Kategorie-Archiv: Freiheit für das Wort

Die Linguisten Helmut Weiß und Ewa Trutkowski weisen nach, dass maskuline Personenbezeichnungen im Deutschen stets generisch interpretierbar waren

© collage Diether v Goddenthow
© collage Diether v Goddenthow

Gendersternchen oder Binnen-i? Unterstrich oder Doppelpunkt? Die feinteilige Diskussion um Notwendigkeit und Ausgestaltung einer „gendergerechten“ Sprache hält an. Prof. Helmut Weiß, der an der Goethe-Universität deutsche Sprachgeschichte lehrt, ist dem sprachhistorischen Aspekt der Debatte auf den Grund gegangen und plädiert für eine Versachlichung.

FRANKFURT. Den tatsächlichen Sprachgebrauch in früheren Epochen des Deutschen haben Prof. Helmut Weiß und Dr. Ewa Trutkowski in einer Studie untersucht, die in der Zeitschrift „Linguistische Berichte“ veröffentlicht worden ist. Im Mittelpunkt stand die Frage, inwiefern maskuline Personenbezeichnungen zu früheren Zeiten „generisch“ verwendet wurden. Mit dem Ausdruck „generisch“ bezeichnet man in der Grammatiklehre die Möglichkeit, solche Substantive geschlechtsabstrahierend zu verwenden. Weiß und Trutkowski, die gemeinsam in der DFG-Forschungsgruppe „Relativsätze“ forschten, führen den Nachweis darüber, dass maskuline Substantive bereits im Althochdeutschen für beide biologischen Geschlechter verwendet wurden – ebenso wie heute zum Beispiel das grammatikalisch feminine Wort Person oder das Neutrum Mitglied.

Der Auslöser für die Studie sei die E-Mail einer gendersprachkritischen Studentin gewesen, sagt Prof. Weiß, dessen Forschungsschwerpunkt eigentlich in der historischen Grammatik liegt. Die Studentin schrieb, dass das Wort „Studenten“ zwar aufgrund gesellschaftlicher Verhältnisse in der Vergangenheit nicht schon immer sowohl Männer als auch Frauen „gemeint habe“, in der Gegenwart aber durchaus generisch zu verstehen sei. Grammatikalisch maskuline Personenbezeichnungen könnten stets generisch interpretiert werden, antwortete Weiß spontan, hatte dann aber das Gefühl: Das müsste man einmal gründlicher betrachten. So nahmen er und Trutkowski dies als Ausgangshypothese für ihre sprachhistorische Untersuchung.

Für ihre Untersuchung nahmen sich die beiden Linguisten nicht in erster Linie Berufsbezeichnungen vor, sondern Personenbezeichnungen und Charakterisierungen, die seit jeher auch auf Frauen angewandt wurden. Indem man auf diese Weise nicht-linguistische Einflussfaktoren wie die Rolle der Frau in der Gesellschaft möglichst außen vor ließ, habe man das weit verbreitete Argument gegen den Gebrauch des generischen Maskulinums entkräften wollen – nämlich dass dieses eine sprachgeschichtlich sehr junge Erscheinung sei, die erst mit dem Vordringen der Frauen in Männerberufe entstanden sei. Denn das Gegenteil sei der Fall: Das Generische sei sozusagen schon immer im Deutschen fest verankert.

Beispiele wie das Messer, die Gabel, der Löffel machten, so Weiß, schon dem sprachwissenschaftlichen Laien deutlich, dass die Kategorie Genus kaum 1:1 mit einem etwaigen biologischen Geschlecht zusammenhänge. „Für die Verteilung des grammatischen ‚Geschlechts‘ gibt es durchaus Regeln, aber die sind nicht semantischer Art“, sagt er. Es sei wissenschaftlich nachgewiesen, dass die Genera ursprünglich Belebtes (maskulin) und Unbelebtes (neutrum) und Kollektiva (feminin) voneinander unterschieden. Das Genussystem hat vor allem einen syntaktischen Zweck: Da zugeordnete Wörter wie Adjektive formal übereinstimmen (kongruent sind), hilft es bei der Strukturierung von Sätzen und bei der Herstellung von Bezügen zwischen nominalen Ausdrücken (z.B. „Otto kennt Maria, seit er/sie 10 ist“). Zwar besteht durchaus eine Beziehung zwischen Genus und Sexus – allerdings nur in die eine Richtung: Sexus kann sich im Genus bemerkbar machen, der Umkehrschluss ist jedoch nicht zulässig.

Weiß und Trutkowski haben sich allgemeine Personenbezeichnungen vorgenommen wie Freund, Feind, Gast, Nachbar, Sünder – und konnten nachweisen, dass diese im Alt- und Mittelhochdeutschen keineswegs geschlechtsspezifisch verwendet wurden, sondern vielmehr generisch. So schrieb der althochdeutsche Dichter Otfrid von Weißenburg im 9. Jahrhundert von Jesus und Maria als Gästen der Hochzeit von Kana: „Ni ward io in wóroltzitin, / thiu zisámane gihitin, / thaz sih gésto guati / súlihhero rúamti. / Thar was Kríst guater / joh sélba ouh thiu sin múater“ („Zu keiner Zeit hat sich ein Hochzeitspaar rühmen können, so hohe Gäste zu haben (wie diese): Der heilige Christus und auch seine Mutter waren da erschienen.“). Oder im mittelhochdeutschen Frauenbuch von 1257 heißt es: „ir bedörft ein wîp ze friunde niht“ („ihr bedürft eines Weibes zum Freunde nicht“). Auch für die besonders in der Kritik stehenden Personenbezeichnungen auf -er belegt die Untersuchung eine sexusneutrale Verwendung, etwa in dem Satz: „die von alter har burgere zu Straßburg gewesen sind, es sigent frowen oder man“ („die von alters her Bürger in Straßburg gewesen sind, es seien Frauen oder Männer“). Die Endung -er wird auf die lateinische Endung -arius zurückgeführt, die im Althochdeutschen noch in einer maskulinen (-ari)und femininen Form (-âra) vorkam.

Der vor kurzem erschienene Beitrag sei in einer Vorversion von einem Preprint-Server (Lingbuzz) inzwischen mehr als zweieinhalbtausend mal heruntergeladen worden, berichtet Prof. Weiß. Die Reaktionen seien vor allem zustimmend. Insgesamt hofften er und Trutkowski, dass die Studie zur Versachlichung der Debatte beitrage. Weiß selbst ist überzeugt, dass sich die „gendergerechte“ Sprache allenfalls in Teilen der Sprachgemeinschaft durchsetzen werde.

Publikation: Ewa Trutkowski u. Helmut Weiß, Zeugen gesucht! Zur Geschichte des generischen Maskulinums im Deutschen. In: Linguistische Berichte 273/2023. https://doi.org/10.46771/9783967692792_2

oder: Buske-Verlag – Zeugen gesucht zur Geschichte des generischen Maskulinums 

Freiheit für das Wort – GfdS verleiht Medienpreis für Sprachkritik an Harald Martenstein – Absage an Sensitivity Reading

Preisträger Harald Martenstein. "Ich bin schon ein Freund sprachlicher Klarheit. Und die Kunst ist einen komplizierten Gedanken einfach und klar auszudrücken, ja und nicht einen schlichten Gedanken kompliziert auszudrücken. Das ist Bullshit, um mal einen Anglizismus einzuführen." „Als ich vor Jahren zum ersten Mal über Gendern geschrieben habe, die Debatte fing gerade erst so an, ich habe mir aber nichts dabei gedacht, ich fand das irgendwie bizzar. Da gab es einen solchen Wutsturm von den Leuten, die das nicht gut finden, dass ich sofort wusste: ‚Dass musst du öfters machen!‘. Zitate und Bild aus dem Video-Porträt von Video-Porträt von Andreas Ewels
Preisträger Harald Martenstein. „Ich bin schon ein Freund sprachlicher Klarheit. Und die Kunst ist einen komplizierten Gedanken einfach und klar auszudrücken, ja und nicht einen schlichten Gedanken kompliziert auszudrücken. Das ist Bullshit, um mal einen Anglizismus einzuführen.“ „Als ich vor Jahren zum ersten Mal über Gendern geschrieben habe, die Debatte fing gerade erst so an, ich habe mir aber nichts dabei gedacht, ich fand das irgendwie bizzar. Da gab es einen solchen Wutsturm von den Leuten, die das nicht gut finden, dass ich sofort wusste: ‚Dass musst du öfters machen!‘. Zitate und Bild aus dem Video-Porträt von Video-Porträt von Andreas Ewels

„Ironisch und mit Wortwitz, kritisch unangepasst und provozierend, aber niemals verletzend, und Respekt vor der Meinung der Andersdenkenden“, sei sein Kompass, so die Jury der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS), die gemeinsam mit der Hans-Oelschläger-Stiftung nach einer coronabedingten Durststrecke am gestrigen Abend den Medienpreis für Sprachkritik an einen der bedeutendsten wie umstrittensten deutschen Kolumnisten Harald Martenstein verliehen.

