder online unter www.staatstheater-wiesbaden.de; Tourist-Information Wiesbaden, Marktplatz 1, Telefon (0611) 1729930; TicketBox in der Wiesbadener Galeria Kaufhof, Kirchgasse 28, Telefon (0611) 304808; online unter www.wiesbaden.de/literaturtage.

Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.wiesbaden.de/literaturtage.

Restituiertes NS-Raubkunstgemälde, „Gang nach Bethlehem“, an Museum Wiesbaden übergeben

Bildunterschrift: Fritz von Uhde (1848–1911), Gang nach Bethlehem, 1890. Museum Wiesbaden, Stiftung Rose und Friedrich Klein 1980, Restituiert an die Erben nach Rudolf Mosse 2016. Erworben mit Mitteln der Kulturstiftung der Länder /Ernst von Siemens Kunststiftung / Hessischen Kulturstiftung.Foto: Diether v. Goddenthow
Bildunterschrift: Fritz von Uhde (1848–1911), Gang nach Bethlehem, 1890. Museum Wiesbaden, Stiftung Rose und Friedrich Klein 1980, Restituiert an die Erben nach Rudolf Mosse 2016. Erworben mit Mitteln der Kulturstiftung der Länder /Ernst von Siemens Kunststiftung / Hessischen Kulturstiftung.Foto: Diether v. Goddenthow

Restituiertes NS-Raubkunst-Gemälde an Museum Wiesbaden übergeben. Zentrale Stelle für Provenienz-Forschung klärt Geschichte des Werks „Gang nach Bethlehem“.

Wiesbaden. Das Museum Wiesbaden übertrug kürzlich das Eigentum am Gemälde Gang nach Bethlehem von Fritz von Uhde (1848 – 1911) an die Erben des Verlegers und Kunstsammlers Rudolf Mosse. Anschließend wurde das Werk vom Museum Wiesbaden für seine Kunstsammlung erworben. Die offizielle Übergabe des Gemäldes fand nun am 8. September um 13 Uhr im Museum Wiesbaden in Beisein von Kunst- und Kulturminister Boris Rhein und in Anwesenheit der Presse sowie einiger geladener Gäste statt.

vli. Dr. Peter Forster, Kustos der Sammlung Alte Meister am Museum Wiesbaden, Boris Rhein, Hessischer Minister für Wissenschaft und Kunst,Dr. Stephanie Tasch, Dezernentin der Kulturstiftung der Länder. Eva Claudia Scholtz, Geschäftsführerin der Hessischen Kulturstiftung, Miriam Olivia Merz, Zentrale Stelle für Provenienzforschung in Hessen,  Professor Dr. Jan Hegemann, Vertreter der Erbengemeinschaft nach Rudolf Mosse. oto: Diether v. Goddenthow
vli. Dr. Peter Forster, Kustos der Sammlung Alte Meister am Museum Wiesbaden, Boris Rhein, Hessischer Minister für Wissenschaft und Kunst,Dr. Stephanie Tasch, Dezernentin der Kulturstiftung der Länder. Eva Claudia Scholtz, Geschäftsführerin der Hessischen Kulturstiftung, Miriam Olivia Merz, Zentrale Stelle für Provenienzforschung in Hessen, Professor Dr. Jan Hegemann, Vertreter der Erbengemeinschaft nach Rudolf Mosse. Foto: Diether v. Goddenthow

Zunächst begrüßte Dr. Peter Forster, Kustos der Sammlung Alte Meister am Museum Wiesbaden Boris Rhein, Hessischer Minister für Wissenschaft und Kunst, Dr. Stephanie Tasch, Dezernentin der Kulturstiftung der Länder, Eva Claudia Scholtz, Geschäftsführerin der Hessischen Kulturstiftung, Professor Dr. Jan Hegemann, Vertreter der Erbengemeinschaft nach Rudolf Mosse und Miriam Olivia Merz, Zentrale Stelle für Provenienzforschung in Hessen. Forster erläuterte zur Einführung wie das Museum Wiesbaden sein 1980 durch die Stiftung Rose und Friedrich Klein erhaltenes – erst 2015 als NS-Raubkunst identifiziertes Uhde-Bild „Gang nach Bethlehem“ nach Rückgabe an die Erben jetzt als „restituiertes“ Gemäldes aus der Sammlung Mosse erwerben konnte: So habe 2015 die Zentrale Stelle für Provenienzforschung in Hessen Fritz von Uhdes „Gang nach Bethlehem“ als NS-verfolgungsbedingt entzogenes Werk aus ursprünglich jüdischem Besitz identifiziert und seine Provenienz daraufhin genauer untersucht. Dabei wurde festgestellt,so Forster, dass das Bild aus der Sammlung des Berliner Verlegers Rudolf Mosse stammte. Das Werk wurde daraufhin restituiert und konnte dank des freundlichen Entgegenkommens der Erbengemeinschaft und der finanziellen Unterstützung durch die Kulturstiftung der Länder, die Ernst von Siemens Kunststiftung und die Hessische Kulturstiftung für die Sammlung des Museums Wiesbaden angekauft werden.

Kunst- und Kulturminister Boris Rhein unterstrich: „Mit der Suche nach NS-Raubgut in unseren landeseigenen Museumsbeständen stellen wir uns unserer historischen Verantwortung. Und so ist es immer ein besonderer Moment, wenn es den Expertinnen der Zentrale Stelle für Provenienz-Forschung gelingt, die Geschichte eines mutmaßlichen Raubkunst-Werks zu klären und seine rechtmäßigen Besitzer zu finden. Ich freue mich sehr darüber, dass die Erben des Gemäldes ‚Gang nach Bethlehem‘ dem Museum Wiesbaden die Möglichkeit gegeben haben, es zu für seine Sammlung zu erwerben und so weiterhin ausstellen zu können.“ Die Klärung der Herkunft ihrer Bestände sei eine zentrale Aufgabe für jede öffentliche Sammlung, so auch für unsere Landesmuseen, so Kunst-und Kulturminister Boris Rhein, und weiter: „Um dieser Aufgabe gerecht zu werden, haben wir bereits 2015 die Zentrale Stelle für Provenienz-Forschung am Museum Wiesbaden eingerichtet. Hier können die schwierigen Recherchen gebündelt, die dringend gebotene planvolle Untersuchung der seit 1933 erworbenen musealen Bestände koordiniert und gerechte Lösungen für den Umgang mit Kunstraubgut gefunden werden. Das sind wir den Opfern der Nationalsozialisten und ihren Nachkommen schuldig“, sagte der Kunst- und Kulturminister.

Wer war Rodolf Mosse?
Rudolf Mosse (1843 – 1920), Verleger, Sammler und Mäzen Rudolf Mosse (1843 – 1920) besaß eines der größten und einflussreichsten Verlagshäuser der Weimarer Republik. Flaggschiff seines Medienimperiums war das Berliner Tageblatt, das zu den international vielgelesenen deutschsprachigen Zeitungen zählte. Mosse galt als die fortschrittlichliberale Stimme im deutschen Kaiserreich, er engagierte sich in zahlreichen sozialen Projekten und trat immer wieder als Mäzen der Künste in Erscheinung. Mosse gehörte zu den nachweisbar ersten privaten Käufern von Uhde Bildern in Berlin. Während der 1880er und 1890er Jahre baute er sich eine umfangreiche Kunstsammlung auf, deren Schwerpunkt auf Gemälden des späten 19. Jahrhunderts lag. Im eigens dafür errichteten Palais Mosse machte er diese Sammlung auch der Öffentlichkeit zugänglich..

v.li.: Miriam Olivia Merz, Zentrale Stelle für Provenienzforschung in Hessen , Eva Claudia Scholtz, Geschäftsführerin der Hessischen Kulturstiftung , Boris Rhein, Hessischer Minister für Wissenschaft und Kunst, Dr. Stephanie Tasch, Dezernentin der Kulturstiftung der Länder, Dr. Peter Forster, Kustos der Sammlung Alte Meister am Museum Wiesbaden und  Professor Dr. Jan Hegemann, Vertreter der Erbengemeinschaft nach Rudolf Mosse vor Fritz Uhdes Bild „Gang nach Bethlehem“. Foto: Diether v. Goddenthow
v.li.: Miriam Olivia Merz, Zentrale Stelle für Provenienzforschung in Hessen , Eva Claudia Scholtz, Geschäftsführerin der Hessischen Kulturstiftung , Boris Rhein, Hessischer Minister für Wissenschaft und Kunst, Dr. Stephanie Tasch, Dezernentin der Kulturstiftung der Länder, Dr. Peter Forster, Kustos der Sammlung Alte Meister am Museum Wiesbaden und Professor Dr. Jan Hegemann, Vertreter der Erbengemeinschaft nach Rudolf Mosse vor Fritz Uhdes Bild „Gang nach Bethlehem“. Foto: Diether v. Goddenthow

Beschlagnahmung und Versteigerung seiner Kunstsammlung in der NS-Zeit
Gegen Ende der Weimarer Republik geriet auch der Mosse Verlag zunehmend unter den Druck, der bereits weltweit spürbar war. Vor dem Hintergrund der Weltwirtschaftskrise und der zunehmenden politischen Unsicherheit musste der Verlag, der von Rudolf Mosses Schwiegersohn Hans Lachmann-Mosse (1885 – 1944) geführt wurde, 1932 Konkurs anmelden. Mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten wurde das Verlagshaus dann gleichgeschaltet und zerschlagen. Gleichzeitig setzten Verfolgungsmaßnahmen gegen Hans Lachmann-Mosse und seine Frau ein. Das gesamte Vermögen der Familie wurde unter staatliche Verwaltung gestellt und ihr so entzogen. Auch die Kunstsammlung wurde auf Betreiben der Nationalsozialisten zu großen Teilen 1934 im Auktionshaus Rudolf Lepke in Berlin versteigert.

Wer war Fritz von Uhde
Der Künstler Fritz von Uhde (1848-1911) zählt mit seinem Gesamtwerk, das sich im Spannungsfeld zwischen Realismus und Impressionismus verorten lässt, zu den großen Malern des späten 19. Jahrhunderts in Deutschland. Ab 1884 schuf Uhde zahlreiche Gemälde, die sich auf Themen aus dem Neuen Testament beziehen und das Milieu der „einfachen Leute“, in den sich Christus zeigt, wiedergeben. Ursprünglich, so Professor Dr. Jan Hegemann, hatte von Uhde nach kaum drei Monaten sein Studium zum Künstler abgebrochen, eine Offizierslaufbahn eingeschlagen und sehr engagiert im 1870/71 Krieg gegen Frankreich gekämpft und anschließend begonnen Bilder mit religiösen Inhalten zu malen. Eines seiner ersten in dieser Werke seit 1884 war „Ihr Kinderlein kommet!“. Diese Entscheidung verhalf ihm zum künstlerischen Durchbruch und half ihm, die konservative und liberale Kunstkritik der Zeit für sich zu gewinnen. Bei dem seit 1980 in der Sammlung des Museum Wiesbaden befindlichen Gemäldes handelt es sich um eine von Rudolf Mosse bei Fritz von Uhde beauftragte kleinere Variante des Gemäldes Der Gang nach Bethlehem, das sich heute in der Königlichen Neuen Pinakothek in München befindet.

Provenienzforschung zum Gemälde
Das Gemälde Gang nach Bethlehem von Fritz von Uhde gelangte 1980 zusammen mit einigen weiteren Kunstwerken über eine private Schenkung in das Museum Wiesbaden. Seither zählt es zu den Hauptwerken der Sammlung des 19. Jahrhunderts im Museum Wiesbaden.
Aufgrund einer Suchmeldung in der Datenbank Lost Art wurde das Museum 2015 aktiv und ließ die ursprüngliche Provenienz des Bildes durch die Zentrale Stelle für Provenienzforschung in Hessen recherchieren. Dabei wurde bestätigt, dass das Bild aus der Sammlung des Berliner Verlegers Rudolf Mosse stammte und der Familie in der NS-Zeit verfolgungsbedingt entzogen worden war. Das Museum Wiesbaden empfahl daraufhin dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst, das Werk zu restituieren. Das Gemälde wurde per Restitutionsvereinbarung am 18. Juli 2016 der Erbengemeinschaft Mosse zurückgegeben, offiziell beglaubigt von Seiten des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst für das Land Hessen. Seither blieb es als Leihgabe der Erbengemeinschaft Mosse im Museum Wiesbaden. Nun konnte das Werk dank des freundlichen Entgegenkommens der Erbengemeinschaft und der finanziellen Unterstützung durch die Kulturstiftung der Länder, die Ernst von Siemens Kunststiftung und die Hessischen Kulturstiftung für die Sammlung des Museums Wiesbaden angekauft werden.

