Kategorie-Archiv: Frankfurter Museen

Rund 40.000 Menschen feierten die Rückkehr der NACHT DER MUSEEN in Frankfurt und Offenbach

Großer Publikumsmagnet: Antagon-Theater auf dem Römerberg ©  Stadt Frankfurt am Main, Foto: Peter Krausgrill
Großer Publikumsmagnet: Antagon-Theater auf dem Römerberg © Stadt Frankfurt am Main, Foto: Peter Krausgrill

Nach dreijähriger Pause meldete sich die mannigfaltige Museumslandschaft in Frankfurt und Offenbach mit einem eindrucksvollen Programm zur Kunst- und Kulturnacht zurück. Von 19 Uhr bis spät in die Nacht folgten rund 40.0000 Besucherinnen und Besucher dem Ruf von über 40 Veranstaltungsorten, um Ausstellungen, Führungen, Performances, Live-Musik, Filmprojektionen und Workshops zu erleben.

Es war wieder die gelungene Mischung großer und kleiner Momente, die die NACHT so kostbar macht: Das Eintauchen in die unendliche Vielfalt an Kunstobjekten internationaler und nationaler Künstlerinnen und Künstler. Das Genießen überraschender Konzerte, Lesungen und Performances an ungewöhnlichen Orten. Das gemütliche Schlendern entlang des Mainufers oder das inspirierende Gespräch bei den Workshops und Kursen.

„Einmalige Exponate, begeisterte Museumsbesucherinnen und Museumsbesucher und verzaubernde Momente – nach drei Jahren Pause präsentierte sich Frankfurts vielseitige Museumslandschaft zur Nacht der Museen eindrucksvoll. Das in seiner Art einzigartige Museumsufer zog mit seiner enormen Anziehungskraft Kulturinteressierte aus dem gesamten Rhein-Main-Gebiet und darüber hinaus in seinen Bann. Die museale Vielfalt, das abwechslungsreiche Rahmenprogramm und die milden Temperaturen trugen zur nächtlichen Hochstimmung bei“, freut sich Kultur- und Wissenschaftsdezernentin Dr. Ina Hartwig.

Niki de Saint Phalle Schwarze Mosaik-Nana-1999 © Foto Diether von Goddenthow
Niki de Saint Phalle Schwarze Mosaik-Nana-1999 © Foto Diether von Goddenthow

Besonders großer Beliebtheit erfreuten sich nicht nur die großen Häuser, wie die Schirn Kunsthalle mit der kunterbunten, verspielt feministischen Welt von „Niki de Saint Phalle“, oder das DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum mit seiner umfassenden Hommage an die goldenen 1920, inklusive Tanzkurse, Fotobox und Elektro-Swing. Auch bei einzigartigen und besonderen Erlebnissen war der Andrang groß, wie im sonst verschlossenen Fischergewölbe, wo sich die Besucher mit einer Taschenlampe auf dem Weg unter die Alte Brücke machen konnten, oder bei der normalerweise nur für limitierte Führungen geöffneten Deutsche Börse Photography Foundation, wo 20 junge Künstlerinnen und Künstler aus 14 Nationen die neuesten Trends des Mediums präsentierten.

Für Architektur- und Kunstliebhaber war erstmals im Rahmen der NACHT die Europäische Zentralbank (EZB) zu besichtigen, die die Türen zu ihrem imposanten Hauptsitz und der darin beherbergten Kunstsammlung öffnete.

Alle, die schon immer einen Blick ins Universum werfen wollten, stillten ihre Neugier in der Sternwarte des Physikalischen Vereins. Unter Wasser ging es mit den Aquanauten im Zoo Frankfurt, die im Mittelpunkt von kommentierten Fütterungen und Experten-Talks standen, eingebettet in ein stimmungsvolles Licht- und Musikkonzept. In die weite Ferne des peruanischen Amazonasgebiets entführte dagegen das Weltkulturen Museum mit einer spannenden Multimedia-Inszenierung von Objekten und Mustern der Shipibo.

Nacht der Museen - 48 Revolutionärinnen im Kaisersaal des Frankfurter Römers.  © Foto Diether von Goddenthow
Nacht der Museen – 48 Revolutionärinnen im Kaisersaal des Frankfurter Römers. © Foto Diether von Goddenthow

Die Themen Revolution und Demokratie wurden anlässlich des 175. Jubiläums der Eröffnung der Nationalversammlung vielschichtig aufgegriffen: Die aktuelle Ausstellung „Revolutionär:innen“ verhüllt die porträtierten Kaiser und präsentiert an ihrer Stelle 48 historisch bedeutsame Kämpferinnen direkt im Kaisersaal des Römers. Die brodelnden Jahre 1848/49 wurden in der Paulskirche selbst betrachtet. Kunstvoll dargebotene Protestlieder gab es im Deutschen Romantik-Museum zu hören. Und dem „Versprechen der Gleichheit“ widmete sich die Sonderschau des Historischen Museums Frankfurt.

Vielerorts wurde auch für Nachwuchs und Zeitgeist eine Plattform geschaffen. Im Frankfurter Kunstverein zeigten sich Newcomer der hiesigen Kunst- und Musikszene. Im DIAMANT OFFENBACH wurde turbulent auf fünf Etagen urbane Kultur gezeigt. Der Kunstverein Familie Montez solidarisierte sich mittels der Ausstellung „40 Tage, 1001 Kraniche“ mit den Menschen im Iran. Und das MOMEM Museum of Modern Electronic Music präsentierte standesgemäß Meilensteine der elektronischen Clubmusik.

Zu den Highlights des Rahmenprogramms gehörten das antagon-Theater auf dem Römerberg, das Schattenspieltheater im Gartensaal des Goethe-Hauses und die Grammophon-Lesungen von Jo van Nelsen im Sonnemann-Saal und die Berry Blue Band im Jüdischen Museum, wo die Besucherinnen und Besucher bis lange nach Mitternacht tanzten.

Diesen Samstag am Museumsufer NACHT DER MUSEEN Frankfurt und Offenbach am 13. Mai 2023

Liebieg Haus Skulpturen-Museum Foto: Tetyana Lux
Liebieg Haus Skulpturen-Museum Foto: Tetyana Lux

In wenigen Tagen meldet sich die NACHT DER MUSEEN FRANKFURT eindrucksvoll nach dreijähriger Pause zurück. Von Ausstellungen über Führungen, Workshops und Konzerte zu Partys und anderen Specials – das Programm der über 40 teilnehmenden Häuser am 13. Mai zwischen 19 und 2 Uhr verspricht Vielfalt im Zeitgeist.

Für die Planung empfiehlt es sich, das Programm in Ruhe etwas genauer zu studieren, um die Favoriten zu entdecken und daraus eine persönliche Route zu entwickeln. Im Wesentlichen gibt es fünf Hotspots, die wie alle Ausstellungsorte durch fünf BusShuttle-Routen verbunden sind.

Der Schaumainkai: Hier lässt es sich mit Blick auf die Skyline besonders gut schlendern, denn das Museumsufer ist teilweise gesperrt und ein Museum reiht sich an das nächste – wie das Ikonenmuseum, das Museum Angewandte Kunst, das DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum, das Museum für Kommunikation,das Städel Museum und das benachbarte Liebieghaus sowie das Museum Giersch der GoetheUniversität.

Nacht der Museen in Frankfurt und Offenbach. Bild: Archäologisches Museum Frankfurt © Foto Diether von Goddenthow
Nacht der Museen in Frankfurt und Offenbach. Bild: Archäologisches Museum Frankfurt © Foto Diether von Goddenthow

Die City: Der Römer bietet mit der Künstlergruppe antagon theaterAKTion und dem mit dem Rad reisenden Musiker Lasca Fox gleich zwei Highlights des Rahmenprogramms. Er ist aber auch einer der Dreh- und Angelpunkte zu den vielen zentral liegenden Ausstellungsorten der Nacht, zu denen unter anderen der Kaisersaal im Römer selbst, das gegenüberliegende Historische Museum, die Paulskirche, der Frankfurter Kunstverein, die Schirn Kunsthalle, das Struwwelpeter Museum, das Deutsche Romantik-Museum, das Institut für Stadtgeschichte oder das MOMEM Museum of Modern Electronic Music an der Hauptwache gehören.

Der Nordwesten: Ob zur Galerie Schierke Seinecke in Hauptbahnhof-Nähe, zur Deutschen Börse Photography Foundation in Eschborn, zum EXPERIMINTA ScienceCenter und Senckenberg Naturmuseum in Bockenheim oder zum Geldmuseum und Kriminalmuseum im Nordend – es lohnt sich, mit den Bus-Shuttles der Nacht in den Norden Frankfurts zu fahren.

Der Osten: Wer sich aus der City in Richtung Osten bewegt, findet zum einen den Frankfurter Zoo, über den aus auch die historische Straßenbahn verkehrt, zum anderen wenige hundert Meter weiter die Europäische Zentralbank (EZB) und den Kunstverein Familie Montez an der Honsellbrücke.

Offenbach: Neben dem Ledermuseum, dem wohl bekanntesten Museum der Nachbarstadt, lockt Offenbach mit dem Klingspor Museum, dem DIAMANT OFFENBACH Museum of Urban Culture, der Druckwerkstatt im Bernardbau und dem Haus der Stadtgeschichte.

Eintrittskarten (15 Euro) gibt es in den teilnehmenden Veranstaltungsorten, online über nacht.museumsufer.de und an AD ticket/reservix-Vorverkaufsstellen. Während der NACHT DER MUSEEN berechtigt das Ticket zum Eintritt in die teilnehmenden Häuser und ist zugleich Ausweis für die Fahrten mit den Shuttle-Bussen und der Historischen Straßenbahn.

Die ermäßigte Eintrittskarte für 10 Euro ist ausschließlich im VVK erhältlich und nur gültig zusammen mit Lichtbild und Berechtigungsnachweis für Kinder unter 18, Schüler:innen, Auszubildende, Studierende, Bundesfreiwilligendienstleistende, Arbeitslose, Schwerbehinderte ab 50 GdB und Frankfurt-Pass/KulturpassInhaber:innen. Für Besitzer:innen der MuseumsuferCard ist der Eintritt frei.

Programm-Heft: Nacht der Museen 

Karikaturist Gerhard Haderer kann auch „Caravaggio“ – Werkschau im Caricatura Frankfurt präsentiert erstmals bittersüße Ölgemälde im Großformat

Das Caricatura Museum Frankfurt präsentiert ab April 2023 einen der bedeutendsten satirischen Zeichner im deutschsprachigen Raum: Gerhard Haderer (*1951 in Leonding/Österreich). 25 Jahre lang erreichte er mit seinen wöchentlichen Zeichnungen für den stern ein Millionenpublikum. Seine zahlreichen Cartoons sind meistens provokativ, auf jeden Fall immer treffend.  Ausstellungs-Impresseion. © Foto Diether von Goddenthow
Das Caricatura Museum Frankfurt präsentiert ab April 2023 einen der bedeutendsten satirischen Zeichner im deutschsprachigen Raum: Gerhard Haderer (*1951 in Leonding/Österreich). 25 Jahre lang erreichte er mit seinen wöchentlichen Zeichnungen für den stern ein Millionenpublikum. Seine zahlreichen Cartoons sind meistens provokativ, auf jeden Fall immer treffend. Ausstellungs-Impresseion. © Foto Diether von Goddenthow

Das Caricatura Museum Frankfurt – Museum für Komische Kunst präsentiert vom 6. April bis zum 17. September 2023 die Werke des „Superstars der Komischen Kunst“ Gerhard Haderer, darunter als Highlights erstmals seine bittersüßen großformatigen Ölgemälde. Kuratiert hat die Ausstellung Stefanie Rohde. 

Die Ausstellung heiße schlicht Gerhard Haderer, ähnlich wie auch einst die Alten Meister ihre Werke nur mit ihrem Künstlernamen präsentiert hätten, wobei bei Gerhard Haderer die Betonung auf „Meister“ läge, begrüßt Achim Frenz, Direktor des Caricatura Museum für Komische Kunst Frankfurt, ein wenig augenzwinkernd die Runde. Schon 2011 präsentierte das Caricatura Frankfurt  Haderers bissigen Werke. „Diese machten die damalige Werkschau zu einer der erfolgreichsten Ausstellungen unseres Museums“, so Frenz.

Direktor Achim Frenz mit Gerhard Harderer im Gespräch vor dem Cartoon"Am Tag danach", welches  Haderer am 7. Jan. 2015 nach dem terroristischen Anschlag auf das Redaktionsbüro der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris malte.  © Foto Diether von Goddenthow
Direktor Achim Frenz mit Gerhard Harderer im Gespräch vor dem Cartoon“Am Tag danach“, welches Haderer am 7. Jan. 2015 nach dem terroristischen Anschlag auf das Redaktionsbüro der französischen Satirezeitschrift Charlie Hebdo in Paris malte. © Foto Diether von Goddenthow

Jetzt gut 10 Jahre nach der ersten Haderer-Ausstellung später, möchte das Caricatura Frankfurt ein weiteres Feld über die neuen Arbeiten des Meisters Haderer zeigen. So habe Gerhard Haderer Achim Frenz versprochen, zum Abschluss seiner Zeit als Museumsleiter des Caricatura Museums seine bislang noch nie gezeigten großformatigen Ölgemälde in Frankfurt auszustellen. Und da nun der legendäre Museumsleiter Achim Frenz tatsächlich demnächst in den „Ruhestand“ verabschiedet werden wird, hat Gerhard Haderer, den mittlerweile eine enge Freundschaft mit Frenz verbindet, sein Versprechen eingelöst, und  ermöglicht erstmals eine Präsentation seiner großformatigen Ölgemälde.
Unter seinen Ölgemälden befinden sich sagenhafte Werke mit Abmessung von 2,50 x 1,80 Meter, „also etwas größer als seine Zeichnung und Acryl-Bilder“ in der sich Haderer in den Techniken der Alten Meister übte und sich der gestalterischen Aufgabe der großen Leinwand stellte, so Frenz. Er selbst habe ihn einmal bei einer Ausstellung im Kunst-Museum Linz den Caravaggio der komischen Kunst genannt. Mit Recht.  Denn ein Blick auf Haderers liebevoll-bösartigen satirischen Öl-Gemälde im Hell-Dunkel-Stil früher Barockmalerei eines Caravaggios (1571 -1610) reicht, um darin  den italienischen Altmeister wiederzufinden. Haderer habe sich bei Italienreisen in Caravaggios Bilder und dessen Malweise verliebt. und er habe es als Herausforderung empfunden, dessen Malweise ein wenig nachzuempfinden.

Ausstellungs-Impresseion. Im Hintergrund der Öl-Cartoon "Waldlichtung" © Foto Diether von Goddenthow
Ausstellungs-Impresseion. Im Hintergrund der Öl-Cartoon „Waldlichtung“ © Foto Diether von Goddenthow

Zum Glück, denn  Gerhard Haderer kann auch Caravaggio: Auch Haderers Figuren wirken vor den bewusst dunkel gehaltenen Hintergründen enorm  lebendig. Die Akteure seiner kurios boshaft witzigen Öl-Cartoons treten im wohldosierten Lichterschein aus dunklen Hintergründen besonders plastisch hervor. Der meisterhaft in dieser Chiaroscuro-Technik erzeugte Kontrast zwischen Hell und Dunkel verleiht Haderers  Ölgemälden eine besonders dramatische Note und  fotorealistische Ästethik und  Tiefe. Kaum ein Betrachter vermag sich der Magie dieser Öl-Cartoons entziehen. Die Bilder verführen unweigerlich zum Hinschauen und ziehen Betrachter  ins Geschehen hinein. Gerhard Haderer gelingt es durch diese spezielle Hell-Dunkel-Technik die Kompositionen an Tiefe und Theatralik gewinnen zu lassen, die seine Bildbotschaften subtil noch verstärken.

Ob er Perfektionist sei? Nein, davon sieht sich der Meister fern – „gut bei den Ölgemälden“, die eine neue echte Herausforderung waren und auch etwas mit Disziplin zu tun hätten, „hat er eine Ausnahme gemacht“, aber immer “wenn ich in die Nähe eines Perfektionisten gerate, muss ich mich selber sofort rächen, also überprüfen“, und dann entstünden eben solchen Dinge wie „‘Moff‘ dieses kleinformatige bildchenförmige Schundheftel, wie es in Österreich heißt, das nur mit einem Stift auf weißem Papier gezeichnet ist. Also Perfektionismus ist mir wohl sehr fern“, beteuert der Künstler, dem man dies nicht so ganz abnehmen kann. Zu vollkommen sind seine Werke.

Seine  Bilder entstünden in seinen Ateliers in Linz und im Sommersitz am Attersee, Ruhe, Zeit und Ordnung benötige er für die Ausarbeitung, so Frenz. Haderer arbeitet klassisch mit Stiften, Pinsel, Papier und Farbe. Auf Skizzen folgt eine erste Zeichnung, dann die Ausarbeitung mit Buntstiften in einer gekonnt eingesetzten Mischung aus zarten und kräftigen Strichen. Nie vernichtend, sondern geradezu liebevoll und mit größter Genauigkeit nähert er sich seinen Szenerien, sucht die Zwischentöne in den großen Themen.

