Kategorie-Archiv: Baukultur

Diether von Isenburg-Flügel des Mainzer Schlosses erstrahlt im Neuen Glanz

Der Diether von Isenburg-Flügel des Kurfürstlichen Schlosses präsentiert sich nun in neuem Glanz.©  Foto: Diether v Goddenthow
Der Diether von Isenburg-Flügel des Kurfürstlichen Schlosses präsentiert sich nun in neuem Glanz.© Foto: Diether v Goddenthow

Mit einem Empfang und einer Weinprobe am Montag, 19. August 2019, im Gewölbesaal des Kurfürstlichen Schlosses feierten Oberbürgermeister Michael Ebling gemeinsam mit Bau- und Kulturdezernentin Marianne Grosse und Erika Friderichs, der langjährigen Leiterin des Denk!Mal Netzwerkes (MDN), die Fertigstellung des umfänglich sanierten Diether von Isenburg-Flügels des Kurfürstlichen Schlosses. Das Mainzer Denk!Mal Netzwerk setzt sich seit 15 Jahren für den Erhalt der Mainzer Baudenkmäler ein. So konnten die Fassade des Hauses „Zum Römischen Kaiser“, sechs Rheintore und auch die gesamte Fassade des Isenburg-Flügels des Kurfürstlichen Schlosses nur dank dieser großen Unterstützung und damit weiterer gewonnener Förderungen restauriert werden. Bei diesem Anlass übergab Erika Friderichs nach nun 15 Jahren unermüdlichen und erfolgreichen denkmalpflegerischen Engagement ihre Leitungsfunktion an Peter Krawietz. Der Oberbürgermeister ehrte sie mit einer besonderen Urkunde ihrer Heimatstadt Mainz. Zu den Gratulanten zählte auch Finanzministerin Doris Ahnen unter anderem mit den Worten: „Sie haben sich im besten Sinne des Wortes um das Allgemeinwohl verdient gemacht!“.

Oberbürgermeister Michael Ebling überreicht Erika Friderichs, langjährige Leiterin des Denk!Mal Netzwerk, eine Dankesurkunde für ihr großartiges Engagement als einen Wertscheck für einen weiteren Baustein für das Kurfürstliches Schloss..  ©  Foto: Diether v Goddenthow
Oberbürgermeister Michael Ebling überreicht Erika Friderichs, langjährige Leiterin des Denk!Mal Netzwerk, eine Dankesurkunde für ihr großartiges Engagement als einen Wertscheck für einen weiteren Baustein für das Kurfürstliches Schloss.. © Foto: Diether v Goddenthow

Zuvor hatten Interessenten die Möglichkeit die Sanierungsarbeiten des Isenburg-Flügels mit fachkundiger Erläuterung des Architekten Franz Kurz in Augenschein zu nehmen. Sein Anliegen, nämlich den Mainzern das Schloss wieder so zu übergeben, wie es ursprünglich mal gebaut und gestaltet war und wie es der große Kunsthistoriker Georg Dehio (1850–1932) beschrieben hatte, ist Franz Kurz vollends gelungen. Nachdem das Mainzer Schloss 1942 im Bomenhagel bis auf die Außenmauern und ein paar wenige überwölbte Räume untergegangen und nach dem Krieg seit 1948 trotz der großen Materialknappheit, die damals geherrscht hatte, wieder aufgebaut worden war, wurde nunmehr doch eine größere Sanierung notwendig. „Man hatte damals auch nicht diese Mörtel, die wir zur Sanierung wieder haben, so dass eben die Schäden, die wir ausbessern mussten, nicht nur Schäden waren, die noch kriegsbedingt vorhanden waren, sondern auch erste Sanierungen betrafen, die eben nicht mehr brauchbar waren“, begründete Kurz den notwendigen Umfang der Maßnahmen, die insgesamt 4,3 Millionen Euro kosteten. 703 000 Euro davon kamen von der Stadt und zwar aus Bauunterhaltungsmitteln der GWM. Weitere 704 000 Euro stammten aus dem Denkmalpflege-Programm des Bundes sowie 543 000 Euro vom Land. 2,34 Millionen Euro haben das Mainzer Denkmalnetzwerk und die Deutsche Stiftung Denkmalschutz zugestiftet.

