Kategorie-Archiv: Goethe-Universität Frankfurt

Forscher der Goethe-Universität entwickeln neue Biobatterie zur Speicherung von Wasserstoff Bidirektionale Bindung und Freisetzung von Wasserstoff in Bioreaktor

Einem Team von Mikrobiologen der Goethe-Universität ist es gelungen, mit Hilfe von Bakterien Wasserstoff kontrolliert zu speichern und wieder abzugeben. Auf der Suche nach CO2-neutralen Energieträgern im Interesse des Klimaschutzes ist dies ein wichtiger Schritt. Das entsprechende Paper ist nun in der renommierten Fachzeitschrift „Joule“ erschienen.

FRANKFURT. Der Kampf gegen den Klimawandel macht die Suche nach CO2-neutralen Energieträgern immer dringlicher. Grüner Wasserstoff, der mit Hilfe von erneuerbaren Energien wie Windkraft oder Solarenergie aus Wasser gewonnen wird, ist einer der Hoffnungsträger. Allerdings sind Transport und Speicherung des hochexplosiven Gases schwierig und weltweit suchen Forschende nach chemischen und biologischen Lösungen. Ein Team von Mikrobiologen der Goethe-Universität haben in Bakterien, die unter Luftabschluss leben, ein Enzym gefunden, das Wasserstoff direkt an CO2 bindet und damit Ameisensäure herstellt. Dieser Prozess ist vollkommen reversibel, eine Grundvoraussetzung für eine Wasserstoffspeicherung. Diese acetogenen Bakterien, die zum Beispiel in der Tiefsee vorkommen, ernähren sich von Kohlendioxid, das sie mithilfe von Wasserstoff zu Ameisensäure verstoffwechseln. Normalerweise ist diese Ameisensäure aber nur ein Zwischenprodukt ihres Stoffwechsels, das weiter zu Essig und Ethanol verdaut wird. Doch das Team um den Leiter der Abteilung Molekulare Mikrobiologie und Bioenergetik Prof. Volker Müller hat die Bakterien so angepasst, dass dieser Prozess nicht nur auf der Stufe der Ameisensäure gestoppt, sondern auch rückabgewickelt werden kann. Das Grundprinzip ist bereits seit 2013 patentiert.

„Die gemessenen Raten der CO2-Reduktion zu Ameisensäure und zurück sind die höchsten je gemessenen und sie sind um ein Vielfaches größer als bei anderen biologischen oder chemischen Katalysatoren; die Bakterien benötigen für die Reaktion auch nicht wie die chemischen Katalysatoren seltene Metalle und keine extremen Bedingungen wie hohe Temperaturen und hohe Drücke, sondern erledigen den Job bei 30 °C und Normaldruck“, berichtet Müller. Nun vermeldet die Gruppe einen neuen Erfolg, die Entwicklung einer Biobatterie zur Wasserstoffspeicherung mit Hilfe der genannten Bakterien.

Für eine kommunale oder häusliche Wasserstoffspeicherung ist ein System sinnvoll, bei dem die Bakterien in ein und demselben Bioreaktor zunächst Wasserstoff speichern und dann wieder freisetzen, möglichst stabil über einen langen Zeitraum. Fabian Schwarz, der im Labor von Prof. Müller seine Doktorarbeit zu diesem Thema geschrieben hat, ist die Entwicklung eines solchen Bioreaktors gelungen. Er hat die Bakterien acht Stunden mit Wasserstoff gefüttert und sie dann während einer 16-stündigen Nachtphase auf eine Wasserstoff-Diät gesetzt. Die Bakterien haben den Wasserstoff daraufhin vollständig wieder freigesetzt. Die ungewollte Bildung von Essigsäure konnte durch gentechnische Verfahren eliminiert werden. „Das System lief für mindestens zwei Wochen ausgesprochen stabil“ erklärt Fabian Schwarz, der sich freut, dass diese Arbeiten zur Veröffentlichung in „Joule“, einem angesehenen Journal für chemische und physikalische Verfahrenstechnik, angenommen wurde. „Dass Biologen in diesem hochkarätigen Journal publizieren, ist eher ungewöhnlich“, freut sich Schwarz.

Volker Müller hat sich schon in seiner Doktorarbeit mit den Eigenschaften dieser speziellen Bakterien befasst – und jahrelang Grundlagenforschung dazu betrieben. „Ich habe mich dafür interessiert, wie diese ersten Organismen ihre Lebensvorgänge organisiert haben und wie sie es schaffen, unter Luftabschluss mit einfachen Gasen wie Wasserstoff und Kohlendioxid zu wachsen“, erklärt er. Durch den Klimawandel gewann seine Forschung eine neue, anwendungsorientierte Dimension. Die Biologie biete – für viele Ingenieure überraschend – durchaus praktikable Lösungen an.

Publikation: Fabian M. Schwarz, Florian Oswald, Jimyung Moon, Volker Müller: Biological hydrogen storage and release through multiple cycles of bi-directional hydrogenation of CO2 to formic acid in a single process unit. Joule (2022)

https://doi.org/10.1016/j.joule.2022.04.020

„Wie viel Identität verträgt die Demokratie?“ – Diskussion im The English Theatre Frankfurt am 9.Mai 2022

Plakat_StreitClub_09Mai2022Deitelhoff und Friedman diskutieren im „StreitClub“ über ein aktuelles Debattenthema – Als Gäste geladen: Armin Nassehi und Roger Köppel

FRANKFURT. Die Veranstaltungsreihe „StreitClub“ wird fortgesetzt. Nicole Deitelhoff, Professorin für Politikwissenschaft an der Goethe-Universität und Sprecherin des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt, lädt gemeinsam mit dem Publizisten und Moderator Michel Friedman:

am Montag, 9. Mai, um 19:30 Uhr
im The English Theatre Frankfurt,
Gallusanlage 7
60329 Frankfurt am Main

zum Streitgespräch ein. Zu Gast sind diesmal der Soziologe Armin Nassehi und der Journalist Roger Köppel. Sie stellen sich einem weiteren aktuellen Streitthema: „Wie viel Identität verträgt die Demokratie?“

Als die 1968er-Generation über Identität sprach, ging es noch um das Abstreifen alter Identitäten, das Experimentieren mit neuen Identitäten und um Rollenerwartungen. Die heutige Diskussion um Identität hat eine andere Ausrichtung: Identität ist zum Schutzwall einerseits und zur Waffe in der politischen Auseinandersetzung andererseits geworden. In der Frage, wer wen repräsentieren kann oder darf und wer wem etwas schuldet, treffen auf den ersten Blick nahezu unvereinbare Ansprüche aufeinander. Verträgt das die Demokratie? Muss sie das sogar ertragen und wenn ja, wie viel davon?

Prof. Dr. Armin Nassehi lehrt Soziologie in München. Aufgewachsen in Tübingen, München, Landshut, Teheran und Gelsenkirchen, studierte von 1979 bis 1985 Erziehungswissenschaften, Philosophie und Soziologie an der Universität Münster sowie an der Fernuniversität in Hagen. Für seine Rolle als Wissenschaftler in der Öffentlichkeit wurde er mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. Er ist u.a. Mitglied im Bayerischen Ethikrat. Der Schweizer Roger Köppel ist Journalist, Medienunternehmer, Publizist und Politiker. Seit 2001 ist er Chefredaktor und Verleger des Wochenmagazins „Die Weltwoche“, mit einem zweieinhalbjährigen Intermezzo als Chefredakteur der Tageszeitung „Die Welt“. Seit 2015 ist Köppel Mitglied im Schweizer Nationalrat.