Keep going  (c)  Gerhard Haderer 2020 © Foto Diether von Goddenthow
Keep going (c) Gerhard Haderer 2020 © Foto Diether von Goddenthow

Für Haderer sei es keine Arbeit, so Frenz, „es geht ihm leicht von der Hand, 10 bis 12 Stunden arbeitet er an einem Werk“, für seine großformatigen Ölgemälde benötigt er allerdings gute drei Monate, was jedoch dennoch recht flott ist.
Dass seine großformatigen Ölgemälde maximal 2,50 auf 1,80 Meter messen, habe einen ganz banalen Grund, nämlich läge an der relativ kleinen Wohnung in Linz. „Fünf Zentimeter größer wäre einfach nicht mehr durch die Eingangstür gegangen. Deswegen haben sich diese Bilder in diesem für mich Riesenformat in dieser Größe ergeben“, erklärt der Meister.

Im Mittelpunkt der jetzt gezeigten Ausstellung stehen Haderers bereits erwähnten, beeindruckenden Ölgemälde, die zwischen fotorealistischer Perfektion und karikaturesker Überspitzung seine exzeptionelle Position auch in der Komischen Malerei unter Beweis stellen, wie es im Prospekt des Caricatura-Museums heißt.
Komplettiert wird die Werkschau durch eine breite Auswahl an Cartoons des vielfach ausgezeichneten Künstlers. Verschiedene Arbeitsskizzen sowie eine Medienstation, die den Entstehungsprozess ausgewählter Zeichnungen zeigt, gibt zudem Einblicke in die Arbeitsweise Haderers. Seine zahlreichen Cartoons sind meistens provokativ, auf jeden Fall immer treffend. In ihnen entdeckt der Betrachtende eine Bandbreite an gesellschaftlichen oder politischen Themen: Religion, Migration, Klimawandel, soziale Ungerechtigkeit, Bürokratiewahnsinn, Sportskandale uvm. Haderer zeichnet aus Notwehr gegen den Wahnsinn: „Es wäre schön, die Mächtigen mit dem Bleistift in Grund und Boden zeichnen zu können.“ Gerade in diesen Tagen der absoluten Krisen werden seine Werke wertvoller denn je und seine Rebellion auf dem Papier umso wichtiger. Das allgegenwärtige Credo: sich einmischen, aufmischen und bloßstellen.

(Diether v. Goddenthow /RheinMain Eurokunst)

Wer ist Gerhard Haderer?

Gerhard Haderer, rein zufällig, vielleicht ein wenig symbolisch für sein spezielles Verhältnis zur katholischen Kirche, im Hintergrund der Frankfurter Dom St. Bartholomäus gegenüber vom Caricatura Museum für komische Kunst am Weckmarkt. © Foto Diether von Goddenthow
Gerhard Haderer, rein zufällig, vielleicht ein wenig symbolisch für sein spezielles Verhältnis zur katholischen Kirche, im Hintergrund der Frankfurter Dom St. Bartholomäus gegenüber vom Caricatura Museum für komische Kunst am Weckmarkt. © Foto Diether von Goddenthow

Gerhard Haderer wurde im österreichischen Leonding am 29. Mai 1951 geboren. Schon als Kind war für ihn das Zeichnen die unmittelbarste Sprache, mit der er sein Umfeld über die bloße Abbildung hinaus kommentierte. Seine Eltern förderten sein Talent. Sie ermutigten ihn, dieses beruflich zu nutzen und ermöglichten ihm eine Ausbildung zum Grafiker an der Linzer Fachschule für Gebrauchs- und Werbegrafik. Eine daran anschließende Lehre als Graveur in Stockholm brach er ab. Kurzzeitig arbeitete er als Dekorateur bei der Quelle AG, ab 1974 dann sehr erfolgreich als freier Grafiker und Illustrator für verschiedene Werbeagenturen. Insbesondere seine fotorealistischen Arbeiten in allen Bereichen der Werbeillustrationen waren auch bei großen Unternehmen und Marken schnell gefragt. Wirtschaftlich auf der Sonnenseite haderte der Künstler jedoch immer mehr mit dieser Erwerbsform und der vermeintlich heilen und strahlenden Werbewelt.

Gerhard Haderer im Gespräch mit seiner Kuratorin Stefanie Rohde. © Foto Diether von Goddenthow
Gerhard Haderer im Gespräch mit seiner Kuratorin Stefanie Rohde. © Foto Diether von Goddenthow

Mit 30 Jahren entschied er sich für einen radikalen Neuanfang. Er kündigte seine Dienste in der Werbebranche, zog mit Frau und Kindern nach Linz, wo er bis heute lebt. Hier widmet er sich fortan der Komischen Kunst. Bereits 1984 erschien Haderers erste Karikatur auf dem Cover der Salzburger Satirezeitschrift „Watzmann“. Dadurch wurde die Chefredaktion des österreichischen Nachrichtenmagazins „profil“ auf den Zeichner aufmerksam. Bis 2009 zeichnete er regelmäßig für das Magazin. Einem Millionenpublikum wurde er durch seine Kolumne „Haderers Wochenschau“ im „Stern“ bekannt, die er 1991 bis 2016 zeichnete. Ebenso arbeitete er für den „Wiener“, „Titanic“, „GEO“ und „trend“ und zuletzt für die „Oberösterreichischen Nachrichten“, seit 2017 für das österreichische Nachrichtenmagazin „news“.

Neben diesen Tätigkeiten suchte Haderer immer weiter nach neuen künstlerischen Herausforderungen und Ausdrucksformen. So erschien 1991 sein erstes Kinderbuch „Das große Buch vom kleinen Oliver“, dem weitere folgen sollten. Für die Wiener Kabarett-Gruppe „maschek“ entwarf er 2006 erstmals Handpuppen für ihre als Kasperltheater inszenierten Stücke. 2014 brachte er seinen Bestseller „Der Herr Novak“ auf die Bühne.

Von 1997 bis 2000 erschien erstmals Haderers eigenes Comic-Format mit dem lautmalerischen Titel „MOFF“, das er 2008 gemeinsam mit seinem Sohn und dessen Frau wiederbelebte. In „MOFF“ konzentriert sich der Karikaturist im Gegensatz zu seinen detailreichen Arbeiten auf schnelle Schwarz-Weiß-Comic-Strips im Kleinstformat. Konträr dazu übte sich Haderer in den vergangenen Jahren in der Ölmalerei. Mit Großformaten von 250 cm x 180 cm zitiert er dort in karikaturesker Überspitzung die dramatischen Inszenierungen der Alten Meister.

2017 gründete Haderer die „Schule des Ungehorsams“ in Linz mit dem Ziel, durch alle gesellschaftlichen Schichten einen kritischen Diskurs zu etablieren. Vorträge, Ausstellungen, Lesungen und Workshops bis hin zu Publikationen und Aktionen im öffentlichen Raum sollen Menschen mit künstlerischen Mitteln aktiv werden lassen.

Andere Angebote, die Haderers Freiheit und damit seine Unabhängigkeit eingeschränkt hätten, lehnte der Künstler hingegen kategorisch ab, darunter lukrative Angebote der Privatwirtschaft wie beispielsweise Red Bull oder das millionenschwere Angebot der FIFA, Nutzungsrechte einer Zeichnung zu erhalten.

Ausschnitt aus: Messias im Vatikan, 2014, © Gerhard Haderer © Foto Diether von Goddenthow
Ausschnitt aus: Messias im Vatikan, 2014, © Gerhard Haderer © Foto Diether von Goddenthow

Haderers Arbeiten kommentieren mit ihrem hintersinnigen Witz gesellschaftliche und politische Missverhältnisse. Sie fordern heraus, provozieren. Insbesondere diejenigen, die sich von den Karikaturen ertappt fühlen. Das zeigen viele öffentliche und teils heftige Reaktionen auf seine Werke. Sein Bestseller-Comic „Das Leben des Jesu“ zog internationale Proteste seitens der Kirche und der Politik nach sich und mündete in Anzeigen in Österreich und der Tschechischen Republik. In Griechenland verurteilte man ihn 2005 in Abwesenheit wegen Blasphemie zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe, in einer Berufungsverhandlung wurde er freigesprochen. Zusammen mit der Initiative „Courage – Mut zur Menschlichkeit“ sorgte er zuletzt im März 2021 für internationale Aufmerksamkeit: Als Protest gegen die Migrationspolitik der damaligen österreichischen Regierung unter Kanzler Sebastian Kurz zierte der Cartoon des „Herzlosen Kanzlers“ ein 230 Quadratmeter großes Plakat an einem der meist frequentierten Verkehrsknotenpunkte in Wien.

Haderer beobachtet, zeichnet das, was ihm auffällt, was ihn alltäglich umgibt. Intensive Gespräche und exakte Beobachtungen seines Umfeldes liefern ihm die Inspiration für ein vielfältiges Themenspektrum. Sein Figurenensemble ist vielgestaltig, neben den Großen und Mächtigen fängt er auch immer wieder Stimmung und Empfindlichkeiten der Bevölkerung ein.

Eröffnet wird die Ausstellung am heutigen Mittwoch, dem 5. April, um 18.00 auf dem Weckmarkt vor dem Caricatura Museum Frankfurt. Gerhard Haderer ist anwesend. Die Frankfurter Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig steuert ein Grußwort bei und Kabarettistin Maren Kroymann (Schauspielerin, Kabarettistin und Sängerin) sendet eine Videobotschaft. Musikalisch sendet von Attwenger ein Videogrußwort. Anmeldung ist nicht erforderlich, wer möchte kann es aber über E-Mail caricatura.museum@stadt-frankfurt.de

Caricatura Museum Frankfurt
Museum für Komische Kunst
Weckmarkt 17
60311 Frankfurt am Main
Telefon: 069 / 212 30161
Caricatura.museum@stadt-frankfurt.de
www.caricatura-museum.de

Frühlingserwachen am Museumsufer NACHT DER MUSEEN Frankfurt und Offenbach am 13. Mai 2023

Nacht der Museen in Frankfurt und Offenbach. © Foto Diether von Goddenthow
Nacht der Museen in Frankfurt und Offenbach. © Foto Diether von Goddenthow

Nach drei Jahren Pause meldet sich die NACHT DER MUSEEN FRANKFURT eindrucksvoll zurück. Von Ausstellungen über Führungen, Workshops und Konzerten zu Parties und anderen Specials – das Programm der über 40 teilnehmenden Häuser verspricht Vielfalt im Zeitgeist.

Über 40 Kulturinstitutionen in Frankfurt, Offenbach und Eschborn bieten am Samstag, den 13. Mai im Rahmen der Nacht der Museen 2023 ein reiches Kunstprogramm. Führungen, Performances, Live-Musik, Filmprojektionen und Workshops geben der Kunst den passenden Rahmen und ermöglichen ein facettenreiches Kunsterlebnis in außergewöhnlicher Atmosphäre. Mit nur einem Ticket erhalten Besucherinnen und Besucher Zutritt zu allen teilnehmenden Veranstaltungsorten und nutzen kostenlos den Shuttle-Service (Busse und historische Straßenbahn).

„Ich freue mich sehr, dass die Nacht der Museen wieder stattfinden kann. Die beliebte Veranstaltung lebt von der Programmdichte und -vielfalt und spiegelt die reiche Museumslandschaft Frankfurts wider. Die engagierte Teilnahme der Museen zeigt uns, dass trotz der teils schwierigen Situation in der Kultur die Nacht der Museen ihren festen Platz in Frankfurt hat. Kunst- und Kulturinteressierte sollten diesen frühlingshaften Kunstgenuss am Museumsufer und darüber hinaus keinesfalls verpassen!“, so Kultur- und Wissenschaftsdezernentin Dr. Ina Hartwig.

Das 175. Jubiläum der Eröffnung der Nationalversammlung in der Paulskirche ist vielerorts auch bei der Nacht der Museen präsent und zieht sich wie ein roter Faden durch die Nacht: Der Struwwelpeter zeigt seine rebellischen Wurzeln im Struwwelpeter Museum, im Institut für Stadtgeschichte geht es „Auf die Barrikaden“. In der Volksbühne im Großen Hirschgraben wird die lange Nacht der Revolution schwungvoll in Szene gesetzt. Und die Paulskirche als Herz der Nationalversammlung von 1848 steht am 13. Mai für alle Interessierten offen.

Archäologisches Museum Frankfurt. © Foto Diether von Goddenthow
Archäologisches Museum Frankfurt. © Foto Diether von Goddenthow

Zu einer der letzten Gelegenheiten, die opulente Ausstellung „Niki de Saint Phalle“ zu besuchen, lädt die Schirn Kunsthalle ein. Das Städel Museum entführt seine Gäste mit frühen Fotografien ewiger Sehnsuchtsorte nach Italien. Im Museum Giersch werden Gemälde und Zeichnungen des gebürtigen Frankfurters Ernst Weils, im Museum für Kommunikation mit „Humanimal“ eine kulturgeschichtliche Schau zum Verhältnis zwischen Zwei- und Vierbeinern zu sehen sein. Überhaupt nichts zu sehen gibt es dagegen im Dialogmuseum, wo Nachtschwärmerinnen und -schwärmer in absoluter Dunkelheit die Welt der Blinden sinnlich erleben.

Erstmals dabei ist die Europäische Zentralbank und präsentiert 480 ausgewählte Werke internationaler Künstlerinnen und Künstler. Weitere Premieren bei der Nacht der Museen feiern das Museum für elektronische Musik (MOMEM) mit der Ausstellung „Milestones“ und das Deutsche Romantik Museum, wo zur Sonderschau „Romantik und Parlamentarismus“ an diesem Abend neue und alte Protestlieder den gesellschaftlichen Aufbruch begleiten.

Im Taschenlampen-Kegel erklimmen Besucherinnen und Besucher die 328 Stufen des Doms oder erfahren im Weltkulturen Museum Faszinierendes über Mythen und Muster der Shipibo in Peru. Puppenhäuser aus mehreren Jahrhunderten geben im Haus der Stadtgeschichte Offenbach Einblicke in das Alltagsleben der Menschen. Und um nichts weniger als den „Maschinenraum der Götter” geht es im Liebieghaus.

Ob Textilien mit Gullydeckeln in der Druckwerkstatt im Bernardbau bedrucken oder Fotos schießen in Kulisse eines Beatles-Albumcovers bei der Deutsche Börse Photography Foundation – die vielfältigen Mitmach-Stationen bieten für jeden ein passendes Angebot. Ganz junge Gäste erleben unter anderem Seifenblasen mit Trockeneis und andere Experimente im EXPERIMINTA ScienceCenter oder basteln und stempeln fantastische Reisepässe im Klingspor Museum Offenbach.

Das Bibelhaus in Frankfurt beschenkt seine Gäste mit zauberhaften Momenten des Mentalmagiers Samuel Lenz. Im „Theater der Dämmerung” des Goethe-Hauses werden beim Schattenspiel die Garten-Szenen aus dem Faust lebendig. Und das Verkehrsmuseum bringt mit dem „Mobiliseum” sogar eine rollende Ausstellung auf die Schienen.

Natürlich darf auch Musik nicht fehlen: Von Grammophon-Lesungen mit Jo van Nelsen bis zur Klassik, die auf Beatbox trifft, vom Landespolizeiorchester, einem SpardosenTerzett, über Electroswing-Beats und das Duo Russo & Putte (Klassik/Folklore/Pop/Elektro) bis hin zu einer elektronischen Soundreise durch Frankfurt – auch der Soundtrack der Nacht der Museen lässt eine abwechslungsreiche Nacht erwarten.

Das Gesamtprogramm ist ab 6 April auf nacht.museumsufer.de zu finden, der Ticketvorverkauf beginnt Anfang April.

Deutsches Romantik-Museum & Frankfurter Goethe-Haus 7 Tage die Woche geöffnet

Deutsches Romantik Museum, daran anscließend das Goethe-Haus. © Foto Diether von Goddenthow
Deutsches Romantik Museum, daran anscließend das Goethe-Haus. © Foto Diether von Goddenthow

Ab dem 1. April sind Goethe-Haus und Deutsches Romantik-Museum 7 Tage die Woche geöffnet. Wir haben nachgerechnet: Das sind ingesamt 212.400 Sekunden jede Woche für Ihren Besuch bei uns. Neu im Vermittlungsprogramm sind öffentlichen Einführungen zum Deutschen Romantik-Museum, die einen Einblick in das Ausstellungskonzept des Hauses geben.

Zum 400-jährigen Jubiläum von ‚Shakespeare’s First Folio‘ laden wir Sie heute Abend zu einer Lesung mit Gespräch ein. An Shakespeares Geburtstag erwartet Sie Katharina Schaaf mit einer ganz besonderen Führung im Goethe-Haus.

Auch Ludwig Tiecks 250. Geburtstag wird selbstverständlich gefeiert: Die Goethe-Ringvorlesung in diesem Semester ist ihm gewidmet und in der Reihe Lied & Lyrik wird ‚Die schöne Magelone‘ in Brahms Vertonung zu hören sein.

Anlässlich des 80. Geburtstags Hendrik Birus veranstaltet das Freie Deutsche Hochstift ein festliches Symposium. An zwei Tagen werden zahlreiche Freunden und Weggefährten des international renommierten Literaturwissenschaftlers und Goethe-Forschers in Vorträgen und Diskussionen der Frage nachgehen, wie Philologie heute zu bestimmt und zu bewerten ist.