Dr. Stephanie Tasch, Dezernentin der Kulturstiftung der Länder: „Fritz von Uhdes Gemälde Gang nach Bethlehem ist ein beeindruckendes Zeugnis für die Umsetzung eines religiösen Themas im späten 19. Jahrhundert. Zugleich verweist es durch seine enge Verbindung zum Auftraggeber, dem Berliner Verleger und Kunstsammler Rudolf Mosse, auf dessen bedeutende Kunstsammlung. Dank der langjährigen Provenienzforschung am Museum Wiesbaden konnte die Herkunft des Bildes aus der Sammlung Mosse und sein Verlust im Zuge der nationalsozialistischen Verfolgung der Familie nachgewiesen werden. Der Kulturstiftung der Länder ist es ein zentrales Anliegen, durch die Förderung von Ankäufen restituierter Kunstwerke zu fairen und gerechten Lösungen im Sinne der Washingtoner Prinzipien beizutragen.“

Engagement öffentlicher Förderer
Da von Uhdes Gemälde in der Sammlung der Alten Meister eine bedeutende Stellung einnimmt, war das Museum Wiesbaden an einem Verbleib des Werkes im Hause sehr interessiert. In intensiven Gesprächen mit den Erbenvertretern und ihren Anwälten, mit dem Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst , der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung und der Hessischen Kulturstiftung ist dies gelungen. „Die Ernst von Siemens Kunststiftung unterstützt die Museen seit vielen Jahren bei der Erarbeitung von Bestandskatalogen und damit auch bei der Provenienzforschung an den eigenen Beständen. Immer wieder führen neue Forschungsergebnisse zur Restitution von verfolgungsbedingt entzogenen Kunstwerken. Bei einem fairen Ausgleich zwischen den rechtmäßigen Besitzern und den Museen, ist die Kunststiftung oft ebenfalls ein Partner, der den Verbleib in einer gewachsenen und stimmigen Sammlung ermöglichen kann – dies ist auch in Wiesbaden geschehen – Fritz von Uhdes Gang nach Bethlehem kann in dem Haus bleiben, in dem es die Sammlung hervorragend ergänzt“, freut sich Dr. Martin Hoernes, Generalsekretär der Ernst von Siemens Kunststiftung.

Eva Claudia Scholtz, Geschäftsführerin der Hessischen Kulturstiftung, betont: „Aus der Stiftungspraxis kennen wir meist die Entwicklung von Kunstsammlungen prospektiv, im Sinne einer Zukunfts- und Anschlussfähigkeit an kommende Künstlergenerationen. Eine verantwortungsvolle Stiftungspolitik besteht auch darin, Museen und Provenienzforscher darin zu unterstützen, ihre Sammlungen retrospektiv zu betrachten und aktiv mit der Sammlungsgeschichte insbesondere während des Naziregimes umzugehen. Wir freuen uns, dass dieses Werk von Fritz von Uhde, ein Auftragswerk des Berliner Publizisten Rudolf Mosse, nach erfolgter Restitution in einem gerechten Verfahren unter Beteiligung der Hessischen Kulturstiftung nun im Museum Wiesbaden verbleiben kann.“

Museums Wiesbaden feiert nach der Vernissage „Vorne“ von Thomas Werner Sommerfest

Seit 2015 lädt das Museum Wiesbaden Künstler ein, Projekte und Arbeiten für die Ausstellungsräume auf der zweiten Ebene des Museums „maßzufertigen“. Die Räume sollen Einfluss auf das gegenwärtige Werk des eingeladenen Künstlers nehmen dürfen, die Arbeiten wiederum sollen im Hinblick auf die Räume entstehen.

Die Vernissage der Ausstellung „Vorne“ findet am 27. Juli 2017 um 19.00 Uhr statt. Anschließend sind  die Freunde des Museums und Besucher herzlich zum traditionellen Sommerfest eingeladen.

Zur Ausstellung:

In der Ausstellung im Museum Wiesbaden stellt Thomas Werner seinen großen Leinwänden Arbeiten in Tempera auf Wellkarton (sogenannte Maquetten) und Werke in Tempera auf Gips gegenüber. Die von Hand gegossenen Gipsplatten ergeben dabei ähnlich wie bei dem Wellkarton ein flaches Relief. Die beiden Bilduntergründe stehen im Moment im Zentrum seiner Arbeit. Sie können dabei als Modell oder Ausgangspunkt für die großen auf Jute gemalten Bilder dienen, oder sie bestehen als autonomes Bild. Diese kleinformatigen Arbeiten sind für ihn gleichberechtigter Teil der Ausstellung. Grundlage der Ausstellungsdramaturgie ist, sie nebeneinander zu zeigen und somit den Blick zu ermuntern, Nähe und Distanz zu den Bildern einzunehmen.

Dr. Alexander Klar:
„Thomas Werner ist Maler, was nach Old School klingen mag, aber eben genau das auch ist, mit höchstem Anspruch an sich selbst: Thomas Werner malt – nicht weil Malen als Konzeptkunst „eine gute Idee ist “, sondern weil man dazu malen können muss. Oder präziser: weil er malen können will, also einer Haltung folgt, die das Malen an sich als ein Konzept mit genügend Spielraum für die notwendige Vielschichtigkeit des Ergebnisses (also des Bildes) behandelt. Malerei ist sowohl Können als auch das Vergessen von Können. Malerei ist für Thomas Werner die Angemessenheit der Form, der Mittel, des Materials und des Inhalts. Wenn sie gelingt, entsteht Schönheit. Die Kultivierung einer der heutigen Malerei angemessenen Haltung zum eigenen Werk geht bei ihm Hand in Hand mit der Fähigkeit, einprägsame Bilder zu erschaffen. „Vorne“ heißt für ihn ganz emphatisch: Oberfläche, Taktilität, eine Bewegung nach vorn (körperlich und geistig), wie sie etwa durch die extremen Größenunterschiede der Formate in der Ausstellung beim Besucher provoziert werden soll. Natürlich klingt hier auch mit an, dass es nach dem Ende der Avantgarden das „Vorne“ nicht mehr gibt, mithin auch keine Definition, wer vorne respektive avant-garde wäre. In diesem Sinne ist Malerei zutiefst widersprüchlich und geprägt von Ambivalenz: Sie ist Kenntnis von Malerei, von Material, von Kunstgeschichte, von Theorie, von aktueller Malerei und zeitgenössischer Kunst. Und dennoch funktioniert. Malerei heute auch nur dann, wenn man dies alles beim Malen wieder vergessen kann.

Thomas Werner (li) und Museumsdirektor Dr. Alexander Klar während des Presserundgangs. Foto: Diether v. Goddenthow
Thomas Werner (li) und Museumsdirektor Dr. Alexander Klar während des Presserundgangs. Foto: Diether v. Goddenthow

Für die Ausstellung in Wiesbaden hat Thomas Werner vier „Bildmodi“, genauer vier Sorten Gemälde mit unterschiedlichen Bildträgern hergestellt: Großformatige Werke auf Jute, kleinere, von ihm als „Maquetten“ bezeichnete Arbeiten auf handelsüblichem, ungrundiertem Wellkarton und weitere kleine Arbeiten auf gegossenen und ungrundierten Gipsplatten sowie auf Papierrohstoff. Die eher dichte Oberfläche des Wellkartons wird über die Malerei aufgeschlossen. Der Papierrohstoff saugt zunächst viel Wasser, quillt auf und hat am Ende eine sehr offene, poröse Oberfläche. Der Gips saugt ebenfalls die Farbe auf, bis er nach ein paar Schichten gesättigt ist, sodass die Oberfläche im Laufe der Arbeit immer glatter wird. Bei den Gipsarbeiten besteht die malerische Herausforderung darin, die mehr oder weniger zufällige Oberflächenbeschaffenheit, die beim Gießen entsteht, mittels der Malerei zu kommentieren, zu konterkarieren und am Ende zu „fassen“. Das Material für die großen Bilder ist Jute, grundiert mit Streichmakulatur und Kreidegrund, die verwendete Farbsorte (für alle Bildträger) ist Leimtempera, eine Emulsion aus Zellleim und Leinölfirnis, vermengt mit in Terpentin gelöstem Dammarharz und etwas Kunstharzbinder. Die hauptsächlich verwendeten Erdfarben-Pigmente sind: Siena natur und gebrannt, Umbra natur und gebrannt in vier verschiedenen Tönen, Französischer Ocker (Sofodor), Französischer Ocker gebrannt (Soforouge), Pompejanischrot, Eisenoxidgelb und -rot, Englischrot und für die ganz dunklen Partien Kasslerbraun. Die anderen Farben, die hauptsächlich zum Einsatz kommen sind: Kadmiumgelb, -orange, -rot, -grün, Kobaltblau, Ultramarinblau, Preußischblau (ein sehr dunkles, tiefes Blau), für Lasuren manchmal Manganblau und schließlich Krapplack als leuchtende rote Lasur.
Diese präzise Auflistung der Malmaterialien geschieht, um dem geneigten Betrachter auch die Arbeit am Bild vor Augen zu führen. Gemäß der Erkenntnis, dass Malerei sich in der permanenten Krise befindet und nur sie selbst sich immer wieder aus dieser Krise herausmalen kann, ermuntern Thomas Werners Bilder ihre Betrachter, Nähe wie auch Distanz zu ihnen einzunehmen und in Kenntnis des Malprozesses das Werk des Künstlers durch aufmerksame Betrachtung zu vollenden.“

(Text: Museum Wiesbaden/ Dr. Alexander Klar)

Ort:
Museum Wiesbaden Hessisches Landesmuseum für Kunst und Natur
Friedrich-Ebert-Allee 2,
65185 Wiesbaden
Fon 0611 ⁄ 335 2250, Fax 0611 ⁄ 335 2192
www.museum-wiesbaden.de
museum@museum-wiesbaden.de
Öffnungszeiten Mo geschlossen Di, Do 10:00—20:00 Uhr Mi, Fr—So 10:00—17:00 Uhr An Feiertagen 10:00—17:00 Uhr geöffnet

„Pilze – Nahrung, Gift und Mythen“, sensationelle Naturkunde-Ausstellung ab 11. Juni 2017 im Museum Wiesbaden!

Austellungs-Impression "Pilze, Nahrung, Gift und Mythen", vom 11. Juni 2017 bis 5. August 2018 im Hessischen Landesmuseum Wiesbaden. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow
Austellungs-Impression „Pilze, Nahrung, Gift und Mythen“, vom 11. Juni 2017 bis 5. August 2018 im Hessischen Landesmuseum Wiesbaden. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow

Selbst wer  Pilze – außer in der Pfanne –  so gar nicht sexy findet, wird vielleicht allein aus künstlerischer Perspektive über die unendliche Farben- und Formen-Vielfalt  dieser äußerst nützlichen Spezies fasziniert sein, die das Hessische Landesmuseum Wiesbaden ab sofort in seiner exorbitanten Ausstellung „Pilze, Nahrung, Gift und Mythen“ auf 1.100 Quadratmetern bis zum 5. August 2018 zeigt. Pilze sind weder Pflanze noch Tier, sondern bilden in der Biologie die eigene Kategorie eukaryotischer Lebewesen, wobei sie näher an den Tieren als den Pflanzen dran sind.

Austellungs-Impression "Pilze, Nahrung, Gift und Mythen", vom 11. Juni 2017 bis 5. August 2018 im Hessischen Landesmuseum Wiesbaden. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow
Austellungs-Impression „Pilze, Nahrung, Gift und Mythen“, vom 11. Juni 2017 bis 5. August 2018 im Hessischen Landesmuseum Wiesbaden. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow

Die Ausstellung bietet – unübertrieben – Superlative in vielerlei Hinsicht, nämlich einen wissenschaftlich fundierten, verständlich und wunderbar präsentierten fast vollständigen Überblick der komplexen Pilz-Welten von von 20 Mikrometer großen – per 3D vermessenen und in Fußballgröße ausgedruckten  – Pilz-Sporen bis hin zu 5 Meter hohen Großpilz-Skulpturen.  Dabei bilden den Kern der Ausstellung die über 1.300 detailgetreuen Pilzpräparate von Klaus und Liselotte Wechsler. Klaus Wechsler ist einer der renommiertesten Präparatoren Deutschlands. Er musste erst die entsprechenden Verfahren entwickeln, um  die leicht verderblichen, zu 99 Prozent aus Wasser bestehenden  Pilze  überhaupt abformen zu können.  Auch über diese Technik der Präparation informiert die Ausstellung faktenreich.  Wechslers exzellente Modelle zeigen sogar die pilztypische feine Behaarung. Mitunter arbeitete Wechsler 10 Jahre lang an einzelnen Modellen, bis sie entsprechend aufgebaut waren.