Die Veranstaltung ist eine Kooperation zwischen dem Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ), dem Center for Applied European Studies (CAES) und dem English Theatre Frankfurt (ETF). Sie findet im Hybridformat statt. Der Livestream ist auf YouTube abrufbar, den Link finden Sie auf der Homepage des StreitClubs unter https://cutt.ly/streitclub.

Der StreitClub ist ebenso wie die Formate „StreitBus“ (in Kooperation mit dem DemokratieWagen von mehralswählen e.V. und dem Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung) und die Online-Debattenreihe „Kontrovers: Aus dem FGZ“ Teil des Projekts „Frankfurt streitet!“ des Frankfurter FGZ-Standorts. Dabei geht es um die Bedeutung von Streitkultur für die Demokratie. Tickets für den StreitClub sind für 12 bzw. 10 Euro über das English Theatre Frankfurt erhältlich.

Paul Ehrlich-und-Ludwig Darmstaedter-Preis heute in der Frankfurter Paulskirche doppelt verliehen

Zum ersten Mal in seiner Geschichte wird der Paul Ehrlich-und-Ludwig Darmstaedter-Preis heute in der Frankfurter Paulskirche doppelt verliehen. Mit dem Preis des Jahres 2021 werden Bonnie Bassler und Michael Silverman ausgezeichnet, deren Entdeckung, wie Bakterien miteinander kommunizieren, den Weg zu einer völlig neuen Antibiotikaklasse eröffnet. Die Auszeichnung des Jahres 2022 teilen sich Katalin Karikó, Ugur Sahin und Özlem Türeci, deren Erforschung der messenger RNA (mRNA) in der spektakulär schnellen Entwicklung eines hochwirksamen Impfstoffs gegen Covid-19 gipfelte und zudem aussichtsreiche Perspektiven im Kampf gegen Krebs bietet.

FRANKFURT. Im vergangenen Jahr musste die Verleihung des Paul Ehrlich-und-Ludwig Darmstaedter-Preises pandemiebedingt entfallen. „In diesem Jahr der wiedergewonnenen Präsenz ehren wir Laureaten, die entscheidend zur Überwindung der Pandemie beigetragen haben“, sagt Thomas Boehm, Vorsitzender des Stiftungsrates der Paul Ehrlich-Stiftung und Direktor am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg. „Gleichzeitig zeichnen wir heute eine Entdeckung aus, die einen neuen Ansatz gegen das globale Problem der Antibiotikaresistenz bietet.“

Bakterien, gegen die Antibiotika nichts mehr ausrichten können, sind weltweit auf dem Vormarsch. Das bedeutet eine tödliche Gefahr, die nach Angaben der Weltgesundheits-organisation alarmierende Ausmaße angenommen hat. Neue Antibiotika sind deshalb notwendig. Aber die meisten neuen Wirkstoffe, die entwickelt werden, folgen einem alten Prinzip. Sie stoppen das Wachstum von Bakterien oder töten sie ab. Diesen Angriff kontern die Mikroorganismen naturgemäß mit Mutationen, denen die Selektion widerstandsfähiger Stämme folgt.

Es ist dann nur eine Frage der Zeit, bis sie auch gegen neue Antibiotika resistent geworden sind. Die Paul Ehrlich-und-Ludwig Darmstaedter-Preisträger des Jahres 2021 haben das Fundament für ein neues Antibiotika-Prinzip gelegt. Michael Silverman und Bonnie Bassler entdeckten und entschlüsselten die Sprache, in der Bakterien miteinander kommunizieren. Durch den Austausch bestimmter Signalmoleküle verständigen sich Bakterien darüber, wann sie ein ausreichendes Quorum erreicht haben, um mit hoher Erfolgswahrscheinlichkeit gegen einen Wirtsorganismus vorgehen zu können. Diesen mikrobiellen Chat durch „Quorum Quenching“ pharmakologisch zu unterbrechen, schaltet die Bakterien stumm, ohne sie abzutöten. Sie erfahren keinen resistenzerzeugenden Selektionsdruck. Forschende in aller Welt arbeiten inzwischen daran, solche neuen Antibiotika zu entwickeln. Gegen multiresistente Keime wie beispielsweise Pseudomonas aeruginosa haben sie dabei bemerkenswerte Fortschritte erzielt.

Viren, die wie aus dem Nichts kommen, sind in der Lage, das Leben der gesamten Menschheit schlagartig in Mitleidenschaft zu ziehen. Das haben wir seit dem Ausbruch der Covid-19-Pandemie alle gelernt. Dass diese Pandemie dennoch beherrschbar wurde, ist ganz wesentlich den Leistungen der Paul Ehrlich-und-Ludwig Darmstaedter-Preisträger des Jahres 2022 zu verdanken. Durch ihre geistesgegenwärtige Reaktion auf das plötzliche Auftauchen des Coronavirus SARS-CoV-2 gelang es ihnen, in Rekordzeit einen Impfstoff zu entwickeln, der Millionen von Menschen in aller Welt das Leben gerettet hat. Die Basis dieses Erfolgs war ihre jahrzehntelange Erforschung des Botenmoleküls mRNA und dessen Optimierung für medizinische Zwecke. Katalin Karikó suchte seit Beginn ihrer Karriere unbeirrt von vielen Hindernissen nach Wegen, die intrazelluläre Proteinproduktion durch die Gabe von mRNA anzuregen. Dabei machte sie die bahnbrechende Entdeckung, wie sich die Immunabwehr des Körpers gegen extern applizierte mRNA ausschalten lässt. Ugur Şahin und Özlem Türeci fokussierten sich primär darauf, Krebsimpfstoffe zu entwickeln, die dem Immunsystem eines Patienten die Antigene seines eigenen Tumors präsentieren, damit es diesen zerstöre. Dabei entdeckten sie, wie sich die mRNA stabilisieren und die Effizienz ihrer Botschaften signifikant steigern lässt. 2008 gründeten sie das Unternehmen BioNTech. Mehrere therapeutische Krebsimpfstoffe auf mRNA-Basis haben sie dort bereits bis zur klinischen Prüfung entwickelt.

Neben den Hauptpreisen wird heute auch der Paul Ehrlich-und-Ludwig Darmstaedter-Nachwuchspreis doppelt vergeben. Mit dem Nachwuchspreis für 2021 wird die Biologin Elvira Mass ausgezeichnet. Sie hat durch die geschickte Anwendung genetischer Markierungsverfahren entdeckt, dass die gesunde Entwicklung eines Organismus schon sehr früh von spezialisierten Immunzellen gesteuert wird, die dem Dottersack des Embryos entstammen. Den Nachwuchspreis für 2022 erhält die Ärztin Laura Hinze. Sie hat mit Hilfe eines genomweiten Screenings entdeckt, auf welchem Weg sich die Resistenz von Leukämiezellen gegen ein bestimmtes Chemotherapeutikum überwinden lässt. Daraus hat sie auch eine neue mögliche Strategie zur Behandlung solider Tumore wie Darmkrebs abgeleitet.