Der Workshop ‚Goethe und der Frühling‘ in den Osterferien bietet Kindern die Möglichkeit, verschiedene künstlerische Techniken auszuprobieren. ‚Zeichnen in der Natur‘ ist ein Kreativ-Angebot für Jugendliche und Erwachsene. Hier können bei einem Spaziergang verschiedene Zeichentechniken erprobt werden.

 

Deutsches Romantik-Museum
Großer Hirschgraben 23-25
60311 Frankfurt am Main
Tel.: +49 (0)69 138 80-0
info@freies-deutsches-hochstift.de

Besucherinformationen

DFF zeigt ab 29.März – Frauen und Geschlechtervielfalt im Kino der Moderne (1918 – 1933)

Szenenfoto WEGE ZU KRAFT UND SCHÖNHEIT (Wilhelm Prager, 1925) Quelle: Deutsche Kinemathek – Fotoarchiv
Szenenfoto WEGE ZU KRAFT UND SCHÖNHEIT (Wilhelm Prager, 1925) Quelle: Deutsche Kinemathek – Fotoarchiv

Bubikopf-Frisuren, luftige Chiffonkleider, extravagante Schuhkreationen und endlich Beinfreiheit – schon auf den ersten Blick sind die Veränderungen gewaltig, die die 1920er Jahre für das weibliche Geschlecht bringen. Zu den wichtigsten gehört die zunehmende Berufstätigkeit von Frauen, die dazu beiträgt, Frauen auch im gesellschaftlichen Alltag präsenter werden zu lassen. Das zeigt sich auch im Kino der Zeit. Frauen beim und im Film der Weimarer Republik sind das Thema der Ausstellung WEIMAR WEIBLICH, die zudem untersucht, wie das Kino Geschlechterrollen und -verhältnisse insgesamt thematisiert.

Zum einen geht es darum, jene in allen Gewerken wirkenden Frauen ins Licht zu rücken, die die aufkommende Filmindustrie mit zum Blühen brachten – als Regisseurinnen, Drehbuchautorinnen, Kostüm- und Szenenbildnerinnen – und die heute vielfach vergessen sind. Zum anderen lotet die Ausstellung aus, wie das Kino der Weimarer Zeit Geschlechterfragen verhandelt, und dabei Themen wie körperliche Selbstbestimmung, Crossdressing und Homosexualität in den Fokus rückt. Die Ausstellung WEIMAR WEIBLICH wirft damit einen frischen Blick auf die deutsche Filmgeschichte der Jahre 1918 bis 1933. Vielen gilt diese Ära bis heute als „Goldenes Zeitalter“ der (deutschen) Kinematographie, weil sie überdurchschnittlich viele international anerkannte Klassiker hervorbrachte. Den Blick auf diese Klassiker des Weimarer Kinos zu beschränken, greift jedoch zu kurz. Das Filmschaffen jener Jahre ist von weit größerer Vielfalt geprägt: ästhetisch, inhaltlich, vor allem aber auch in Bezug auf diejenigen, die es schufen.

Frauen und Geschlechterfragen im Film
WW_1920x1080_03-300x169-450In der Eingangsszene von Ernst Lubitschs Film ICH MÖCHTE KEIN MANN SEIN (DE 1918) sitzt Ossi Oswalda mit Zigarette im Mund und überschwänglich lachend mit den Gärtnern am Tisch und knallt die Pokerkarten nur so auf die Platte. Wenige Filmsekunden bringen überdeutlich zum Ausdruck, dass das Ende des Ersten Weltkriegs eine neue Zeit eingeläutet hat: Die Frauen befreien sich aus ihren Korsetts, sie rauchen, trinken und pfeifen auf damenhaftes Benehmen. Im Film sind Frauen in Hosenrollen zu sehen. Sie verweigern die Heirat, küssen als Männer verkleidet Männer, oder verlieben sich in andere Frauen. Das Kino der Weimarer Republik zeigt anschaulich, dass Geschlechterrollen in jenen Jahren nicht in Stein gemeißelt, Geschlechterverhältnisse verhandelbar sind. In CYANKALI (DE 1930, R: Hans Tintner) ersteht eine Frau am Kiosk mit großer Selbstverständlichkeit eine Ausgabe der auch real existierenden Zeitschrift „Die Freundin. Magazin für lesbische Leserinnen“. In Leontine Sagans MÄDCHEN IN UNIFORM (DE 1931) verlieben sich die Elevinnen einer streng-preußischen Erziehungsanstalt reihenweise in ihre zugewandte Lehrerin Fräulein von Bernburg. Richard Oswalds ANDERS ALS DIE ANDERN (DE 1919) führt die grausamen Folgen des Homosexuellen-Paragrafen 175 vor Augen – und kämpft gegen ihn an. Auch Themen wie Prostitution und Schwangerschaftsabbrüche finden Eingang in die Filme der Weimarer Republik. Mit der kontrovers geführten Diskussion um die Abschaffung des Paragrafen 218 beschäftigen sich insbesondere weibliche Filmschaffende.

Damen in den Ewigen Gärten, Kostümbild von Aenne Willkomm METROPOLIS (Fritz Lang, 1927) Foto: Horst von Harbou Quelle: Deutsche Kinemathek – Fotoarchiv © Deutsche Kinemathek – Horst von Harbou
Damen in den Ewigen Gärten, Kostümbild von Aenne Willkomm METROPOLIS (Fritz Lang, 1927) Foto: Horst von Harbou Quelle: Deutsche Kinemathek – Fotoarchiv © Deutsche Kinemathek – Horst von Harbou

Im Ausstellungsteil „Frauen und Geschlechterfragen im Film“ wird deutlich, wie das Kino auf die einschneidenden sozialen Veränderungen der Zeit reagiert, wie es Partei ergreift in den Konflikten um das gesellschaftliche Selbstverständnis oder schlicht Unterhaltung bietet, um diesen zu entgehen. Geprägt vom Streben der Neuen Sachlichkeit nach Realismus in der Darstellung, sucht der Film nach neuen Erzählungen, innovativen Motiven und zeitgenössischen Figuren. Eine der wichtigsten: die Neue Frau, die ausgestattet mit einem pflegeleichten Bubikopf und bequemen, das Knie befreienden Hängekleidern, die neue Beinfreiheit nutzt, um ihr Leben selbstbewusst zu gestalten. Die in der Konfektion, als Telefonistin oder im Büro arbeitet und abends zum Tanz geht. Sie treibt Sport, denn sie legt Wert auf einen modulierten Körper. In der Mode wird die weibliche Silhouette zunehmend schlanker und knabenhafter – ein Ideal, das der Film vorantreibt. Als „Autlerin“ chauffiert sie ihren Wagen selbst, oder reüssiert gar als Rennfahrerin oder Fliegerin.

Kommen knallrot geschminkte Lippen, Zigarette, Hosenanzug und Zylinder zum Einsatz, signalisiert das unübersehbar ein neues weibliches Selbstbewusstsein und ein verändertes Verständnis von Sexualität und Gender. Die Übergänge zum auch weiterhin existierenden Typ des Vamps sind fließend – verkörpert etwa durch Marlene Dietrich in DER BLAUE ENGEL (DE 1930, R: Josef v. Sternberg) oder Brigitte Helm im Film ALRAUNE (DE 1928, R: Henrik Galeen sowie DE 1930, R: Richard Oswald), wird er als so sinnlich wie gefährlich empfunden.

Das Ausstellungskapitel bietet Fotografien, Setdesigns und Kostümentwürfe, Filmplakate und Zeitungsausschnitte. Originalkostüme (etwa von Marlene Dietrich) sind auf historischen Schaufensterpuppen zu sehen, die in Aussehen und Pose den damaligen Stars nachempfunden sind. Groß projizierte Ausschnitte aus zahlreichen Filmen geben Einblick in die filmische Vielfalt. An zwei Medienstationen können ausgewählte Themen weiter vertieft werden.

Frauen hinter der Kamera
Die legendäre expressionistische Filmarchitektur zu Paul Wegeners DER GOLEM, WIE ER IN DIE WELT KAM (DE 1920)? Sie ist das gemeinschaftliche Werk des Künstlerpaares Hans Poelzig und Marlene Moeschke-Poelzig. Fritz Langs Klassiker DIE NIBELUNGEN (DE 1924) und METROPOLIS (DE 1927)? Sie stammen aus der Feder seiner damaligen Frau, Thea von Harbou, die die Drehbücher zu vielen „seiner“ Filme schrieb. Die Kostüme dazu schuf Aenne Willkomm. Lotte Reinigers Silhouettenfilm DIE ABENTEUER DES PRINZEN ACHMED? – Auch dies eine Pionierleistung: Der Film gilt als erster noch erhaltener abendfüllender Animationsfilm der Welt.

Während und nach dem Ersten Weltkrieg nutzen viele Frauen die sich auftuenden beruflichen Möglichkeiten in der wachsenden Filmindustrie, das macht der
Ausstellungsteil „Frauen in der Filmindustrie“ deutlich: Sie arbeiten im Kostüm- und Szenenbild, komponieren und schreiben Lieder für den Film, stellen als Grafikerinnen Filmplakate her und betätigen sich im Filmverleih. Produzentinnen, Regisseurinnen, vor allem aber Drehbuchautorinnen bedienen nahezu alle Genres und Themen. Die meisten von ihnen bleiben weitgehend unbekannt. Die Gründe dafür sind vielfältig: Häufig müssen Frauen ihr Geschlecht tarnen, indem sie auf die Nennung ihrer Vornamen in den Filmcredits verzichten. Andere wiederum arbeiten unter männlichem oder genderneutralem Pseudonym. So stehen die Namen Hanns Torius, Dr. R. Portegg und Jan von der Kant etwa für die Drehbuchautorinnen Luise Heilborn Körbitz, Rosa Porten und Hermanna Barkhausen. Manch eine filmschaffende Frau verschwindet ganz einfach hinter dem „Genie“ des ebenfalls für den Film tätigen Ehegatten.

Darüber hinaus werden Frauen in den 1910er und -20er Jahren als arbeitsmarktpolitische Reservearmee behandelt, die je nach bevölkerungspolitischer Konjunkturlage eingesetzt oder vom Arbeitsmarkt verdrängt wird – auch beim Film. Auf männliche Geldgeber angewiesen, erfahren viele Frauen hohe Hürden und Benachteiligung bei der Bereitstellung finanzieller Mittel. Oftmals sind sie an Produktionen mit kleineren Budgets beteiligt. Eine männlich dominierte Filmkritik tendiert darüber hinaus dazu, das Filmschaffen der Frauen zu ignorieren. Für die meisten Frauen endet die Filmkarriere mit der Wirtschaftskrise Ende der 1920er oder spätestens Anfang der 1930er Jahre. Mit Beginn der NS-Diktatur 1933 kommt der Input von Frauen vollkommen zum Erliegen. Jüdischen Autorinnen wie Vicki Baum und Jane Bess werden in Deutschland Arbeits- und Lebensgrundlage entzogen. Die frauenfeindliche NS-Politik trifft aber auch viele andere. Karriere machen in dieser Zeit nur die Drehbuchautorin Thea von Harbou und die Regisseurin Leni Riefenstahl.

Die Ausstellung stellt eine Vielzahl weiblicher Filmemacherinnen aus verschiedenen Gewerken vor. Kurzbiographien und Exponate, Filmausschnitte, Audioaufnahmen und Filmkritiken gewähren Einblick in ihr vielfältiges Schaffen und geben einem weitgehend unbekannten Kapitel des Weimarer Kinos Gesicht und Stimme. Vorgestellt werden Irma von Cube (Drehbuch), Ilse Fehling (Kostüm), Margit Doppler (Plakatgrafik), Lotte Reiniger (Animation), Leontine Sagan (Regie) Ellen Richter (Produktion) und viele weitere Filmfrauen der Zeit.

Vier Frauen nimmt die Ausstellung dabei besonders in den Blick: die Dokumentarfilmerin Ella Bergmann-Michel, die Szenenbildnerin Marlene Moeschke-Poelzig, die Drehbuchautorin Jane Bess sowie Hanna Henning, die als Drehbuchautorin, Regisseurin und Produzentin tätig war. Exemplarisch werden ihre Lebenswege und Karrieren sowie die Spuren, die sie in der Filmgeschichtsschreibung hinterlassen haben, untersucht.

Filmarchiv und Ausstellungsabteilung des DFF haben intensive Recherchen zum Werk von Jane Bess und Hanna Henning betrieben; das DFF kann in der Ausstellung nun eine Reihe neuer Erkenntnisse und Exponate zu den beiden Filmemacherinnen zeigen. Vom Filmarchiv restaurierte und digitalisierte Filme von Bess (2) und Henning (5) werden im umfangreichen Begleitprogramm zur Ausstellung im Kino des DFF gezeigt, in dem auch Klassiker und neue Entdeckungen zu sehen, sowie Vorträge und Sonderveranstaltungen während der Ausstellungsmonate geplant sind.
Als Filmkritikerinnen setzen sich Lotte Eisner und Lucy von Jacobi mit dem Medium selbst und seiner Wirkung auseinander. Sie hinterfragen die Sehnsüchte des Publikums und tragen zur Meinungsvielfalt bei. In der Ausstellung werden Ausschnitte aus einigen der von ihnen rezensierten Filme mit den zugehörigen Filmkritiken synchronisiert.

Ausstellungsansicht WEIMAR WEIBLICH Foto: Thomas Lemnitzer Quelle: DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum
Ausstellungsansicht WEIMAR WEIBLICH Foto: Thomas Lemnitzer Quelle: DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum

Kino und Gesellschaft
Im Kino der Moderne betrachtet sich die Gesellschaft der Weimarer Republik selbst. Die Leinwand wird zum doppelten Spiegelbild, indem sie Alltagsthemen und -typen reflektiert und zugleich selbst zum Leitmedium aufsteigt, das Rollenvorbilder hervorbringt und Ideale setzt. Den unterschiedlichen Facetten dieser These ist der Ausstellungsteil „Kino und Gesellschaft“ gewidmet.

Kino, Stars und Fans: In den Jahren zwischen den Weltkriegen avanciert der Film zum Massenmedium. Die Zahl der Kinos verdoppelt sich in den zehn Jahren zwischen 1918 und 1928. In den Großstädten entstehen mondäne Kinopaläste: Mitte der 1920er Jahre strömen täglich etwa zwei Millionen Menschen in die Kinos – darunter viele Frauen.

Schon früh etabliert sich in Deutschland ein Starsystem, das eine lebendige Fankultur hervorbringt. Starpostkarten, Homestorys, Fotos von Autogrammstunden und Sammelobjekte zeugen davon. Sie werden für die Inszenierung und Vermarktung von Berühmtheiten wie Asta Nielsen, Henny Porten, Lilian Harvey oder Marlene Dietrich genutzt. Die Stars fungieren als Werbeträger und bieten als Vorbilder mit ihren unterschiedlichen Images vielfältige Möglichkeiten zur Identifikation. Passbildgroße Portraits, die in Selbstauslöse-Fotoautomaten entstehen – sogenannte Photomaton-Bilder – zeigen, wie das Publikum den Filmgrößen nacheifert.

Individuum und Typ: Eine Gegenüberstellung von Filmbildern und Fotografien aus der Serie Menschen des 20. Jahrhunderts von August Sander zeigt in diesem Ausstellungsteil bei beiden deutlich die Tendenz zur Typisierung. So bilden sich für „das proletarische Kind“, „die Künstlerin“ oder „die Bettlerin“ in Physiognomie, Kleidung und Haltung gewisse Stereotypen aus. Zu sehen sind außerdem Fotoportraits von Schauspieler:innen, die Hans G. Casparius Ende der 1920er Jahre an Filmsets aufnimmt, und die der zeitgenössische Kritiker Kenneth MacPherson 1930 so beschreibt: „Vertraute Gesichter, von ihm aufgenommen, werden zu charakteristischen Momenten der Zeit“.

Blick ins Private: Fotografien und Anekdoten, die vom Leben der Frauen in den Jahren 1918 bis 1933 erzählen, und die vornehmlich aus dem Rhein-Main-Gebiet stammen, bilden – ergänzend zu diesem Ausstellungsteil – den Vorspann zur Ausstellung im Ausstellungsfoyer. Zu den professionellen Fotografien unter anderem von Paul Wolff, Alfred Tritschler oder Ilse Bing aus dem Archiv des Historisches Museum Frankfurt gesellen sich Aufnahmen und Familiengeschichten, die dem DFF nach einem öffentlichen Aufruf von Privatpersonen zur Verfügung gestellt wurden. Die Suche nach historischen Zeugnissen und Familiengeschichten queerer Menschen gestaltet sich schwieriger, weil sie aufgrund von Diskriminierung und Verfolgung oftmals im Verborgenen lebten. Die Arbeit [anderkawer] 1928 der Künstlerin annette hollywood nimmt das Publikum mit auf detektivische Spurensuche.