Der renommierte Präparator Klaus Wechsler und mit Dr. Hannes Lerp gemeinsamer Ausstellungs-Kurator präsentiert in der Ausstellung "Plize. Nahrung, Gift und Mythen" seine Techniken der komplizierten Pilz-Präparation. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow
Der renommierte Präparator Klaus Wechsler und mit Dr. Hannes Lerp gemeinsamer Ausstellungs-Kurator präsentiert in der Ausstellung „Plize. Nahrung, Gift und Mythen“ seine Techniken der komplizierten Pilz-Präparation. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow

Die zahlreichen und vielfältigen Exponate können erstmals in eigens für Sonderausstellungen entworfenen Vitrinen in Augenschein genommen werden. Dank großzügiger Unterstützung der Alfred Weigle Stiftung Wiesbaden ist es möglich geworden, die hundertjährigen Vitrinen der Dauerausstellung passend zu ergänzen.

Warum widmet das Museum Wiesbaden eine solch umfängliche Ausstellung dem Thema Pilze?
Pilze sind überall in der Welt präsent und faszinieren den Menschen seit jeher. Pilze können weder den Tieren noch den Pflanzen zugeordnet werden und bilden somit ein eigenes Reich. Sie bestehen aus Ansammlungen winziger, einzelner Zellen (Hefe) oder wachsen als Zellfäden (Hyphen). Solche Hyphen bilden Pilzgeflechte (Mycelien), die Böden und Holz durchwachsen und große Flächen besiedeln können. Wenn ein Myzel kräftig herangewachsen ist, verlagern Pilze ihre Nährstoffe und Wasser in Fruchtkörper, die Sporen für die Ausbreitung und Vermehrung des Pilzes freisetzen. Der Fruchtkörper ist also nur ein Teil des eigentlichen Pilzorganismus.

Fliegenpilzabgüsse von Klaus Wechsler. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow
Fliegenpilzabgüsse von Klaus Wechsler. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow

Die meisten Pilze zersetzen abgestorbene Pflanzen und tote Tiere, wodurch sie darin gebundene Nährstoffe freisetzen und so einen unverzichtbaren Beitrag zu den Stoffkreisläufen in der Natur leisten.
Andere Pilze tragen wesentlich zum Wachstum der Pflanzen bei, und zwar im Bereich der Wurzeln als Teil einer sogenannten Mykorrhiza. Flechten sind enge Lebensgemeinschaften von Pilzen mit Algen und/oder Bakterien, die das Sonnenlicht zur Gewinnung ihrer Lebensenergie nutzen. Auch manche Tiere nutzen Pilze als Partner, insbesondere für die Erschließung von Nährstoffen. Eine große Vielfalt von Pilzen mit unterschiedlichen Eigenschaften lebt in sämtlichen Ökosystemen und trägt zum ökologischen Gleichgewicht in Wäldern, Graslandschaften, Mooren und Dünen bei.

Nicht nur der Natur, sondern auch dem Menschen nutzen Pilze auf vielfältige Art und Weise. Die Fruchtkörper mancher Pilze lassen sich zu köstlichen Gerichten verarbeiten und der Einsatz von Hefen zur Herstellung von Wein, Bier und Backwaren gehört zu unserem Alltag. Pilze sind aus der Biotechnologie nicht mehr wegzudenken, und die Entdeckung des Antibiotikums Penicillin hat die moderne Medizin revolutioniert. Hierzu konnten exzellente Exponate für die Ausstellung gewonnen werden, die die Besucher in Erstaunen versetzen werden.

Austellungs-Impression "Pilze, Nahrung, Gift und Mythen", vom 11. Juni 2017 bis 5. August 2018 im Hessischen Landesmuseum Wiesbaden. Im Vordergrund ist das übergroße Modell einer Stinkmorchel zu sehen, an der Wand die wunderbaren, hochvergrößerten Pilz-Aquarelle von Erhard Ludwig (Berlin) Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow
Austellungs-Impression „Pilze, Nahrung, Gift und Mythen“, vom 11. Juni 2017 bis 5. August 2018 im Hessischen Landesmuseum Wiesbaden. Im Vordergrund ist das übergroße Modell einer Stinkmorchel zu sehen, an der Wand die wunderbaren, hochvergrößerten Pilz-Aquarelle von Erhard Ludwig (Berlin) Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow

Pilze können jedoch auch schädlich für den Menschen sein, zum Beispiel als Schimmelpilze auf Lebensmitteln oder Pilzinfektionen an Haut und Schleimhäuten. Viele Pilze befallen als Parasiten Nutzpflanzen oder Ernteprodukte und können dadurch Erträge erheblich dezimieren.
Im kulturellen Kontext spielen Pilze als Glücksbringer (Fliegenpilz) oder Hexenwerk eine Rolle, wenn ihre Fruchtkörper über Nacht in perfekten Kreisen (Hexenringen) erscheinen, bei Berührung ihre Farbe verändern oder einen ekligen Geruch verbreiten. In manchen Kulturen werden halluzinogene Pilze im Rahmen religiöser Zeremonien genutzt und helfen Schamanen, im Rauschzustand den Göttern näher zu kommen. Zu diesen halluzinogenen Pilzen wurden die größten in der Ausstellung dargestellten Modelle gezeigt, die eine Höhe von bis zu 5,50 Metern erreichen.

An verblüffend echt wirkenden Wachspräparaten (Moulagen) werden diverse Plizhautkrankheiten gezeigt. Die Moulagen stammen aus der 122Moulagen umfassenden Sammlung des Universitätsklinikums Frankfurt. Bereits in früheren Zeiten wurden insbesondere in Skandinavien neben Pflanzen auch Pilze und Flechten zum Färben verwendet. Mit unterschiedlichen Pilzarten lässt sich ein breites Spektrum an Farben erzeugen, ein Wissen, welches oftmals verloren ging und heutzutage neu erlangt wird. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow
An verblüffend echt wirkenden Wachspräparaten (Moulagen) werden diverse Plizhautkrankheiten gezeigt. Die Moulagen stammen aus der 122Moulagen umfassenden Sammlung des Universitätsklinikums Frankfurt. Bereits in früheren Zeiten wurden insbesondere in Skandinavien neben Pflanzen auch Pilze und Flechten zum Färben verwendet. Mit unterschiedlichen Pilzarten lässt sich ein breites Spektrum an Farben erzeugen, ein Wissen, welches oftmals verloren ging und heutzutage neu erlangt wird. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow

Trotz ihrer großen Bedeutung für Mensch und Natur sind auch heute noch viele Fragen zu Pilzen nicht geklärt. Deshalb bietet die Mykologie (Pilzwissenschaft) an Universitäten und Forschungsinstituten ein großes Potential für zukunftsweisende Forschung. Dieser Bereich bekommt in der Ausstellung seinen angemessenen Platz. Neben Untersuchungen in der Neuen Welt stellt der Forschungsbereich von Frau Prof. Dr. Piepenbring von der Goethe-Universität Frankfurt am Main sehr interessante Ergebnisse aus unserer Region vor. So hat ein Team der Frankfurter Universität vor unserer Haustür bei Wiesbaden-Naurod auf einer Strecke von nur 500 Metern über 1.000 Pilzarten nachweisen können. Aber auch pilzkundliche Gesellschaften und Vereine, die Wissen zur Artenvielfalt und Lebensweise von Pilzen erhalten und an zukünftige Generationen weitergeben, finden Berücksichtigung.

Gezeigt werden auch Replikate der Ausrüstung des berühmten Ötzi. In seiner Ledertasche fanden sich Reste von Zunderschwamm - einem Baumpilz zum Feuermachen. Daneben trug Ötzi zwei Stücke Birkenporling mit sich, vermutlich um seine akuten Magenbeschwerden zu behandeln. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow
Gezeigt werden auch Replikate der Ausrüstung des berühmten Ötzi. In seiner Ledertasche fanden sich Reste von Zunderschwamm – einem Baumpilz zum Feuermachen. Daneben trug Ötzi zwei Stücke Birkenporling mit sich, vermutlich um seine akuten Magenbeschwerden zu behandeln. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow

In der Antike waren viele Menschen davon überzeugt, dass Pilze das Ergebnis von Fäulnis und somit keine Lebewesen sind. Bis ins 19. Jahrhundert machte man auch Hexen oder Donner für ihr Auftauchen verantwortlich. Daher stammen auch die deutschen Namen einiger Pilzarten, z.B. Hexenbutter (Exidia nigricans) oder Donnertäubling (Russula sp.). Erst 1861 wies Louis Pasteur durch Versuche nach, dass sich Lebewesen aus „Keimen“ entwickeln und Pilze diesbezüglich keine Ausnahme darstellen. Ihre teils lustigen deutschen Namen haben die Pilze behalten, sodass diesen in der Ausstellung auch Platz eingeräumt wird.

Im Laufe der Evolution haben sich Pilze vor etwa 1,5 Milliarden Jahren aus wasserbewohnenden pilzähnlichen Einzellern entwickelt und den Schritt an Land wahrscheinlich vor etwa 600 Millionen Jahren gewagt. Dies geschah zu einer Zeit, in der es noch keine Landpflanzen gab. Die Pflanzen, die zunächst in Form von lebermoos-ähnlichen Organismen aus dem Wasser ans Land kamen, benötigten Unterstützung bei der Wasseraufnahme. Diese Rolle erfüllten die bereits an Land lebenden Pilze, die mit ihren Hyphen leicht Feuchtigkeit aufnehmen konnten. Als Gegenleistung profitierten die Pilze von den pflanzlichen Nährstoffen.

Bereits in früheren Zeiten wurden insbesondere in Skandinavien neben Pflanzen auch Pilze und Flechten zum Färben verwendet. Mit unterschiedlichen Pilzarten lässt sich ein breites Spektrum an Farben erzeugen, ein Wissen, welches oftmals verloren ging und heutzutage neu erlangt wird. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow
Bereits in früheren Zeiten wurden insbesondere in Skandinavien neben Pflanzen auch Pilze und Flechten zum Färben verwendet. Mit unterschiedlichen Pilzarten lässt sich ein breites Spektrum an Farben erzeugen, ein Wissen, welches oftmals verloren ging und heutzutage neu erlangt wird. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow

Diese Form der Kooperation und des Zusammenlebens (Mykorrhiza) ist bereits sehr alt und ermöglichte den ersten Landpflanzen das Leben in ihrem neuen, schwierigen Lebensraum. Aus dem Devon (vor etwa 400 Millionen Jahren) gibt es Fossilien solcher Mykorrhiza-Symbiosen, aber auch einer Vielzahl anderer Pilzgruppen, wie parasitischer Schlauchpilze (Ascomycota). Erste Ständerpilze (Basidiomycota) sind in Schichten aus dem Karbon (vor etwa 300 Millionen Jahren) gefunden worden.
Pilze ernähren sich wie Tiere von organischen Substanzen, die durch andere Organismen zur Verfügung stehen. Der eigentliche Pilzorganismus, das Myzel, ist ein Geflecht aus mikroskopisch feinen Pilzfäden, die Enzyme ausscheiden und dadurch eine Vielzahl von organischen Substanzen aus der direkten Umgebung herauslösen können. Viele Pilzarten ernähren sich von totem organischem Material, insbesondere von abgestorbenen Pflanzenteilen. Als sogenannte Saprobionten sind sie bedeutende Recycler und wichtig für den Kohlenstoffkreislauf in der Natur, denn viele andere Lebewesen können Substrate wie Holz nicht verwerten.

Symbiosen zwischen Pilzen und anderen Lebewesen.

Große Bedeutung haben auch Symbiosen zwischen Pilzen und anderen Lebewesen. Innige Verbindungen zwischen Pflanzenwurzeln und Pilzen (Mykorrhizen) bringen beiden Partnern einen Vorteil: Der Pilz liefert der Pflanze Wasser und Nährsalze, während die Pflanze den Pilz mit Zucker versorgt. Besucher der Ausstellung haben die Gelegenheit, die Mykorrhiza an einem anschaulichen Modell zu erforschen. Zudem erhielt das Museum als Leihgabe eine beeindruckende Flechtensammlung. Flechten sind Symbiosen, in denen ein Pilz mit einer Alge zusammenlebt. Andere Pilzarten sind Parasiten an Pflanzen, Tieren oder anderen Pilzen. Sie entziehen ihren lebenden Wirten wichtige Nährstoffe, wobei sie ihre Wirte beschädigen oder sogar zum Absterben bringen. Auch hierzu zeigt die Ausstellung massive Holzpilze, die konsolenförmig an unseren Bäumen in Wald und Feld wachsen können.