Nobelpreis-Experiment: 100 Jahre Stern-Gerlach-Versuch an der Goethe-Universität – Festveranstaltung am 8.2.22 per Livestream aus der Paulskirche

Präsident Enrico Schleiff würdigt bahnbrechende Erkenntnis für Quantenphysik – Dienstag Festveranstaltung mit Livestream in Frankfurter Paulskirche

FRANKFURT. In der Nacht vom 7. auf den 8. Februar 1922 waren die Physiker Prof. Otto Stern und Prof. Walter Gerlach an der Goethe-Universität mit einem Experiment erfolgreich, das ausschlaggebend für die Verleihung des Nobelpreises 1943 an Otto Stern sein sollte.

Prof. Enrico Schleiff, Präsident der Goethe-Universität Frankfurt und selbst Physiker, erinnert an den Forschungsgeist, der die Arbeiten am Institut für Physik der erst acht Jahre zuvor gegründeten Goethe-Universität prägte: „Wirtschaftlich war die Lage sehr schwierig, doch die Neugierde von Otto Stern und Walter Gerlach konnte das nicht bremsen; sie wollten unbedingt die theoretisch vorhergesagte Raumquantelung experimentell überprüfen. Das Geld für die Apparaturen bekamen sie von Freunden sowie Stifterinnen und Stiftern, ein Engagement der Frankfurter Bürgerschaft zur Stärkung der Forschung der Goethe Universität, ohne die auch heute die Forschung auf Spitzenniveau kaum möglich wäre.

Getragen wurden sie vom ‚Spirit‘ am Institut für Physik, von dem Walter Gerlach später einmal sagte, dass die Zusammenarbeit großartig gewesen sei und man dauernd über alles gesprochen und voneinander gelernt habe. Dieser ‚Spirit‘ ist auch für unser heutiges Miteinander an der Universität und den mit uns verbunden Partnern in der Forschung von enormer Bedeutung, um die Zukunftsfähigkeit der Gesellschaft mitzugestalten.

Das Experiment von Otto Stern und Walter Gerlach hat uns gezeigt, wie wichtig die Grundlagenforschung wer und ist, denn sie legt die Basis für zahlreiche Anwendungen, wie im Fall von Stern und Gerlach das Kernspinverfahren, die Atomuhr oder den Laser. Gerade die Erinnerung an diese Experimente sollte auch in die Politik getragen werden, denn auch in der heute so schnelllebigen Zeit ist langfristig angelegte Grundlagenforschung das Fundament für die langfristige Innovationsfähigkeit unserer Gesellschaft.

Gleichzeitig mahnt uns ein Rückblick auf diese Zeit zu nie nachlassender Toleranz und Weltoffenheit, denn wegen des erstarkenden Antisemitismus in den 1920er-Jahren verließ Otto Stern zunächst unsere Universität und dann Deutschland.“

Zum Gedenken an das „Stern-Gerlach-Experiment“ vor 100 Jahren veranstalten die Deutsche Physikalische Gesellschaft, der Physikalische Verein Frankfurt, der Fachbereich Physik der Goethe-Universität und die Gesellschaft Deutscher Chemiker in der Frankfurter Paulskirche eine Festlichkeit, die per Livestream übertragen wird:

Dienstag, 8. Februar 2022
18 Uhr bis 19:30 Uhr
https://hvo.events/dpg

Programm:

  • „Das Stern-Gerlach-Experiment – Ein Meilenstein der Physikgeschichte“
    Vortrag von Prof. Horst Schmidt-Böcking, Institut für Physik, Goethe-Universität
  • „Stern-Gerlach in der Moderne – Präzisionsphysik mit gespeicherten Ionen“
    Vortrag von Prof. Klaus Baum, Direktor am Max-Planck-Institut für Kernphysik, Heidelberg
  • Grußwort der Frankfurter Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg

Dialog-Gespräch zwischen Prof. Dorothée Weber-Bruls, Präsidentin des Physikalischen Vereins, und Dr. Lutz Schröter, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft

Forscher:innen von Goethe-Universität und University of Kent finden Erklärung für mildere Omikron Verläufe COVID-19 Wirkstoffe sind zudem wirksam gegen Omikron in Zellkulturstudie

Eine neue Studie von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Goethe-Universität und der University of Kent zeigt, dass die SARS-CoV-2 Omikron-Variante weniger gut zelluläre Abwehrmechanismen („die Interferonantwort“) gegen Viren blockieren kann als die Delta-Variante. Außerdem deuten Zellkulturdaten darauf hin, dass acht wichtige Wirkstoffe gegen COVID-19 auch die Vermehrung der Omikron-Variante hemmen.

FRANKFURT/CANTERBURY. Die SARS-CoV-2 Omikron-Variante verursacht weniger häufig schwere COVID-19-Verläufe als die Delta-Variante, obwohl es ihr besser gelingt, den Immunschutz durch Impfung und vorherige Infektionen zu umgehen. Die Gründe hierfür sind unklar.

Nun zeigt eine aktuelle Studie eines Teams von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Goethe-Universität Frankfurt, dem Universitätsklinikum Frankfurt und der britischen University of Kent, dass die Viren der Omikron-Variante besonders empfindlich gegenüber einem nicht spezifischen, zellulären Abwehrmechanismus sind, der sogenannten Interferon-Antwort. Dies erklärt zum ersten Mal, warum mit der Omikron-Variante infizierte Patienten häufig weniger schwer erkranken.

Außerdem zeigte die Studie, dass acht der wichtigsten COVID-19-Wirkstoffe – zum Teil in der Entwicklung, zum Teil bereits zugelassen – auch die Vermehrung der neuen Omikron-Variante effektiv hemmen. Getestet wurden EIDD-1931 (ein Metabolit von Molnupiravir), Ribavirin, Remdesivir, Favipravir, PF-07321332 (Nirmatrelvir, ein Paxlovid-Bestandteil) sowie die Proteasehemmer Nafamostat, Camostat und Aprotinin. Alle Substanzen zeigten in der Zellkulturstudie eine ähnliche Wirksamkeit wie gegen die Vermehrung der Delta-Variante.