Die Fotografien und Familiengeschichten sind eine Einladung an das Ausstellungspublikum, sich selbst auf Spurensuche zu begeben und nach Ähnlichkeiten und Unterschieden zwischen den in der Ausstellung gezeigten Filmbildern und den hier und in den eigenen Familienalben überlieferten Fotografien Ausschau zu halten. Über die gesamte Ausstellungsdauer hinweg besteht die Möglichkeit, eigene Familienerinnerungen zu teilen.

DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum
Schaumainkai 41
60596 Frankfurt am Main
www.dff.film

Öffnungszeiten: Dienstag – Sonntag 11:00 – 18:00

Als unsere Zukunft erfunden wurde – Liebieghaus Skulpturensammlung Frankfurt gibt Einblick in den „Maschinenraum der Götter“ – ab 8. März 2023

Die Liebieghaus Skulpturensammlung widmet sich 2023 einer der aufregendsten Verbindungen in der Geschichte der Menschheit – jener zwischen Kunst und Technik. Es ist eine globale Erzählung voller Mythen und Visionen, geheimnisvoller Fabeln, fiktiver und realer Innovationen und herausragender Meisterwerke. Die Ausstellung mit dem Titel „Maschinenraum der Götter. Wie unsere Zukunft erfunden wurde“ berichtet von der Geschichte der Wissenschaften in den antiken, arabischen und asiatischen Kulturen und ihrem Einfluss auf die Entwicklung der Kunst. © Foto Diether von Goddenthow
Die Liebieghaus Skulpturensammlung widmet sich 2023 einer der aufregendsten Verbindungen in der Geschichte der Menschheit – jener zwischen Kunst und Technik. Es ist eine globale Erzählung voller Mythen und Visionen, geheimnisvoller Fabeln, fiktiver und realer Innovationen und herausragender Meisterwerke. Die Ausstellung mit dem Titel „Maschinenraum der Götter. Wie unsere Zukunft erfunden wurde“ berichtet von der Geschichte der Wissenschaften in den antiken, arabischen und asiatischen Kulturen und ihrem Einfluss auf die Entwicklung der Kunst. © Foto Diether von Goddenthow

Die Liebieghaus Skulpturensammlung Frankfurt geht vom 8. März bis 10. September 2023  zurück an die Wiege der Technologiegeschichte der Menschheit. In „Maschinenraum der Götter. Wie unsere Zukunft erfunden wurde“ gelingt es den Kuratoren Prof. Dr. Vinzenz Brinkmann, Sammlungsleiter der Abteilung Antike und Asien, Liebieghaus Skulpturensammlung, und Projektleiter Jakob Salzmann, wissenschaftlicher Volontär, ausgezeichnet einen großen Bogen der Technologiegeschichte und ihrer innewohnenden Verbindung zwischen Kunst und Technik kulturübergreifend von der Vergangenheit bis in die Zukunft zu spannen.

„Die Bedeutung von Naturwissenschaften und Technologie für die Kunst war den Menschen offensichtlich zu allen Zeiten bewusst, außer im 20. Jahrhundert. Bis dahin störte sich niemand an der Engführung von Technik und Ästhetik, die in den antiken, arabischen und asiatischen Kulturräumen als selbstverständlich galt. Im 20. Jahrhundert wurde diese Einheit von Kunst und Technik irrtümlich aufgespalten. Diesen Graben gilt es nun wieder zu schließen, um der Kunst und ihrer Geschichte gerecht zu werden. Ein Beitrag ist unsere Ausstellung, die dafür ein Netzwerk aus Künstlern und Wissenschaftlern verschiedener Disziplinen zusammenführt, um ihre neuesten Forschungen und Leistungen im Bereich der Wissenschaftsgeschichte vorzustellen“, erläutert Prof. Dr. Vinzenz Brinkmann beim Pressegespräch.

Ausstellungs-Impression: Maschinenraum der Götter. Wie unsere Zukunft erfunden wurde. Liebieghaus Skulpturensammlung. Rechts der Nachbau eines Telluriums (Erde), Frankreich 1849, welches eine spezielle  Planetenmaschine zur Demonstration der Bewegungen von Erde und Mond und der Sonne  als feste Lichtquelle demonstriert. © Foto Diether von Goddenthow
Ausstellungs-Impression: Maschinenraum der Götter. Wie unsere Zukunft erfunden wurde. Liebieghaus Skulpturensammlung. Rechts der Nachbau eines Telluriums (Erde), Frankreich 1849, welches eine spezielle Planetenmaschine zur Demonstration der Bewegungen von Erde und Mond und der Sonne als feste Lichtquelle demonstriert. © Foto Diether von Goddenthow

Die Ausstellung „Maschinenraum der Götter – Wie unsere Zukunft erfunden wurde“ berichtet von der Geschichte der Wissenschaften in den antiken, arabischen und asiatischen Kulturen und ihren Einfluss wiederum auf die bildende Kunst, sagt Dr. Philipp Demandt, Direktor der Liebieghaus Skulpturensammlung. In der Antike seien Technik und bildende Kunst sehr eng miteinander verbunden gewesen, eine Verbindung, die verlorengegangen sei, „an die zu erinnern, diese Ausstellung sich vorgenommen hat.“

In Frankfurt werden 97 bedeutende Werke gezeigt, viele davon aus internationalen Museumssammlungen, aus Wien, aus Athen, aus Neapel, aus Rom und selbst aus New York. Es sei  eine multimediale Ausstellung , eine multimediale Ausstellungs-Architektur, die das ganze Liebieghaus in ein Museum verwandelt, in dem die Verbindung von Kunst und Wissenschaft über 5000 Jahrtausende verlebendigt wird.

Ausstellungs-Impression: Maschinenraum der Götter. Wie unsere Zukunft erfunden wurde. Liebieghaus Skulpturensammlung. © Foto Diether von Goddenthow
Ausstellungs-Impression: Maschinenraum der Götter. Wie unsere Zukunft erfunden wurde. Liebieghaus Skulpturensammlung. © Foto Diether von Goddenthow

„Wir wollen mit dieser Ausstellung einen unverstellten Blick auf die antike Wissenschaft und ihren kulturgeschichtlichen Einfluss werfen.“ In der Antike könne eben das Phänomen beobachte werden, wie aus der Wissenschaft die Vorstellung einer zukünftigen und auch eben fantastischen Technologie entwickelt worden sei, so ähnlich wie wir das heute aus dem Science-Fiktion-Genre  kennen, so Demandt. Das Liebieghaus zeige, basierend auf den Hauptwerken der Sammlung des Liebieg-Hauses, ergänzt um entsprechende Leihgaben „quasi kaleidoskopartig die aufregende Verbindung zwischen Kunst und Technik über die Grenzen der Jahrtausende und der Kulturkreise hinweg.“ Das reiche bis zur heutigen zeitgenössischen Kunst: Denn im LIebieghaus kommt es zu einem Wiedersehen mit Jeff Koons, dessen faszinierende Apollo Kithara (2019–2022) aus dem British Museum gleichsam eine Wiederbelebung der antiken  Marmorstatue des Apollon bedeute, hier dargestellt, musizierend mit provokanter Python, der er Leben eingehaucht hat. Jeff Koons Arbeit griffe zugleich bewusst einzelne Aspekte der Forschungsarbeiten des Liebieghauses zur antiken Statuenpolychromie, der antiken Statuenfarbigkeit auf. Denn die „Götter“ waren einst bunt.  So böte das Werk von Jeff Coons auch „gewissermaßen eine zeitgenössische Antwort auf die Sehnsucht der Antike und auch des arabischen, islamischen Kulturraums, die Skulptur durch roboterhafte Bewegungen zu verlebendigen,  der Skulptur quasi Leben einzuhauchen.“

Die Ausstellung „Maschinenraum der Götter. Wie unsere Zukunft erfunden wurde“, vom 8. März bis 10. September 2023, wird gefördert durch die Art Mentor Foundation Lucerne, Gemeinnützige Kulturfonds Frankfurt RheinMain GmbH und die Freunde der Tat des Städelschen Museums-Vereins e. V.

0-maschinenraum-der-goetter---liebig-skulpturenhaus-frankfurt-160--(c)-diether-von-goddenthowOrt: Liebieghaus Skulpturensammlung, Schaumainkai 71, 60596 Frankfurt am Main
Öffnungszeiten: Di, Mi 12.00–18.00 Uhr, Do 10.00–21.00 Uhr, Fr–So 10.00–18.00 Uhr, montags geschlossen

Information: www.liebieghaus.de
Besucherservice und Führungen: info@liebieghaus.de, buchungen@liebieghaus.de, Telefon: +49(0)69-605098-200, Fax: +49(0)69-605098-112
Eintritt: 12 Euro, ermäßigt 10 Euro, freier Eintritt für Kinder unter 12 Jahren, Tickets sind auch im Online-Shop unter shop.liebieghaus.de erhältlich.

Rundgang durch die Ausstellung
Von Ägyptern und Mesopotamien übernehmen die griechischen Dichter zahlreiche Anregungen, so auch die Darstellung fiktiver Hochtechnologie im Mythos. Schon im 7. oder 6. Jahrhundert v. Chr. berichtet der für seine Heldengedichte Ilias und Odyssee bekannte Homer von goldenen Robotern, die mit künstlicher Intelligenz ausgestattet sind und die Götter bedienen. Der grenzenlos produktive griechische Gott der Ingenieurskunst Hephaist und sein genialer Urenkel Daidalos sind Urheber einer Serie von Erfindungen: Antike Schriftquellen schildern die von ihnen entwickelten Raumschiffe, Fluggeräte, Androide, Roboter, Automata und High-Tech-Waffen.© Foto Diether von Goddenthow
Von Ägyptern und Mesopotamien übernehmen die griechischen Dichter zahlreiche Anregungen, so auch die Darstellung fiktiver Hochtechnologie im Mythos. Schon im 7. oder 6. Jahrhundert v. Chr. berichtet der für seine Heldengedichte Ilias und Odyssee bekannte Homer von goldenen Robotern, die mit künstlicher Intelligenz ausgestattet sind und die Götter bedienen. Der grenzenlos produktive griechische Gott der Ingenieurskunst Hephaist und sein genialer Urenkel Daidalos sind Urheber einer Serie von Erfindungen: Antike Schriftquellen schildern die von ihnen entwickelten Raumschiffe, Fluggeräte, Androide, Roboter, Automata und High-Tech-Waffen.© Foto Diether von Goddenthow

Die Ausstellung beginnt mit Ägypten und Mesopotanien. Man könnte aber auch vom Ende her,  in der Gegenwart beginnen, und quasi 5000 Jahre zurückwandern, erläutert Prof. Dr. Vinzenz Brinkmann. Es ginge ja darum, zu zeigen wie früh der Mensch bereits zu forschen begonnen und Wissen angehäuft habe, um die Welt zu verstehen.  Die Ausstellung erstreckt sich über die gesamte Sammlungspräsentation der Liebieghaus Skulpturensammlung und bietet beeindruckende Dialoge zwischen den Exponaten des Liebieghauses und Leihgaben aus internationalen Museumssammlungen. 

Der Rundgang umfasst eine Zeitspanne von mehr als fünf Jahrtausenden.
Das Wissen der europäischen Antike entstammt vor allem den Kulturen des vorderasiatischen und ägyptischen Raums. Die Griechen und Römer entwickelten es weiter, ließen verstärkt philosophische Gedanken einfließen. Da es kaum Grenzen, sondern lediglich Einflussgebiete gab, verbreiteten sich die wissenschaftlichen Erfahrungen innerhalb der Kulturräume und neues Wissen entstand. Diese Entwicklung endete in der Spätantike überall dort, wo die Naturwissenschaften aus religiösen Gründen unterdrückt wurden. Kriege und Kreuzzüge und der Einfluss der christlichen Kirche im westlichen Europa bedrohten das Wissen der Antike. Im arabisch-islamischen Kulturraum wiederum zeigt sich, dass die wissenschaftlichen Errungenschaften der antiken Naturwissenschaften und Philosophie gesammelt, übersetzt und fortentwickelt wurden. Im arabischen Raum waren vom 8. bis 15. Jahrhundert Bagdad, Kairo, Samarkand und Damaskus Wissenszentren mit bedeutenden Gelehrten und Universitäten. Erst zögerlich drangen diese Erkenntnisse in den europäischen Raum, um dann in der Renaissance einen großen Widerhall zu erfahren.

Ausstellungs-Impression: Maschinenraum der Götter. Wie unsere Zukunft erfunden wurde. Liebieghaus Skulpturensammlung. © Foto Diether von Goddenthow
Ausstellungs-Impression: Maschinenraum der Götter. Wie unsere Zukunft erfunden wurde. Liebieghaus Skulpturensammlung. © Foto Diether von Goddenthow

Bereits im 3. Jahrtausend v. Chr. wurden naturwissenschaftliche Forschungsprogramme mit beispielloser Energie vorangetrieben.

Eine auf den ersten Blick unscheinbare runde 4000 Jahre alte Keilschrifttafel erwies sich als Sensation. Denn auf ihr war bereits der Satz des Pythagoras, der zum Wissen der  Menschheit gehört, festgehalten. © Liebieghaus Skulpturensammlung
Eine auf den ersten Blick unscheinbare runde 4000 Jahre alte Keilschrifttafel erwies sich als Sensation. Denn auf ihr war bereits der Satz des Pythagoras, der zum Wissen der Menschheit gehört, festgehalten. © Liebieghaus Skulpturensammlung

Die Bauprojekte in Ägypten und im Nahen Osten (Mesopotamien) erforderten chemische Forschung, um der hohen Nachfrage nach veredelten Materialien gerecht zu werden, ebenso wie zuverlässige Vermessungstechniken für bautechnische Präzision. Für Letztere, aber auch für die Messung von Zeit und für die Voraussage der Zukunft war eine intensive Erforschung der Himmelsmechanik unabdingbar. Aus der Astronomie resultierten schließlich wesentliche Erkenntnisse zu Mathematik und Geometrie. Verdeutlicht wird dies in der Ausstellung etwa durch eine babylonische Schrifttafel mit dem Satz des Pythagoras, der schon vor 4000 Jahren zum Wissen der Menschen gehörte.

In der griechischen Mythologie findet sich auch die Darstellung fiktiver Hochtechnologie. Schon im 7. und 6. Jahrhundert v. Chr. berichten Homer und andere Schriftsteller von goldenen Robotern, die mit künstlicher Intelligenz ausgestattet sind und die Götter bedienen. Antike Schriftquellen schildern die Erfindungen von Hephaist und Daidalos: Raumschiffe, Fluggeräte, Androide, Roboter, Automata und High-Tech-Waffen. Die Ausstellung präsentiert ein Wandgemälde mit Hephaist, der in seiner Schmiede in Gegenwart der Thetis die neuen Waffen für den griechischen Helden Achill fertigt (Pompeji, 1. Jh. n. Chr.), die Statue des griechischen mythologischen Königs Ixion, der wegen seiner Vergehen an ein radförmiges Raumschiff montiert wurde (römisch, erste Hälfte 2. Jh. n. Chr.), oder die Statue des Ikaros, Sohn des Daidalos, der mit den von seinem Vater konstruierten Flügeln der Sonne zu nah kam und ins Meer stürzte (römisch, 1. Jh. nach Chr.). Der griechische Titan Prometheus soll den Menschen sogar produziert haben: Er setzte einen technischen Bauplan um und kreierte eine Maschine.

Statue der Athena aus der Hand des Bronzebildhauers Myron (1. Jh. n. Chr.) © Foto Diether von Goddenthow
Statue der Athena aus der Hand des Bronzebildhauers Myron (1. Jh. n. Chr.) © Foto Diether von Goddenthow

Die berühmte römische Marmorkopie der Statue der Athena aus der Hand des Bronzebildhauers Myron (1. Jh. n. Chr.) ist ebenfalls in diesem Teil zu sehen. Sie steht wie keine andere Persönlichkeit in der griechischen Mythologie für Aufklärung, Forschung, Kunst und Technologie. Zudem bewahrt das Liebieghaus das einzige erhaltene großformatige Porträt des makedonischen Königs Alexanders des Großen (150–50 v. Chr.) auf. Es ist aus Alexandria, gefertigt aus ägyptischem Alabaster, und zeigt eine Persönlichkeit, die in ihrem Machtstreben allgemein von der Wissenschaft und im Besonderen von ihrem Lehrer Aristoteles profitierte. In diesem Geiste wurde bald nach dem Tod Alexanders des Großen die epochemachende Forschungsanstalt „Bibliothek von Alexandria“ gegründet.

Die ersten echten mechanischen Apparate wurden um 500 v. Chr. verwirklicht – mit einem Höhepunkt in den Jahren zwischen 300 v. Chr. und 100 n. Chr. Nur wenige dieser Funde sind erhalten. Antike Texte geben jedoch eine Vorstellung von den ursprünglichen Mechaniken. Philon von Byzanz (3. bis 2. Jh. v. Chr.) und Heron von Alexandria (1. Jh. n. Chr.?) liefern Bauanleitungen von Modellen für physikalische Experimente sowie für mechanische Wunderwerke, animierte Skulpturen und automatische Theaterbühnen, etwa das Figurenkarussell des Heron von Alexandria, welches bereits pneumatisch angetrieben worden war.