Jurybegründung: "Harald Martenstein zählt seit Jahrzehnten zu den bedeutendsten Kolumnisten in Deutschland. Mit scharfem Blick auf die kleinen Dinge des Alltäglichen und die großen Fragen der Politik seziert Martenstein gesellschaftliche und sprachliche Entwicklungen ironisch und mit Wortwitz kritisch unangepasst und provozierend, aber niemals verletzend. Sein Kompass: Respekt vor der Meinung der Andersdenkenden." (v.li.) Dr. Andrea-Eva Ewels, GfdS-Geschäftsführerin. GfdS-Vorsitzender Professor Dr. Peter Schlobinski, Preisträger Harald Martenstein mit Urkunde und Iris Buck, Stifterin des Preises, © Foto Diether von Goddenthow
Jurybegründung: „Harald Martenstein zählt seit Jahrzehnten zu den bedeutendsten Kolumnisten in Deutschland. Mit scharfem Blick auf die kleinen Dinge des Alltäglichen und die großen Fragen der Politik seziert Martenstein gesellschaftliche und sprachliche Entwicklungen ironisch und mit Wortwitz kritisch unangepasst und provozierend, aber niemals verletzend. Sein Kompass: Respekt vor der Meinung der Andersdenkenden.“
(v.li.) Dr. Andrea-Eva Ewels, GfdS-Geschäftsführerin. GfdS-Vorsitzender Professor Dr. Peter Schlobinski, Preisträger Harald Martenstein mit Urkunde und Iris Buck, Stifterin des Preises, © Foto Diether von Goddenthow

Der mit 10 000 Euro dotierte Medienpreis für Sprachkritik ersetzt die bisherigen Medienpreise für Sprachkultur, um neue Akzente gegen rechts- und linkspopulistische Sprachkritik und Sprachlenkungsversuche zu setzen, so GfdS-Vorsitzender Professor Dr. Peter Schlobinski. Gemeinsam mit GfdS-Geschäftsführerin Dr. Andrea-Eva Ewels begrüßten die Veranstalter zahlreiche Ehrengäste aus Politik, Kultur, Gesellschaft und Wirtschaft, unter ihnen der frischgebackene Mainzer Oberbürgermeister Nino Haase, ein ausgewiesener Fan von Martenstein. Dieser ist immerhin 1953 in Mainz geboren und aufgewachsen. Sein Studium erfolgte in Freiburg. Start seiner journalistischen Karriere bei der Stuttgarter Zeitung, später wechselt er zum Tagesspiegel nach Berlin, zahlreiche Kolumnen, unter anderem seit 20 Jahren in der Die Zeit, und in der Welt am Sonntag. Sie krönen Martensteins journalistische Arbeit, verrät ein Video-Porträt von Andreas Ewels.

GfdS-Vorsitzender Professor Dr. Peter Schlobinski. © Foto Diether von Goddenthow
GfdS-Vorsitzender Professor Dr. Peter Schlobinski. © Foto Diether von Goddenthow

An der Schnittstelle zur Literatur stünden „journalistische Beiträge mit sprachkritischem Bezug, oder expliziten Sprachthemen, die kritisch reflektiert werden. Hierzu gehören unter anderem die Glossen, Essays und Kolumnen von Karl Kraus, Fritz Mauchner und Tucholsky wie auch von Egon Erwin Kisch, Harry Rowohlt und unserem Preisträger Harald Martenstein“, sagte der DfdS-Vorsitzende. Was alle Genannten gleichermaßen auszeichne sei ihr „scharfer, entlarvender Blick auf Sprache und Gesellschaft, sowie die Fähigkeit, ihre eigenen Gedanken und Positionen sprachkreativ unterhaltend geistreich, oft witzig, ironisch sowie auf den Punkt genau zu formulieren.“ Dafür hat Harald Martenstein in den letzten Jahren unzählige renommierte Literatur-Preise erhalten, unter anderem den „Erwin-Ego-Kisch-Preis“ und den „Henri-Nannen-Preis“.

Christiane Hinninger, Dezernentin für Umwelt, Wirtschaft, Gleichstellung und Digitalisierung der Landeshauptstadt Wiesbaden. © Foto Diether von Goddenthow
Christiane Hinninger, Dezernentin für Umwelt, Wirtschaft, Gleichstellung und Digitalisierung der Landeshauptstadt Wiesbaden. © Foto Diether von Goddenthow

Für Christiane Hinninger, Dezernentin für Umwelt, Wirtschaft, Gleichstellung und Digitalisierung der Landeshauptstadt Wiesbaden, in Vertretung von Oberbürgermeister Gerd-Uwe Mende, ist es ein Glücksfall, dass die Gesellschaft für deutsche Sprache seit 1965 ihren Sitz in Wiesbaden hat. Es gereiche „uns zur Ehre, wenn unsere Stadt öffentlich mit der Gesellschaft für deutsche Sprache in Verbindung gebracht wird, insbesondere mit Aktionen wie ‘Beliebteste Vornamen‘ und die ‘Wörter des Jahres‘. Zudem profitiere die Stadt Wiesbaden ganz konkret von der Expertise der GdfS, etwa beim seit 15 Jahren laufenden Projekt „Klartext“, über das es in gemeinsamen Workshops und Seminaren gelang „Verwaltungssprache verständlicher, lebendiger und persönlicher zu gestalten“ .“Wir wollen uns einer Sprache bedienen, die von allen und egal, welchen Bildungsstand sie haben, auch gut verstanden werden kann“, so die Dezernentin abschließend in ihrem Grußwort.

Laudatorin Anna Schneider  empfiehlt allen Gender Studies-Studenten Martenstein-Lektüre

Laudatorin WELT-Chefreporterin und Buchautorin Anna Schneider. © Foto Diether von Goddenthow
Laudatorin WELT-Chefreporterin und Buchautorin Anna Schneider. © Foto Diether von Goddenthow

Laudatorin Anna Schneider zitiert Martenstein und seine Kritiker
„Es ist mir eine unfassbare Freude und Ehre, dass ich dir ein Loblied singen darf“, startete WELT-Chefreporterin Anna Schneider ihre Laudatio. Der „Alte weiße Mann“ stünde mittlerweile „am Ende der zeitgeistigen Nahrungskette“, zumindest bei der zwischen 1981 und 1998 geborenen Millennial-Generation, also ihrer Altersgruppe. So sei der „Alte weiße Mann“ Martenstein ins Visier ihrer etwa gleichaltrigen Kollegin Marlene Knobloch, Redakteurin bei der Süddeutschen Zeitung, geraten. Davon zeuge ein Auftritt in deren neuen Buch „Serious Shit. Die Welt ist gefährlich – und warum wir das erst jetzt merken“ (2023 dtv). In einer Passage beschreibe Knobloch darin ganz kurz und knapp, warum auch dieser Typ Martenstein eigentlich sein Grundproblem sei. Für die Erzählerin im Buch scheine Martenstein so furchtbar zu sein, dass sie erst mal Luft holen müsse, und „In diesem Sprudel von Stereotypen und Klischees und Sexismus und überhaupt“ nicht wisse, wo sie anfangen solle, vor ihm zu warnen. Im Kern regt sich Knoblochs Ich-Erzählerin über Martensteins Kritik an der woken Umbenennung eines Werbeslogans für das Berliner Technikmuseum auf: „Es geht um das deutsche Technikmuseum in Berlin und dessen neuen Slogan: „Statt der männlichen kolonialistisch assoziierbaren Version ‚Für Entdeckter‘, lautet er jetzt ‚Einfach für dich!‘. Natürlich ideologischer Wahnsinn für den Kolumnisten und völlig an der Realität vorbei gedacht.“, schnaubt Knoblochs Erzählerin. Zudem gerate, so Anna Schneider, Martensteins angeblich dauerschlechte Grantler-Laune als ein Strukturproblem in Kritik, die dieser obendrein zu Geld mache und somit seine Polemik noch vergolde (…) „für ein Honorar, von denen jüngere Autoren wie ich nur träumen“, schimpft die Ich-Erzählerin in „Serious Shit“.
Dieser Buchabschnitt spiegele ein wenig wider, wie das geistige Umfeld in ihrer jüngeren Generation oftmals ticke, und nun wisse man auch, warum die Welt gerade dieser Autorin so gefährlich sei, „vor allem für uns um Mitte 30“, „weil offensichtlich bereits das Lesen einer Kolumne eines Mannes, eines weißen alten Mannes, uns dermaßen aus der Ruhe bringt (…)“, lästert Schneider über Martensteins Kritikerin.

„Es ist wirklich sehr anstrengend woke zu sein“, so Anna Schneider. Vor allem könne sie sich nicht daran erinnern, „jemanden gesehen zu haben, der wie Harald Martenstein dermaßen bestens gelaunt sei, und große, aber uneitle Freude an seinen eigenen Texten habe“ und seinem Publikum einen Lacher nach dem anderen abringe. Deswegen könnten viele ihrer Millennials-Kollegen mit Martenstein wohl nichts anfangen: „Denn wer lacht, der leidet nicht, und das verträgt sich mit wokesein so gar nicht“, frotzelt Schneider.

Deutschland dürste regelrecht nach Martensteins. Wer mit „derart intellektuellen Scheuklappen wie viele Zeitgenossen durchs Leben liefe“, verpasse da leider „so einiges, wie zum Beispiel, dass Harald Martenstein für die Gedankenfreiheit in diesem Land mehr tut, als so mancher Gender-Studies-Student“, und das sage eine Studies-Veteranin, und genau zu diesem Thema handele auch ihre Lieblingskolumne „Pronomenrunden“, so die Laudatorin.