Prof. Martin Michaelis, School of Bioscience, University of Kent, erläutert: „Unsere Zellkulturexperimente liefern eine erste Erklärung dafür, warum Omikron-Infektionen häufiger milde klinische Verläufe nach sich ziehen: Offenbar kann Omikron im Gegensatz zu Delta nicht verhindern, dass die befallenen Zellen Interferon produzieren und ausschütten.“

Prof. Jindrich Cinatl vom Institut für Medizinische Virologie der Goethe-Universität sagt: „Obwohl unsere Zellkulturexperimente natürlich nicht ohne weiteres auf die ungleich komplexere Situation in Patienten übertragbar sind, geben sie Hoffnung, dass die enormen Anstrengungen zur Entwicklung von COVID-19-Medikamenten nicht vergebens waren. Wir können also zuversichtlich sein, dass auch gegen die neue Omikron-Virusvariante bald ein breites Spektrum an Wirkstoffen mit unterschiedlichen Wirkmechanismen zur Verfügung steht.“

Publikation: Denisa Bojkova, Marek Widera, Sandra Ciesek, Mark N. Wass, Martin Michaelis, Jindrich Cinatl jr. Reduced interferon antagonism but similar drug sensitivity in Omicron variant compared to Delta variant SARS-CoV-2 isolates. In: Cell. Res. (2022) https://doi.org/10.1038/s41422-022-00619-9

Weitere Informationen: Wirkstoff Aprotinin verhindert Eindringen von SARS-CoV2 in Wirtszellen (23.11.2020)

https://www.puk.uni-frankfurt.de/94489118/Wirkstoff_Aprotinin_verhindert_Eindringen_von_SARS_CoV2_in_Wirtszellen

Schon vor 3500 Jahren kam Blattgemüse auf den Tisch Archäologen und Archäobotaniker der Goethe-Universität rekonstruieren die Wurzeln der westafrikanischen Küche

Ausgrabung eines Nok-Gefäßes am Fundplatz Ifana 3. Foto: Peter Breunig
Ausgrabung eines Nok-Gefäßes am Fundplatz Ifana 3. Foto: Peter Breunig

Blattgemüse gehört in Westafrika als Beilage zu vielen Gerichten wie dem gestampften Yams im Süden der Region. In Zusammenarbeit mit Chemikern der Universität Bristol ist Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Goethe-Universität nun der Nachweis gelungen, dass die Ursprünge solcher Gerichte 3500 Jahre zurückreichen.

FRANKFURT. Mehr als 450 Töpfe aus prähistorischer Zeit wurden untersucht, 66 von ihnen enthielten Reste von Lipiden, also wasserunlöslichen Substanzen. Im Auftrag des Nok-Forschungsteams der Goethe-Universität extrahierten Chemiker der Universität Bristol Lipidprofile, die Aufschluss über die verwendeten Pflanzen geben sollten. Die Ergebnisse sind jetzt in der Zeitschrift „Archaeological and Anthropologial Sciences“ veröffentlicht worden: Mehr als ein Drittel der 66 Lipidprofile zeigten sehr unterschiedliche und komplexe Verteilungsmuster – ein Hinweis darauf, dass hier verschiedene Pflanzen und Pflanzenteile verarbeitet wurden.

Blattgemüse gehört heute in Westafrika als Beilage zu vielen Gerichten. Gekocht werden Blätter von Bäumen wie beispielsweise dem Baobab (Adansonia digitata) oder die bitter schmeckenden Blätter eines strauchigen Korbblütlers (Vernonia amygdalina). Diese Blattsoßen werden mit Gewürzen, Gemüse, auch Fisch oder Fleisch, angereichert und komplettieren die stärkehaltige Grundlage von Speisen wie dem gestampften Yams im Süden Westafrikas oder dem festen Brei aus Perlhirse in den trockeneren Savannen im Norden. Mit vereinter Expertise haben Archäologie und Archäobotanik der Goethe-Universität und chemische Wissenschaften der Universität Bristol nachgewiesen, dass die Ursprünge solcher Gerichte in Westafrika 3500 Jahre zurückreichen.

Die Untersuchungen sind Teil eines von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekts unter Leitung von Prof. Peter Breunig und Prof. Katharina Neumann, das im Dezember 2021 seinen Abschluss fand. Mehr als zwölf Jahre lang haben Archäologen und Archäobotaniker der Goethe-Universität die Nok-Kultur Zentralnigerias untersucht, die bekannt ist für ihre großformatigen Terrakotta-Figuren und für frühe Eisenproduktion in Westafrika im ersten Jahrtausend v. Chr. – wobei die Wurzeln der Nok-Kultur bis in die Mitte des 2. Jahrtausends zurückreichen. Im Fokus der Forschung stand vor allem der gesellschaftliche Kontext, in dem die Skulpturen geschaffen worden waren, also auch Wirtschaft und Ernährung. Anhand verkohlter Pflanzenreste aus Zentralnigeria konnte nachgewiesen werden, dass die Nok-Leute Perlhirse kultivierten. Ob sie aber auch andere stärkehaltige Pflanzen wie Yams nutzten und welche Gerichte sie aus der Perlhirse zubereiteten, lag bislang im Dunkeln.

„Verkohlte Pflanzenreste wie Samen und Nussschalen, die verkohlt in den archäologischen Sedimenten erhalten geblieben sind, spiegeln nur einen Teil dessen wider, was die Menschen damals gegessen haben“, erklärt Prof. Katharina Neumann. Von den chemischen Analysen habe man sich zusätzliche Erkenntnisse über die Nahrungszubereitung erhofft. Und tatsächlich konnten die Forscher aus Bristol mit Hilfe von Lipid-Biomarkern und Analysen stabiler Isotope an mehr als 450 prähistorischen Töpfen zeigen, dass verschiedene Pflanzenarten zur Herstellung von Speisen verwendet wurden.

Dr. Julie Dunne von der Abteilung für organische Geochemie der Universität Bristol sagt: „Diese ungewöhnlichen und hochkomplexen pflanzlichen Lipidprofile sind die vielfältigsten, die bisher (weltweit) in archäologischer Keramik gefunden wurden.“ Es scheint mindestens sieben verschiedene Lipidprofile in den Gefäßen zu geben, was ein deutliches Indiz für die Verarbeitung verschiedener Pflanzenarten und -organe in diesen Gefäßen ist, darunter möglicherweise auch von unterirdischen Speicherorganen (Knollen) wie etwa Yams.

Seit Beginn des Projekts suchten die Archäobotanikerinnen im Projekt Belege für die frühe Nutzung von Yams, liegt die Nok-Region doch im „Yamsgürtel“ Westafrikas, also in dem Bereich des Kontinents, in dem Yams heute kultiviert wird. Verkohlte Reste helfen hier nicht weiter, denn das weiche Gewebe der Knollen ist oft schlecht erhalten und zudem wenig spezifisch. Die chemischen Analysen deuten nun darauf hin, dass neben Blättern und anderen noch nicht identifizierten Gemüsen auch suberinhaltiges Pflanzengewebe gekocht wurde – diese Substanz findet man in der Rinde sowohl von oberirdischen als auch unterirdischen Pflanzenorganen – möglicherweise also ein erstes Indiz für die Zubereitung von Yams, wenn auch nicht der erhoffte eindeutige Beweis.