Pilz-Sporen

3D-Rekonstruktionen von Pilzsporen entstanden mit Hilfe eines Rasterelektronenmikroskops (REM) und eines 3D-Druckers. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow
3D-Rekonstruktionen von Pilzsporen entstanden mit Hilfe eines Rasterelektronenmikroskops (REM) und eines 3D-Druckers. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow

Sporen sind die Ausbreitungseinheiten von Pilzen und können eine erstaunliche Vielfalt an Formen und Farben annehmen: rosa und eckig, braun und stachelig oder grün und kugelrund. Aber warum? Eine wichtige Rolle spielen die verschiedenen Ausbreitungsstrategien. Die Sporen Wasser bewohnender Pilze
tragen oft lange grazile Anhängsel, welche das Absinken verzögern und eine Anhaftung ermöglichen. Andere Sporen lagern sich in schleimigen Massen zusammen, um an Tieren haften zu bleiben. Eigens für die Ausstellung wurde federführend von Klaus Wechsler ein 3D-Verfahren zur plastischen, vergrößerten Darstellung von mikrometergroßen Pilzsporen angewendet – das Ergebnis ist nicht nur eine technische Sensation.

Ökologie – Pilze im Wechselwirkungsprozess mit ihrer Umwelt

Wenn verschiedene Pilze zusammentreffen, etwa wie hier gezeigt in einem Baumstamm, kann es zu regelrechten Kriegen mit Grenzziehungen, sogenannten Demarkationslinien, im Holz kommen. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow
Wenn verschiedene Pilze zusammentreffen, etwa wie hier gezeigt in einem Baumstamm, kann es zu regelrechten Kriegen mit Grenzziehungen, sogenannten Demarkationslinien, im Holz kommen. Foto: Diether v. Goddenthow © atelier-goddenthow

Das Thema Ökologie darf natürlich in einer solch umfangreichen Präsentation nicht fehlen, versteht man darunter doch die Gesamtheit der Wechselbeziehungen zwischen Lebewesen und ihrer Umwelt. Betrachtet man einzelne Pilzarten, kann man verschiedene Abhängigkeiten von unbelebten Umweltfaktoren wie Wasserverfügbarkeit, pH-Wert und Beschaffenheit des Bodens oder Temperatur feststellen. Während manche Pilzarten ein breites ökologisches Spektrum aufweisen, sind andere Pilzarten hoch spezialisiert und benötigen zum Überleben bestimmte Umweltbedingungen. Moor bewohnende Pilze sind beispielsweise häufig auf sehr feuchte, saure und nährstoffarme Böden angewiesen. In Dünen lebende Pilze sind hingegen an trockene Standorte angepasst. In der Darstellung spezieller Lebensräume lässt sich vom Auwald, den Mooren, Misch- und Laubwald über den Nadelwald bis zum Magerrasen die Artenvielfalt von Pilzen und deren Ökologie erkunden.

Die Ausstellung wird in vier Sälen gezeigt. Sie ist derart paradigmatisch, dass sie  eine einzigartige Gelegenheit bietet, sich in zwei, drei Stunden ein Wissen anzueignen, wozu  man normalerweise ein ganzes Studium benötigte.

Ort:
Museum Wiesbaden
Hessisches Landesmuseum
für Kunst und Natur
Friedrich-Ebert-Allee 2, 65185 Wiesbaden
Fon 0611 ⁄335 2250, Fax 0611 ⁄335 2192
www.museum-wiesbaden.de
museum@museum-wiesbaden.de

Führungen und Veranstaltungen zur Ausstellung

Führungstermine
Donnerstags um 18:00 Uhr und sonntags um 11:00 Uhr laden wir Sie zu öffentlichen Führungen durch die Naturhistorischen Sammlungen und die Sonderausstellung Pilze – Nahrung, Gift und Mythen ein.
Die aktuellen Themen finden Sie im Veranstaltungskalender der Interseite.

Vorträge
Di 13 Jun 2017, 18:00 Uhr
Pilze in den Tropen und vor der Haustür
Mit Prof. Dr. Meike Piepenbring, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt

Di 27 Jun 2017, 19:00 Uhr
Die Bedeutung der Artenvielfalt für den Menschen unter besonderer
Berücksichtigung der Pilze
Mit Prof. Dr. Marco Thines, Senckenberg Biodiversität und Klima
Forschungszentrum Frankfurt, Präsident der Deutschen Gesellschaft für
Mykologie.

Di 12 Sep 2017, 18:00 Uhr
Auf der Suche nach neuen Pilzwirkstoffen
Mit Prof. Dr. Marc Stadler, Helmholtz Zentrum für Infektionsforschung,
Braunschweig,

Di 14 Nov 2017, 18:00 Uhr
Flechten – Vielfalt am Rande des Existenzminimums
Mit Dr. Christian Printzen, Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum
Frankfurt.

Di 12 Dez 2017, 18:00 Uhr
Pilze und ihre Bedeutung für die Entwicklungsgeschichte der Menschheit
Mit Prof. Dr. Eckhard Thines, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Di 8 Mai 2018, 18:00 Uhr
Symbiose im Untergrund – Das erfolgreiche Zusammenleben von Pilzen und
Pflanzen
Mit Prof. Dr. Gerhard Kost, Philipps-Universität Marburg

Di 12 Jun 2018, 18:00 Uhr
Giftpilze und Pilzgifte
Mit Hermine Lotz-Winter, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt

Aktionen am freien Samstag

4 Nov 2017 10:00 – 14:00 Uhr
Kinderprogramm Pilze

2 Dez 2017 10:00 – 14:00 Uhr
Färben mit Pilzen
Mit Textilgestalterin im Handwerk und Pilzsachverständige Karin Tegeler, Mansfeld

3 Mär 2018 10:00 – 14:00 Uhr
Die Welt der Flechten – Wissenswertes und Bestimmung
Mit Biologe Ingmar Stelzig, Trebur

3 Feb 2018 10:00 – 14:00 Uhr
Pilze für Kinder – Wir entdecken eine neue Welt
Mit Pilzsachverständige und Biologin Dr. Rita Lüder, Neustadt

Angebote für Schul- und Kindergartengruppen

Die Ausstellung bietet über die Präsentation verschiedener Pilzthemen hinaus eine ganze Reihe Hands-on-Materialien an. Wie sehen die Lamellen aus?
Woran erkenne ich eine Flechte? Welche Bedeutung haben Pilze für den Wald?
Diese und weitere Fragen können an verschiedenen Mikroskopstationen erforscht werden. Außerdem öffnet sich ein dreidimensionaler Blick in den Wald. Hutformen und Farben lassen sich puzzeln. Wie ein richtiger Forscher kann man seine Ergebnisse auf Zeichenbrettern festhalten. In der Ausstellung liegt ein Quiz für die Besucher bereit.

Führung
Dauer: 45 Minuten (1 Schulstunde)
Kosten für Schul- und Kindergartengruppen:
45,— Euro zzgl. 2,— Euro Eintritt ⁄ Kind, 2 Betreuer freier Eintritt
Kosten für Privatgruppen: 70,— Euro zzgl. Eintritt.

1) Einführung in das Reich der Pilze (Grundschule bis Sekundarstufe II)
Was sind Pilze und welche Rolle spielen sie in unserem Leben?

2) Ohne Pilze kein Wald (Sekundarstufe I und II)
Welche Bedeutung haben Pilze für das Leben im Wald?

3) Ökologie der Pilze (Sekundarstufe I und II)
Welche Funktion haben Pilze in den Stoffkreisläufen verschiedener
Ökosysteme?

4) Pilze – Pflanze oder Tier oder was? (Grundschule bis Sekundarstufe II)
Was unterscheidet Pilze von den anderen Reichen des Lebens? Und wo liegen die Gemeinsamkeiten?

5) Oha – ein Fliegenpilz! (für Kinder ab Vorschulalter)

Erweiterte Führung
Dauer: 90 Minuten (2 Schulstunden)
Kosten für Schul- und Kindergartengruppen:
75,— Euro zzgl. 2,— Euro Eintritt ⁄ Kind, 2 Betreuer freier Eintritt

1) Pilze beobachten, zeichnen und beschriften
(Kombinierbar mit allen Führungsthemen)

2) Lasst Pilze wachsen – Pilzformen aus Papiertüten herstellen
(Kombinierbar mit allen Führungsthemen)

Führung mit Workshop
Dauer: 135 Minuten (3 Schulstunden)
Kosten für Schul- und Kindergartengruppen:
90,— Euro zzgl. 2,— Euro Eintritt ⁄ Kind, 2 Betreuer freier Eintritt

1) Drucken mit Pilzen (Kita bis Sekundarstufe I)
Statt Kartoffeln werden hier Pilze zu Druckstöcken.

2) Pilzschmuck für dich und mich (Kita bis Sekundarstufe I)
Hier darfst du dein eigenes Schmuckstück aus einer Scheibe des
Birkenporlings herstellen.

3) Kugelförmig, kegelig oder flach? (Grundschule bis Sekundarstufe I)
Modelliere Deine eigenen Pilzformen in Ton.

4) Mikroskopieren (Sekundarstufe I und II)
Im Forschungsraum können die Teilnehmer selbständig Pilzpräparate an Mikroskopen studieren und zeichnen.

Exkursionen für Schulklassen, Kitas und Gruppen in Wald und Flur
Gern vermitteln wie Ihnen Ansprechpartner für Exkursionen.
Buchung und Beratung für Schulgruppen unter 0611 / 335 2185 oder bildungundvermittlung@museum-wiesbaden.de

Buchung für Privatgruppen unter 0611 / 335 2240 oder fuehrungen@museumwiesbaden.de

Museum Wiesbaden
Hessisches Landesmuseum
für Kunst und Natur
Friedrich-Ebert-Allee 2, 65185 Wiesbaden
Fon 0611 ⁄335 2250, Fax 0611 ⁄335 2192
www.museum-wiesbaden.de
museum@museum-wiesbaden.de

Öffnungszeiten
Mo geschlossen
Di, Do 10:00—20:00 Uhr
Mi, Fr—So 10:00—17:00 Uhr
An Feiertagen 10:00—17:00 Uhr geöffnet.

Eintritt
Sonderausstellung* 10,— Euro (7,— Euro)
* Eintritt in die Sonderausstellungen beinhaltet den Besuch der Sammlungen.
Familienangebot: Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre in Begleitung ihrer Eltern freier Eintritt. Weitere Ermäßigungen und Tarife für Gruppen unter www.museum-wiesbaden.de ⁄preise

Verkehrsanbindung
PKW und Reisebusse: A 66, Abfahrt Wiesbaden-Erbenheim, Richtung Stadtmitte, Parkhaus Rheinstraße
Bahn: Zum Hbf Wiesbaden mit DB und S1, S8 und S9 aus Richtung Frankfurt und Mainz. Vom Hbf 10 min Fußweg zum Museum
Linienbusse: Rheinstraße und Wilhelmstraße

Service
Schwellenfreier Zugang: Aufgrund von Baumaßnahmen verlegt. Bitte folgen Sie der Beschilderung am Haupteingang.
Museumsshop: Fon 0611 ⁄ 335 2251

Die Internationalen Tage Ingelheim mit „Emil Nolde. Die Grotesken“ zu Gast im Museum Wiesbaden vom 30. April bis 9.Juli 2017

Emil Nolde 1867 -  1956. Bergpostkarte: "Die drei Mürtschen: Der Böse, der Faule und der Rauhe, 1985. Mischtechnik, Nolde Stiftung Seebüll. Foto: Diether v. Goddenthow
Emil Nolde 1867 – 1956. Bergpostkarte: „Die drei Mürtschen: Der Böse, der Faule und der Rauhe, 1985. Mischtechnik, Nolde Stiftung Seebüll. Foto: Diether v. Goddenthow

„Die Kunst kommt vom Menschen und ist für den Menschen gemacht – nicht für die Experten. Ihre Formen bilden sich aus der lebendigen Liebe zum Leben. Sie verbindet die Menschen und gibt ein positives Lebensgefuhl. Die Kunst ist der Spiegel Gottes – der die Menschheit ist.“ Emil Nolde

 

Dem widrigen Umstand,  dass sich die Sanierung des alten Ingelheimer Rathauses unvorhergesehener Weise verzögerte und als Ausstellungsfläche für die Internationalen Tage Ingelheims nicht bereitstand, verdankt das Museum Wiesbaden die Chance,  Emil Noldes Werk  „Die Grotesken“  präsentieren zu können.

i.t.iDie Internationalen Tage Ingelheim sind ein Kulturengagement von Boehringer Ingelheim seit 1959, die jährlich zwischen Mai und Juli stattfinden, in diesem Jahr zum ersten Mal,  der Raumnot gehorchend, außerhalb. Dr. Alexander Klar erinnert sich beim Pressegespräch:  „Binnen 6 Stunden hatten wir, nachdem die Anfrage hier bei uns eingetroffen war,  die Ausstellung zugesagt“.  Für das Museum Wiesbaden, welches sich explizit dem Expressionismus widmet, war es eine große Chance, auf diese Weise zum zweiten Mal einen Vertreter aus der expressionistischen Künstlergruppe „Die Brücke“ ausstellen zu können.