3D-Druck-Rekonstruktionen zweier Bronzestatuen der Rebhuhn jagenden-Kinder. 8 dieser immer wieder leicht unterschiedlichen Kinder-Jagdszenen waren einst im Karussell-"Kino" so angebracht, dass beim Drehen die Illusion bewegter "Jagd-Bilder" entstand. © Foto Diether von Goddenthow
3D-Druck-Rekonstruktionen zweier Bronzestatuen der Rebhuhn jagenden-Kinder. 8 dieser immer wieder leicht unterschiedlichen Kinder-Jagdszenen waren einst im Karussell-„Kino“ so angebracht, dass beim Drehen die Illusion bewegter „Jagd-Bilder“ entstand. © Foto Diether von Goddenthow

In enger Zusammenarbeit mit dem Metropolitan Museum of Art in New York ist das 3D-Modell zweier Bronzestatuen entstanden: Die zwei Kinder, die ein Rebhuhn jagen, waren vermutlich Teil eines kinematografischen Wunderrades. Darüber hinaus sind die spektakulären Ergebnisse der französischen Grabungen an der Domus Aurea (64 n. Chr.) durch das Team von Françoise Villedieu (CNRS Aix-en-Provence) im Frankfurter Liebieghaus zu sehen. In der extravaganten römischen Palastanlage des Nero befand sich ein großer und luxuriöser Bankettsaal, der durch einen wiederentdeckten gewaltigen Mechanismus wie eine Art Drehbühne unter einem künstlichen Sternenhimmel angetrieben wurde.

Für den antiken Menschen bestand die Welt aus der Erde, den Planeten und den Fixsternen.

Ausstellungs-Impression: Maschinenraum der Götter. Wie unsere Zukunft erfunden wurde. Liebieghaus Skulpturensammlung. Vorne rechts: Rekonstruktion von Archimedes Sphaira (Kugel), sein legendärer  „Planeten-Apparat“. © Foto Diether von Goddenthow
Ausstellungs-Impression: Maschinenraum der Götter. Wie unsere Zukunft erfunden wurde. Liebieghaus Skulpturensammlung. Vorne rechts: Rekonstruktion von Archimedes Sphaira (Kugel), sein legendärer „Planeten-Apparat“. © Foto Diether von Goddenthow

Man nahm an, dass die Planeten, einschließlich Sonne und Mond, aber auch die Gesamtheit der Fixsterne jeweils auf einer eigenen durchsichtigen Kugelschale befestigt wären und um die feststehende Erde kreisen würden (geozentrisches Weltbild). Die Ausstellung zeigt einen 2017 entstandenen experimentellen Nachbau einer sogenannten Sphaira des Universalgelehrten Archimedes von Syrakus (um 287 bis 212 v. Chr.). Angetrieben durch Gewichte oder Wasserkraft zeigte der Apparat zu jeder Zeit die – aus Sicht der Erde – korrekte Position der Planeten und Fixsterne.

Nachbau des ursprünglich wohl mit Wasserkraft angetriebenen Planeten-Apparats, einer Abbildung der Welt,  in der Form eines Modells, einer „Kugel“ (Sphaira). Er zeigte zu jeder Zeit die aus der Sicht der Erde korrekte Position der Planeten und Fixsterne an. © Foto Diether von Goddenthow
Nachbau des ursprünglich wohl mit Wasserkraft angetriebenen Planeten-Apparats, einer Abbildung der Welt, in der Form eines Modells, einer „Kugel“ (Sphaira). Er zeigte zu jeder Zeit die aus der Sicht der Erde korrekte Position der Planeten und Fixsterne an. © Foto Diether von Goddenthow

Die moderne Variante der antiken Sphaira ist die Armillarsphäre. In der europäischen Kunst taucht dieses kostbare astronomische Instrument häufig in Skulpturen auf, die Atlas als Träger des Himmelsgewölbes zeigen. Die Statue des Atlas (sog. Atlas Farnese) (römisch, 2. Jh. n. Chr. mit neuzeitlichen Ergänzungen) aus Marmor zeigt den Himmelsglobus mit 41 Sternbildern, darunter die 12 Tierkreiszeichen.

Die Entdeckung des sogenannten Mechanismus von Antikythera ist eine Sensation.

Digitale Rekonstruktion des Mechanismus von Antikythera   © Liebieghaus Skulpturensammlung /ony Freeth
Digitale Rekonstruktion des Mechanismus von Antikythera
© Liebieghaus Skulpturensammlung /ony Freeth

Vor 120 Jahren entdeckten Schwammtaucher mehrere oxidierte Bronzeklumpen in einem antiken griechischen Schiffswrack. In vielen Forschungsschritten wurde deutlich, dass es sich um das hochkomplexe Zahnradgetriebe eines astronomischen Instruments (3.–1. Jh. v. Chr.) handeln muss. Die Erforschung wurde in den letzten Monaten abgeschlossen und die Ergebnisse des Forschungsteams um den Mathematiker Tony Freeth werden nun aufwendig medial aufbereitet in der Ausstellung vorgestellt.

Blüte im arabisch-islamischen Kulturraum

Lange vor Beginn der europäischen Renaissance in Italien im 15. Jahrhundert erlebten die antike Philosophie und die antiken Wissenschaften eine Blüte im arabisch-islamischen Kulturraum.

Ausstellungs-Impression: Maschinenraum der Götter. Wie unsere Zukunft erfunden wurde. Liebieghaus Skulpturensammlung. Links: Rekonstruiertes Universalastrolabium von Aḥmad Ibn as-Sarrāǧ (1328–1329). Im Hintergrund: Modell der Sternwarte von Rey (alt-teheran) © Foto Diether von Goddenthow
Ausstellungs-Impression: Maschinenraum der Götter. Wie unsere Zukunft erfunden wurde. Liebieghaus Skulpturensammlung. Links: Rekonstruiertes Universalastrolabium von Aḥmad Ibn as-Sarrāǧ (1328–1329). Im Hintergrund: Modell der Sternwarte von Rey (alt-teheran) © Foto Diether von Goddenthow

In der Zeit zwischen dem 8. und 13. Jahrhundert, dem „Goldenen Zeitalter des Islam“, wurden die antiken Schriften übersetzt, um den Zugang zu Wissen zu ermöglichen. Wissenschaftler verschiedener Ethnien lehrten und forschten in Bagdad und an anderen Orten mit weitreichender Wirkung. Es entstanden Observatorien in Bagdad, Maragha, Rey (Teheran) und Samarkand, um die Mechanik der Himmelskörper über lange Zeiträume hinweg zu studieren und zu dokumentieren. In der Ausstellung sind Präzisionsmessgeräte, wie das Universalastrolabium von Aḥmad Ibn as-Sarrāǧ (1328–1329) zu sehen. Zudem können verschiedene Modelle von Wissenschaftseinrichtungen und Nachbauten wissenschaftlicher Instrumente gezeigt werden, die dank der Leistungen des Frankfurter Forschungsinstituts für Geschichte der Arabisch-Islamischen Wissenschaften unter der Leitung von Fuat Sezgin entstanden sind.

Elefantenuhr auf einer Zeichnung von Farrukh ibn ‘Abd al-Latif von 1315 © Foto Diether von Goddenthow
Elefantenuhr auf einer Zeichnung von Farrukh ibn ‘Abd al-Latif von 1315 © Foto Diether von Goddenthow

Der berühmte islamische Ingenieur al-Ǧazarī führte die Entwicklung von komplexen Modellen, Automaten und Uhrwerken aus den antiken Schriften fort. Er beschreibt in seinem Standardwerk „Buch des Wissens von sinnreichen mechanischen Vorrichtungen“, 1205, die Funktion zweier Zeitmesser – einer sogenannten Becheruhr und einer sogenannten Elefantenuhr. Letztere wird auf einer Zeichnung von Farrukh ibn ‘Abd al-Latif von 1315 dargestellt. Darüber hinaus leisteten die physikalischen Experimente in Bagdad und im arabischen Spanien den wissenschaftlichen Durchbruch zur Erforschung des Lichts: Abbas ibn Firnas (um 810–887), Alkindus (gest. um 873), Ibn Sahl (um 940–um 1000) und Alhazen (um 965–nach 1040) revolutionierten die optische Lehre und belegten den wahren Charakter des Lichtstrahls.

Die wissenschaftlichen und philosophischen Aktivitäten der Inder gingen jenen der Griechen voraus. Indische Gelehrte, allen voran Aryabhata (476–550 n. Chr.) und Brahmagupta (598–665 n. Chr.), schufen die Grundlagen für die moderne Astronomie und Mathematik. Aryabhata berechnete etwa das Verhältnis von Mondumlauf zu Erdrotation und verfolgte die Idee des heliozentrischen Weltbildes. Der indische Kulturraum grenzte an das alte China, das über die Seidenstraße mit dem Nahen Osten und dem Mittelmeerraum verbunden war. In China wurden komplexe Kunsttechnologien entwickelt wie die Produktion von Porzellan. Auch der Buchdruck mit beweglichen Lettern ist keine reine Entdeckung von Johannes Gutenberg (um 1400–um 1468), sondern geht auf den Chinesen Bi Sheng (972–1052) zurück. Er fertigte bewegliche Schriftzeichen aus Porzellan an.

Die Künste und Wissenschaften florierten in der europäischen Renaissance – auch maßgeblich durch die Förderung von Cosimo (1389–1464) und Lorenzo de’ Medici (1449–1492). In Florenz stellte Cosimo etwa, unterstützt von byzantinischen Gelehrten, eine Forschungsbibliothek zusammen. Er schloss damit an die Tradition an, die von der Bibliothek von Alexandria über die Schriftensammlungen in Byzanz und das Haus der Weisheit in Bagdad bis zu den Universitäten von Samarkand reicht.

Gestützt auf die Daten der islamischen Astronomen hatte sich Nikolaus Kopernikus (1473–1543) für das seit der Antike diskutierte Modell einer heliozentrischen Welt stark gemacht. Sein Ansatz, dass nicht die Erde, sondern vielmehr die Sonne im Zentrum der kreisenden Planenten steht, wurde durch die Entdeckung des Fernrohrs evident. So beobachtete Galileo Galilei (1564–1642) dank der Vergrößerungen, dass die Venus verschiedene Phasen der Ausleuchtung durch die Sonne durchläuft. Johannes Kepler (1571–1630) wiederum erkannte, dass die Bahnen der Planeten auf Ellipsen verlaufen. Isaac Newton (1643–1727) lieferte dafür später die Berechnungsgrundlage.

Die Ausstellung wirft auch einen Blick auf das Zeitalter der Aufklärung und präsentiert u. a. die Büste des Gelehrten Jean-Jaques Rousseau von Jean-Antoine Houdon aus dem Jahr 1780. Im 18. Jahrhundert wurde zudem der Grundstein für den späteren wirtschaftlichen Aufschwung gelegt. Automatisierte und programmierte Prozesse gewannen an Bedeutung in der Produktion. Zu sehen ist das Modell eines programmierbaren Webstuhls von Jacques des Vaucanson von 1746. Der automatisierte Webstuhl, der über Lochkarten programmiert werden konnte, trug entscheidend zur Entwicklung der Textilindustrie bei.
Am Beispiel der Skulptur des Liebieghauses Maria Immaculata von Matthias Steinl, 1688, wird deutlich, wie das Christentum in seinen Schriften Bilder der griechischen und römischen Antike nutzte und mit neuer Bedeutung auflud. Die christliche Mondsichelmadonna bezieht sich auf das antike griechische Kultbild der Artemis von Ephesos – eine Statue, die zahlreiche Himmelssymbole wie eine Mondsichel, die Sonne und Tierkreiszeichen besaß. Durch die Gleichsetzung mit Maria, die auf einer Mondsichel schwebt, wird aus der apokalyptischen Himmelsvision in der Bibel eine heilsbringende Erscheinung, die hundertfach in Holz geschnitzt verbreitet wurde.

Jeff Koons Apollo Kithara. Drei, eigens aus Los Angeles eingeflogene Techniker waren nötig, um der sich bewegenden Schlange  wieder Leben einzuhauchen. © Foto Diether von Goddenthow
Jeff Koons Apollo Kithara. Drei, eigens aus Los Angeles eingeflogene Techniker waren nötig, um der sich bewegenden Schlange wieder Leben einzuhauchen. © Foto Diether von Goddenthow

Den Abschluss des Rundgangs bildet das Werk Apollo Kithara (2019–2022) des Künstlers Jeff Koons. Es ist zugleich eine Wiederbelebung einer antiken Marmorstatue des musizierenden Apoll aus dem British Museum. Die Arbeit greift zum einen ganz bewusst einzelne Aspekte der Forschungsarbeiten der Liebieghaus Skulpturensammlung zur antiken Statuenpolychromie auf. Zum anderen bietet sie auch eine zeitgenössische Antwort auf die Sehnsucht der Antike und des arabisch-islamischen Kulturraums, der Skulptur durch roboterhafte Bewegung Leben einzuhauchen.

Maschinenraum der Götter. Wie unsere Zukunft erfunden wurde
Ausstellungsdauer: 8. März bis 10. September 2023

0-maschinenraum-der-goetter---liebig-skulpturenhaus-frankfurt-160--(c)-diether-von-goddenthowOrt: Liebieghaus Skulpturensammlung, Schaumainkai 71, 60596 Frankfurt am Main
Öffnungszeiten: Di, Mi 12.00–18.00 Uhr, Do 10.00–21.00 Uhr, Fr–So 10.00–18.00 Uhr, montags geschlossen
Information: www.liebieghaus.de
Besucherservice und Führungen: info@liebieghaus.de, buchungen@liebieghaus.de, Telefon: +49(0)69-605098-200, Fax: +49(0)69-605098-112
Eintritt: 12 Euro, ermäßigt 10 Euro, freier Eintritt für Kinder unter 12 Jahren, Tickets sind auch im Online-Shop unter shop.liebieghaus.de erhältlich.

Audioguide-App: Der Audioguide begleitet durch die lange Geschichte der Technik und Wissenschaft: Von der Antike bis ins Zeitalter der Industrialisierung lässt sich die tiefe Verbindung zwischen technischen Erfindungen und Kunst anhand herausragender Objekte erleben. Die App in deutscher Sprache beinhaltet Audiotracks und Abbildungen zu rund 20 Stationen und hat eine Dauer von etwa 60 Minuten. Die Tour ist ab Ende März als kostenlose App für die Betriebssysteme iOS und Android erhältlich und kann entweder bequem von zu Hause oder im Liebieghaus WiFi auf das Smartphone geladen werden. Vor Ort im Museum kann der Audioguide ab dem 8. März zu einem Preis von 5 Euro (8 Euro für zwei Audioguides) ausgeliehen werden.

Überblicksführungen: Spektakuläre naturwissenschaftliche Erkenntnisse, technische Errungenschaften und mythische Geschichten: Die Tour zur Ausstellung erlaubt jeweils freitags und samstags einen einzigartigen Blick auf die in der Antike zusammen gedachten Künste und Wissenschaften sowie ihren kulturgeschichtlichen Einfluss. Tickets (Eintritt und Führung) zum Preis von 15 Euro sind im Online-Shop unter shop.liebieghaus.de erhältlich.

Online-Tour: Die Online-Tour der Ausstellung widmet sich interaktiv den faszinieren Errungenschaften vielfältiger antiker Superhirne und dem spannenden Verhältnis von Kunst und Wissenschaft. Das ausgewählte Bildmaterial ermöglicht es, die zum Teil technisch aufwändigen Ausstellungsstücke in einer einzigartigen Nahsicht zu erleben. Jeweils mittwochs, 12.00 Uhr, Tickets zum Preis von 5 Euro sind im Online-Shop unter shop.liebieghaus.de erhältlich.

Italien vor Augen – Frühe Fotografien ewiger Sehnsuchtsorte – Städel Museum Frankfurt zeigt einzigartige Bilderreise und Fotografie-Geschichtete

Auf dem Canal Grande schippernde Gondolieri, der Schiefe Turm von Pisa oder die Altertümer Roms: Zahlreiche Fotografien von Giorgio Sommer, dem Unternehmen der Gebrüder Alinari, Carlo Naya oder auch Robert Macpherson prägten das Bild von Italien als Sehnsuchtsort. Das Städel Museum präsentiert vom 23. Februar bis 3. September 2023 eine Auswahl früher Italienfotografie. © Foto Diether von Goddenthow
Auf dem Canal Grande schippernde Gondolieri, der Schiefe Turm von Pisa oder die Altertümer Roms: Zahlreiche Fotografien von Giorgio Sommer, dem Unternehmen der Gebrüder Alinari, Carlo Naya oder auch Robert Macpherson prägten das Bild von Italien als Sehnsuchtsort. Das Städel Museum präsentiert vom 23. Februar bis 3. September 2023 eine Auswahl früher Italienfotografie. © Foto Diether von Goddenthow

Wo ließe sich eine Ausstellung wie diese besser als im Städelmuseum ausrichten, „da die Monalisa der Italiensehnsucht, Johann Heinrich Tischbeins ‚Goethe in der römischen Campagna‘ von 1787, hier im Hause hängt“, schwärmt Philipp Demandt, Direktor des Städel Museums, über die wirklich gelungene Ausstellung: „Italien vor Augen – Frühe Fotografien ewiger Sehnsuchtsorte“ vom 23.Februar bis 2023 bis 3. September 2023, beim Presserundgang.
Goethe habe natürlich mit seiner italienischen Reise „auch den Thron gesetzt für die seitdem andauernde Sehnsucht der Deutschen nach dem mediterranen Süden“. Wie sich diese Sehnsucht von der im 19. Jahrhundert noch sehr aufwändigen Fotografie ausgedrückt hat, das versuche das Städelmuseum in seiner Ausstellung zu präsentieren mit rund 90 kostbaren und in dieser Zusammenstellung noch nie gezeigten Fotografien aus der Sammlung des Städel-Museums, zurückgehend auf seinen legendären Direktor Johann Oavid Passavant (1787-1861 ). Durch Passavants Erwerbungen von Fotografien ab 1850 gehörte das Städel zu den ersten Museen in Deutschland, die über umfangreiche Fotografie-Sammlungen verfügten.