Durch die archäobotanische Untersuchung von verkohlten Resten wusste man bisher von Perlhirse (Cenchrus americanus) und Kuhbohne (Vigna unguiculata), den ölhaltigen Früchten des Canariumbaumes (Canarium schweinfurthii) und von einer Afrikanischer Pfirsich genannten Frucht (Nauclea latifolia), die wegen ihre Vielzahl von Samen an große Feigen erinnert. Die molekulare Untersuchung komplettiert nun das Bild der Nahrungszubereitung an den Fundplätzen der Nok-Kultur. Die Frankfurter Archäobotanikerin Dr. Alexa Höhn erklärt: „Die sichtbaren und unsichtbaren Reste der Nahrungszubereitung im archäologischen Sediment und in der Keramik vermitteln uns ein viel vollständigeres Bild vergangener Ernährungsgewohnheiten. Die neuen Belege lassen nun auf eine beträchtliche zeitliche Tiefe der westafrikanischen Küche schließen.“

Publikation: Julie Dunne, Alexa Höhn, Katharina Neumann, Gabriele Franke, Peter Breunig, Louis Champion, Toby Gillard, Caitlin Walton‑Doyle, Richard P. Evershed Making the invisible visible: tracing the origins of plants in West African cuisine through archaeobotanical and organic residue analysis. Archaeological and Anthropological Sciences https://doi.org/10.1007/s12520-021-01476-0

Lesen und Sprechen folgen einem ähnlichen Takt Verarbeitung von geschriebener und gesprochener Sprache liegen nah beieinander

Beim Lesen bewegt sich der Blick in einem bestimmten Muster über den Text. Dieses Muster ähnelt in überraschendem maß der Rhythmik gesprochener Sprache, wie ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter Beteiligung der Goethe-Universität herausgefunden hat. Die Ergebnisse ihrer Forschung erscheinen heute in der Fachzeitschrift „Nature Human Behavior“.

FRANKFURT. Wenn wir lesen, lassen wir unseren Blick über einen Text wandern. Die Bewegungen der Augen folgen dabei einer charakteristischen zeitlichen Rhythmik. Ein internationales Team von Forscherinnen und Forschern mit starker Beteiligung der Goethe-Universität hat in Blickbewegungsexperimenten und einer Metastudie mit 14 verschiedenen Sprachen herausgefunden, dass diese zeitliche Struktur des Lesens nahezu identisch ist mit der dominanten Rhythmik der gesprochenen Sprache. Daraus lasse sich schließen, dass sich die Verarbeitung von geschriebener und gesprochener Sprache in einem größeren Maße ähneln als bisher angenommen. Die Ergebnisse der Forschungen erscheinen in der Fachzeitschrift „Nature Human Behavior“. Weitere beteiligte Forschungseinrichtungen waren die Universität Wien, das Ernst Strüngmann Institut Frankfurt, die New York University, das Max-Planck-Institut für empirische Ästhetik Frankfurt und die Universität Salzburg.

Sprachen und Schriftsysteme sind zentrale Elemente menschlicher Kommunikation. Schriftsysteme ermöglichen uns seit Jahrtausenden, Information nicht nur von Angesicht zu Angesicht zu teilen, sondern sie auch materiell zu speichern und dauerhaft verfügbar zu machen. „Das Lesen ist eine der faszinierendsten kulturellen Errungenschaften des Menschen“, sagt Erstautor Dr. Benjamin Gagl, bis vor kurzem wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Psychologie der Goethe-Universität. „Die gesprochene Sprache beeinflusst auch das Lesen. Bis jetzt ist aber wenig über die gemeinsamen zugrundeliegenden Mechanismen von Lesen und gesprochener Sprache bekannt“, erklärt Gagl, der von Haus aus Psychologe ist.

Diese Mechanismen hat Gagl gemeinsam mit einem internationalen Team unter Leitung von Prof. Christian Fiebach untersucht, indem er die zeitlichen Strukturen des Lesens mit denen der gesprochenen Sprache verglich. Dabei zeigte sich, dass die rhythmischen Abläufe der Augenbewegungen beim Lesen und die dominante Rhythmik im Sprachsignal nahezu identisch sind. Diese Erkenntnis wirft ein neues Licht auf die Schnittstelle zwischen geschriebener und gesprochener Sprache.

Für ihre Studie übertrug das Team Methoden der Frequenzanalyse, die in der Untersuchung des lautlichen Sprachsignals schon breite Verwendung finden, auf die Untersuchung von Augenbewegungen. Diese Vorgehensweise wurde in zwei Studien an der Goethe-Universität Frankfurt und einer Studie an der Universität Salzburg angewandt. Neben einer vergleichbaren Rhythmik von Lesen und Sprechen zeigte sich bei weniger leseerfahrenen Personen eine direkte zeitliche Kopplung der Lese- und Sprachprozesse. Geübtere Leserinnen und Leser hingegen lasen schneller und konnten zwischen zwei Augenbewegungen mehr Information aus dem Text entnehmen. Zusätzlich erfassten die Autorinnen und Autoren in einer Metastudie alle in Fachzeitschriften erschienenen Blickbewegungsstudien des Lesens aus den Jahren 2006 bis 2016 und schätzten für diese die zeitliche Rhythmik des Lesens für 14 Sprachen und mehrere Schriftsysteme. Dabei zeigte sich, dass der Leserhythmus bei zeichenbasierten Schriftsystemen (wie etwa im Chinesischen) langsamer ist, was mit den höheren Anforderungen an die visuelle Analyse der komplexeren Schriftzeichen erklärt werden kann.

„Die Ergebnisse zeigen Zusammenhänge zwischen gesprochener und geschriebener Sprache auf eine neuartige und bisher noch nicht bekannte Art und Weise“, so Christian Fiebach. „Die Sprachverarbeitungssysteme des menschlichen Gehirns haben sich im Verlauf der Evolution auf die zeitlichen Abläufe der gesprochenen Sprache spezialisiert. Wir gehen aufgrund der aktuellen Ergebnisse davon aus, dass diese Sprachsysteme beim Lesen als eine Art ‚Taktgeber‘ für die Augen dienen, damit diese die gelesenen Informationen in einem optimalen zeitlichen Rhythmus an das Gehirn senden und so die weitere Analyse erleichtern. Diese Hypothese kann nun mit dem hier vorgestellten methodischen Ansatz vertieft untersucht werden.“

Publikation: Gagl, B., Gregorova, K., Golch, J., Hawelka, S., Sassenhagen, J., Tavano, A., Poeppel, D. & Fiebach, C. J. (accepted). Eye movements during text reading align with the rate of speech production. Nature Human Behavior.

https://www.biorxiv.org/content/10.1101/391896v3.full.pdf

Ministerpräsident Volker Bouffier verleiht Hessischen Kulturpreis 2021 an Prof. Dr. Sandra Ciesek und Dr. Mai Thi Nguyen-Kim – Prof. Drosten hält Laudatio

Wiesbaden/Frankfurt. Der Hessische Ministerpräsident Volker Bouffier hat heute die Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt, Prof. Dr. Sandra Ciesek, und die Wissenschaftsjournalistin Dr. Mai Thi Nguyen-Kim für ihre Verdienste in der Corona-Pandemie mit dem Kulturpreis 2021 ausgezeichnet. Bouffier erklärte, die Arbeit der Wissenschaftlerinnen habe „in ganz hohem Maße“ dazu beigetragen, die Menschen „in sehr schweren Zeiten mitzunehmen“, weil sie bodenständig und fundiert informiert haben. „Heute ehren wir zwei Wissenschaftlerinnen, die sich bewusst dazu entschlossen haben, ihre Expertise in den Dienst der Gesellschaft zu stellen und diese über die Pandemie zu informieren.