Zudem dürfte es nun für Besucher der Dokumenta 14 in Kassel noch verlockender werden,  einen Abstecher nach Wiesbaden einzuplanen. Zusammen mit der gegenwärtigen Sonderausstellung „Richard Serra. Props, Films, Early Works“, die noch bis zum 18. Juni 2017 gezeigt wird, kann nun das Hessische Landesmuseum für Kunst und Natur Wiesbaden mit zwei absoluten internationalen Highlights aufwarten.

Die Grotesken

Worum geht es? Wer hofft, in dieser Ausstellung einen Emil Nolde der farbigen Blumengärten, aufgeregten Meereslandschaften,  dramatischen Wolkenformationen oder der intensiven Eindrücke seiner berühmten Reise in die Südsee zu sehen, sucht in dieser Ausstellung vergeblich. Es wird viel spannender: Erstmals wird ein weitgehend unbekannter Emil-Nolde gezeigt, darunter 15 noch nie in einer Ausstellung gezeigte Werke. Es ist eine wesentliche, wenn auch wenig bekannte Facette Noldes umfangreichen Werkes.

Emil Nolde 1867 - 1956 Ohne Titel (Groteskes Tier in Hundegestalt. Nolde Stiftung Seebüll. Foto: Diether v. Goddenthow
Emil Nolde 1867 – 1956 Ohne Titel (Groteskes Tier in Hundegestalt. Nolde Stiftung Seebüll. Foto: Diether v. Goddenthow

Dass das „Grosteke“erst jetzt mit dieser Ausstellung  einer breiten Öffentlichkeit gezeigt werden kann,  erstaunt. Denn in Noldes vierbändiger Autobiografie und in seinen Briefen finden sich vielfältige Hinweise und Erläuterungen, die deutlich machen, dass sein künstlerisches Werk entscheidend durch sein subjektives Verhältnis zum Fantastischen und Grotesken beeinflusst und geprägt ist. Wer  tiefer in dieses „groteske“ Nolde-Welt einsteigt, wird  einen  „neuen“ Nolde entdecken können, der  vielleicht mehr als bisher, tiefe Einblicke in sein Seelenleben gibt. Zahlreiche Aquarelle erinnern ein wenig an  Klecksography und  den einstmals zur Diagnostik seelischer Gesundheit verwendeten Rorschach-Test. So gesehen hat der Betrachter durchaus die Chance, selbstreflektorisch auch etwas über die eigenen Befindlichkeiten und „seine Dämonen“ zu erfahren.  Noldes undefinierbare Wesenheiten, Kobolde und seltsamen Gestalten verbindet vielleicht  die archetypische Symbolik menschlicher ( Ur-)Existenzängste, die den Betrachter besonders in seinen Bann  ziehen.  „Die Urmenschen leben in ihrer Natur, sind eins mit ihr und ein Teil vom ganzen All. Ich habe zuweilen das Gefühl, als ob nur sie noch wirkliche Menschen sind, wir aber etwas wie verbildete Gliederpuppen, künstlich und voll Dünkel. Ich male und zeichne und suche einiges vom Urwesen festzuhalten.“ (1914) Emil Nolde

Hallig Hooge, 1919 – Flucht ins Alleinsein

Emil Nolde 1867 -1956 Tolles Weib, 1919. Exemplarisch für Noldes Adaption einiger seiner in Hallig Hooge entstandenen Aquarell-Motiven auf Leinwand in Ölfarbe, steht das  unbetiteltes Aquarell „Die Tänzerin“. Es diente zur Vorlage des Motivs: „Tolles Weib“, 1919. Sie, die mit einem nach oben gereckten Bein auf allen vieren kniet, umspielt ein gewisser Hauch wilder Rohheit, aber noch nicht entfesselt, was sich auch in der bräunlichen Farbgebung ausdrückt. Erst im Gemälde Tolles Weib hat Noldes Figur alle Zurückhaltung abgelegt. Nolde Stiftung Seebüll. Foto: Diether v. Goddenthow
Emil Nolde 1867 -1956 Tolles Weib, 1919. Exemplarisch für Noldes Adaption einiger seiner in Hallig Hooge entstandenen Aquarell-Motive auf Leinwand in Ölfarbe, steht das unbetiteltes Aquarell „Die Tänzerin“. Es diente zur Vorlage des Motivs: „Tolles Weib“, 1919. Sie, die mit einem nach oben gereckten Bein auf allen vieren kniet, umspielt ein gewisser Hauch wilder Rohheit, aber noch nicht entfesselt, was sich auch in der bräunlichen Farbgebung ausdrückt. Erst im Gemälde Tolles Weib hat Noldes Figur alle Zurückhaltung abgelegt. Nolde Stiftung Seebüll. Foto: Diether v. Goddenthow

Nolde entfloh immer wieder über längere Phasen „seiner“ hektischen äußeren Welt. Er suchte Ruhe, das Alleinsein, die totale Abgeschiedenheit. Beispielsweise fuhr Nolde im Frühjahr 1919 allein auf die Hallig Hooge vor der Küste Nordfriesland. Hier entstanden in ungefähr sechs Wochen unter anderem 71 Aquarelle von seinen Visionen mit besonderer Ausdruckskraft. Die Reise wurde Nolde wertvoll. Sie hatte wohl heilsame Wirkung und sollte ihn, zumindest in seinen dort geschaffenen Werken sein ganzes weiteres Leben begleiten. Nolde trennte sich zu Lebzeiten niemals von diesen auf Hallig Hooge entstandenen ungewöhnlichen  Figuren. Sieben dieser Aquarelle dienten ihm noch im selben Jahr als Vorlagen großformatiger Gemälde.

Caroline Dieterich, Mitautorin des Katalogs zur Ausstellung "Emil Nolde - Die Grotesken", 2017. Sie steuerte den Beitrag über Noldes Hallig Hooger Zeit bei.Foto: Diether v. Goddenthow
Caroline Dieterich, Mitautorin des Katalogs zur Ausstellung „Emil Nolde – Die Grotesken“, 2017. Sie steuerte den Beitrag über Noldes Hallig Hooger Zeit bei.Foto: Diether v. Goddenthow

Nolde liebte diese Halligen,  diesen atemberaubenden Wechsel von Ebbe und Flut und das Wattenmeer. Er war überzeugt: „Weitferne Vereinsamung kann reichstes Leben enthalten, rauschende Vielfältigkeit zerstreut alle geistige Sammlung“.

Caroline Dietrich hat „Emil Noldes Reise zur Hallig Hooge“ im sehr gelungenen Katalog zur Ausstellung beschrieben.

Utenwarf 1918

Dr. Ulrich Luckhardt, Kurator u. Leiter des Internationalen Tage, hier mit Emil Noldes Werk "Die Maske", entstanden 1920. Nolde Stiftung Seebüll. Foto: Diether v. Goddenthow
Dr. Ulrich Luckhardt, Kurator u. Leiter des Internationalen Tage, hier mit Emil Noldes Werk „Die Maske“, entstanden 1920.
Nolde Stiftung Seebüll. Foto: Diether v. Goddenthow

Bereits 1912,  Jahre vor Hallig Hooge, hatte sich Emil Nolde mit seiner Frau Ada (ab 1916)  in ein altes Fischerhaus an der westschleswigschen Künste zurückgezogen, das vor dem Deich liegt und deswegen von Hochwassern heimgesucht wurde. Er nennt es Utenwarf. Hier in der Abgeschiedenheit entstehen neben Landschaftsgemälden eine Reihe figürlicher Aquarelle mit verspielt-grotesken Bildthemen, erläutert Dr. Christian Ring, Direktor der Nolde Stiftung  in Seebüll. Sein Beitrag „Zur Kontinuität des Grotesken im Werk von Emil Nolde“, Katalog zur Ausstellung, Seiten 14 – 18, beschreibt diese Facette von Noldes Werk.

Emil Nolde 1867 - 1956. Wüstes Jagen 1918 Nolde Stiftung Seebüll. Foto: Diether v. Goddenthow
Emil Nolde 1867 -1956. Wüstes Jagen 1918 Nolde Stiftung Seebüll. Foto: Diether v. Goddenthow

Bereits in diesen Bildern schafft Nolde eine absolut groteske Gegenwelt zur Realität vor und nach dem ersten Weltkrieg.“‚Ich arbeite währenddem und malte den ‚Geburtstag der Windmühle‘, wo Hund und Hahn so lustig tanzen, und auch den ‚idealen Misthaufen‘ mit seinem glücklichen Federvieh. Kleine Anregungen gaben ihre Wirkungen, ein Gast bei uns benannte die Bilder so! – Es entstehen noch mehr dieser seltsamen freien Erfindungen, deren Bezeichnungen noch erfunden werden müssen“ (Christian Ring, zit. n. Nolde 2002, siehe Katalog zur Ausstellung)

Bergriesen – Bergpostkarten 

„Bereits sein erstes Ölgemälde, die Bergriesen von 1895/96, und die zuvor entstandene Reihe der Berg-Postkarten, in denen
Nolde Schweizer Bergen groteske menschliche Physiognomien gibt, und die ihn als bildenden Künstler noch vor der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert bekannt werden ließen, zeugen von Noldes intensivem Interesse am Fantastischen“, so Dr. Ulrich Luckhardt, Kurator und Leiter der Internationalen Tage Ingelheim.

Von diesen Anfängen, denen 1905 die Mappe Phantasien mit Radierungen folgt, bis in die Jahre des Berufsverbots durch die Nationalsozialisten zieht sich in seinem Werk immer wieder die Abkehr von der Realität hin zu einer grotesken Gegenwelt, so Luckhardt. Diese Realitätsferne zeigt sich neben den in Utenwarf und 1919 auf der Hallig Hooge entstanden Gemälden auch in einer weiteren Reihe von Werken, die alle 1923 gemalt wurden. Wie ein roter Faden zieht sich die Zweiheit, das Motiv des  „Paars“ durch Noldes Werk: „Die Zweiheit hat in meinen Bildern und auch in der Graphik einen weiten Platz erhalten. Mit- oder gegeneinander: Mann und Weib, Lust und Leid, Gottheit und Teufel. Auch die Farben wurden einander entgegengestellt: Kalt und warm, hell und dunkel, matt und stark. Meistens aber doch, wenn eine Farbe oder ein Akkord wie selbstverständlich angeschlagen war, bestimmte eine Farbe die andere, ganz gefühlsmäßig und gedankenlos tastend in der ganzen Farbenreihe der Palette, in reiner sinnlicher Hingabe und Gestaltungsfreude.“ (Emil Nolde)

 

Die Grenzen zwischen Realität und Grenzen verschwimmen bei Nolde immer wieder. Dr. Christian Ring, Direktor Nolde Stiftung Seebüll. Foto: Diether v. Goddenthow
Die Grenzen zwischen Realität und Grenzen verschwimmen bei Nolde immer wieder. Dr. Christian Ring, Direktor Nolde Stiftung Seebüll. Foto: Diether v. Goddenthow

Nolde lässt den Betrachter allein mit seinem Gedankenspuk und Anderswelten. Nolde entzieht sich einer klaren Interpretation und Lesbarkeit des Dargestellten, erklärt Dr. Christian Ring, Direktor der Nolde Stiftung Seebüll.   „Das Interessante ist“, so Ring, „dass man bei einem so weit erforschten Werk, immer noch neue Entdeckungen machen kann.“

Wurde Emil Nolde auch vornehmlich als der Maler dramatischer Meeresansichten, aufgewühlter Wetterwolken und bunter Blumengärten bekannt,  dürfte  sein Hang zum Grotesken jedoch nicht Ausnahme, sondern eher ein zentraler Wesenskern seines gesamten künstlerischen Schaffens  gewesen zu sein.  Dieser Eindruck drängt sich zumindest nach dem Studium dieser Ausstellung auf. Sie spannt einen Bogen seines diesbezüglichen Schaffens  von  den „Bergpostkarten“ und der „Mappe Phantasien“ über die Bilder „Untenwarf“ und  „Hallig Hooge“ bis hin zu Werken der „Phantasien“ und  „Die Ungemalten Bilder“. Nolde sagte einmal: „Alle meine freien und phantastischen Bilder entstanden ohne irgendwelches Vorbild oder Modell, auch ohne festumrissene Vorstellung. Ich mied alles Sinnen vorher, eine vage Vorstellung in Glut und Farbe genügte mir. […] Phantastisch sein im Werk ist schön, phantastisch sein wollen ist blöd. Wenn die Bodennähe im romantisch phantastischen Schaffen mir zu verschwinden schien, stand ich suchend wieder vor der Natur, Wurzeln in die Erde versenkend und demütig in vertieftem Sehen.“

Dr. Roman Zieglgänsberger, Kustos Klassische Moderne, Museum Wiesbaden. Foto: Diether v. Goddenthow
Dr. Roman Zieglgänsberger, Kustos Klassische Moderne, Museum Wiesbaden. Foto: Diether v. Goddenthow

„Emil Nolde hat wirklich am Rande der Welt gelebt, vielleicht muss man sich am Rande der Welt bewegen, um solchen Figuren zu begegnen und diese malen zu können“, fragt sich  Dr. Roman Zieglgänsberger. In seinem  Beitrag  „Schlaglichter auf das Schattenreich der Grotesken um 1900″, Katalog Seiten 8 bis 13, untersucht der Kustos Klassische Moderne im Wiesbadener Museum  das Phänomen der Groteske, welches die Jahrhundertwende allgegenwärtig war.