 „Pronomenrunden“
In „Pronomenrunden“ nimmt der Preisträger für Sprachkritik das gleichnamige Sitzungs-Ritual des Regenbogen-Referats seiner einstigen Heimat-Uni Freiburg auf’s Korn: „Menschen hießen damals ‚der Ulli‘ oder ‚die Gundi‘, es war eine unsensible Epoche. Beim Regenbogen-Referat, der Interessenvertretung unter anderem der a_sexuellen, trans*, inter*, poly* und queeren* Studierenden, beginnt jede Sitzung mit der Pronomenrunde. Die Anwesenden dürfen ihre Namen und das Pronomen nennen, mit dem sie angesprochen werden möchten, also er, sie oder es oder sonst wie. Als weitere Möglichkeiten werden „x“, „per“ und „hän“ genannt. „Hän“ ist Finnisch und neutral. „Hän“ ist quasi die Schweiz unter den Pronomen.“
Martenstein zeige in dieser Kolumne immer wieder auf, dass letztlich das Problem, niemanden durch eine im Zweifel „falsche Anrede“ zu kränken, unlösbar sei. Die einzige Lösung wäre Schweigen. „Dann ist im Seminar garantiert niemand verletzt, und niemand muss weinen“.
Eine Person, zitiert die Laudatorin Martenstein weiter, sei „immer komplexer als jeder Name, jede Zuschreibung und jede sexuelle Identität, ein Mensch ist immer mehr als das“. „Sprache diene dazu, die Wirklichkeit alltagstauglich zu vereinfachen, nur so werde Kommunikation möglich.“ Deshalb ist Sprache immer ungerecht“, so  Martensteins Worte. (Über Wörter, die alles offenlassen, die Last des eigenen Namens und die Schwierigkeit, sich selbst zu definieren https://www.zeit.de/zeit-magazin/2020/39/harald-martenstein-genderwahn-hochschulen), Am liebsten würde sie Martensteins letzten Absatz „warum Sprache immer ungerecht“ sei, immer wieder allen Studierenden oder sonstigen zeitgeistig verstrahlten Studenten ausgedruckt in die Hand drücken. Marteinlektüre für Studies!

Martensteins  Dank –  Sein Antrieb ist der Zweifel

Martenstein: "Ich danke der Jury dafür, dass sie auf diese Idee gekommen ist, und ich hoffe, dass sie es nicht bereuen wird, ich werde versuchen, mich dieses Preises würdig zu erweisen, und sie nicht übel zu strafen." © Foto Diether von Goddenthow
Martenstein: „Ich danke der Jury dafür, dass sie auf diese Idee gekommen ist, und ich hoffe, dass sie es nicht bereuen wird, ich werde versuchen, mich dieses Preises würdig zu erweisen, und sie nicht übel zu strafen.“ © Foto Diether von Goddenthow

Natürlich sei so ein Preis eine tolle Sache, es mache ihn ein bisschen demütig, da es wahnsinnig viele großartige Kollegen und Kolleginnen gäbe, die er bewundere, und die den Preis wohl mehr als er verdient hätten, kokettierte der Geehrte bei seinem Dank. Ein bisschen Glück gehöre dazu, „wir haben das ja eben von Anna Schneider gehört, dass es unmöglich immer ganz gerecht zugehen kann im Leben, also muss ich das jetzt einfach mal so hinnehmen, und dass ich der Profiteur vielleicht von der Ungerechtigkeit bin, aber es freut mich ja trotzdem“.
Was Martenstein antreibe? Das sei vor allem „Zweifel“, „Selbstzweifel“, „oft, weil ich mir über eine Sache nicht so ganz im Klaren bin, und nicht so richtig wisse, was richtig, falsch, gut, und böse sei. Selbstverständlich habe er jetzt aber etwas vorbereitet, indem er sich mit etwas „Sprachkritischem“ bedanke, nämlich zum Thema „Sensitivity Reading“,

„Sensitivity Reading“ in letzter Konsequenz das Ende von Literatur

Bei „Sensitivity Reading“, so Martenstein, überprüften „Spezialisten für Sensibilität“ im Auftrag von Verlagen Buchmanuskripte darauf, ob der „Inhalt oder ihre Wortwahl jemandes Gefühle verletzen könnte“. Gemeint seien „damit nicht die Gefühle alter weißer Männer, wie ich einer bin, sondern die Gefühle von Menschen z.B. mit nichtweißer Hautfarbe, also People of Color, von sexuellen Minderheiten, z.B. Transsexuellen, Gefühle von Frauen, wobei damit in erster Linie solche Frauen gemeint sind, die ihr Geschlecht nur für eine gesellschaftliche Zuschreibung und im Grunde für inexistent halten. Ich glaube also nicht, dass die Gefühle von Anna Schneider damit gemeint sind.“

Wie das funktioniere, habe vor einigen Wochen die Zeit vorgeführt, die einen Mitarbeiter einen Text verfassen und anschließend von einer Sensitivity-Readerin lektorieren ließ. Erwartungsgemäß wurde die fehlende Gendersprache moniert, und „statt des kleingeschriebenen ‚man‘ sollte es stets ‘eine Person‘ heißen. Der Satz ‘Beim Überqueren einer Straße sollte man vorsichtig sein‘, könnte nämlich möglicherweise so verstanden werden, dass nur Männer darauf aufpassen müssen. Frauen nicht! Wer weiß wie viele Frauen nur deswegen, wegen des ‘man‘, in den letzten Jahrzehnten überfahren wurden?“. Große Heiterkeit im Saal.

Auch sollten Hautfarben im Text stets mit großen Anfangsbuchstaben geschrieben werden, also „Weiß“ oder „Schwarz“, damit niemand denke, es handele sich um reale Sachen, als sei „einer in einen weißen oder schwarzen Farbbottich gefallen“. „Ich frage mich, ob es in der Weltliteratur wirklich schon einmal eine solche Verwechslung gegeben hat?“, so der Sprachkritik-Preisträger.

Der Schlüsselsatz des Zeit-Textes lautete: „Mit Kunst, will man doch niemandem wehtun!“ „Das ist, finde ich, so falsch wie ein Satz nur falsch sein kann“, wetterte Martenstein gegen diese neue Weichspül-Manie. Denn „gerade große Kunst fordere uns manchmal. Sie könne unser Weltbild, unser Selbstbild erschüttern“, und „uns womöglich tagelang verfolgen oder sogar für den Rest unseres Lebens“. Klar, wäre nicht jede Kunst, die weh tut,  bedeutend. Sie könne einfach auch nur schlecht sein. „Aber bedeutende Kunst berührt in uns meistens eine Stelle, die noch nie berührt wurde. Sie trifft einen Widerstand, das macht sie unvergesslich.“
So betrachtet, bedeute Sensitivity Reading in letzter Konsequenz „nichts weniger als das Ende der Literatur und ihre Ersetzung durch Gefälligkeitstexte“, empört sich Martenstein. Und wo es keine unmoralische Literatur mehr geben dürfe, „da darf es beim Erzählen auch keine Wahrheit mehr geben.“

Die Angst der Verlage vor den Konsequenzen von Shitstorms 

Verlage, die nach Information seiner Agentin pro Buch durchschnittlich 1500 Euro Zusatzkosten für das zusätzliche Weichspül-Lektorat berappen müssten, entschieden sich seiner Meinung nach dafür nicht aus Überzeugung, sondern aus Angst. Es sei die Angst vor dem Shitstorm, „die Angst, für die Überschreitung immer enger gezogenerer Grenzen angeklagt zu werden. Es ist die Angst davor, ein fertig produziertes Buch nach wütenden Protesten mit hohem Verlust aus dem Verkehr ziehen zu müssen“. Es sei “die Angst vor einer relativ kleinen, gut organisieren Minderheit, die so tut, als besitze allein sie das Recht, über ‘gut und böse´‚ ‘richtig und falsch‘ zu entscheiden“, so der Preisträger.
Sprache gehöre jedoch allen, „weder der Obrigkeit, noch einer Minderheit, die aus der Unterdrückung vergangener Jahrzehnte als Kompensation das Recht ableitet, heute zu verbieten, und Vorschriften zu machen.“

Wer alles Kränkende vermeiden möchte, sollte Einsiedler werden

Und gerade „weil die Sprache uns allen gehört, sollte es keine Sonderregeln geben“ insbesondere nicht für bestimmte Gruppen“, so Martenstein. Wer verlange, „niemals, in egal welchem Kontext, etwas auch nur unabsichtlich Kränkendes über die Gruppe hören oder lesen zu müssen, der er oder sie angehört, der müsste dieses Recht natürlich auch allen anderen zugestehen!“, ist für den Preisträger die logische Konsequenz. Er warnte daher eindringlich vor dieser woken literarischen Weichspülmode, denn, „wenn wir aber allen einander niemals unangenehm sein dürfen, dann sollten wir am besten jeden Kontakt miteinander meiden und Einsiedler werden.“

Weder Gender-Gebot, noch Gender-Verbot

Im Übrigen habe er nichts dagegen, wenn andere Leute gendern. „Können sie machen“. Es dürfe aber eben nur nicht vorgeschrieben oder institutionell über Leitfäden /Plattformen als vorbildhaftes Schreibverhalten empfohlen werden, etwa durch Behörden, Kommunen, Universitäten, ebenso wie es umgekehrt nicht von Gegnern verboten werden sollte.
„Nein, ich wünsche mir kein einziges Verbot. Ich wünsche mir und allen anderen nur den Mut, für das freie Wort, für die Freiheit der Sprache der Zeitungen und der Literatur einzutreten, auch, wenn mal dummes Zeug geschrieben wird. Auch wenn mal jemanden etwas wehtut! Ein Recht auf Freiheit haben alle, die nichts Illegales tun, egal aus welcher Ecke sie kommen“, bekräftigte Harald Martenstein unter großem Applaus.