(vli.) Ministerpräsident Volker Bouffier ehrt mit dem Hessischen Kulturpreis 2021 Dr. Mai Thi Nguyen-Kim, Wissenschaftsjournalistin, u. Professorin Dr. Sandra Ciesek, Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt für ihre Verdienste in der Corona-Pandemie. © Foto Diether v Goddenthow
(vli.) Ministerpräsident Volker Bouffier ehrt mit dem Hessischen Kulturpreis 2021 Dr. Mai Thi Nguyen-Kim, Wissenschaftsjournalistin, u. Professorin Dr. Sandra Ciesek, Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt für ihre Verdienste in der Corona-Pandemie. © Foto Diether v Goddenthow

Sie stehen in der Öffentlichkeit und sind zur Projektionsfläche geworden, was nicht immer nur einfach ist. Ihre Motivation ist es, Wissenschaft transparent zu machen und zu erklären, wie wir gemeinsam durch diese Pandemie kommen können. Wir sind sehr stolz, dass diese beiden Wissenschaftlerinnen aus Hessen zu den starken Stimmen der Pandemie gehören, die über die Landesgrenzen hinaus bekannt und geschätzt sind“, erklärte der Hessische Ministerpräsident Volker Bouffier heute in der Aula des Universitätsklinikums Frankfurt. Die Laudatio auf die beiden Wissenschaftlerinnen hielt Prof. Dr. Christian Drosten, Leiter der Virologie in der Berliner Charité.

Der NDR-Podcast Corona-Update ist für viele ein stetiger Begleiter durch die Pandemie. Allein im Jahr 2020 hatte er 15 Millionen Zuhörerinnen und Zuhörer. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Prof. Dr. Christian Drosten erklärt Prof. Dr. Sandra Ciesek alle zwei Wochen die aktuelle Coronalage. Ob Informationen über die Impfstoffe, der internationale Umgang mit der Pandemie oder die Situation in den Krankenhäusern – die Themen sind allumfassend. Ursprünglich hatte die gebürtige Goslarerin, die Professorin für Medizinische Virologie an der Goethe-Universität in Frankfurt ist, Therapieformen für Hepatitis C als einen ihrer Forschungsschwerpunkte ausgemacht.

Sandra Ciesek, Jahrgang 1978, ist Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt sowie Professorin für Medizinische Virologie an der Goethe Universität. © Foto Diether v Goddenthow
Sandra Ciesek, Jahrgang 1978, ist Direktorin des Instituts für Medizinische Virologie am Universitätsklinikum Frankfurt sowie Professorin für Medizinische Virologie
an der Goethe Universität. © Foto Diether v Goddenthow

Ihre Promotion an der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) beschäftigte sich schon mit diesem Thema. Mit der Pandemie kam die Suche nach Medikamenten gegen COVID-19 dazu. „Prof. Dr. Sandra Ciesek stellt ihr Wissen nicht nur ihren Hörerinnen und Hörern zur Verfügung, mit ihrer wissenschaftlichen Expertise berät sie auch die Hessische Landesregierung. So hat sie unter anderem die Kinderstudie und die Lehrerstudie des Hessischen Sozialministeriums geleitet. Sie gehört zweifelsfrei zu besten Virologinnen Deutschlands und wir sind sehr froh, dass sie bei uns in Hessen wirkt“, erklärte der Hessische Ministerpräsident Volker Bouffier. Erst kürzlich hat Prof. Dr. Sandra Ciesek für ihre Forschung eine LOEWE-Spitzen-Professur erhalten. Das hessische Förderprogramm für exzellente Spitzenforschung unterstützt sie somit über einen Zeitraum von fünf Jahren mit zusätzlichen 1,4 Millionen Euro für Sach- und Personalkosten.

Dr. Mai Thi Nguyen-Kim, Fernsehmoderatorin bei ARD und ZDF (TerraX), Chemikerin, Autorin und YouTuberin, Mitglied im Senat der Max-Planck-Gesellschaft. © Foto Diether v Goddenthow
Dr. Mai Thi Nguyen-Kim, Fernsehmoderatorin bei ARD und ZDF (TerraX), Chemikerin, Autorin und YouTuberin, Mitglied im Senat der Max-Planck-Gesellschaft. © Foto Diether v Goddenthow

Als Dr. Mai Thi Nguyen-Kim in Hemsbach auf dem Bergstraßen-Gymnasium ihr Abitur machte und im Jahr 2006 mit ihrem Chemie-Studium in Mainz begann, konnte sie noch nicht wissen, dass sich Deutschland 14 Jahre später in einer globalen Pandemie befinden würde. Später folgten als Doktorandin Forschungsaufenthalte an der Harvard University und dem Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung, ehe sie im Jahr 2017 an der Universität Potsdam promoviert wurde. Bereits während ihrer Promotion startete sie mit ihrem ersten Youtube-Kanal. Sie vermittelte damals bereits ihrem Publikum naturwissenschaftliche Themen. Der Durchbruch gelang ihr zu Beginn der Corona-Pandemie. Das Video „Corona geht gerade erst los“ auf ihrem Youtube-Kanal, der mittlerweile maiLab heißt, wurde innerhalb weniger Tage mehrere Millionen Mal geklickt. Darin prognostiziert die Heppenheimerin am 1. April 2020 anhand wissenschaftlicher Kriterien den Fortgang der Pandemie. „Ich empfehle jedem, sich das Video anzusehen und sich dem Fortlauf der Corona-Geschichte noch einmal zu vergegenwärtigen. Etwas mehr als drei Wochen liegen zwischen der Mitteilung der WHO, dass Covid-19 als globale Pandemie eingestuft wird und dem Video ‚Corona geht gerade erst los‘. Dr. Mai Thi Nguyen-Kim analysierte prägnant und zeigte sehr klar auf, dass noch ein langer Weg vor uns liegt. Ich freue mich sehr, dass ich ihr heute den Kulturpreis überreichen darf“, erklärte Bouffier.

Die Laudatio hielt der Prof. Dr. Christian Drosten, Leiter der Virologie in der Berliner Charité. Mitentdecker des Sars-Erregers © Foto Diether v Goddenthow
Die Laudatio hielt der Prof. Dr. Christian Drosten, Leiter der Virologie in der Berliner Charité. Mitentdecker des Sars-Erregers © Foto Diether v Goddenthow

Die Laudatio hat der Virologe Prof. Dr. Christian Drosten von der Charité übernommen, mit dem zusammen Prof. Ciesek im Frühjahr als Hochschullehrer des Jahres ausgezeichnet wurde. Ciesek und Drosten gestalten gemeinsam den vielfach ausgezeichneten NDR-Podcast „Das Coronavirus-Update“. Dass Ciesek sich trotz vielfacher Belastungen bereit erklärt habe, den Schritt in die Öffentlichkeit zu gehen, sei „ein großer Glücksfall“, so Drosten in seiner Laudatio. „Ihr gelingt es mit ihrem scharfen und abwägenden Blick, die Sachlage genau auf den Punkt zu bringen – und das mit der Zuwendung und Empathie, die sie als erfahrene Internistin mit langjährigem Patientenkontakt auszeichnet. Damit spricht sie auch viele Bürgerinnen und Bürger an, die für die kalte Mathematik der Epidemiologie und die verschachtelte Diskussion der strategischen Handlungsoptionen in der Pandemie eher wenig übrighaben.“ Warum Ciesek, der Selbstvermarktung, Eitelkeit und Geltungsbedürfnis fremd seien, diese Mühe auf sich nimmt, dafür hat Drosten eine Erklärung: „Sandra Ciesek engagiert sich aus altruistischen Gründen. (…) Denn wer Sandra zuhört, weiß intuitiv, dass sie die Wissenschaftskommunikation als Teil ihrer ärztlichen Pflicht ansieht.“