Die Ungemalten Bilder

Emil Nolde 1867 - 1956. Frühmorgenflug. Nolde Stiftung Seebüll. Foto: Diether v. Goddenthow
Emil Nolde 1867 -1956. Frühmorgenflug. Nolde Stiftung Seebüll. Foto: Diether v. Goddenthow

Zwischen 1931 und 1935 malt Emil Nolde mit den Phantasien eine Reihe großformatiger Aquarelle, die die sogenannten „Ungemalten Bilder“ vorbereiten. Die Ungemalten Bilder sind mit über 1700 Aquarellen der größte zusammenhängende Bestand in Noldes Werk. Die meisten sind vermutlich nach dem nationalsozialistischen Berufsverbot 1941 im Verborgenen auf Seebüll entstanden, manche wohl schon früher. Aus den Farbverläufen der Nass-in-Nass-Technik des Aquarells entstanden auch hier fantastische menschliche Figuren, die Nolde mit Tuschfeder konturiert und oft nochmals farbig überarbeitet. Gerade diese Arbeiten bilden nach dem Zweiten Weltkrieg die Grundlage für die Rezeption Noldes als verfemter Künstler, was seine Verstrickung mit dem Regime für viele Jahre überlagerte.

Es scheint auch eine merkwürdige Ambivalenz zu sein, dass ein „verfolgter“ Künstler wie Emil Nolde, der von den Nazis 1941 Berufsverbot erhielt, sich einstmals zum Nationalsozialismus bekannt hatte. Da in seiner Biographie seine Gedanken hierzu mit chemischen Mitteln entfernt wurden, bleibt seine tatsächliche Position hierzu unklar. Gesichert erscheint, dass sich Nolde stets als ein germanischer, als ein nordischer Maler verstand. „Die Kunstäußerungen der Naturvölker sind unwirklich, rhythmisch, ornamental, wie wohl immer die primitive Kunst aller Völker es war — inklusive die des germanischen Volkes in seinen Uranfängen. […] Das Absolute, Reine, Starke war meine Freude, wo ich es fand, von primitiver Ur- und Volkskunst an bis zur höchsten Trägerin freier Schönheit. […] Die Bilder, welche ich auf den Südseeinseln malte, entstanden künstlerisch unbeeinflußt von exotischer Art zu bilden, […] blieben in Empfindung und Darstellung so heimatlich nordisch deutsch, wie alte deutsche Plastiken es waren — und ich selbst es bin.“ (Emil Nolde)

Biographisches

Emil Emil Hansen, geboren am 7. August 1867 in dem schleswigschen Dorf Nolde, nach dem er sich später nannte. Er lernte in einer Flensburger Schnitzschule, wurde von 1892-97 Lehrer an der Gewerbeschule St. Gallen, die er wegen „unzureichender Erfüllung seiner Lehrtätigkeit“ verlassen musste. Der große finanzielle Erfolgs durch den Verkauf seiner in hoher Druckauflage hergestellten Bergpostkarten verhalf ihm zu wirtschaftlicher Unabhängigkeit. Es folgten Malerische Ausbildungen in München, Paris, Kopenhagen, Berlin. 1913/14 besuchte Nolde Rußland-und die Südsee. Seine Bilder wurden nach 33 als „entartet“ aus den Museen verbannt und ihm ab 1941 das professionelle Malen gänzlich verboten. In dieser Zeit entstanden seine „Ungemalten Bilder“ (siehe oben). 1946 ernannte ihn die schleswig-holsteinsche Landesregierung  Zu seinem 79. Geburtstag zum Professor. Bis 1951 malte Emil Nolde noch über 100 Gemälde und bis 1956. Emil Nolde nahm 1955 an der  documenta 1 teil. Emil Nolde starb am 13. April 1956 in Seebüll, wo er – neben seiner 1946 verstorbenen ersten Frau Ada – im von beiden geliebten Garten seine letzte Ruhestätte fand. Posthum wurden seine Werke auch 1959 auf der documenta II  und 1964 auf der documenta III  in Kassel gezeigt. Emil Nolde war einer der führenden Maler des Expressionismus und einer der großen Aquarellisten in der Kunst des 20. Jahrhunderts.

Die Ausstellung, die in enger Kooperation mit der Nolde Stiftung Seebüll entstand, umfasst 20 Gemälde sowie ca. 90 Werke auf Papier, die zum Teil noch nie öffentlich in einer Ausstellung gezeigt wurden. Die Ausstellung ist höchst gelungen, hervorragend strukturiert und entführt in eine unbekannte, höchst faszinierende Nolde-Welt.

Diether v. Goddenthow / Rhein-Main.Eurokunst

 

Ort:
Museum Wiesbaden
Hessisches Landesmuseum
für Kunst und Natur
Friedrich-Ebert-Allee 2
65185 Wiesbaden
Fon 0611 ⁄ 335 2250
Fax 0611 ⁄ 335 2192

Nach der Präsentation im Museum Wiesbaden wird diese Ausstellung vom 23. Juli bis zum 15. Oktober 2017 im Buchheim Museum der Phantasie in Bernried am Starnberger See gezeigt.

katalog.noldeDer Katalog, in dem alle ausgestellten Werke abgebildet sind, enthält exte von Caroline Dieterich, Ulrich Luckhardt, Christian Ring, Daniel J. Schreiber und Roman Zieglgänsberger. Er ist erschienen im Verlag Hatje Cantz, Berlin 2017, 176 Seiten, 29,80 Euro.

 

Information Internationale Tage Ingelheim

i.t.iDie Internationalen Tage Ingelheim sind ein Kulturengagement von Boehringer Ingelheim seit 1959. Sie finden jährlich zwischen Mai und Juli statt.
Um Japanische Farbholzschnitte und Masken der Südsee, Antiken aus Pergamon und Werke Picassos, das Wiener Biedermeier oder den Geist der 50er Jahre in Paris kennenzulernen, bedarf es keineswegs einer Fahrt zu den großen Museen der Welt. Seit über fünf Jahrzehnten eröffnen die Internationalen Tage gleichermaßen Einblicke in die Kunst und Kultur unserer Welt, wenn das Alte Rathaus in Ingelheim am Rhein alljährlich zum Schauplatz thematischer oder monografischer Ausstellungen wird.

Am Anfang stand die Idee, im Umfeld eines international tätigen Unternehmens Ausblicke auf Leben und Kultur anderer Nationen und Völker zu stiften: Der Leitgedanke kultureller Offenheit und Fortbildung veranlasste 1959 Dr. Ernst Boehringer als Mitinhaber des Familienunternehmens Boehringer Ingelheim, ein Kulturfestival auszurichten. Die Riege der Internationalen Tage wurde nahezu über drei Jahrzehnte hinweg von dem Schweizer Dr. François Lachenal (1918–1997) angeführt. Die ersten Internationalen Tage waren dem Nachbarn Frankreich gewidmet und umfassten eine kleine Ausstellung sowie ein buntes Programm von Vorträgen bis hin zu kulinarischen Spezialitäten. Der Grundriss für die Zukunft war gezeichnet, und die Internationalen Tage sollten sich mit eigener Dynamik entwickeln. Die Ausstellungen wurden alsbald zum Kernpunkt der nun mehrwöchigen Veranstaltung, und im Jahr 1966 konnte mit Goya erstmals ein einzelner Künstler präsentiert werden.

Das vervielfachte Informationsangebot unserer Zeit erfordert und ermöglicht heute die Ausrichtung sorgfältig und wissenschaftlich begründeter Kunstpräsentationen, die lange schon auch in internationalen Fachkreisen Beachtung finden. Von 1988 bis 2012 wurden die Internationalen Tage Ingelheim von Dr. Patricia Rochard geleitet, die in monografischen wie thematischen Ausstellungen neue Akzente setzte, die sowohl Gegenwartskunst (Warhol, Tinguely) als auch das Medium Fotografie ins Zentrum rückten. 2013 übernahm Dr. Ulrich Luckhardt die Leitung der Internationalen Tage Ingelheim. Ein Rahmenprogramm sowie die feste Einbindung in das Netz einer regionalen Kultur garantieren gleichermaßen breite öffentliche Resonanz und den besonderen Stellenwert der Internationalen Tage für die gesamte Rhein-Main-Region.
Ort der Ausstellungen ist seit 1984 das ehemalige Rathaus der Stadt Ingelheim im historischen Stadtteil Nieder-Ingelheim. Im beschaulich gebliebenen Umfeld, gerade einen Steinwurf von den Resten der karolingischen Kaiserpfalz und deren Ausgrabungen entfernt, grüßt das zweistöckige, durch markante Rundfenster gegliederte Gebäude von 1860 mit stündlichem Glockenschlag.

Wegen Sanierung und Erweiterung ist das Alte Rathaus seit Sommer 2015 geschlossen. Aus diesem Grund findet 2017 die Ausstellung „Emil Nolde. Die Grotesken“ in Kooperation mit dem Museum Wiesbaden und der Nolde Stiftung Seebüll in Wiesbaden statt.

Nach dem Abschluss der Sanierungen und des Erweiterungsbaus durch das renommierte Architekturbüro Scheffler & Partner, Frankfurt am Main, erhalten die Internationalen Tage ab dem 6. Mai 2018 wieder ihren angestammten Ort – das Alte Rathaus in Nieder-Ingelheim –
zurück.

Sensations-Schenkung für Museum Wiesbaden Minister Rhein unterzeichnet Schenkungsvertrag mit Privatsammler

Der Wiesbadener Mäzen Ferdinand Wolgang Neess mit seiner Frau Danielle Neess Foto © Museum Wiesbaden
Der Wiesbadener Mäzen Ferdinand Wolfgang Neess mit seiner Frau Danielle Neess
Foto: Bernd Fickert © Museum Wiesbaden

Wiesbaden. Das Museum Wiesbaden bekommt eine Sammlung mit Werken des Jugendstils und Symbolismus geschenkt, die europaweit ihresgleichen sucht. Der Wiesbadener Mäzen Ferdinand Wolfgang Neess überlässt 570 Kunstwerke aus dem 19. Jahrhundert dem Landesmuseum, das nun eine Dauerausstellung einrichten wird. Kunst- und Kulturminister Boris Rhein unterzeichnet heute den Schenkungsvertrag.

Kunst- und Kulturminister Boris Rhein: „Dieser Schenkungsvertrag markiert einen Meilenstein in der Geschichte des Museums Wiesbaden. Die Sammlung zeichnet sich sowohl durch die außergewöhnliche Qualität der Werke als auch durch ihre hohe kunstgeschichtliche Bedeutung aus. Teile davon waren sogar bei der Weltausstellung im Jahr 1900 in Paris zu sehen! Fast sein ganzes Leben hat Ferdinand Wolfgang Neess unendlich viel Geduld, Sachverstand und unnachahmliches Gespür für die Qualität der Objekte bewiesen. Ich danke ihm herzlich dafür, dass die Besucherinnen und Besucher des Museums Wiesbaden in den Genuss dieser großartigen Sammlungen kommen können.“

Kunst- und Kulturminister Boris Rhein unterschreibt den Schenkungsvertrag. Foto © Museum Wiesbaden
Kunst- und Kulturminister Boris Rhein unterschreibt den Schenkungsvertrag.
Foto: Bernd Fickert © Museum Wiesbaden

Bei der Schenkung handelt es sich um Gemälde und Zeichnungen (zum Beispiel Delville, Moreau, von Hofmann), Möbel (Gallé, Guimard, Majorelle, Pankok, Riemerschmid), Gläser (Lötz), Lampen (Tiffany, Gallé, Riemerschmid), Keramik (Amphora, KPM, Meissen, Nymphenburg), Plastiken (Gurschner, Minne, Rivière) sowie Silber (Dubois, Follot, Moser, van de Velde). Besonders beeindruckend ist die vielfältige Herkunft der Stücke: Sie stammen aus Deutschland, Frankreich, Österreich, England, den Vereinigten Staaten, den Niederlanden, Schweden, Dänemark und Italien. Die Sammlung ist von musealer Qualität, besitzt einen Wert von über 41 Millionen Euro und ist in einem exzellenten konservatorischen Zustand.