( Diether von Goddenthow/Rhein-Main.Eurokunst)

Harald Martensteins Kolumnen in

Zeit-Magazin
Welt am Sonntag

Journalistin Golineh Atai für mutige Reportagen aus dem Iran mit dem Marie Juchacz-Frauenpreis 2023 ausgezeichnet

Golineh Atai, Leiterin des ZDF-Auslandsstudios Kairo, zuständig für die Berichterstattung aus Ägypten, Libyen, dem Tschad, Saudi-Arabien, Jemen, Oman, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrein, Syrien, Irak, Maghreb-Staaten (nur pan-arabische/pan-islamische Themen) und dem Libanon, aus Kuwait und dem Nord-Sudan. © ZDF/Jana Kay
Golineh Atai, Leiterin des ZDF-Auslandsstudios Kairo, zuständig für die Berichterstattung aus Ägypten, Libyen, dem Tschad, Saudi-Arabien, Jemen, Oman, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Bahrein, Syrien, Irak, Maghreb-Staaten (nur pan-arabische/pan-islamische Themen) und dem Libanon, aus Kuwait und dem Nord-Sudan. © ZDF/Jana Kay

„Golineh Atai steht für einen Journalismus, der mutig berichtet und scharf analysiert, ohne sich selbst in den Vordergrund zu stellen. Sie nutzt ihr großartiges Talent, um Frauen in ihrem Kampf für Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Freiheit zu unterstützen. Wir ehren sie heute für ihre klare demokratische Haltung als Journalistin und für ihren Einsatz für Frauen und ihre Rechte. Für ihre besonderen Verdienste um die Gleichberechtigung von Männern und Frauen verleihe ich ihr den Marie Juchacz-Frauenpreis“, sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer bei der Preisübergabe in Mainz.

Am heutigen Tag der Internationalen Frauensolidarität richtete die Ministerpräsidentin ein besonderes Zeichen der Solidarität an die mutigen Frauen im Iran, die unter dem Ruf „Frauen, Leben, Freiheit“ für ein besseres Leben kämpfen. „Weltweit steht es nicht gut um die Situation der Frauen, die in besonderem Maße von ungerechten Gesellschaften und bewaffneten Konflikten betroffen sind. Doch weltweit stehen sie wie schon zu Zeiten von Marie Juchacz und auch jetzt im Iran immer wieder an der Spitze von gesellschaftlichen Bewegungen, die für Freiheit und Gerechtigkeit eintreten. Dabei gehört die internationale Solidarität zu den Fundamenten der Frauenbewegung und wir müssen alles dafür tun, dass die Stimmen der mutigen iranischen Frauen gehört werden“, betonte die Ministerpräsidentin.

Golineh Atai, die im Alter von fünf Jahren aus dem Iran nach Deutschland gekommen sei, habe den Frauen im Iran eine Plattform gegeben, um ihre Geschichte zu erzählen und von ihren Träumen, Hoffnungen und Zielen zu berichten. „Mit den Portraits in ihrem 2021 erschienenen Buch ‚Die Freiheit ist weiblich‘ führt sie uns vor Augen, wie riskant schon der kleinste Protest sein kann. Es ist der Blick in einen Alltag, der für uns in seiner Ungerechtigkeit oftmals unfassbar ist und doch das Leben von Millionen iranischen Frauen und Mädchen bestimmt“, sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer.

Eine der Frauen, die Golineh Atai portraitiert habe, sei Azam Jangravi, die extra aus Kanada eingereist war, um die Laudatio auf die Preisträgerin zu halten. In dem Buch schildere sie eindrucksvoll, wie sie 2018 nach langen Jahren der Reformversuche schließlich den Weg des öffentlichen symbolischen Protestes wählte und sich mit offenen Haaren gegen den Kopftuchzwang stellte. „Das Video davon ging viral um die Welt. Heute kämpft sie aus ihrer neuen Heimat Kanada weiter für die Gleichberechtigung der Frauen im Iran. Die Öffentlichkeit ist dabei ihr stärkster Verbündeter, der nochmals stärker wurde, seit Joko Winterscheid ihr seinen Instagram-Account mit über 1 Million Followern dauerhaft überließ“, so die Ministerpräsidentin.

Öffentlichkeit wie auch Meinungsvielfalt und Wahrheit seien besonders wichtig für all jene, die sich in ihren Heimatländern für Demokratie und Menschenrechte einsetzen. Golineh Atai sei als Journalistin überall dort zu finden, wo die Welt in Aufruhr sei. Sie habe über die Maidan Proteste und die Annexion der Krim berichtet, seit vielen Jahren bringe sie einem großen Publikum den Mittleren Osten in seiner Vielfalt und Dynamik nahe. „Als souveräne Auslands-Korrespondentin ist Golineh Atai ein echtes Role Model“, sagte Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Wie man mit einem herausfordernden Beruf und gefährlichen Situationen umgeht und dabei resilient bleibt, darüber sprach die Preisträgerin mit Dr. Donya Gilan, die den Bereich „Resilienz und Gesellschaft“ am Leibniz-Institut für Resilienzforschung in Mainz leitet.

Der Frauenpreis der Ministerpräsidentin wurde erstmals 2019 anlässlich des hundertjährigen Jubiläums des Frauenwahlrechts verliehen. Erste Preisträgerin war 2019 Dr. Lore Maria Peschel-Gutzeit. Sie setzte sich vor allem für das Recht von Beamtinnen ein, aus familiären Gründen in Teilzeit arbeiten zu können. Preisträgerin 2020 war Marlies Krämer, die sich für die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen stark macht. Sportjournalistin Claudia Neumann, die als Fernseh-Kommentatorin von Fußballspielen Vorbild und Pionierin in einer vermeintlichen ‚Männerdomäne war, wurde 2021 mit dem Frauenpreis ausgezeichnet.

Der Frauenpreis 2022 ging an die Soziologin Jutta Allmendinger sowie Rita Süssmuth, die für ihr Lebenswerk geehrt wurde.

Mit dem Namen des Preises erinnert Ministerpräsidentin Malu Dreyer auch an die frauenpolitische Vorreiterinnenrolle und die Verdienste von Marie Juchacz, die als Abgeordnete in der Weimarer Nationalversammlung als erste Frau eine Rede hielt. Vorgeschlagen werden die Preisträgerinnen von einer Expertinnen-Jury aus Wirtschaft, Wissenschaft, Medien, Kultur und Vertreterinnen verschiedener Gremien aus dem Bereich der Gleichstellung und Frauenpolitik unter Vorsitz der Ministerpräsidentin.

Die Internationalen Maifestspiele 2023 in Wiesbaden für weltweite Meinungsfreiheit – über 680 Künstler – Kartenverkauf ab 17. Februar

TANZ. Koreanisches Nationalballett. KR Le Corsaire. Choreografie von Jungbin Song (basierend auf Marius Petipa) © Foto: Korean National Ballet
TANZ. Koreanisches Nationalballett. KR Le Corsaire. Choreografie von Jungbin Song (basierend auf Marius Petipa) © Foto: Korean National Ballet

„Flieg, Gedanke, auf den goldenen Schwingen“ aus Verdis berühmtem Gefangenen-Chor der Oper Nabucco ist Leitgedanke der Internationalen Maifestspiele 2023 Wiesbaden vom 30.April bis 31.Mai 2023, die allen politischen Gefangenen weltweit gewidmet sind. Kaum zuvor beteiligten sich mit 680 Künstlern aus aller Welt so viele Darsteller wie in diesem Jahr. Die Künstler kommen aus Australien, Dänemark, Griechenland, Großbritannien, Frankreich, Italien, Südkorea, den Niederlanden, Norwegen, Österreich, Slowakei, Spanien, der Schweiz, Tschechien, der Ukraine, den USA und Deutschland. Vorgesehen sind 26 Gastspiele, sieben Produktionen des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden, von denen drei Produktionen während der Internationalen Maifestspiele ihre Premiere feiern werden. Bei den Jungen Maifestspielen wird es insgesamt acht Produktionen und Lesungen zu erleben geben. Außerdem mischt die Freie Szene aus Wiesbaden mit und ist mit sechs Projekten vertreten.

Hoch her ging es bei der diesjährigen Theaterpressekonferenz zur Vorstellung des Programms der Internationalen Maifestspiele 2023 vom 30.4. bis 31.05. im neobarocken Foyer des Hessischen Staatstheaters. v.li.: Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende, Uwe Eric Laufenberg, Intendant Hessisches Staatstheater Wiesbaden und Anastasia Pastuchov, Produktionsleiterin Internationale Maifestspiele & Wiesbaden Biennale © Foto Diether von Goddenthow
Hoch her ging es bei der diesjährigen Theaterpressekonferenz zur Vorstellung des Programms der Internationalen Maifestspiele 2023 vom 30.4. bis 31.05. im neobarocken Foyer des Hessischen Staatstheaters. v.li.: Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende, Uwe Eric Laufenberg, Intendant Hessisches Staatstheater Wiesbaden und Anastasia Pastuchov, Produktionsleiterin Internationale Maifestspiele & Wiesbaden Biennale © Foto Diether von Goddenthow

Nie zuvor gab es aber auch im Vorfeld der Internationalen Maifestspiele Wiesbaden eine so heftige Debatte um die künstlerische Freiheit bei der Frage, ob die bereits im Herbst 2021 „gebuchte“ russische Sopranistin Anna Netrebko bei den Maifestspielen 2023 in Wiesbaden angesichts des russischen Überfalls auf die Ukraine am 24.2.2022 auftreten dürfe. Die Stadt Wiesbaden und das Land Hessen hatten sich gegen den Auftritt von Opernsängerin Anna Jurjewna Netrebko bei den Maifestspielen ausgesprochen. In einer gemeinsamen Erklärung von Stadt und Land vom 23. Januar 2023 heißt es dazu: „Der Künstlerische Leiter der Internationalen Maifestspiele widmet die Internationalen Maifestspiele 2023 denjenigen, die aufgrund ihrer Meinung im Gefängnis sitzen. Er erwähnt hierbei unter anderem den russischen Aktivisten Alexei Anatoljewitsch Nawalny. Das Land, in dem er im Gefängnis sitzt, führt derzeit einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Täglich sterben Menschen. Angesichts dieser Tatsachen, ist es unseren ukrainischen Freundinnen und Freunden nicht zu vermitteln, weshalb die Opernsängerin Anna Jurjewna Netrebko bei den Internationalen Maifestspielen auftreten soll. Dieses Verhalten ist höchst unsensibel. Netrebko steht auf einer Sanktionsliste der Ukraine und hat sich bis heute nicht von Putin und seinem Regime distanziert. Wir haben den Intendanten gebeten auf Frau Netrebko zu verzichten. Leider erfolglos.“