Prof. Enrico Schleiff, Präsident der Goethe- Universität, übermittelt Glückwünsche im Namen des Präsidiums der Goethe-Universität © Foto Diether v Goddenthow
Prof. Enrico Schleiff, Präsident der Goethe- Universität, übermittelt Glückwünsche im Namen des Präsidiums der Goethe-Universität © Foto Diether v Goddenthow

„Sandra Ciesek erhält den Hessischen Kulturpreis sehr verdient, und ich gratuliere ihr herzlich im Namen des Präsidiums der Goethe-Universität“, sagt Prof. Enrico Schleiff, Präsident der Goethe-Universität. „Sandra Ciesek hat sich der Herausforderung gestellt, über ihre anspruchsvolle Forschungstätigkeit hinaus in die allgemeine Öffentlichkeit zu kommunizieren und ihr Fachgebiet zu erklären – zusammen mit Christian Drosten im NDR-Podcast und in zahlreichen anderen medialen Formaten. Corona und die damit verbundenen Einschränkungen haben viele Menschen an ihre Grenzen gebracht. Sie brauchen Erklärungen, warum diese Einschränkungen notwendig sind. Diese Aufgabe kann nur erfüllen, wer die wissenschaftlichen Zusammenhänge gut kennt – und sie auch verständlich vermitteln kann. Frau Ciesek kann das, und sie hat die Herausforderung mit viel Engagement angenommen. Damit hat sie sich um den Zusammenhalt in der Gesellschaft und um die Demokratie verdient gemacht“, so Schleiff weiter.

Als kleinen Joke zum Abschluss überüberreicht Ministerpräsident Volker Bouffier Professor Christian Drosten schon mal ein Goethe-Uni-T-Shirt als Einladung, doch vielleicht mal nach Hessen zu wechseln. Ein solcher Wohnortwechsel würde auch die  Chance als potentieller Kandidat für den Hessischen Kulturpreis erhöhen. © Foto Diether v Goddenthow
Als kleinen Joke zum Abschluss überüberreicht Ministerpräsident Volker Bouffier Professor Christian Drosten schon mal ein Goethe-Uni-T-Shirt als Einladung, doch vielleicht mal nach Hessen zu wechseln. Ein solcher Wohnortwechsel würde auch die Chance als potentieller Kandidat für den Hessischen Kulturpreis erhöhen. © Foto Diether v Goddenthow

Der Hessische Kulturpreis wird seit 1982 jährlich für besondere Leistungen in Kunst, Wissenschaft und Kulturvermittlung vergeben. Er ist mit insgesamt 45.000 Euro dotiert.

 

 

 

 

 

 

Im Kuratorium, dessen Vorsitz der Hessische Ministerpräsident Volker Bouffier innehat, sind neben der Hessischen Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Angela Dorn, folgende Persönlichkeiten vertreten:

  • Dipl.-Ing. Jürgen Engel, Architekt, Frankfurt am Main
  • Michael Herrmann, Intendant Rheingau Musik-Festival
  • Bernd Leifeld, ehem. Geschäftsführer der documenta und Museum Fridericianum Veranstaltungs­GmbH
  • Prof. Susanne Pfeffer, Direktorin des Museums für Moderne Kunst in Frankfurt
  • Michael Quast, Schauspieler, Kabarettist, Regisseur
  • Hans Sarkowicz, Leiter Ressort hr2 Kultur und Bildung
  • Dr. Gerhard Stadelmaier, ehem. Redakteur und Theaterkritiker im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
  • Prof. Dr. Birgitta Wolff, Präsidentin a. D. der Goethe-Universität Frankfurt am Main
  • Karin Wolff, Staatsministerin a. D., Geschäftsführerin des Kulturfonds RheinMain

 

Präsenz für Seniorstudierende der Universität des Dritten Lebensalters wieder im Hörsaalzentrum Bockenheim temporär möglich

FRANKFURT. Das Präsidium der Goethe-Universität hat sich in der vergangenen Woche mit großer Intensität bemüht, den Teilnehmenden der U3L (Universität des 3. Lebensalters) ebenfalls ein Präsenzangebot zu machen: Das Präsidium hat beschlossen, dass ab sofort auch das Hörsaalzentrum in Bockenheim täglich zu Zeiten ohne regulären Lehrbetrieb sowie an den Wochenenden (samstags) genutzt werden kann. Außerdem steht für Veranstaltungen der U3L temporär die Kapelle der Evangelischen Studierendengemeinde (ESG) auf dem Campus Bockenheim zur Verfügung.

Aufgrund des sehr hohen Lehr-Präsenzanteils an der Goethe-Universität in diesem Wintersemester hatte das Präsidium beschlossen, dass Gebäude der Goethe-Universität von Externen temporär nicht mehr genutzt werden können, sofern in diesen regulärer Lehrbetrieb stattfindet, auch um das Infektionsrisiko zu senken. Da die U3L als selbständiger Verein organisiert ist und das Semesterprogramm daher kein Teil des regulären Curriculums darstellt, waren auch die Teilnehmenden an Veranstaltungen der U3L von dieser Regelung betroffen.

Universitätspräsident Prof. Dr. Enrico Schleiff sagte: „Ich freue mich, dass die U3L jetzt viele ihrer Veranstaltungen an der Goethe-Uni wieder in Präsenz abhalten kann. Ich bitte jene, bei denen die Entscheidung Unmut erzeugt hat, um Verständnis für unsere gegenwärtige Situation. Unser Bestreben als eine der größten deutschen Universitäten war es, einen sicheren Semesterstart mit einem Maximum an Präsenz zu garantieren und dabei – gerade für die älteren Bevölkerungsgruppen – das Infektionsrisiko auf ein Minimum zu senken.“

Silvia Dabo-Cruz, Geschäftsstellenleiterin der U3L, zeigte sich erfreut über diese Entwicklung: „Das Präsidium der Goethe-Universität ist uns entgegengekommen und hat einige Optionen für Präsenzveranstaltungen eröffnet, auch wenn dieses Angebot zunächst überschaubar bleiben wird. Von den ursprünglich 23 geplanten Präsenzveranstaltungen werden wir voraussichtlich ein knappes Drittel realisieren können. Das sehe ich durchaus positiv als den Beginn einer Rückkehr zu mehr Präsenz in der Zukunft. Uns ist bewusst, dass nach drei Digitalsemestern und unter dem Druck einer weiterhin bestehenden pandemischen Situation der Semesterstart in Präsenz für die Goethe-Universität einen enormen Kraftakt darstellt. Umso mehr wissen wir das Bemühen um eine Lösung zu schätzen, wie wir auch dankbar sind für die Unterstützung seitens der Goethe-Universität bei der Durchführung unseres digitalen Programms.“

Goethe-Universität

Im Auge des Betrachters Psychologen der Goethe-Universität relativieren Rückschlüsse von Physiognomie auf Verhalten

© Goethe Universität Frankfurt am Main
© Goethe Universität Frankfurt am Main

Zeige mir Dein Gesicht, und ich sage Dir, wer Du bist! Was in der Kriminalanthropologie begann, hat im Zeitalter massenhafter digitaler Gesichtserkennung Konjunktur: Studien, die von Gesichtsmerkmalen auf Verhaltensdispositionen schließen. Ein Team um die Psychologin Prof. Dr. Sabine Windmann an der Goethe-Universität hat nun untersucht, warum breite Gesichter aggressiver wirken. Ein Ergebnis: Wie breit ein Gesicht erscheint, hängt vor allem von der geäußerten Emotion ab.