Bereits in den 1960er Jahren begann Ferdinand Wolfgang Neess mit seinem Gesamtkunstwerk, das auf einzigartige Weise den Geist der Epoche reflektiert. Mit dem Jugendstil wandten sich junge Künstler und Kunsthandwerker in der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert gegen rückwärtsgewandte Kunst und die als seelenlos verstandene Industrialisierung. Ihr Blick richtete sich auf Materialien wie Beton oder Eisen und neue Baumethoden. Dekorativ geschwungene Linien, Blumen-Ornamente und der Aufbruch von Symmetrien wurden stilprägend. Seine Jugendstilsammlung erweiterte Ferdinand Wolfgang Neess später um Werke des Symbolismus. Das ist eine Geisteshaltung aus dem 19. Jahrhundert, bei der es den Künstlern vor allem um die seelische Tiefe eines Werkes geht.

Jugendstil pur: Franz von Stucks "Kentaurenritt", entstanden 1906, gehört zur Sammlung von Wolfgang Ferdinand Neess. Foto © Museum Wiesbaden
Jugendstil pur: Franz von Stucks „Kentaurenritt“, entstanden 1906, gehört zur Sammlung von Wolfgang Ferdinand Neess. Foto: Bernd Fickert © Museum Wiesbaden

„Die Sammlung mit Werken aus dem 19. Jahrhundert bildet einen wichtigen Schwerpunkt des Museums Wiesbaden. Mit der Jugendstil- und Symbolismus-Sammlung von Ferdinand Wolfgang Neess kann das Museum Wiesbaden nun die Entwicklung der Kunstgeschichte von 1800 bis in die Gegenwart durchgängig in Spitzenwerken präsentieren. Damit spielt unser Landesmuseum mehr als je zuvor in der Liga der herausragenden Kulturhäuser Europas mit“, so Kunst- und Kulturminister Boris Rhein.

Die Eröffnung der zukünftigen Dauerausstellung mit der Sammlung von Ferdinand Wolfgang Neess im Museum Wiesbaden ist für Juni 2019 geplant.

Richard Serras gefährliche „Blei-Kartenhäuser“ ab 17.März 2017 im Museum Wiesbaden

Dr. Jörg Daur, Kurator und stellvertretender Museumsdirektor führt durch die Ausstellung. Hier vor der Skulptur House of Cards (Kartenhaus). Sie ist eine der wichtigsten Arbeiten von Richard Serra aus der Serie der Prop-Skulpturen. Sie zeigt exemplarisch Serras Prinzip des Aneinanderlehnens der einzelnen Bleiplatten ebenso wie das fragile Gebilde und die letztlich auch spielerische Aufstellung. Die Skulptur kann nur existieren, wenn alle vier tonnenschwere Bleiplatten zugleich aneinander lehnen. Foto: Diether v. Goddenthow
Dr. Jörg Daur, Kurator und stellvertretender Museumsdirektor führt durch die Ausstellung. Hier vor der Skulptur House of Cards (Kartenhaus). Sie ist eine der wichtigsten Arbeiten von Richard Serra aus der Serie der Prop-Skulpturen. Sie zeigt exemplarisch Serras Prinzip des Aneinanderlehnens der einzelnen Bleiplatten ebenso wie das fragile Gebilde und die letztlich auch spielerische Aufstellung. Die Skulptur kann nur existieren, wenn alle vier tonnenschwere Bleiplatten zugleich aneinander lehnen. Foto: Diether v. Goddenthow

Das Museum Wiesbaden zeigt vom 17. März bis 18. Juni 2017 in der Ausstellung „Richard Serra – Props, Films, Early Works“ frühe Werke des diesjährigen Alexej-von-Jawlensky-Preisträgers. 

Als der amerikanische Künstler Richard Serra in den frühen 1960er Jahren mit industriellen Werkstoffen wie Gummi und Blei experimentierte und mit seinen tonnenschweren Installationen, den sogenannten Prop Pieces (gestützte Stücke), „die“ klassische Skulptur vom Sockel gestoßen hatte, sorgte er für viel Wirbel in der damaligen Kunstwelt. Erstmals hatte ein Künstler im avantgardistischen Zeitgeist von einst, kein Abbild der Wirklichkeit schaffen zu wollen, gewagt, industriell gefertigte Materialstücke skulptural auf dem realen Ausstellungsboden liegend zu inszenieren. Richard Serra wollte den Prozess zeigen, den Prozess variierender Herstellung, Bearbeitung, Aufstellung sowie den kommunikativen Prozess von Raumsituation, Installationsplatz und Blickwinkel des Betrachters. All diese mit der Materialität, Formgebung und Form einhergehenden prozessualen Faktoren zusammen sind die Skulptur.

Richard Serra, Shovel Plate Prop, 1969 Foto: Diether v. Goddenthow
Richard Serra, Shovel Plate Prop, 1969 Foto: Diether v. Goddenthow

Richard Serra wäre es fast lieber, so Museumsdirektor Dr. Alexander Klar, die Ausstellung würde nicht stattfinden, weil Serra in seiner euphorischen Jugend diese Dinge getan habe, und heute im reifen Alter wisse er, dass das mehr als nur ein Spiel mit Bleiplatten gewesen sei, dass es unter Umständen auch etwas Tödliches sein könne. Denn die Ausstellung sei nämlich gefährlich, so der Museumsdirektor bei der Pressevorbesichtigung: „Was Sie nachher sehen werden, sind lauter, ich sag’s mal, nur durch ihr Gewicht gesicherte Werke. Wir haben schon einige Mühen mit der Sicherheit gehabt. Es sind wahnsinnig schwere Dinge, die alle nicht zementiert sind, sondern, wenn man ordentlich an ihnen arbeitet, könnten die einen auf die Füße fallen. Das Gegeneinander von sehr, sehr schwer und scheinbar leicht, ist ein Reiz dieser Arbeit, aber gleichzeitig auch eine große Gefahr!“.

Richard Serra, Two Plate Prop, 1969. Foto: Diether v. Goddenthow
Richard Serra, Two Plate Prop, 1969. Foto: Diether v. Goddenthow

Doch das Museum Wiesbaden wagt es mit der Ausstellung Richard Serra – Props, Films, Early Works seine Besucher vom 17. März bis 18. Juni 2017 dieser „Gefahr“ von „tonnenschweren Bleiplatten“ und womöglich „platten Füße  auszusetzen. Mehr noch: Richard Serra ist der diesjährige Alexej-von-Jawlensky-Preisträger. Der Alexej-von-Jawlensky-Preis wird zu Ehren des berühmtesten Künstlers der Stadt im fünfjährigen Turnus von der Landeshauptstadt Wiesbaden gemeinsam mit Spielbank und Nassauischer Sparkasse vergeben. Damit ist dem Museum Wiesbaden wieder ein großer Clou gelunden: Denn Richard Serra, geboren 1939 in San Francisco/USA, zählt zu den bedeutendsten zeitgenössischen Bildhauern und besetzt mit großer Konsequenz eine Position in der Kunst der letzten 50 Jahre, die heute bereits zu den Klassikern zählt. Er ist der sechste Preisträger nach Agnes Martin (1991), Robert Mangold (1996), Brice Marden (2004), Rebecca Horn (2007) und Ellsworth Kelly (2012). „Rein zufällig“ ergab sich auch der Ausstellungszeitrum. Denn so mancher international reisender Dokumenta-Besucher dürfte beim Namen „Richard Serra“ von Kassel einen Abstecher nach Wiesbaden einplanen und umgekehrt.

Die Ausstellung im Museum Wiesbaden konzentriert sich auf Serras frühe Arbeiten, die sogenannten „Props“ oder „Prop pieces“, sowie filmische Arbeiten aus den späten 1960er- und frühen 1970er-Jahren. Denn Richard Serras große Stahlarbeiten, die wir, so Kurator und stellvertretender Museumsleiter Dr. Jörg Daur, auch in Deutschland im öffentlichen Raum an vielen Orten haben, könnten schon ihrer Größe wegen gar nicht gezeigt werden. Ein Phänomen wäre, dass, wenn man in die Stahlschnecken, Stahlgewinde von Richard Serra hineinginge, tatsächlich ein Gefühl aufkomme, eine körperliche Erfahrung gemacht zu haben. Man fühle sich tatsächlich in gewisser Weise bedrängt, aber vielleicht auch aufgehoben in dieser Masse von Stahlmaterial, so Daur. Und das, was seine heutigen großen Stahlskulpturen suggerierten, dass man „bedrängt“ wird durch den Stahl, dass man sozusagen körperlich ja wirklich eintaucht in ein Raum der Installation, das ist auf der anderen Seite total ungefährlich, so der Kurator. Bei den großen Stahlarbeiten heute wäre „Gefahr“ überhaupt gar kein Thema, abgesehen davon , dass der Raum, der Boden, sie tragen müsse. Aber stünden die Stahlkolosse einmal, kann zwischen durchgangen werden, da passiere gar nichts.

Richard Serras frühe Arbeiten, wie sie jetzt in Wiesbaden gezeigt würden, seien anders, so Jörg Daur. Die frühen Arbeiten, diese Prop Pieces , bestehen aus Blei „und sie werden tatsächlich nur zusammengehalten von der Schwerkraft, von dem Gewicht des Bleis und ganz minimalen Berührungen der einzelnen Platten untereinander. Und da ist tatsächlich Gefahr drin. Das heißt: Da sieht es nicht nur gefährlich aus, sondern es ist gefährlich. Es ist tatsächlich so, dass Sie eben nicht zwischendurch gehen können“. Deswegen hat das Museum Wiesbaden die gefährlichsten Arbeiten vorsorglich durch entsprechende Absperrungen gesichert.

Richard Serra, V+5c Michael Heizer 1969 Foto: Diether v. Goddenthow
Richard Serra, V+5c Michael Heizer 1969 Foto: Diether v. Goddenthow

Bei beiden Werkgruppen steht die Handlung als künstlerische Aktion im Vordergrund. Das Stellen, Lehnen und letztlich auch Ausrichten der verwendeten Bleiplatten korrespondiert mit den einfachen Handlungen der filmischen Arbeiten. „Die Skulptur wird dabei eben nicht mehr auf dem Sockel präsentiert als ein Ding, sozusagen aus einer anderen Welt, die auch keine Geschichte und kein Bild mehr widergibt“, so Jörg Daur. Die Skulptur halte sich mit ihrem Material im gleichen Raum mit ihrem Betrachter auf. „Diese Skulptur ist noch gar nicht abgeschlossen, wenn ich aus dem Raum gehe, sondern  es spielt auch noch eine Rolle, was der Betrachter damit anfängt, oder: es geht auch darum, die Skulptur immer wieder neu aufzubauen. Das ist nämlich auch spannend. Seine Skulpturen, die Prop Pieces, die kommen ja nicht fertig gestellt, sondern die kommen als einzelne Platten, werden hier zusammengesetzt“, so Jörg Daur.

Es sei interessant, dass gar kein Künstler beim Aufbauprozess der „Prop Pieces “ dabei sein müsse. Es reiche ein Aufbauassistent. Ernst Fuchs beherrsche den Aufbau der Skulpturen seit 40 Jahren. Jede Skulptur habe ihre Form. Aber die Form bildet zuletzt eben immer wieder neuen Raum, das heißt: die Skulptur existiert eigentlich nicht in der Kiste, sondern sie wird im Raum wieder neu aufgestellt, und wird in Beziehung zu dem Raum gestellt. Ernst Fuchs war mit seinem Team und Spezialgerätschaft in Wiesbaden. Ohne ihn wäre es gar nicht möglich gewesen, diese tonnenschweren Bleiplatten entsprechend der Wiesbadener räumlichen Möglichkeiten zu Skulpturen zusammenzustellen.