Intendant Laufenberg war und ist empört und antwortete: “Ich sehe mich nicht in der Lage, gegenüber Frau Netrebko, der persönlich keine Beteiligung an einem Angriffskrieg unterstellt werden kann, ein Auftrittsverbot zu verhängen“. In seinem öffentlichen Statement vom 31.Jaunur 2023 präzisiert Laufenberg sein Votum für die Freiheit der Kunst, die über politischer Sensibilität zu stehen habe: „Für uns würde das bedeuten, dass wir keinerlei russische Künstler mehr auftreten lassen könnten, keinerlei russische Musik mehr spielen (was wir mit Tschaikowskis Violinkonzert bei den IMF tun) und auch keine russischen Dichter mehr zu Wort kommen lassen dürften (was in unserer Eröffnungspremiere mit der Vertonung von Dostojewskis »Aus einem Totenhaus« passieren wird). Diese Forderung des ukrainischen Kulturministers, die russische Kultur aus unseren Spielplänen ganz zu entfernen, kann für uns in einem freien Land nicht hinnehmbar sein.“

Gerd-Uwe Mende, Wiesbadener Oberbürgermeister © Foto Diether von Goddenthow
Gerd-Uwe Mende, Wiesbadener Oberbürgermeister © Foto Diether von Goddenthow

Dieser Konflikt beherrschte auch die  Theater-Pressekonferenz  am 13. Februar. Da Intendant Laufenberg wie erwartet an seiner Position festhielt, bat Wiesbadens Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende, dass die Diskussionen um den Auftritt der russischen Sopranistin Anna Netrebko nicht den Blick auf das hervorragende Programm der Maifestspiele verstellen möge und versuchte eine Brücke zwischen den festgefahrenen Positionen zu bauen; „Den Widerspruch zwischen zwei unterschiedlichen Sphären, nämlich der künstlerischen Verantwortung des Intendanten auf der einen Seite, und der politischen Verantwortung des Magistrats auf der anderen Seite, den gilt es jetzt in gegenseitiger Wertschätzung und in gegenseitigem Respekt auszuhalten.
Mir ist wichtig, dass der Blick auf diese sehr relevante wirklich auch zu recht diskutierte Frage nicht den Blick versperren auf das großartige Programm, das wir in diesem Jahr geboten bekommen. Dass die Debatte nicht alles überlagert, auch das ist eine Frage der Wertschätzung, eine Frage der Wertschätzung gegenüber den Künstlerinnen und Künstlern, gegenüber den Ensembles, gegenüber allen Beteiligten, die zu diesen Maifestspielen etwas beitragen.“, sagte der Oberbürgermeister.

Uwe Eric Laufenberg, Intendant Hessisches Staatstheater Wiesbaden © Foto Diether von Goddenthow
Uwe Eric Laufenberg, Intendant Hessisches Staatstheater Wiesbaden © Foto Diether von Goddenthow

Intendant Uwe Eric Laufenberg stimmte in dem Punkt, den Dissens zwischen Politik und Kultur aushalten zu müssen, mit  Oberbürgermeister Mende überein.  Er blieb weiterhin empört über die Einmischung der Politik in die Freiheit der Kunst.  Er sprach von einer allgemeinen Hysterie, einer Moralhysterie, die um sich greife. „Frau Netrebko hat sich nichts zu schulden kommen lassen. Es gibt nichts, für was sie verurteilt worden ist“, so der Intendant. Die Kunst sei frei, und die ukrainischen Künstler selbst hätten  keinerlei Berührungsängste mit ihren russischen Kollegen, so der Intendant.

„Wir greifen nicht in die Kunstfreiheit ein, aber wir positionieren uns“, sagte Mende.

Das Theater sei, so Laufenberg, „ eines der letzten wirklich offenen Foren, auf dem Menschen sich wirklich ehrlich als Menschen jetzt und in diesem Moment begegnen. Auf dem Skandale passieren. Auf dem wütend direkt gegeneinander agiert wird. Ein Ort, wo gemeinsam gelacht und geweint werden kann. Ein Ort, wo wir uns noch treffen können. Im wahrsten Sinne. Wo immer Krieg ist, aber nur gespielt wird. Und wo immer Frieden und Einklang möglich ist. Theater ist ein Ort der wahren Menschlichkeit. Lasst uns da treffen!“, so der Intendant.

Impression von der Theaterpressekonferenz zur Vorstellung des Programms der Internationalen Maifestspiele 2023 vom 30.4. bis 31.05. im neobarocken Foyer des Hessischen Staatstheaters © Foto Diether von Goddenthow
Impression von der Theaterpressekonferenz zur Vorstellung des Programms der Internationalen Maifestspiele 2023 vom 30.4. bis 31.05. im neobarocken Foyer des Hessischen Staatstheaters © Foto Diether von Goddenthow

Die Internationalen Maifestspiele 2023 eröffnen mit dem Janáček-Doppel »Die Sache Makropulos« und »Aus einem Totenhaus« unter der Musikalischen Leitung von Johannes Klumpp und in der Inszenierung von Nicolas Brieger. Die beiden Opern behandeln das Leben und Sterben des modernen Menschen. »Die Sache Makropulos« ist eine kafkaeske Metapher über die Sehnsucht nach Unsterblichkeit. »Aus einem Totenhaus« erzählt aus einem russischen Gefangenenlager.

Ein weiteres Highlight am 5. und 7.Mai sind die beiden konzertanten Aufführungen von Giuseppe Verdis »Nabucco«, in denen die Opernsopranistin Anna Netrebko und der Opernbariton Željko Lučić ihr Rollendebüt geben werden. Diese Oper, in der der Gefangenenchor vom imperialistischen Babylon singen, ist allen politischen Gefangenen weltweit gewidmet. Aus diesem Grund wird Amnesty International die Veranstaltungen im Theater und an anderen Orten begleiten.
Die Musikalische Leitung hat Michael Güttler inne. Es spielt das Hessische Staatsorchester Wiesbaden und es singt der Opernchor des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden sowie der Opernchor des Staatstheaters Darmstadt.

Trotz der Unterschiede der beiden Opern gehören sie zusammen, ergänzen sich. Gemeinsam schaffen sie ein existenzielles Bild des Lebens in der Moderne. Geprägt ist dieses Leben zum einen von der Suche nach Sinn in einer Welt, in der alles flüchtig geworden ist, und in der ldentitäten ständig wechseln. Zugleich ist das Gefangensein nicht nur ein Motiv der existenzialistischen Literatur, das Gefangenenlager ist auch wesentlicher ort der Geschichte des 20. Jahrhunderts. Und angesichts aktueller Entwicklungen – man denke an polilische Ce[angene in Russland, China, Iran und weiteren Staaten – droht es auch zur conditio humana des 21.‘ Jahrhunderts zu werden.

„,Findet der Mensch einen Sinn,lebt er. Wird er ihm genommen, stirbt er. Das ist alles‘, berichtet ein Gulag-Überlebender in Viktor Funks dokumentarischem Roman »Wir verstehen nicht, was geschieht“. Und liest man die Berichte aus den Lagern – sei es zaristisches Katorga oder sowjetisches Gulag – so stellt sich aufgrund des Entsetzens, das einen angesichts der menschenunwürdigen Bedingungen ergreift, die Frage, was diese Menschen am Leben gehalten hat. Janäöek stellt seiner Oper „Aus einem Totenhaus“ ein Zitat voran, das Dostojewkis Vorlage entnommen ist: „ln jeder Kreatur ein Funke Gottes.“ Und nicht nur in diesem Motto ist ein utopisches Moment enthalten. Verbunden sind die Stücke auch durch das Theater im Theater: Emilia Marty ist Opernsängerin. Ihre Existenz besteht aus ständigen Rollenwechseln, im Leben wie auf der Bühne. Die Gefangenen in „Aus einem Totenhaus“ führen im Lager ein Theaterstück auf und finden eine Gegenwelt darin (…)“ (Programm-Vorschau, S. 18).

Programm auf einen Blick

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Auftakt-Podiumsdiskussion zur Meinungsfreiheit
Zum Auftakt der Maifestpiele ist am 30. April um 11 Uhr im Foyer des Hessischen Staatstheaters eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion geplant zum aktuellen Thema der „Meinungsfreiheit weltweit. Und wie sich Künstler und Künstlerinnen sich dafür einsetzen“. Anwesend dabei werden sind Vertreter von Amnesty, Reporter ohne Grenzen und dem PEN-Zentrum .

Oper / Konzert
Wie beschrieben, eröffnen die Internationalen Maifestspiele 2023 mit dem Janáček-Doppel »Die Sache Makropulos« und »Aus einem Totenhaus«. Ein weiteres Highlight sind am 5. und 7.Mai die beiden konzertanten Aufführungen von Giuseppe Verdis »Nabucco«.