Johannn David Passavant,  Selbstbildnis, 1818. © Foto Diether von Goddenthow
Johannn David Passavant, Selbstbildnis, 1818. © Foto Diether von Goddenthow

Passavant war voller Begeisterung für die Möglichkeiten dieses neuen Mediums, so Demandt. Es ging bei dieser Begeisterung natürlich in einen darum, „einem breiten kunstinteressierten Publikum die Landschaft der italienischen Kultur nahezubringen.“ Auch sollten sich die Schüler der angegliederten Kunstakademie anhand der Abzüge eine Vorstellung vom Süden Europas und seinen Kunst- und Naturschätzen machen können. Damit rückte die Ferne näher und gleichzeitig bestimmten die im Umlauf befindlichen Motive, was als sehenswürdig zu erachten ist. „Zum anderen entwickelte sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Methodik der modernen Kunstgeschichte, und da spielt natürlich die Abbildung, das vergleichende Sehen, eine ganz, ganz große Rolle“, so Demandt.

Die aus unterschiedlichen Quellen zusammengetragenen Abzüge vermitteln einen breiten Motiv- und Formenschatz der nach damaligem Verständnis wichtigsten Kulturregionen Europas. In der deutschsprachigen Kunstgeschichte galt die Kunst Italiens als herausragend und vorbildhaft. Die Fotografien zu diesem Thema sind daher am stärksten vertreten. Sie dienten als Studienobjekte für Besucher und Studierende, auch um sich mit Proportionen, Lichtverhältnissen und Perspektiven auseinanderzusetzen.

Entwicklungsgeschichte der Fotografie

Dr. Kristina Lemke, Kuratorin der Ausstellung. © Foto Diether von Goddenthow
Dr. Kristina Lemke, Kuratorin der Ausstellung. © Foto Diether von Goddenthow

„Die Ausstellung zeigt die einzigartige Entwicklungsgeschichte der Fotografie im Italien des 19. Jahrhunderts. Wie das Medium als Sammlungsgut Eingang in das Städel Museum fand und durch den aufkommenden Tourismus an Bedeutung gewann, wird im ersten Teil thematisiert. Ein offener Rundgang stellt schließlich die wichtigsten Italien-Destinationen vor und präsentiert so eine umfassende, sehr eindrückliche Bestandsaufnahme der Kulturlandschaft Italiens zu dieser Zeit. Die Sehenswürdigkeiten von damals ziehen auch heute noch den fotografischen Blick auf sich. Es sind oft genau jene Ansichten, denen wir nachreisen“, sagt Kristina Lemke, Kuratorin der Ausstellung.

Bereits 1948 umfasste die Fotosammlung des Städel-Museums rund 53 000 Exemplare. Das Städel Museum habe noch nicht all diese Fotografien sichten, geschweige denn digitalisieren können. Aber umso interessanter sei es, dass das Städel-Museum unter kuratorischer Leitung von Dr. Kristina Lemke, Sammlungsleiterin Fotografie, Städel Museum, jetzt eine exquisite Auswahl der wichtigsten Werke aus der Italienfotografie des Städelmuseums zeigen könne.

Die Entwicklung der Italienreise ab Ende des 16. Jahrhunderts

Die klassische Reiseroute durch Italien verlief nach Überquerung der Alpen gewöhnlich durch den Norden nach Mailand, Genua und Venedig, führte weiter nach Florenz und Rom und endete in Neapel und Pompeji. © Foto Diether von Goddenthow
Die klassische Reiseroute durch Italien verlief nach Überquerung der Alpen gewöhnlich durch den Norden nach Mailand, Genua und Venedig, führte weiter nach Florenz und Rom und endete in Neapel und Pompeji. © Foto Diether von Goddenthow

„Italien hat von Anbeginn der Geschichte auf die Gegenwart stets die mächtigste Anziehung auf den Nordländer ausgeübt; eine Reise in dieses ‚gelobtes Land‘ ist Manchem der höchste Wunsch seines Lebens gewesen“  (Karl Baedeker, Italien. Handbuch für Reisende. Zweiter Theil, Mittel-Italien und Rom. Leipzig 1869, S./p.XV)

Im ersten Teil wird die Entwicklung des Reisens nach Italien ab dem späten 16.Jahrhundert dokumentiert. Eine Reise nach Italien im Rahmen der sogenannten Grand Tour gehörte einst quasi zum Pflichtprogramm der europäischen Oberschicht. Nirgendwo sonst ließen sich die Antike wie auch die großen Meister der Renaissance und des Barock so vortrefflich erkunden. Als der aus Frankfurt stammende Dichter Johann Wolfgang von Goethe ab 1813 seine ltalienische Reise veröffentlichte, löste er einen regelrechten Boom aus: Ganz nach seinem Vorbild suchten die Reisenden im Süden den sinnlichen Kunstgenuss mit einer intensiven Selbsterfahrung zu verbinden. Für die immer zahlreicher werdenden Touristen bot Thomas Cook ab 1841 organisierte Fahrten an: Gleichzeitig beschrieben die Handbücher von John Murray, Karl Baedeker oder Theodor Gsell-Fels die besten Anreisewege, gaben Empfehlungen zur Tagesgestaltung oder informierten über die wichtigsten Anlaufstellen. Neben Museen, Kirchen oder Restaurants verwiesen sie auch auf die namhaftesten Fotografenstudios. Zu erwerben waren dort nicht nur einzelne Aufnahmen der Hauptsehenswürdigkeiten ltaliens – gleichsam die Vorläufer der Bildpostkarte -, sondern auch vorgefertigte oder individuell zusammengestellte, teils kostbar verzierte Alben. Die zuvor meist durch Malerei und Druckgrafik vermittelten Vorstellungen fanden in der Fotografie ein praktisches und wirklichkeitsgetreues Medium, das sich rasant verbreitete, so die Kuratorin.

Bilderreise durch ltalien

Die Ausstellung versammelt insgesamt 90 bedeutende Aufnahmen der Jahre 1850 bis 1880 aus der eigenen Sammlung. Es ist eine fotografische Tour entlang der bekanntesten Routen mit den Stationen Mailand, Venedig, Florenz, Rom und Neapel. © Foto Diether von Goddenthow
Die Ausstellung versammelt insgesamt 90 bedeutende Aufnahmen der Jahre 1850 bis 1880 aus der eigenen Sammlung. Es ist eine fotografische Tour entlang der bekanntesten Routen mit den Stationen Mailand, Venedig, Florenz, Rom und Neapel. © Foto Diether von Goddenthow

Im zweiten Teil, dem offenen Rundgang, werden  historische Fotografien   entlang der klassischen Route einer „typischen“ Bildungs- und Vergnügungsreise durch ltalien. Sie verlief nach
Überquerung der Alpen gewöhnlich durch den Norden nach Mailand, Genua und Venedig, führte weiter nach Florenz und Rom und endete zumeist in Neapel und Pompeji. Die Hauptattraktionen der Architektur und der Landschaft wurden von den Fotografen ab den 1850er-Jahren festgehalten. Diese Fotografien ließen sich gut in ihren Heimatländern verkaufen.  Als weitere lukrative Absatzmöglichkeit etablierten sich Aufnahmen der zahlreichen Kunstwerke, die in Museen und Kirchen oder auch auf den öffentlichen Plätzen ltaliens anzutreffen waren.

Die fotografischen Gestaltungsweisen zeigen eine große Ähnlichkeit mit denen von Malerei, Zeichnung und Druckgrafik. Um Bildern eine idyllische Stimmung zu verleihen, wählten die Fotografen den Aufnahmestandort mit Bedacht, achteten für ein fein abgestuftes Schattenspiel auf die Tageszeiten oder integrierten Modelle zur Belebung der Komposition. Viele Fotografen wie Pompeo Pozzi (1817-1880), Gioacchino Altobelli (1814-1878) oder Enrico Van Lint (1808-1884) verfügten über eine künstlerische Vorbildung. Auch zahlreichen Auswanderern eröffnete das schnell wachsende Gewerbe eine Verdienstmöglichkeit: Robert Macpherson (1814-1872), Eugöne Constant (aktiv in Rom 1848-1852), Jakob August Lorent (1813-1884), Alfred August Noack (1833-1895) oder Giorgio Sommer (1834-1914) kamen aus Großbritannien, Frankreich und Deutschland nach ltalien. Die breit zirkulierenden Motive prägten den Reisekanon und haben sich bis heute als ewige Sehnsuchtsorte in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben.

Fotografen und Motive – eine Auswahl

Die klassische Reiseroute durch Italien verlief nach Überquerung der Alpen gewöhnlich durch den Norden nach Mailand, Genua und Venedig, führte weiter nach Florenz und Rom und endete in Neapel und Pompeji. © Foto Diether von Goddenthow
Die klassische Reiseroute durch Italien verlief nach Überquerung der Alpen gewöhnlich durch den Norden nach Mailand, Genua und Venedig, führte weiter nach Florenz und Rom und endete in Neapel und Pompeji. © Foto Diether von Goddenthow

Noch heute zählt der Schiefe Turm von Pisa zu den meistfotografierten Sehenswürdigkeiten Italiens. In den 1850er-Jahren hielt der gelernte Bildhauer Enrico Van Lint (Pisa 1808–1884) den Turm und die anderen Bauten des Domplatzes wiederholt aus verschiedenen Perspektiven fest. Bei guten Lichtverhältnissen variierten die Belichtungszeiten zwischen 20 Sekunden und bis zu 7 Minuten. An einem sonnenlosen Tag waren es gar zwischen 8 und 18 Minuten. Die in der Ausstellung präsentierte Fotografie Van Lints von ca. 1855 gehört zu den ältesten Objekten der fotografischen Sammlung des Städel Museums.

Alfred Noack (Dresden 1833–Genua 1895) absolvierte eine künstlerische Ausbildung in Dresden, bevor er Ende der 1850er-Jahre nach Italien auswanderte. Nach vier Jahren in Rom eröffnete er ein Fotoatelier in Genua, von wo aus er die ligurische Riviera erkundete. Den Küstenabschnitt des beliebten Urlaubsorts Sestri Levante hielt er in malerisch komponierten Aufnahmen fest. Durch die Verringerung der Tiefenschärfe nach Art der traditionellen Landschaftsmalerei wirken seine Fotografien wie suggestive Stimmungsbilder.

Der Frankfurter Georg Sommer (1834–Neapel 1914) zog 1856 nach Italien und wurde unter dem Namen Giorgio Sommer einer der erfolgreichsten Unternehmer Neapels. Die Ausstellung präsentiert u. a. seine Fotografien der Einkaufsmeile Galleria Vittorio Emanuele II (ca. 1868–1873) in Mailand, der Insel Capri oder die spektakuläre Serie von Momentaufnahmen, die den Ausbruch des Vesuvs im April 1872 festhält. Im Halbstundentakt fotografierte Sommer aus sicherer Entfernung von einem im Golf von Neapel ankernden Boot aus. In der Leipziger „Illustrierten Zeitung“ wurden seine Aufnahmen als Holzschnitte reproduziert, sodass sie als Vorläufer der später aufkommenden Reportagefotografie gelten können.

Carlo Naya (Tronzano Vercellese 1816–Venedig 1882) wurde der bedeutendste Chronist Venedigs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Seine Fotografie einer Gondel mit Blick auf Markusbibliothek, Campanile und Dogenpalast (ca. 1875) wirkt wie ein Schnappschuss, doch nichts daran ist spontan. Während seiner langen Karriere lichtete Naya fast jedes der architektonischen Wahrzeichen Venedigs ab, u. a. auch die sogenannte Seufzerbrücke. Die berühmte Sehenswürdigkeit gehörte im 19. Jahrhundert zu den meistfotografierten Brücken der Welt. Zahlreiche Fotografen haben ihre Kamera am gleichen Standort platziert. Diese Perspektive auf die Brücke prägte das Bildgedächtnis und begegnet noch heute in den sozialen Medien als idealer Blickwinkel für Urlaubsbilder.

Carlo Ponti (Sagno 1823–Venedig 1893) produzierte Ansichten beliebter architektonischer Sehenswürdigkeiten in Venedig. In der Ausstellung ist u. a. eine Aufnahme der Ca’ d’Oro (ca. 1870–1880) zu sehen, die auf der Rückseite in zwei Sprachen über das Gebäude informiert. Ponti erreichte mit diesem Souvenir nicht nur Touristen, sondern auch ein kunst- und kulturhistorisch interessiertes Fachpublikum. Extrem scharf ist der reiche Gebäudeschmuck mit Säulengängen, Maßwerk und Reliefs wiedergegeben.

In Florenz machte sich 1852 der als Kupferstecher ausgebildete Leopoldo Alinari als Fotograf selbstständig. Zwei Jahre später gründete er mit seinen Brüdern Romualdo und Giuseppe ein Studio. Neben Porträts boten die Fratelli Alinari Ansichten bekannter Baudenkmäler der Stadt an. Zu internationalem Ruhm gelangten sie 1859 durch Aufnahmen der Zeichnungen Raffaels. Das Familienunternehmen nahm fotografische Reproduktionen von Kunstwerken, beispielsweise aus den Uffizien, dauerhaft in ihr Sortiment auf. Diese wurden ebenfalls vom Städelschen Kunstinstitut erworben.

Die Ausstellung zeigt auch die bemerkenswert komponierte Fotografie Rom: Fischer am Tiber nahe der Engelsburg (ca. 1860) des zuvor als Historien- und Porträtmaler tätigen Gioacchino Altobelli (Terni 1814–Rom 1878). Er zählte zu den erfolgreichsten Fotografen Roms. Etwa auf halber Höhe teilt die Engelsbrücke mit den barocken Skulpturen Gian Lorenzo Berninis das Bildfeld, sodass ausreichend Raum für die Spiegelungen von Petersdom und Engelsburg auf der glatten Wasseroberfläche des Tibers geschaffen wird. Mit Bedacht wählte Altobelli die Komparsen im Vordergrund, die den Blick auf die Hauptmonumente lenken sollen

Um die Plastizität von Skulpturen optimal einzufangen, musste die Beleuchtung akribisch berechnet werden. Denn je nach Oberflächenstruktur entstanden unterschiedliche Lichtspiegelungen, die es zu vermeiden galt. Adolphe Braun (Besançon 1811–Dornach 1877) konzentrierte sich auf den Oberkörper von Michelangelos Skulptur des Moses beim Juliusgrabmal in Rom. Um die hinter der Skulptur befindliche Nische vergessen zu machen, trug der Fotograf eine schwärzende Asphaltlösung im Negativ auf. Zusätzlich zog er im Negativ vereinzelte Partien, etwa das linke Auge des Propheten und die Bartspitze, mit grauer Tinte nach, um die Kontraste zu verstärken.

Auf der Pantheon-Fotografie (ca. 1870) der Fratelli D՚Alessandri sind die heute nicht mehr existenten Glockentürme des großen römischen Barockkünstlers Gian Lorenzo Bernini zu sehen. Durch den Aufnahmewinkel werden sowohl die Tempelfassade mit rechteckigem Aufriss als auch der überkuppelte Rundbau erfasst. Gleichzeitig ist der urbane Kontext mit Cafés, Läden und Passanten festgehalten, sodass sich ein spannender Kontrast zwischen der Beständigkeit des Bauwerks und der flüchtigen Momentaufnahme ergibt.

Zum Pflichtprogramm für die Romreisenden gehörte auch ein Ausflug ins Umland. In Tivoli lockte der große Wasserfall im Park der Villa Gregoriana schon seit dem 18. Jahrhundert Künstler an. Sie konzentrierten sich zumeist darauf, die atemberaubende Natur im Zusammenspiel mit den Überresten der antiken Kultur ins Bild zu setzen. Der zum Chirurgen ausgebildete Robert Macpherson (Edinburgh 1814–Rom 1872) richtete den Fokus in Tivoli: Wasserfall (ca. 1860–1865) allein auf das herabstürzende Wasser, dessen Schaumkronen hell reflektieren. Der ovale Zuschnitt steigert die poetische Wirkung der Aufnahme und lenkt die Aufmerksamkeit auf das Motiv.

Katalog:
Zur Ausstellung erschien ein von Kristina Lemke herausgegebener wunderbarer Katalog in deutscher Sprache mit einem Vorwort von Philipp Demandt und einem Essay von Ulrich Pohlmann, 120 Seiten, 19,90 Euro.