Ganz wesentlich sei natürlich der Ansatz, den Richard Serra Ende der 60er Jahre verfolgt habe. Serra habe, so Jörg Daur, zum ersten Mal seine Verb-List, eine Liste von Verben, von „Tun-Wörtern“, aufgeschrieben wie: rollen, sägen, schneiden, reißen, wickeln, hängen, und damit eigentlich klar macht, dass all diese Tätigkeiten eigentlich schon gedanklich den Raum der Skulptur beinhalten, dass jede dieser Tätigkeiten die Skulptur hervorbringen kann. Schon das Reißen eines Blattes schafft Skulptur, dass Zerreißen von Blei natürlich umso mehr, und das Wickeln von Blei, das Schneiden von Stein. Das war erst konzeptuell gedacht.  Richard Serra sei jemand, so Jörg Daur,  der vom Konzept herkommt. Und die Konzeptkunst Ende der 60er ist wesentlich. Aber: bei ihm steht nicht nur das Konzept, sondern auch die Ausführung des Konzeptes, so Jörg Daur. Hinter jeder Skulptur stehe quasi ein Konzept, ein Ansatz, sozusagen eine Möglichkeit, etwas zu zeigen, wie in einem Baukasten, aber letztlich ist auch die Ausführung entscheidend. Deswegen müssen die Skulpturen auch immer wieder neu gestellt aufgebaut werden. Dabei folgen Handlungen.

Cutting Device: Base Plate Measume. Hier bleibt offen, ob das  abgeschnittene Material oder die daneben liegenden Schnittreste das  Kunstwerk sind. Foto: Diether v. Goddenthow
Cutting Device: Base Plate Measume. Hier bleibt offen, ob das abgeschnittene Material oder die daneben liegenden Schnittreste das Kunstwerk sind. Foto: Diether v. Goddenthow

Handlungen werden ausgeführt. Aus diesen Handlungen entsteht Skulptur. Die Skulptur entsteht eben nicht, um ein Bild zu machen, sondern um eigentlich all diese Handlungen zu illustrieren, so Jörg Daur. „Es wird eine Handlung ausgestellt, es wird ein Tun ausgestellt, oder ein Ergebnis dieses Tuns. Das geht dann nachher soweit, dass in seinen Skulpturen ganz wesentlich ist die industrielle Produktion.“, so der Kurator. Die Arbeiten selbst seien ja nicht im Atelier entstanden. Die Stahlplatten habe er ja nicht selbst im Atelier gehämmert, sondern das seien alles Dinge, die industriell produziert, vorproduziert seien. So sei auch Serras Film Stahlwerk / Steelmill zu verstehen, der die Produktion seiner Skulptur Berlin Block (for Charlie Chaplin) dokumentiere, vor allem aber auch die Arbeiter und deren Arbeitsbedingungen in der Henrichshütte in Hattingen.

Die Ästhetik der Arbeiten speist sich aus den physikalischen Parametern des Materials, dessen Oberfläche, dessen Gewicht und Stabilität. Die Anordnung folgt dabei unterschiedlichen Möglichkeiten balancierter Aufstellung. Einerseits fragil und temporär erscheinend – Serra selbst nennt eine der zentralen Arbeiten „House of Cards“ (Kartenhaus) – verbleiben die Konstellationen doch allein durch das Gewicht der Platten fixiert und unveränderlich.

Richard Serra, 2-2-1: To Dickie and Tina, 1969 Foto: Diether v. Goddenthow
Richard Serra, 2-2-1: To Dickie and Tina, 1969 Foto: Diether v. Goddenthow

Eine Auswahl von zwölf „Prop Pieces“, zeitgleich entstandene Arbeiten aus Gummi und weiteren Materialien sowie die frühen Filme des Künstlers werden in der Ausstellung einander gegenübergestellt. Die Ausstellung – konzipiert in enger Zusammenarbeit mit dem Künstler – versammelt Werke u.a. aus dem Museum of Modern Art, New York, dem Whitney Museum of American Art, New York, der Tate, London, der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, dem Museum Abteiberg sowie der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen.

Das Museum Wiesbaden zeigt seit über 25 Jahren in einem besonderen Schwerpunkt amerikanische Kunst von den 1960er-Jahren bis in die Gegenwart, darunter die Werke von
Donald Judd, Eva Hesse, David Novros, Fred Sandback sowie der Jawlensky-Preisträger Agnes Martin, Robert Mangold, Brice Marden und Ellsworth Kelly. Mit den Arbeiten Richard Serras präsentiert das Museum Wiesbaden nun eine weitere herausragende Position der amerikanischen Gegenwartskunst.

 

Richard Serra Biografie
Geboren 1938 in San Francisco studierte er an der Universität von Kalifornien in Berkeley und Santa Barbara. Seit 1966 lebt er in New York. Erste Einzelausstellungen zeigten sein Werk bereits 1966 in der Galleria La Salita in Rom und 1969 im Leo Castelli Warehouse, New York. 1970 wurden seine Arbeiten im Pasadena Art Museum präsentiert. Richard Serra war Künstler der Documenta in Kassel (1972, 1977, 1982 und 1987) sowie der Biennale von Venedig (1984, 2001, 2013). Bereits zweimal (1986 und 2007) wurde er mit Einzelausstellungen im Museum of Modern Art, New York, geehrt. In Europa wurde sein Werk unter anderem im Stedelijk Museum, Amsterdam (1977), im Centre Pompidou, Paris (1984) und in der Fondation Beyeler, Riehen (2011) gezeigt. Seit 2005 prägen acht monumentale Arbeiten (The Matter of Time) das Guggenheim Museum in Bilbao. In Deutschland finden sich zahlreiche Arbeiten im öffentlichen Raum, in der Situation Kunst, Bochum, ist Richard Serra mit einem permanenten Werkkomplex vertreten.

Führungen und Veranstaltungen zur Ausstellung
Führung
Sa 18 März 15:00 Uhr
So 26 März 15:00 Uhr
Di 28 März 18:00 Uhr
So 2 April 15:00 Uhr
Di 4 April 18:00 Uhr
Sa 8 April 15:00 Uhr
Di 11 April 18:00 Uhr
Sa 15 April 15:00 Uhr
Mo 17 April 15:00 Uhr
Di 18 April 18:00 Uhr
Sa 22 April 15:00 Uhr
Di 25 April 18:00 Uhr
So 30 April 15:00 Uhr
Sa 6 Mai 15:00 Uhr
Sa 13 Mai 15:00 Uhr
Sa 20 Mai 15:00 Uhr
Sa 27 Mai 15:00 Uhr
Sa 3 Juni 15:00 Uhr
Sa 10 Juni 15:00 Uhr
Sa 17 Juni 15:00 Uhr

Vortrag
Do 4 Mai 19:00 Uhr
„Handfilme und Denkräume – Zum filmischen Werk von Richard Serra
Mit Maria Anna Tappeiner, Frankfurt am Main
Kunstpause
Mi 7 Juni 12:15 Uhr
Richard Serra
Kunst & Kuchen
Do 13 April 15:00 Uhr

Art after Work
Di 18 April 19:00 Uhr
„Federleicht“ – Richard Serra
60+
Di 25 April 15:00 Uhr

Angebote für Kinder und Familien
So 23 April 11:00 – 14:00 Uhr
Offenes Atelier für Kinder und Familien in der Ausstellung Richard Serra – Props, Films, Early Works
Sa 13 Mai 11:00 – 13:30 Uhr

Museumswerkstatt für Kinder: „Wie ein Kartenhaus“, Betrachtungen und Übungen in der Ausstellung Richard Serra – Props, Films, Early Works
Sa 3 Juni 11:00 – 14:00 Uhr

Offenes Atelier Spezial am eintrittsfreien Samstag zur Ausstellung Richard Serra – Props, Films, Early Works
Sa 10 Jun 11:00 – 13:30 Uhr
Museumswerkstatt für Kinder: „Wie ein Kartenhaus“, Betrachtungen und Übungen in der Ausstellung Richard Serra – Props, Films, Early Works

Museum Wiesbaden Hessisches Landesmuseum für Kunst und Natur Friedrich-Ebert-Allee 2, 65185 Wiesbaden Fon 0611 ⁄335 2250, Fax 0611 ⁄335 2192 www.museum-wiesbaden.de museum@museum-wiesbaden.de

Öffnungszeiten
Mo geschlossen Di, Do 10:00—20:00 Uhr Mi, Fr—So 10:00—17:00 Uhr An Feiertagen 10:00—17:00 Uhr geöffnet. Auch Ostermontag und Pfingstmontag geöffnet.

Eintritt Sonderausstellung* 10,— Euro (7,— Euro) * Eintritt in die Sonderausstellungen beinhaltet den Besuch der Sammlungen. Familienangebot: Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre in Begleitung ihrer Eltern freier Eintritt. Weitere Ermäßigungen und Tarife für Gruppen unter www.museum-wiesbaden.de ⁄preise

Verkehrsanbindung PKW und Reisebusse: A 66, Abfahrt Wiesbaden-Erbenheim, Richtung Stadtmitte, Parkhaus Rheinstraße Bahn: Zum Hbf Wiesbaden mit DB und S1, S8 und S9 aus Richtung Frankfurt und Mainz. Vom Hbf 10 min Fußweg zum Museum Linienbusse: Rheinstraße und Wilhelmstraße Service Schwellenfreier Zugang: Aufgrund von Baumaßnahmen verlegt. Bitte folgen Sie der Beschilderung am Haupteingang. Museumsshop: Fon 0611 ⁄ 335 2251

Emil Nolde. Die Grotesken – Zu Gast im Museum Wiesbaden vom 30.April bis 9.Juli 2017

Emil Nolde. Begegnung am Strand. Gemälde 1920 © Nolde Stiftung Seebüll
Emil Nolde. Begegnung am Strand. Gemälde 1920 © Nolde Stiftung Seebüll

Eine Ausstellung der Internationalen Tage Ingelheim zu Gast im Museum Wiesbaden – vom 30. April bis 9. Juli 2017
Die Eröffnung findet statt am 29. April 2017, 17 Uhr
Mit dem künstlerischen Werk von Emil Nolde verbinden sich immer sofort Vorstellungen von stark farbigen Blumengärten, wild aufgeregten Meereslandschaften unter dramatischen Wolkenformationen oder intensive Eindrücke von der berühmten Reise in die Südsee unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg. Weitestgehend unbekannt ist eine andere Facette in Noldes umfangreichen Werk: Das Phantastische und das Groteske.

Mit dem künstlerischen Werk von Emil Nolde verbinden sich immer sofort Vorstellungen von stark farbigen Blumengärten, wild aufgeregten Meereslandschaften unter dramatischen Wolkenformationen oder intensive Eindrücke von der berühmten Reise in die Südsee unmittelbar vor dem Ersten Weltkrieg. Weitestgehend unbekannt ist eine andere Facette in Noldes umfangreichen Werk: Das Phantastische und das Groteske.

In Noldes vierbändigen Autobiografie und in Briefen finden sich vielfältige Hinweise und Erläuterungen, die deutlich machen, dass sein künstlerisches Werk entscheidend durch sein subjektives Verhältnis zum Phantastischen und Grotesken beeinflusst und geprägt ist. Bereits sein erstes Ölgemälde, die Bergriesen von 1895/96, und die Reihe der Bergpostkarten, in denen Nolde Schweizer Bergen groteske menschliche Physiognomien gibt, und die ihn als bildenden Künstler noch vor der Wende zum zwanzigsten Jahrhundert bekannt werden ließen, zeugen von Noldes intensivem Interesse am Phantastischen.

Von diesen Anfängen, denen 1905 die Mappe Grotesken mit Radierungen folgt, bis in die Jahre des Berufsverbots durch die Nationalsozialisten zieht sich in seinem Werk immer wieder die Abkehr von der Realität hin zu einer grotesken Gegenwelt.

Die Ausstellung, die in enger Kooperation mit der Nolde Stiftung Seebüll entsteht, umfasst 20 Gemälde sowie ca. 90 Werke auf Papier, die zum Teil noch nie öffentlich in einer Ausstellung gezeigt wurden.

Da 2017 das Alte Rathaus in Nieder-Ingelheim wegen einer Generalsanierung und Erweiterung für Ausstellungen nicht zur Verfügung steht, sind die Internationalen Tage in diesem Jahr zu Gast im Museum Wiesbaden. Nach der Präsentation im Museum Wiesbaden wird die Nolde-Ausstellung vom 23. Juli bis zum 15. Oktober 2017 im Buchheim Museum der Phantasie in Bernried am Starnberger See gezeigt.

Emil Nolde. Die Grotesken
30.04. – 09.07.2017

Museum Wiesbaden
Friedrich-Ebert-Allee 2, 65185 Wiesbaden
Di/Do 10-20 Uhr, Mi 10-17 Uhr, Fr-So 10-17 Uhr, Mo geschlossen