Auch in diesem Jahr werden wieder Opernproduktionen des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden von den größten Komponisten verschiedener Epochen präsentiert: In den Hauptrollen von Richard Wagners »Tristan und Isolde« singen der Heldentenor Andreas Schager und Opernsopranistin Anja Harteros. Die Musikalische Leitung übernimmt Alexander Joel.
Eine weitere Produktion, die von Intendant Uwe Eric Laufenberg inszeniert wurde, ist Giacomo Puccinis »Il trittico« mit u.a. Olesya Golovneva, die zurzeit als Rusalka in Wiesbaden zu sehen ist, in drei Rollen. Die Musikalische Leitung der drei Szenen übernimmt Albert Horne. Ein Melodramma in drei Akten ist Giuseppe Verdis Meisterwerk »Rigoletto«. Die Sopranistin, Cristina Pasaroiu, die zuletzt in Wiesbaden in Verdis »Don Carlo« überzeugte, wird in dieser Inszenierung die Rolle der Gilda übernehmen. Außerdem singen Željko Lučić als Rigoletto und Piero Pretti als Herzog von Mantua. Will Humburg, der in der Spielzeit 2022.2023 bereits mit »Fidelio« einen großen Erfolg feierte, hat nun auch bei den Internationalen Maifestspielen 2023 einmal mehr die musikalische Leitung inne. Munter geht es in der Komödie von Richard Strauss’ »Der Rosenkavalier« zu. Hierbei handelt es sich um eine frühere Inszenierung von Nicolas Brieger und auch hier verantwortet Johannes Klumpp die musikalische Leitung. In den Hauptrollen singen Maria Bengtsson, Silvia Hauer, Timo Riihonen und Katharina Konradi.
Ein Gastspiel hat die Barockoper »Polifemo« von Nicola Antonio Porpora, die bereits bei den Salzburger Festspielen zu sehen war. Bei den Internationalen Maifestspielen 2023 sind nun die führenden Barocksänger:innen wie Julia Lezhneva und Max Emanuel Cenčić zu erleben.

Neben dem Musiktheater bieten die Internationalen Maifestspiele 2023 auch wieder Konzerte verschiedenster Musikrichtungen. Highlights sind z.B. »Die Vier Jahreszeiten im Klimawandel« mit Stargast Harald Lesch und dem Merlin Ensemble Wien, »Sommernachtstraum« mit dem Freiburger Barockorchester und dem RIAS Kammerchor Berlin unter der Leitung von Pablo Heras-Casado und das »7. Sinfoniekonzert« mit Kompositionen von Mussorgski, Tschaikowski und Janáček mit Michael Barenboim an der Violine. Fans von tanzbaren Klängen kommen bei »Wildes Holz« und »Super Natural« auf ihre Kosten. Neu im Programm sind die »Pussy Riots«, die am 24. Mai mit ihrem Programm »Riot Days« auftreten. Dieses basiert auf dem gleichnamigen Buch der Frontsängerin Maria Alyokhina, in welchem sie über ihre Erfahrungen in russischen Gefängnissen reflektiert.

Schauspiel
Auch dieses Jahr ist das Berliner Ensemble mit gleich drei Schauspielproduktionen vertreten. Den Anfang machen am 1. Mai Tilo Nest, Constanze Becker und Fine Arts Big Band mit »Big Brecht«. Am 16. Mai zeigt das »BE« die Inszenierung »Der Theatermacher« in der Regie von Oliver Reese und der vielgelobten Stefanie Reinsperger in der Titelrolle. Am 18. Mai folgt das musikalische Schauspiel »It’s Britney, Bitch!« von Lena Brasch und mit Sina Martens. Auch Thorsten Lensing ist ein gern gesehener Gast bei den Internationalen Maifestspielen. In diesem Jahr ist seine Inszenierung »Verrückt nach Trost« mit Ursina Lardi und Devid Striesow zu sehen, die viele Zuschauer:innen bereits aus dem vorigen Jahr kennen.
Das Thalia Theater Hamburg kommt mit einem Klassiker des französischen Autoren Molière nach Wiesbaden. Leander Haußmann inszenierte die Komödie »Der Geizige«. Das Burgtheater Wien zeigt mit »Eurotrash« eine Romanadaption des gleichnamigen Bestsellers von Christian Kracht. Burgtheater-Ensemblemitglied Itay Tiran inszenierte.

Tanz / Performance
Hoher Besuch kommt in diesem Jahr im Bereich Tanz aus Südkorea, das Koreanische Nationalballett ist zu Gast in Wiesbaden und zeigt »Le Corsaire« als Neuinszenierung von Marius Petipas in der Choreografie von Jungbin Song. Damit ist eines der großen klassischen Ballette zu Gast in Wiesbaden.
Auch eine Eigenproduktion des Hessischen Staatsballett wird im Rahmen der Internationalen Maifestspiele ihre Uraufführung feiern. Unter dem gemeinsamen Titel »gerade NOW« kommt das Doppel »Midnight Raga« von Marco Goecke und »Of Prophets and Puppets« von Martin Harriague auf die Bühne.
Einen mitreißenden Tanzdoppelabend präsentiert das Ballet du Grand Théâtre de Genève mit »Faun« ihres weltbekannten Direktors und Chefchoreografen Sidi Larbi Cherkaoui und der Neukreation »VÏA« von Fouad Boussouf. Ein weiteres Highlight ist die Performance »Liebestod« der spanischen Künstlerin Angelica Liddell, in der es um den legendären Torero Juan Belmonte, aber auch ein Stück von Liddells eigener Biografie geht. Ein Abend der Extreme, der gemeinsam mit dem Mousonturm Frankfurt präsentiert wird.

Projektstipendien der Stadt Wiesbaden
Das Projektstipendium Internationale Maifestspiele wurde erneut ausgeschrieben, da sich die Zusammenarbeit des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden mit dem Kulturamt Wiesbaden zur Stärkung und Sichtbarmachung der Freien Szene bewährt hat. Um weitere inhaltliche Spielräume zu ermöglichen, wurde auf ein konkretes Motto verzichtet. Alternativ wurde ein neuer, dauerhafter Titel ergänzt: »Freiräume – Projektstipendium Internationale Maifestspiele«. Auf die Zuschauerinnen und Zuschauer warten spannende Projekte aus den Bereichen Theater, Tanz, Bildende Kunst, Performance und Musik.

Junge Maifestspiele
Auch die Jungen Maifestspiele haben wieder ein umfangreiches Programm mit Gästen aus den verschiedensten Ländern zu bieten. Der Auftakt für die Jungen Maifestspiele fällt dabei am 1. Mai zwischen 13.00 und 18.00 Uhr beim großen »Eröffnungsfest« für die ganze Familie. Im Rahmen der Internationalen Maifestspiele feiert das Partizipationsprojekt von Hannah Biedermann »Ein Fisch wird nur so groß wie sein Aquarium« am 13. Mai Premiere. Auch dabei sein werden das Theater Marabu mit ihrer Performance »SPLASH!« und Ayşe Bosse mit einer Lesung ihres Buches »Pembo«. Bei einer weiteren Lesung, auf die sich Theaterfans wie Bücherwürmer freuen können, stellt Deutschlands meistgespielter Gegenwartsdramatiker Roland Schimmelpfennig sein Buch »Die Biene im Kopf« vor. Außerdem richtet das Junge Staatstheater (JUST) die ASSITEJ-Werkstatt mit dem Titel »Zwischen Zurschaustellung & Empowerment« aus, bei der es um die Frage geht, wie man die Ansichten und Meinungen junger Menschen auf die Bühne bekommt, ohne dabei den Authentizitätsanspruch aus den Augen zu verlieren oder in Voyeurismus zu verfallen.

Bonus Tracks
Die IMF Extras sind in diesem Jahr den Ensemblemitgliedern des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden, Lina Habicht und Felix Strüven, vorbehalten. Sie zeigen ein Programm aus szenischen Collagen und ein Live-Hörspiel.
In der FilmBühne Caligari werden in diesem Jahr, teilweise begleitend zu anderen Vorstellungen im Musiktheater und Schauspiel, eine Handvoll internationaler Filme gezeigt: so beispielsweise der Filmklassiker »Ein Sommernachtstraum« von Michael Hoffmann.

Die Durchführung der »Internationalen Maifestspiele« 2023 wird durch die Unterstützung der Landeshauptstadt Wiesbaden, des Landes Hessen, der NASPA, und des Förderkreises der Internationalen Maifestspiele e.V. sowie durch den Kulturfonds Frankfurt RheinMain ermöglicht.

Weitere Info:
Programm Internationale Maifestspiele 2013
issuu-Programm zum Durchblättern

Karten
Der Kartenvorverkauf für Mai startet am 17. Februar 2023 um 10 Uhr. Es wird nicht möglich sein, vorab eine Warteposition im Webshop einzunehmen.
Karten sind an der Theaterkasse, telefonisch unter 0611.132 325 oder online unter www.maifestspiele.de erhältlich.

Aufruf: Wissenschaftler kritisieren Genderpraxis des ÖRR

© collage Diether v Goddenthow
© collage Diether v Goddenthow

(Schlangenbad, Dezember 2022). Rund 400 Sprachwissenschaftler und Philologen haben einen Aufruf unterzeichnet, der die Nutzung der „gendergerechten Sprache“ in öffentlich-rechtlichen Sendern scharf kritisiert. Die Sprachwissenschaftler fordern eine „kritische Neubewertung des Sprachgebrauchs im ÖRR auf sprachwissenschaftlicher Grundlage“. Der Aufruf löste ein großes Medienecho aus.

Unter den Unterzeichnern befinden sich Mitglieder des Rates für deutsche Rechtschreibung, der Gesellschaft für deutsche Sprache und des PEN-Zentrums sowie etliche renommierte Sprachwissenschaftler. Initiiert wurde der Aufruf von dem Germanisten, Musiker und Buchautor Fabian Payr („Von Menschen und Mensch*innen“ – Springer 2021).