FRANKFURT. Die Gesichtsmerkmale eines Mannes lassen auf seine kriminelle Veranlagung schließen. Diese These vertrat der italienische Arzt Cesare Lombroso, der im 19. Jahrhundert die kriminalanthropologisch ausgerichtete Kriminologie begründete. Von ihr führt eine direkte Linie zu den Nationalsozialisten: Diesen dienten Lombrosos Thesen und seine Methoden der Vermessung von Gesichtern als Vorlage für rassenbiologische Theorien und medizinisch-eugenische Programme.

Spekulative Annahmen zur Physiognomie gerieten in der Nachkriegszeit zu Recht in Misskredit. Im letzten Jahrzehnt jedoch haben neuere wissenschaftliche Erkenntnisse der Verhaltensendokrinologie, eine Disziplin, die den Zusammenhang zwischen Hormonen und Verhalten untersucht, neue Impulse gesetzt. Einzelne Befunde erweckten den Verdacht, dass Testosteron in der Pubertät sowohl die Entwicklung neuronaler Schaltkreise im Gehirn prägt als auch das Breitenwachstum der Gesichtsknochen. Die Wissenschaftler vermuteten: Wenn ein hoher Testosteronspiegel in der Jugend die Entwicklung sowohl aggressiv-dominanter Persönlichkeitszüge begünstigt als auch der Gesichtsbreite, dann müsste sich das eine an dem anderen „ablesen“ lassen. Sie parametrisierten sodann die Gesichtsbreite als horizontale Distanz zwischen linkem und rechtem Wangenknochen relativ zur Gesichtshöhe (gemessen als vertikaler Abstand von Nasenwurzel zum oberem Lippenrand), womit ein Maß definiert wurde, das von der reinen Größe des Gesichts unabhängig ist.

Und tatsächlich wurden in der Folgezeit zahlreiche Studien publiziert, die rein korrelativ zeigten, dass Männer mit relativ hohem Gesichtsbreitenwert von sich selbst und anderen als aggressiver und dominanter eingeschätzt werden, häufiger lügen und betrügen, im Sport aufgrund von Fouls vermehrt Strafen erhalten, in gewaltsamen Auseinandersetzungen weniger häufig unterliegen und (im Staat Florida) sogar häufiger zum Tode verurteilt werden.

Prof. Dr. Sabine Windmann, Psychologin an der Goethe-Universität, hat nun die Korrelation von Gesichtsbreite und Aggressivität gemeinsam mit einem Team von fünfzehn Studierenden genauer untersucht. In einer Reihe von Experimenten wurde die Perspektive auf das Phänomen gewechselt, indem nicht mehr die mehr oder minder breiten Gesichter von mehr oder minder aggressiven Persönlichkeiten vermessen wurden, sondern umgekehrt Beobachter gebeten wurden, Gesichtsformen gemäß einer Persönlichkeitsbeschreibung zu generieren. Die Forschungsfrage lautete: Nutzen Beobachter Gesichtsbreite als Signal für soziale Bedrohung und Dominanz? Kennen sie die Verbindung; existiert diese in ihrer mentalen Vorstellung?

Im psychologischen Labor wurden Proband*innen gebeten, das Bild eines aggressiv-dominanten Mannes im Vergleich zu einem friedfertig-unterwürfigen Mann entweder frei zu zeichnen, aus einer Auswahl von vorgegebenen Gesichtsmerkmalen verschiedener Größe und Form zusammenzusetzen oder durch Veränderung einer neutralen Vorlage am PC zu „fotoshoppen“.

Die Resultate schienen zunächst das bekannte Muster zu bestätigen: Die gezeichneten und die foto-editierten Gesichter wiesen für aggressive Männer im Mittel eine breitere Wangenpartie auf für friedliebende Männer; nur in den Puzzles fand sich kein Zusammenhang. Auffällig war allerdings, dass die „breiteren“ Gesichter häufig einen ärgerlichen, wütenden Gesichtsausdruck zeigten. Vor allem waren die Augenbrauen in der Mitte nach unten gezogen, wodurch sich das Höhenmaß änderte und damit der genutzte Parameter. In einer weiteren Studie forderten die Psychologen die Probanden deshalb auf, die Gesichter als „Pokerface“, also völlig emotionslos, darzustellen. Prompt reduzierte sich das Verhältnis von Gesichtsbreite zu –höhe. Weitere Untersuchungen und statistische Modellierungen bestätigten, dass die Verbindung zwischen Gesichtsform und Persönlichkeit so gut wie vollständig von der dargestellten Zustandsemotion abhing. Dabei war nicht die Breite, sondern die Höhe des Gesichts entscheidend. „Wir können davon ausgehen, dass die knochenbasierte Gesichtsbreite in der Vorstellungswelt keine nennenswerte Bedeutung für den Schluss auf die Persönlichkeit hat“, schließt Windmann. „Überzeugender scheint, dass eine geringe Gesichtshöhe mit Zustandsemotionen wie Ärger und Wut verwechselt und dann mit Aggressivität und Dominanz gleichgesetzt wird.“ Das könne in der Vorstellung ebenso geschehen wie in der Wirklichkeit.

Ironischerweise kann die konsistente Unterstellung von aggressiven Charakterzügen durch Beobachter im Endeffekt dieselbe Wirkung haben wie der ursprünglich vermutete testosteronvermittelte Zusammenhang. „Stellen Sie sich vor, dass alle Menschen, die Sie nicht gut kennen, Ihnen mit Argwohn und Misstrauen begegnen würden, weil sie Ihnen aufgrund Ihrer tiefstehenden Augenbrauen ein hohes Aggressivitätspotential unterstellen – wieder und wieder, ein Leben lang“, erklärt die Professorin. „Wie denken Sie, würde sich das auf Ihre Persönlichkeitsentwicklung auswirken?“ Wissenschaftlich sei es essentiell, den vermittelnden Mechanismus zu verstehen, gerade wenn Diskriminierung und Stereotypisierung drohen. Darüber hinaus seien ausreichend große Fallzahlen und Replikationen erforderlich, um zufällige Scheinbefunde zu entlarven. Hätte Lombroso diese Prinzipien beherzigt, hätte er die Abwegigkeit seiner Thesen vielleicht selbst erkannt.

Publikation: Sabine Windmann, Lisa Steinbrück, Patrick Stier: Overgeneralizing Emotions: Facial Width-To-Height Revisited, Preprint in Emotion Study (September 2021); https://psyarxiv.com/r84hb/