Ausstellungsdauer: 23. Februar bis 3. September 2023
Information: www.staedelmuseum.de
Besucherservice und Führungen: +49(0)69-605098-200, info@staedelmuseum.de
Ort: Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt am Main

Tickets: Tickets online buchbar unter shop.staedelmuseum.de. Di–Fr, Sa, So + Feiertage 16 Euro, ermäßigt
14 Euro; freier Eintritt für Kinder unter 12 Jahren; Gruppen ab 10 regulär zahlenden Personen: 14 Euro pro Person, am Wochenende 16 Euro. Für alle Gruppen ist generell eine Anmeldung unter Telefon +49(0)69-605098-200 oder info@staedelmuseum.de erforderlich.

„Alle Macht den Nanas“ – Schirn Kunsthalle Frankfurt zeigt Niki de Saint Phalle in einer herausragenden Überblicks-Schau

Niki de Saint Phalle Schirn Kunsthalle vom  3.02. bis 21.05.2023  © Foto Diether von Goddenthow
Niki de Saint Phalle Schirn Kunsthalle vom 3.02. bis 21.05.2023 © Foto Diether von Goddenthow

Die Schirn Kunsthalle Frankfurt lädt vom 3. Februar bis zum 21. Mai 2023 zu der wunderbaren Überblicksschau  „NIKI DE SAINT PHALLEs“ ein,  zu einer kunterbunten,  alle Sinne anregenden Kunstschau, die vor allem  Spaß macht. Und mitunter werden die Betrachter schmunzeln,  mit wieviel Ironie die umtriebige,  mitreißende Künstlerin Niki de Saint Phalle der Gesellschaft und ihren Konventionen von 1953 bis zum ihrem Tod 2001 den Spiegel vorgehalten hat.

So viele Medienvertreter kamen nicht einmal zur Chagall-Ausstellung.  © Foto Diether von Goddenthow
So viele Medienvertreter kamen nicht einmal zur Chagall-Ausstellung. © Foto Diether von Goddenthow

Gezeigt wird aber auch eine ernste, „eine visionäre und eine politisch denkende Künstlerin, und nicht nur die Herstellerin der populären Nanas“, schwärmt Schirn-Direktor Sebastian Baden. Niki de Saint Phalle sei eine Künstlerin, deren Arbeit mitten im Leben verortet sei, wie bei vielen Künstlern, aber in diesem Fall ganz besonders in einer die Kunstwelt prägenden Situation der 1950er und 60er Jahre, also in einer Aufbruchssituation nach dem 2 Weltkrieg, und einer Biographie, die sich auf Europa und USA gleichermaßen erstrecke, so Baden. Niki de Saint de Phalles Werke genießen eine enorme Popularität. Das belege allein schon der große Andrang zur Pressekonferenz mit einem noch größeren Andrang als anlässlich der Chagall-Ausstellung. Niki de Saint Phalle beherrscht nach wie vor ganz aktuelle Debatten. Es geht um Feminismus, obwohl sie nie wirklich eine Feministin war, sondern eher vom Feministinnen umarmt wurde, ob ihres provokativen Werkes in einer damals noch männerdominierten Kunstszene.

Rechts Katharina Dohm, Ausstellungskuratorin mit Sebastian Baden, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt. Er hält hier den höchst empfehlenswerten Begleitkatalog zur Ausstellung mit der Rückseite empor: Besser wie auf diesem Foto könne man sich nicht inszenieren. Die Künstlerin Niki de Saint Phalle, die früher auch Modell war, posiert hier zum Jubiläum  800 Jahre Notre Dame, im perfekten Schützenanzug mit Gewehr und der Replika dieses Gebäudes, also das Bild im Bild, und noch dazu der Schuss, der dann fallen wird. Das ist schon ziemlich perfekt, und sicherlich für alle unsere Besucherinnen und Besucher ein Grund, dieses Buch zu nehmen, so Baden.  © Foto Diether von Goddenthow
Rechts Katharina Dohm, Ausstellungskuratorin mit Sebastian Baden, Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt. Er hält hier den höchst empfehlenswerten Begleitkatalog zur Ausstellung mit der Rückseite empor: Besser wie auf diesem Foto könne man sich nicht inszenieren. Die Künstlerin Niki de Saint Phalle, die früher auch Modell war, posiert hier zum Jubiläum 800 Jahre Notre Dame, im perfekten Schützenanzug mit Gewehr und der Replika dieses Gebäudes, also das Bild im Bild, und noch dazu der Schuss, der dann fallen wird. Das ist schon ziemlich perfekt, und sicherlich für alle unsere Besucherinnen und Besucher ein Grund, dieses Buch zu nehmen, so Baden. © Foto Diether von Goddenthow

Es geht um weibliches Selbstbewusstsein, und um das, was die kreative Vielfalt Saint de Phalles Werke transportieren, nämlich das Experiment mit vielfältigen Materialien, Varianten von Aktionskunst, also Techniken, Themen und Arbeitsweisen, die sehr vielseitig zur Anwendung kommen, von einer Künstlerin, die sich ganz bewusst als Autodidaktin versteht, die keine Ritualgestaltung einer Akademie präsentiert, sondern die 1953 nach „Erholung“ von einem Nervenzusammenbruch aus Nizza nach Paris zurückgekehrt, ihre Berufung als Künstlerin spürt, und ihre Grenzerfahrungen und psychotischen Zuständen seit ihrer katastrophal familienzerrütteten Kindheit  mit sexuellen Missbrauchserfahrungen durch den Vater als wichtigsten Motor für ihre künstlerische Karriere versteht:
«lch war eine zornige junge Frau, doch gibt es ia viele zornige junge Männer und Frauen, die trotzdem keine Künstler werden, lch wurde Künstler, weil es für mich keine Alternative gab – infolgedessen brauchte ich auch keine Entscheidung zu treffen. Es war mein Schicksal. Zu anderen Zeiten wäre ich für immer in eine lrrenanstalt eingesperrt worden – so aber befand ich mich nur kurze Zeit unter strenger psychiatrischer Aufsicht, mit zehn Elektroschocks usw. lch umarmte die Kunst als Erlösung und Notwendigkeit.(Zitat nach Christoph Becker aus dem Begleitkatalog zur Ausstellung, 2023, S. 15).

Niki, aus der Nervenklinik in Nizza wieder entlassen,  beginnt zu malen und fertigt erste Assemblagen an. Immer drängender wird  für sie jedoch die Frage: „Familie oder Kunst?“ Um als Künstlerin arbeiten zu können, trennte sie sich schließlich 1960 von ihrem Ehemann, dem US-Schriftsteller Harry Mathews und ihren beiden Kindern, mit denen sie weiterhin in Kontakt blieb, und diese später in ihre Arbeit einbezog. 1960 lernt de Saint Phalle  den international renommierten und gut vernetzten Direktor des Moderna Museet jn Stockholm Pontus Hultén kennen, der zu ihrem wichtigsten Förderer und Motivator wird.

Ein wenig später lernte Niki de Saint Phalle ihren künstlerischen Wegbegleiter und langjährigen Partner, den Künstler Jean Tinguely kennen, mit dem sie in der Folge zahlreiche Projekte realisierte und ab 1963 in Frankreich und den USA lebte. Ab 1958 arbeitete die Autodidaktin an Assemblagen und Landschaften, in die sie gefundene Scherben, Alltagsgegenstände oder auch Plastikobjekte wie Spielzeugpistolen integrierte. Inspiriert von zeitgenössischer Kunst experimentierte sie mit unterschiedlichen Techniken, in Nightscape (Nachtlandschaft, 1959) etwa mit dem von Jackson Pollock geprägten Dripping und der von Antoni Gaudí verwendeten alten maurischen Mosaik-Technik, und griff Einflüsse von Jean Dubuffet, surrealistischen Collagen, Neo-Dada und naiver Malerei auf.

Wir kennen vor allem Nikis Nanas, die großen bunten voluminösen übergroßen Frauenkörper, bunt schrill und mitunter begehbar, wie die PLastik Hon 1966 im Moderna Museet in Stockholm, mit der de Saint Phalle der internationale Durchbruch als Künstlerin gelingt, oder die hausgroßen Skulpturen in ihrem Tarot-Park in der Provence. Hiervon präsentiert die Ausstellung zahlreiche Modelle.

Nikis Schießbilder

Niki de Saint Phalle, King-Kong, 1962, Schießbild, Farbe, Gips und verschiedene Objekte auf Holz, 276 x 611 x 47 cm (in 5 Teilen), Albin Dahlström / Moderna Museet, © 2023 Niki Charitable Art Foundation / Adagp, Paris  © Foto Diether von Goddenthow
Niki de Saint Phalle, King-Kong, 1962, Schießbild, Farbe, Gips und verschiedene Objekte auf Holz, 276 x 611 x 47 cm (in 5 Teilen), Albin Dahlström / Moderna Museet, © 2023 Niki Charitable Art Foundation / Adagp, Paris © Foto Diether von Goddenthow

Heutzutage weniger populär  sind beispielsweise Nikis Schießbilder (Tirs), mit denen sie in den frühen 1960er Jahren erste Bekanntheit erlangte. In provokanten Performances schoss sie vor Publikum mit einem Gewehr auf präparierte weiße Gipsreliefs mit verspachtelten Farbelementen, die sie damit regelrecht zum Bluten brachte. Diese Aktionen führten 1961 zu ihrer Aufnahme als einzige Künstlerin in die Gruppe der „Nouveaux Réalistes“ um Pierre Restany, die die abstrakte Kunst der Nachkriegszeit ablehnten und eine neue Verbindung zwischen Kunst und Realität forderten. Essenziell für die Werkserie der Schießbilder ist die Auflösung der strikten Trennung zwischen Künstlerin, Werk und Publikum.

„Aus den zunächst spontanen Schießaktionen wurden zunehmend ritualisierte Spektakel, und Niki de Saint Phalle war innerhalb kürzester Zeit international berühmt, ohne Social Media, wie Insta, Twitter, Facebook & Co.“, erklärt Katharina Dohm, die die wunderbare Niki-de-Saint-Phalle-Ausstellung in der Schirn Kunsthalle Frankfurt kuratiert hat. Der Akt des Schießens war für  Niki de Saint Phalle sowohl ein Ventil, um Aggressionen abzubauen, als auch ein Mittel, um die herrschenden Vorstellungen von Malerei zu hinterfragen.

Unter den schießenden Personen sind Künstlerkollegen, wie ihr Partner Jean Tinguely, sowie Pierre Restany, Jasper Johns, Robert Rauschenberg oder Edward Kienholz. Sie nahmen aktiv an den Happenings teil, schossen auf die Bilder und wurden so zu Mitwirkenden an einem zerstörerischen und zugleich schöpferischen, gesellschaftskritischen Akt.

Nike de Saint Phalle tritt in diesen Aktionen direkt mit dem Publikum in Dialog. Hierdurch wird die strikte Trennung von Künstlern und Werkbetrachtern aufgehoben. Der Betrachter tritt viel mehr als Mitproduzent in dem Werk in Erscheinung, wobei sogleich die Figur des Künstlers sehr explosiv infrage gestellt werde. Es sei eine geradezu kämpferische Art, ein kämpferischer Auftritt, mit ihrer Kunst  durchzudringen, auch im Hinblick auf die damals männlich dominierte Kunstwelt. Der kreative Akt, die kreative Konstruktion erfolgt also durch die Dekonstruktion, so Dohm.

„Das Bild war das Opfer! ‚Wer war das Bild: Papa, alle Männer, kleine Männer, große Männer, dicke Männer, dünne Männer? Mein lieber John? Oder war ich selbst das Bild?“. Schoss ich auf mich selbst in einem Litoral, das es mir ermöglichte durch meine eigene Hand zu sterben, und wiedergeboren zu werden?“ Niki de Saint Phalle

„Die Einbindung des Publikums in die Fertigstellung der Arbeit ist essenziell für die Werke“, so Dohm. Im Jahr 1963 beendete de Saint Phalle die Werkgruppe der Schießbilder. Die Schirn präsentiert u. a. zwei Werke aus der Serie Alte Meister, die de Saint Phalle 1961 in ihrer ersten Einzelausstellung „Feu à volonté“ („Feuer frei“) in der Galerie J in Paris zeigte. Großformatige Arbeiten wie King-Kong (1962) oder Heads of State (Study for King-Kong) (Staatsoberhäupter (Studie zu King-Kong), 1963) mit satirischen Darstellungen von männlichen Protagonisten der Weltpolitik unterstreichen die politische Dimension der Schießbilder.

Ab 1963 entwickelte de Saint Phalle zunehmend figürliche Assemblagen, die sich mit weiblicher Identität auseinandersetzen. Obwohl sich die Künstlerin nicht aktiv an der aufkommenden zweiten Frauenbewegung beteiligte, nahm sie in ihren Werken zentrale Aspekte der feministischen Kunstbewegung vorweg. Mit Arbeiten wie Femme nue (Figure) (Nackte Frau (Figur), 1963/64), L’accouchement rose (Die rosa Geburt, 1964) oder Autel des femmes (Altar der Frauen, 1964) erschuf sie imposante wie auch monströse Frauengestalten. Betont weiblich und bedeckt von Plastikspielzeug und Fundobjekten beleuchten die Plastiken die Potenz der Frau und hinterfragen zugleich kritisch traditionelle Rollen als Ehefrau, Mutter und sexualisierter Körper in der westlichen Nachkriegsgesellschaft.

Alle Macht den Nanas

Niki de Saint Phalle, Nana rouge jambes en l'air, um 1968, Polyester, bemalt, auf Eisendraht, 220 x 185 x 120 cm, Leopold-Hoesch Museum, Düren / Peter Hirnschläger, Aachen, © 2023 Niki Charitable Art Foundation / Adagp, Paris © Foto Diether von Goddenthow
Niki de Saint Phalle, Nana rouge jambes en l’air, um 1968, Polyester, bemalt, auf Eisendraht, 220 x 185 x 120 cm, Leopold-Hoesch Museum, Düren / Peter Hirnschläger, Aachen, © 2023 Niki Charitable Art Foundation / Adagp, Paris © Foto Diether von Goddenthow

1965 stellte de Saint Phalle in Paris erstmals die neue Werkserie der Nanas vor, die sie als ein „Jubelfest der Frauen“ bezeichnete. Anders als die frühen Assemblagen verkörpern die in leuchtenden Farben bemalten, üppigen und oft schwangeren Frauenfiguren mit prallen Brüsten, großen Hinterteilen und kleinen Köpfen Lebensfreude und Stärke und rufen ein von Unterdrückung befreites Matriarchat aus. In der Folge entstanden Nanas in vielen Ausführungen, in unterschiedlichen Materialien, Größen und Farben, als Skulpturen im öffentlichen Raum oder als begehbare Nana Häuser.

Modell von „Hon“, die Kathedrale Skulptur von Jean Tinguely und Niki de Saint Phalle im Moderna Museet in Stockholm. In Original: 25 Meter lang, 9 Meter breit und 6 Meter hoch, Hon ist eine  Skulptur in Gestalt einer liegenden Schwangeren, in deren Bauch die Besucher durch eine übergroße Vagina gelangen. Hier gab es Angebote von einer Ausstellung gefälschter Gemälde und Kurzfilme über Unterhaltung und Kurzfilme bis hin zu einem Planetarium in der linken und einer Milchbar in der rechten Brust. © Foto Diether von Goddenthow
Modell von „Hon“, die Kathedrale Skulptur von Jean Tinguely und Niki de Saint Phalle im Moderna Museet in Stockholm. In Original: 25 Meter lang, 9 Meter breit und 6 Meter hoch, Hon ist eine Skulptur in Gestalt einer liegenden Schwangeren, in deren Bauch die Besucher durch eine übergroße Vagina gelangen. Hier gab es Angebote von einer Ausstellung gefälschter Gemälde und Kurzfilme über Unterhaltung und Kurzfilme bis hin zu einem Planetarium in der linken und einer Milchbar in der rechten Brust. © Foto Diether von Goddenthow

Für das Moderna Museet in Stockholm realisierte die Künstlerin, wie oben bereits erwähnt, 1966 zusammen mit Per Olof Ultvedt und Jean Tinguely die Großskulptur Hon – En Kathedral (Sie – Eine Kathedrale), eine durch die Vagina begehbare Nana, in deren Inneren sich ein Vergnügungspark für Erwachsene u. a. mit Milchbar, Planetarium, Kino und Ausstellungen befand. Die Schirn zeigt ein Modell davon sowie eine Skizze und dokumentarisches Material der 25 Meter langen, 9 Meter breiten und 6 Meter hohen Figur, von der nur der Kopf erhalten geblieben ist.

Als Gegenserie zu den befreiten Nanas konzipierte die Künstlerin in den 1970er-Jahren The Devouring Mothers (Die verschlingenden Mütter), die den Konventionen verhaftete alternde Frauen darstellen. Die Schirn zeigt Tea Party, ou Le Thé chez Angelina (Tea Party, oder Tee bei Angelina, 1971) und La Toilette (Die Körperpflege, 1978). Hier wie auch in der gleichnamigen illustrierten Publikation The Devouring Mothers, Storybook (Die verschlingenden Mütter, Bilderbuch, 1972) und dem Film Daddy (1973) setzte sich de Saint Phalle u. a. mit der schwierigen Beziehung zu ihrer Mutter und dem Missbrauch durch den Vater in ihrer Kindheit auseinander. Im Begleitprogramm der Ausstellung präsentiert die Schirn neben Daddy auch den Film Un rêve plus long que la nuit (Ein Traum länger als die Nacht, 1976) der Künstlerin.