Zum Aufruf: www.linguistik-vs-gendern.de/

Die Sprachverwendung des ÖRR sei, so die Experten, „Vorbild und Maßstab für Millionen von Zuschauern, Zuhörern und Lesern“. Daraus erwachse für die Sender die Verpflichtung, sich in Texten und Formulierungen an geltenden Sprachnormen zu orientieren und mit dem Kulturgut Sprache „regelkonform, verantwortungsbewusst und ideologiefrei“ umzugehen. Im Aufruf wird darauf hingewiesen, dass mehr als drei Viertel der Medienkonsumenten Umfragen zufolge den etablierten Sprachgebrauch bevorzugten – der ÖRR dürfe den Wunsch der Mehrheit nicht ignorieren.

Die im Aufruf formulierte Kritik an der Genderpraxis des ÖRR erfolgt aus sprachwissenschaftlicher Perspektive: Das Konzept der gendergerechten Sprache basiere auf der Vermengung der Kategorien Genus und Sexus. Grammatisches Geschlecht und natürliches Geschlecht sind jedoch, wie die Wissenschaftler betonen, nicht grundsätzlich gekoppelt. Sprachhistorische Untersuchungen belegten ferner, dass das generische Maskulinum keineswegs erst in jüngerer Zeit Verwendung fand, sondern seit Jahrhunderten fester Bestandteil der deutschen Sprache ist.

Die Sprachwissenschaftler und Philologen kritisieren ferner, dass an Stelle von sprachsystematischen und sprachlogischen Betrachtungsweisen zunehmend psycholinguistische Studien herangezogen werden, um Veränderungen des Sprachgebrauchs zu legitimieren. Diese umstrittenen Studien lieferten aber keinen belastbaren Beleg dafür, dass generische Maskulina mental vorrangig „Bilder von Männern“ erzeugen. Eines der zentralen Argumente für das Gendern sei mithin hinfällig.

Die Wissenschaftler äußern im Aufruf ihre Sorge, dass Gendern zu einer ausgeprägten „Sexualisierung der Sprache“, also zu einer permanenten „Betonung von Geschlechterdifferenzen“ führe. Dadurch werde das wichtige Ziel der Geschlechtergerechtigkeit konterkariert. Im Hinblick auf das angestrebte Ziel – Geschlechtergerechtigkeit – sei Gendern also dysfunktional.

Kritisiert wird ferner, dass der ÖRR geltende Rechtschreibnormen missachte: Der Rat für Deutsche Rechtschreibung hatte im März 2021 explizit darauf hingewiesen, dass Gender-Sonderzeichen wie Genderstern, Doppelpunkt oder Unterstrich nicht dem amtlichen Regelwerk entsprechen, da diese Formen Verständlichkeit sowie Eindeutigkeit und Rechtssicherheit von Begriffen und Texten beeinträchtigen. Diese Missachtung der gültigen amtlichen Rechtschreibregeln sei „nicht mit dem im Medienstaatsvertrag formulierten Bildungsauftrag der Sender vereinbar“.

Außerdem, so die Wissenschaftler, sorge die vielfach mit moralisierendem Gestus verbundene Verbreitung der Gendersprache durch die Medien für „erheblichen sozialen Unfrieden“ und leiste gefährlichen Partikularisierungs- und Polarisierungstendenzen in der Gesellschaft Vorschub.
Der forcierte Gebrauch gegenderter Formen befinde sich nicht im Einklang mit dem Prinzip der politischen Neutralität, zu der alle Sender gemäß Medienstaatsvertrag verpflichtet seien. So stamme das Projekt der “gendergerechten Sprache” ursprünglich aus der feministischen Linguistik und werde heutzutage vorrangig von identitätspolitisch orientierten universitären Gruppierungen rund um die Social-Justice-Studies vorangetrieben. Zu einer solchen „ideologisch begründeten Sprachform“ müsse der ÖRR kritische Distanz wahren.

Auch die Berichterstattung des ÖRR über den Themenbereich Gendersprache wird kritisiert: Sie sei „vielfach tendenziös“ und diene im Wesentlichen der Legitimation der eigenen Genderpraxis. In den Medien des ÖRR überwiege eine positive Darstellung des Genderns. Kritiker würden nicht selten als reaktionär, unflexibel und frauenfeindlich geschildert.

Dem Aufruf ist eine umfangreiche Literaturliste beigefügt, eine Auflistung aktueller Meinungsumfragen zum Gendern sowie Links zu ÖRR-Sendungen zur Thematik sowie eine Chronik.

Zum Aufruf: www.linguistik-vs-gendern.de/

 

Ministerpräsidentin Malu Dreyer übernimmt Patenschaft für politisch verfolgte Schülerin im Iran: „Ich fordere die Freilassung der 16jährigen Sheno Ahmadian!“

„Als Zeichen meiner Solidarität mit den Menschen im Iran habe ich eine politische Patenschaft für die 16-jährige Schülerin Sheno Ahmadian übernommen, die nach Angaben ihrer Familie aufgrund ihres friedlichen Protestes von iranischen Regierungstruppen entführt wurde. Ich fordere die Freilassung der Schülerin“, so Ministerpräsidentin Malu Dreyer. Mit dieser Patenschaft werde ich mich mit Aufrufen und Briefen, zum Beispiel an die Botschaft, für die Freilassung von Sheno Ahmadian einsetzen und dazu beitragen, die Opfer des Protestes sichtbar zu machen. Malu Dreyer hat im Rahmen des Patenschaftsprogramms der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) eine Patenschaft für Sheno Ahmadian übernommen. Die IGFM hat seit dem Jahr 2011 über 200 Patenschaften für gewaltlose politische Gefangene initiiert, bei denen sich Politikerinnern und Politiker öffentlich für deren Freilassung einsetzen. Ziel ist, durch öffentlichen Druck die Situation der Inhaftierten zu verbessern oder ihre Freilassung zu erreichen. Das politische Patenschaftsprogramm hat einen Fokus auf den Iran.

„Aus Angst vor dem Freiheitsdrang des eigenen Volkes schlägt das iranische Regime seit Wochen Demonstrationen brutal nieder. Bereits über zehntausend Menschen wurden verhaftet und Hunderte wurden ermordet – darunter auch viele Minderjährige, wie Sheno Ahmadian. Mit den öffentlich vollstreckten Exekutionen von zwei jungen Demonstranten wurde eine neue Stufe der Eskalation und Gewalt erreicht.“

Die 16-jährige Schülerin wurde am 16. November 2022 in der Stadt Dehgolan in der Provinz Kordestan von iranischen Regierungstruppen entführt. Laut ihrer Familie, konnte diese bislang trotz Anfragen bei der Polizei noch keine Informationen erhalten, wo Sheno ist und was mit ihr passiert ist. Nach Angaben von Exil-Iranern wurden wurden drei weitere kurdische Minderjährige entführt, Kizhan Karimi (17), Ayda Lotfi (17) und Bita Asadi (17). Ersten Angaben zufolge wurden die vier Schüler zuvor an ihrer Schule bedroht.

„Ich bewundere den Mut, mit dem die Iraner und Iranerinnen – gerade auch viele junge Menschen – unter diesen Umständen weiterhin Seite an Seite für die Menschenrechte und ein Leben in Freiheit auf die Straße gehen. Die iranische Regierung rufe ich auf, die universellen Menschenrechte zu achten. Ich stehe an der Seite der Protestierenden und ich bin sicher: der Fortschritt wird sich nicht aufhalten lassen“, so die Ministerpräsidentin weiter.

Vermittelt hat die Patenschaft der Leiter des Malteser Migrationsbüros Rheinland-Pfalz/Hessen. „Ich danke Behrouz Asadi dafür, so engagiert Patinnen und Paten aus Politik, Kultur, Sport und Gesellschaft für die mutigen Iranerinnen und Iraner zu gewinnen, die wegen ihres friedlichen Protests inhaftiert wurden“, so Ministerpräsidentin Malu Dreyer.

Solidarität des Hessischen Landtags mit demonstrierenden Iranerinnen für „Frauen-Leben-Freiheit“ über Parteigrenzen hinweg

Wie Martina Feldmayer, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Fraktion Bündnis 90/DIE GRÜNEN im Hessischen Landtag, mitteilt haben sich die Fraktionen der Parteien CDU, GRÜNE, SPD und FDP mit den Demonstrantinnen im Iran und ihrem Ruf „Frauen-Leben-Freiheit“ solidarisiert. „Frauen-Leben-Freiheit, das ist der Ruf der mutigen Frauen, Mädchen und Männer im Iran, die gegen die systematische Verletzung von Frauen- und Menschenrechten zu Tausenden auf die Straße gehen. Mit dem gemeinsamen Antrag von CDU, SPD, GRÜNEN und FDP sendet der Landtag ein starkes Zeichen der Solidarität an die Demonstrantinnen. Er sendet ein Zeichen an die in Hessen lebenden Menschen iranischer Herkunft. Wir sehen und teilen ihre Sorge um ihre Angehörigen, um ihre Freundinnen, um ihre Leute in der Heimat. Ihr seid nicht alleine. Es ist gut und wichtig, dass sich die Innenministerkonferenz mit dem Thema Abschiebungen in den Iran beschäftigt. Es ist gut und wichtig, wenn die Bundesregierung, die dafür zuständig ist, eine neue Lagebewertung zur Situation im Iran vorlegt, auf deren Grundlage das Thema Abschiebungen neu bewertet werden wird. Unabhängig davon hat Innenminister Beuth erklärt, dass in Hessen vor der nächsten Innenministerkonferenz zunächst keine Abschiebungen in den Iran durchgeführt werden.“

„Trauer, Wut und Hoffnung“ Bürgermeisterin Eskandari-Grünberg eröffnet die Kundgebung der „Unterstützerinnen für Frauen und Menschenrechte im Iran“

Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg während ihrer Rede bei der Kundgebung der 4000  „Unterstützer:innen für Frauen und Menschenrechte im Iran“ auf dem Römerberg (1), Copyright: Stadt Frankfurt am Main, Foto: Bernd Georg
Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg während ihrer Rede bei der Kundgebung der 4000 „Unterstützer:innen für Frauen und Menschenrechte im Iran“ auf dem Römerberg (1), Copyright: Stadt Frankfurt am Main, Foto: Bernd Georg

ffm. Frankfurt hat eine weitere klare Botschaft in Richtung Iran gesendet. 4000 Menschen kamen am Dienstag, 4. Oktober, zu einer Kundgebung für Freiheit und Menschenrechte auf dem Römerberg zusammen. Sie hörten 15 Rednerinnen und Rednern zu, darunter den Fraktionsvorsitzenden der demokratischen Römer-Parteien, der Frauenrechtsaktivistin Shahnaz Morattab, der Sozialwissenschaftlerin Elisabeth Abendroth und der Kabarettistin Enissa Amani.

Bürgermeisterin und Diversitätsdezernentin Nargess Eskandari-Grünberg eröffnete die Kundgebung und fasste ihre Empfindungen so zusammen: „Wenn ich heute auf den Iran schaue, dann fühle ich Trauer, Wut und Hoffnung. Trauer um die jungen Menschen, die bei den Protesten ihr Leben verlieren. Wut auf das mörderische Regime, das einer Ideologie aus dem Mittelalter anhängt. Und Hoffnung in drei Worten: Jin, Jiyan, Azadi. Frauen, Leben, Freiheit. Das Streben der Menschen nach einem selbstbestimmten Leben lässt sich nicht unterdrücken.“ Für die Freiheitskämpferinnen sind die religiös vorgeschriebenen Niqabs  Symbole der Unterdrückung von Frauen. Ihr Symbol für Freiheit der Frauen sind die offenen, freien Haare.

Zu der Kundgebung hatte das Netzwerk „Frankfurter Unterstützer:innen für Frauen und Menschenrechte im Iran“ aufgerufen. Anlass war der Tod der Iranerin Mahsa Amini. Die 22-jährige Frau starb an den Folgen islamistischer und frauenfeindlicher Polizeigewalt im Iran. Ihr wurde vorgeworfen, ihr Kopftuch nicht gemäß den Vorschriften getragen zu haben. Seitdem herrscht Unruhe im Iran, vor allem Frauen formieren sich zum Protest und Widerstand. Nach Angaben von Iran Human Rights Watch sind bei den Protesten mittlerweile mehr als 130 Menschen von der Polizei getötet worden.

„Heute geht es darum, dass wir den Menschen im Iran zeigen: Ihr seid nicht allein“, sagte Eskandari-Grünberg. „Keine Knüppel, keine Wasserwerfer, keine Kugeln können diese Hoffnung besiegen. Die Menschen im Iran sagen: Es reicht. 40 Jahre Unfreiheit und Unterdrückung sind genug. Das Regime in Iran wird enden. Ich weiß nicht wann, aber ich weiß, dass es passieren wird“, betonte die Bürgermeisterin.

Die Bürgermeisterin teilte mit, dass der iranische Generalkonsul keine Einladung für den städtischen Empfang des konsularischen Corps am Sonntag, 9. Oktober, erhält.

Börsenverein unterstützt Petition zum Erhalt von Sprach-Kitas

Das Bundesprogramm „Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist“ soll im kommenden Jahr nicht weitergeführt werden. So steht es im Entwurf für den Bundeshaushalt 2023, dessen finale Verabschiedung im November stattfindet. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und seine Interessengruppe (IG) Leseförderung kritisieren die geplante Beendigung der Förderung. Sie unterstützen die Initiative „Sprach-Kitas retten“, die den Erhalt des wichtigen Programms fordert, und ruft zur Unterzeichnung einer Petition auf.

„Kitas sind Schlüsselakteure in der Sprach- und Leseförderung. Dort wird der Grundstein für faire Bildungsvoraussetzungen für Kinder gelegt. Es wäre fatal, wenn die Bundesregierung gerade an dieser Stelle den Rotstift ansetzt. Aufgrund der großen Defizite bei der Sprach- und Lesekompetenz hierzulande, die sich durch die Pandemie weiter zugespitzt haben, braucht unser Land nicht weniger, sondern mehr Förderung und Unterstützung durch die Politik, um die Leseförderung nachhaltig zu verbessern“, sagt Peter Kraus vom Cleff, Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins.

„Die Sprach-Kitas vermitteln die Grundlagen für das Leseverständnis, das die Zukunftschancen von Kindern maßgeblich beeinflusst. Besonders in einer diversen Gesellschaft wie in Deutschland bildet Sprachförderung einen wichtigen Faktor für Chancengleichheit, soziale wie persönliche Entwicklung. In vielen Elternhäusern wird nicht mehr vorgelesen – damit sind die Kitas stärker gefragt, Sprach- und Lesefähigkeit zu vermitteln. Und was im Kleinkindalter an Leseförderung versäumt wird, ist später immer schwieriger auszugleichen. Deshalb ist das Programm der Bundesregierung so entscheidend und darf nicht Sparmaßnahmen zum Opfer fallen“, sagt Susanne Lux, Sprecherin der IG Leseförderung des Börsenvereins.

Petition unterzeichnen und Unterschriften sammeln
Die öffentliche Petition für den Erhalt der Sprach-Kitas wurde von Kita-Leiterin Wenke Stadach ins Leben gerufen und beim Deutschen Bundestag eingereicht. Wenn sie bis zum 20. September 2022 über 50.000 Unterschriften erhält, findet eine verpflichtende Anhörung im Petitionsausschuss des Bundestages statt. Es gibt zwei Möglichkeiten, die Petition zu unterstützen: als Einzelperson online unterzeichnen unter bundestag.de oder eine Liste ausdrucken und Unterschriften sammeln z.B. bei Mitarbeitenden oder Kund*innen. Die Liste ist bis zum 15. September an den Petitionsausschuss einzusenden.

Mehr Informationen, der Link zur Petition und zum Download der Unterschriftenliste finden sich auf der Website: sprachkitas-retten.de

Der Börsenverein setzt sich mit zahlreichen Initiativen für Leseförderung in verschiedenen Altersgruppen ein. In Kooperation mit dem Deutschen Bibliotheksverband (dbv) vergibt er jährlich das Gütesiegel Buch-Kita an Kindertagesstätten, die im Bereich der Leseförderung und der Lese- und Sprachentwicklung von Kindern aktiv sind.

Sir Salman Rushdie wird Ehrenmitglied des deutschen PEN-Zentrums

Sir Salman Rushdie bei der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse 2015  © Foto Diether von Goddenthow
Sir Salman Rushdie bei der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse 2015 © Foto Diether von Goddenthow

Darmstadt, 13. August 2022. Immer vertrat er die Meinungsfreiheit, auch die seiner Gegner. Neun Jahre lebte er in wechselnden Verstecken, zwanzig Jahre als ein Schriftsteller in New York, der nicht länger hinter der politischen Figur verschwinden wollte, der sich frei und ohne Bodyguards bewegte und erstaunlich gelassen mit der konstanten, jahrelangen Bedrohung umging. Nun wurde Salman Rushdie bei einer Lesung von dem 24-jährigen Hadi Matar aus New Jersey mit einem Messer völlig überraschend attackiert und schwer verletzt.

Der Valentinstag 1989, war für ihn der Tag, der sein Leben in ein „Vorher“ und „Nachher“ teilte; der Tag, an dem der greise Ayatollah Khomeini die Fatwa, den Bann über den Roman „Die Satanischen Verse“ und ihren Autor aussprach, um vom sieglosen Krieg gegen den Irak abzulenken. Was dann folgte, war für den indisch-britischen Schriftsteller fast eine Dekade lang ein Leben im Luxus-Käfig: Sicherheit lernen, 24-Stunden-Personenschutz, immer neue Adressen suchen, immer andere Wohnungen mieten, Begegnungen mit Freunden, Frauen, der Familie, dem Sohn, Undercover, ein Leben in Tarnung. Erst mit dem Umzug nach New York lebte Rushdie eine neue Freiheit.

Inwieweit der Anschlag durch die noch immer bestehende Fatwa ausgelöst wurde, ist nicht belegt, aber wahrscheinlich. Fakt ist, dass der Bann Hass schürte und bis heute gilt.

Salman Rushdies über zwei Dutzend Romane, seine Sachbücher und Essays hingegen stehen für Toleranz, Meinungsfreiheit und Wahrheitssuche, gegen religiöse Fanatiker, Islamisten, Trumpisten und Covid-Leugner. „Die Wahrheit liegt in der Fiktion“, sagte Rushdie in einem Interview und: Literatur erzähle vom Wesen des Menschen, davon, wie wir und unsere Gesellschaften beschaffen seien.

Das deutsche PEN-Zentrum verurteilt die Attacke als perfiden Gewaltakt auf Salman Rushdie, die Meinungsfreiheit und die westlichen Werte und ernennt – in großer Sorge –Sir Salman, den ehemaligen PEN-Präsidenten der USA, zum Ehrenmitglied des PEN-Zentrums Deutschland.
(PEN-Zentrum Deutschland e.V)