Niki de Saint Phalle Tempel aller Religionen, Modell aus dem Tarotgarten. © Foto Diether von Goddenthow
Niki de Saint Phalle Tempel aller Religionen, Modell aus dem Tarotgarten. © Foto Diether von Goddenthow

Die Faszination für architekturale Skulpturen begleitete de Saint Phalle seit Beginn ihres künstlerischen Schaffens. Bereits in den 1950er-Jahren hinterließen Besuche u. a. des Park Güell von Antoni Gaudí in Barcelona und des Palais idéal von Ferdinand Cheval in Hauterive in Frankreich einen nachhaltigen Eindruck. Die Absicht, Kunst in das Leben der Menschen zu integrieren, zieht sich in unterschiedlicher Form durch ihr Werk, als Motiv in den frühen Gemälden bis zu Gebäuden, Spielhäusern für Kinder und Skulpturen-Parks. Ab 1975 widmete sie sich verstärkt dem Tarotgarten, der zu ihrem künstlerischen Vermächtnis wurde. Über 20 Jahre arbeitete sie an diesem Großprojekt, das sie selbst finanzierte und an dem u. a. Jean Tinguely, Seppi Imhof und Rico Weber mitwirkten. Der Garten wurde am 15. Mai 1998 eröffnet und umfasst 22 teilweise begeh- und bewohnbare Monumentalskulpturen, die mit farbigen Mosaiksteinen, Keramik- und Spiegelscherben verkleidet sind. Die Schirn präsentiert Entwürfe, u. a. Sphinx (o. D.) und Magicien – House of Meditation (Magier – Haus der Meditation, 1978) sowie Modelle für Projekte, die nicht realisiert werden konnten, wie Temple of all Religions (Tempel aller Religionen, 1974–1988).

Niki de Saint Phalle Die Braut zu Pferd. 1997, Sprengel-Museum. © Foto Diether von Goddenthow
Niki de Saint Phalle Die Braut zu Pferd. 1997, Sprengel-Museum. © Foto Diether von Goddenthow

Die Auseinandersetzung mit politischen Themen findet sich in allen Schaffensphasen der Künstlerin. Ihre Schießbilder entstanden während des Algerienkrieges, der Kubakrise und der nuklearen Bedrohung im Kalten Krieg. In den 1980er-Jahren beteiligte sie sich als eine der ersten Künstlerinnen mit Aufklärungskampagnen am Kampf gegen AIDS. In diesem Kontext schuf sie auch die in der Schirn gezeigten Skulpturen Trilogie des obélisques (Trilogie der Obelisken, 1987) und Skull, Meditation Room (Schädel, Meditationsraum,1990). 2001 gestaltet de Saint Phalle in den USA eine Serie von Grafiken, die sich in eine lange Reihe piktografischer Briefe seit den 1960er-Jahren einfügt. Hierin verhandelte die Künstlerin öffentliche Diskurse u. a. in den USA, die bis heute relevant sind, wie etwa die mangelnde Regulierung der Waffenindustrie oder die Auseinandersetzung um Abtreibung und das Recht der Frau auf körperliche Selbstbestimmung. In Global Warming (Globale Erwärmung) kritisiert de Saint Phalle die Politik des damaligen republikanischen Präsidenten George W. Bush, der für sie die Vernachlässigung der Umweltprobleme verkörperte.

SCHIRN KUNST­HALLE FRANK­FURT am Main GmbH
Römer­berg
D-60311 Frank­furt am Main
Tel +49 69 299882-0
Fax +49 69 299882-240

Ausstellungen Klima_X bis 27.08. u. ab 6.10. „STREIT. Eine Annäherung“ zum Paulskirchenjubiläum u. vieles mehr im Museum für Kommunikation Frankfurt

Ausstellungsansicht „STREIT. Eine Annäherung“ © Museumsstiftung für Post und Telekommunikation, Foto: Kay Herschelmann
Ausstellungsansicht „STREIT. Eine Annäherung“ © Museumsstiftung für Post und Telekommunikation, Foto: Kay Herschelmann

Seit dem zweiten Halbjahr 2022 seien die Besucherzahlen im Museum für Kommunikation nahezu schon fast wieder auf dem Vorcorona-Niveau, freut sich Museums-Direktor Dr. Helmut Gold beim heutigen Jahrespressegespräch mit Rück- und Ausblick auf das Ausstellungsprogramm und die Projekte 2023.

Während der Pandemie, als die Besucherzahlen stark eingebrochen waren, hat das Museum seine Livestream-Angebote mit großem Erfolg stark ausgebaut. Einige Vorträge und Diskussionen fanden ausschließlich online statt und erfreuten sich guter Zugriffszahlen. Das Museum wird auch 2023 diesen Mix aus analogen, digitalen und hybriden Veranstaltungsangeboten fortführen.

Publikumsmagneten 2022 waren das überaus erfolgreiche Museumsuferfest (ca. 15.000 Besucher) sowie der Internationale Museumstag im Sammlungsdepot in Heusenstamm, der mit 1.100 Gästen so viel Resonanz wie noch nie hatte. Bei Führungen und Aktionen konnten die Besucher die einzigartigen Bestände der Museumsstiftung für Post und Telekommunikation, das sind schätzungsweise 90 Prozent der Gesamtsammlung des Museums, erleben.

„2022 war auch geprägt durch das Ausstellungsprojekt KLIMA_X, das uns über das gesamte Jahr hinweg begleitete: Bereits im Vorfeld zur Eröffnung hatte das Museum im Schulterschluss mit zahlreichen Kooperationspartnern, Initiativen und Gruppen Veränderungsaktionen auf den Weg gebracht, um das Bewusstsein für Veränderung nachhaltig in der Stadtgesellschaft zu verankern. Das breite Spektrum des Publikums– von Interessensverbänden über Verbraucherzentrale und Stadtplanungsamt bis hin zu Akteurinnen und Akteuren aus Schulen und dem kirchlichen Bereich – zeigt, dass es gelungen ist, unser bestehendes Publikum um neue Gruppen zu erweitern“, Dr. Helmut Gold.

KLIMA_X bis 27.08.2023
Die große Sonderausstellung KLIMA_X geht noch bis 27.8.2023. Dabei wird wird auch der Denkraum „Klima & Du“ bis zum 10.9.2023 kontinuierlich um neue Ausstellungsobjekte erweitert, die von Gruppen, Klassen oder Einzelpersonen eingereicht werden.
Worum geht es bei KLIMA_X? Wir kennen alle die Last der guten Vorsätze: Wir wollen weniger Zucker essen, unseren Fleischkonsum reduzieren, uns mehr bewegen, nicht mehr Rauchen oder das Fahrrad statt das Auto nehmen. Oft wissen wir bereits, was gesund und gut für uns wäre, doch die Umsetzung fällt uns schwer. Das gilt auch in Bezug auf die Klimakrise. Starkregen, Hitzeperioden oder Dürren haben wir bereits erlebt und Klimawissenschaftler:innen auf der ganzen Welt haben valide Klimadaten vorgelegt. Wir wissen, dass wir CO2 Emissionen deutlich reduzieren müssen, um unseren Lebensraum zu erhalten. Wir wissen, dass wir unsere Mobilität, Ernährung und unseren Konsum verändern müssen. Wir wissen, dass das Thema uns alle angeht – im Großen die Politik und Wirtschaft und im Kleinen jeden in der persönlichen Lebensführung. Doch warum tun wir nicht, was wir wissen?

Die Ausstellung geht diesen Fragen nach und lädt die Besuchenden ein, den eigenen Veränderungstyp auszukundschaften. Denn jeder Mensch geht mit Veränderung unterschiedlich um und hat unterschiedliche Auffassungen dazu. Frei nach dem Motto: Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.
Klima & Du. Ein partizipativer Denkraum bis 10.9.2023
Was können wir als Einzelne und als Gesellschaft tun, um der Klimakrise zu begegnen? Begleitend zur großen Wechselausstellung KLIMA_X zeigen wir in den Kunst-Räumen Ergebnisse aus dem Vermittlungsprogramm und partizipativen Aktionen. Die Ausstellung verändert sich mit der Zeit und ermöglicht Gruppen und Initiativen, sich zu beteiligen. Unter anderem sind hier die Gewinnerentwürfe der Aktion „Kinder gestalten eine Briefmarke“ (Deutsche Post) zum Thema Nachhaltigkeit zu sehen und Ergebnisse des Kooperationsprojekts mit der Ev. Akademie Frankfurt „#change: Werkstatt für Veränderung“.
Aktion „Meine Idee“:
Was können wir für eine klimagerechte Zukunft tun? Wie stellen sich die Besuchenden eine lebenswerte Zukunft vor? In dem partizipativen Denkraum „Klima & Du“ bieten wir eine Mikro-Ausstellungsfläche, um als Einzelne, Institution, Klasse, Gruppe oder Künstler:in Ideen zu präsentieren und mit Besuchenden in Dialog zu treten.

„HumANimal. Das Tier und Wir“ vom 2.03. bis 15.10.2023

Ausstellungsansicht „Humanimal. Das Tier und Wir“ © Badisches Landesmuseum Karlsruhe, Foto: ARTIS – Uli Deck
Ausstellungsansicht „Humanimal. Das Tier und Wir“
© Badisches Landesmuseum Karlsruhe, Foto: ARTIS – Uli Deck

Aus kulturgeschichtlicher Perspektive um das wechselvolle, oftmals widersprüchliche Verhältnis von Mensch und Tier geht es vom 2.03. bis 15.10.2023 in der Ausstellung „HumANimal. Das Tier und Wir.“ Egal ob verehrte Gottheit oder ertragreiches Schlachtvieh, verwöhntes Familienmitglied oder nützliche Arbeitskraft: Die individuelle Beziehung zu Tieren prägt den Alltag eines jeden Menschen und rührt an nichts Geringerem als dem menschlichen Welt- und Eigenverständnis: „Wie halten wir es mit dem Fleischkonsum?“, „ Seit wann leben Hund und Katze mit uns unter einem Dach“ usw. Die auf 130 Quadratmetern eigentlich kleine Schau gibt einen facettenreichen kulturhistorischen Überblick über die Mensch-Tier-Beziehung von der Antike bis heute. Humanimal“ ist eine Ausstellung produziert vom Badischen Landesmuseum Karlsruhe.

STREIT. Eine Annäherung 6.10.2023 bis 25.08.2024
Mit einer großen Ausstellung, die die KLIMA_X-Schau ablösen wird, widmet sich das Museum für Kommunikation Im Jahr des Paulskirchenjubiläums dem gewaltigen Thema „Streit“ als Teil der menschlichen Kommunikation. Streit begegnet uns täglich: in den Medien, in politischen oder gesellschaftlichen Debatten, in der Familie oder in Beziehungen. Die Ausstellung STREIT. Eine Annäherung betrachtet die Entwicklungen, Herausforderungen und die Relevanz von „Streit“ aus historischer, kommunikativer, politischer und persönlicher Perspektive.
Mit rund 150 „streitbaren“ Objekten, Fotografien, Medien und künstlerischen Positionen eröffnet die Ausstellung „STREIT. Eine Annäherung“. Sie zeigt aus historischer, kommunikativer und politischer, aber auch persönlicher Perspektive welche Herausforderungen sich im Streit stellen – und welche Entwicklungen möglich sind.

Hello! Where are you? – Hallo! Wer da? Vom 17.9.2023 bis Frühjahr 2024

Ausstellung „Hallo! Wer da?“ Modelle von links nach rechts: Motorola International 3200 (1992), Motorola 5200 (1994), Nokia 5110 (1997), Siemens C25 (1999), iPhone 3G (2008), iPhone 4 (2010), Huawei P8lite (2019) © Museumsstiftung für Post und Telekommunikation, Foto: Bert Bostelmann
Ausstellung „Hallo! Wer da?“ Modelle von links nach rechts: Motorola International 3200 (1992), Motorola 5200 (1994), Nokia 5110 (1997), Siemens C25 (1999), iPhone 3G (2008), iPhone 4 (2010), Huawei P8lite (2019) © Museumsstiftung für Post und Telekommunikation, Foto: Bert Bostelmann

Da Slowenien in diesem Jahr Ehrengastland bei der Frankfurter Buchmesse (18. bis 22.10.2023) ist, kooperiert das Museum für Kommunikation mit dem slowenischen Museum für Post und Telekommunikation. In der gemeinsamen Ausstellung „Hello! Where are you? – Hallo! Wer da?“ werden sie die bis zu den 1990er Jahren noch recht unterschiedliche und dann parallele Entwicklung des Mobilfunks in Deutschland und in Slowenien präsentieren.
Mit „Hallo! Wo bist du? [Halo! Kje si?]“ haben sich die Menschen dort am Handy gemeldet, als das Mobiltelefon noch ganz neu war und sie nicht wussten, von wo aus sie angerufen wurden, daher dieser Titel. Der Anruf wird symbolisch angenommen mit dem der Rückfrage: „Hallo! Wer da?“ Anhand von Objekten aus den Sammlungen beider Museen und ausgewählten Nutzungsgeschichten erfahren die Besuchenden mehr über die technischen Meilensteine des Mobilfunks und der Entwicklung der slowenischen und deutschen Handykultur – von den wechselhaften Anfängen der Mobiltelefonie in unterschiedlichen politischen Systemen bis in die gemeinsame Gegenwart und Zukunft globaler Kommunikation. Auch die Besucherinnen und Besucher können vor Ort mit ihrer eigenen Handygeschichte an unserem gemeinsamen Gespräch teilnehmen.

#KRISENALLTAG ab 10.11.2023 bis Frühjahr 2024
Im Zuge der Corona-Pandemie rückten öffentliche Gesundheitsinstitutionen und ihre Krisenkommunikation in den Fokus. Die Ausstellung #KRISENALLTAG zeichnet die kommunikativen Herausforderungen nach und zeigt, wie die Bevölkerung auf Informationen, Warnungen, Handlungsempfehlungen und -anweisungen reagierte. Eine Ausstellung in Kooperation mit dem Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR)

Auswahl Veranstaltungen 2023

KLIMA_X: Blühwiese zwischen dem Museumsneubau und der historischen Villa © Museum für Kommunikation Frankfurt
KLIMA_X: Blühwiese zwischen dem Museumsneubau und der historischen Villa © Museum für Kommunikation Frankfurt

Mi, 8.3.2023, 19 Uhr
Frankfurter Premieren: Wenn Du geredet hättest, Desdemona
1983 erschien das Buch „Wenn du geredet hättest, Desdemona. Ungehaltene Reden ungehaltener Frauen“ von Christine Brückner. Es wurde zu einem großen Erfolg, denn die Monologe, die Christine Brückner bekannten Frauen aus Literatur und Geschichte in den Mund legte, machten auch auf dem Theater Furore.Zum 100. Geburtstag von Christine Brückner haben der S. Fischer Theater und Medien Verlag und die Stiftung Brückner-Kühner in Kooperation mit dem Archiv der deutschen Frauenbewegung, der Stadt Kassel und dem Hessischen Rundfunk einen Aufruf gestartet. Gesucht wurden neue Reden von gesellschaftlicher und persönlicher Bedeutung. Am Weltfrauentag werden Reden von ausgewählten Autorinnen vorgetragen.
Eine Veranstaltung in Kooperation mit dem Frauenreferat und dem Kulturamt Frankfurt

Do, 27.4.2023, 19 Uhr
Frankfurt liest ein Buch: Von unten stark
Lesung von Deniz Ohde aus ihrem Roman „Streulicht“ und anschließendes Gespräch mit Anja Kittlitz (SchlaU-Werkstatt)
„Nichts war je von mir ausgegangen, alles ist immer nur auf mich eingefallen“ – so heißt es in Deniz Ohdes Roman über das Erwachsenwerden am Rande des Industrieparks Höchst. Wie gelingt es, sich als Jugendliche von Zuschreibungen zu befreien und die eigene Biografie zu gestalten? Darüber spricht die Autorin mit der Kulturwissenschaftlerin Anja Kittlitz.
Eine Veranstaltung in Kooperation mit der Crespo Foundation.

Sa, 13.5.2023, 19-2 Uhr
Nacht der Museen
Lebenswert, nachhaltig, zukunftsgewandt: Grün ist unser Motto für die Nacht der Museen 2023 am 13.5.2023. Ein buntes Programm im Lichthof des Museums wird ergänzt mit Kurzführungen in den Ausstellungen.

Fr-So, 25.-27.8.2023
Museumsuferfest
Zum Museumsuferfest vom 25. bis 27. August 2023 lassen wir die Tiere los: Am letzten Wochenende im August dreht sich das gesamte Programm um die Ausstellung „Humanimal“. Außerdem spielt die Bigband der Deutschen Telekom im Lichthof.

Museum für Kommunikation Frankfurt a. M
Schaumainkai 53 (Museumsufer)
60596 Frankfurt am Main
E-Mail: mfk-frankfurt@mspt.de