Architekt Franz Kurz erläutert fachkundig die zurückliegenden umfangreichen Sanierungsarbeiten. ©  Foto: Diether v Goddenthow
Architekt Franz Kurz erläutert fachkundig die zurückliegenden umfangreichen Sanierungsarbeiten. © Foto: Diether v Goddenthow

Der Aufwand hat sich gelohnt, denn mit Sicherheit könne man sagen, dass das Schloss bei seiner Fertigstellung 1752 in diesem Farbton genauso ausgesehen hat wie jetzt nach den Sanierungsarbeiten, so Architekt Franz Kurz. Man habe handflächengroße Reste der Originalfarbe im Innenhofbereich gefunden und nach Vorgabe des Landesdenkmalamtes den Farbton in einer Mineralfarbe nachgemischt. Diese silikatische, nur aus Pigmenten und aus Kaliwasserglas bestehende Farbe bilde keinen Film wie eine Dispersionsfarbe, sondern verkiesele mit dem Untergrund- Sie halte eins, zwei Generationen, müsse jedoch, abhängig von Umwelteinflüssen wohl nach 30 Jahren nachgearbeitet werden, so der Architekt.

Entschieden länger, etwa 80 bis 90 Jahre, halten die Arbeiten an der Fassade, die Steinsanierungen, bevor man da wieder etwas tun müsse. Die Steinsanierung habe sich im Wesentlichen darauf bezogen, „dass wir mürbe Steine ganz ausgebaut haben, und durch Neuteile ersetzt haben. Kleinere Schäden wurden ausgearbeitet, und da wurden sogenannte Vierungen eingesetzt, also nur Teilstücke des Steines ergänzt, und kleine etwa bis handtellergroße vorhandene Schäden wurden durch Antragmörtel repariert“, erklärt Kurz. Es gebe zahlreiche Neuteile, Vierungen und Antragungen, die jedoch so perfekt eingearbeitet wurden, dass sie als solche nicht identifizierbar wären.

Probleme haben die Balkone bereitet. Da aus statischen Gründen Risse in den tragenden Konsolen nicht geklammert werden konnten, habe man in die beiden äußeren Masken eine Kernbohrung durch die Konsole und Außenwand mit einem Durchmesser von 8 cm durchgeführt. Hierdurch habe man dann einen 22 Millimeter starken Spannstahl durchgeschoben und diesen von beiden Seiten mit Hilfe von jeweiligen Konterplatten und Muttern gekontert und somit eine Konstruktion geschaffen „wie bei Spannbeton. Und dann haben wir die ausgebohrten Bohrkerne wieder aufgesetzt und das Ganze überarbeitet, und kein Mensch sieht, was wir da gemacht haben“, ist Kurz sichtlich stolz auf diese gelungene Arbeit.

Bei der Gestaltung der Fenster waren sich Kurz und das Denkmalamt sicher, dass diese einst original natursichtig waren und keine weiße Rahmen hatten wie die auf der Rheinseite. Denn zur Bauzeit des Schlosses war die aus Frankreich kommende Mode, Fenster weiß zu streichen, noch nicht bis Mainz vorgedrungen. Zudem gab es historische Schloss-Abbildungen, auf denen man keine weißen Fenster erkennen konnte.

Auf eine Besonderheit weist Kurz noch in seiner Architekturkritik hin: „als 1752 hier das Objekt fertiggestellt wurde, war ja in Mainz schon lange der Barock zuhause“, erläutert er, und nennt als Beispiele das „Deutschhaus“, welches von 1730 bis 1731 errichtet worden war, den Dalberger Hof, den Ertaler Hof, der 1743 fertig gestellt war und den Osteiner Hof, des Bauherrn eigenes Stadt-Palais, welches in einem wunderschönen Barock ebenfalls 1752 fertig gestellt worden war.
Kurz glaubt aber, dass der Architekt als Dienstleister seines Auftraggebers eher dessen Wünsche als seine eigenen Überzeugungen verwirklicht habe. Denn dass sich der Architekt wohl schwer getan hat, im Stile der Renaissance zu bauen, sähe man „an vielen Barock-Elementen, die er in seine Gestaltung eingebracht hat“, so Kurz. Es gäbe ein signifikantes Merkmal, nämlich, dass er auf den Einbau der für die deutsche Renaissance typischen Kreuzstockfenster, auf die Fenster mit dem Natursteinkreuz, verzichtet habe. Stattdessen habe er offene Fenster als ein typisches Element barocker Gestaltung verwendet. Der Architekt öffnete sich zum Licht und wollte Licht in das Gebäude holen. Weitere Hinweise auf barocke Akzente, die er gesetzt habe, seien auch die Verwendungen von Pilastern in einer für den Barock klassisch gegliederten Säulenordnung, nämlich in dorische, ionische und korinthische Ordnung.

©  Foto: Diether v Goddenthow
© Foto: Diether v Goddenthow

Das Tüpfelchen auf dem „I“ für die barocken Ambitionen des Architekten seien diese schon geschwungenen Balkone, zwar etwas zurückhaltend, nicht wie bei den Barock-Palais in der Stadt, aber immer doch schon sehr lebhaft geschwungen, so Kurz. Und auch die Barock-Konsolen mit den Masken seien nicht typisch für die Renaissance, sondern reichten schon in das Barock hinüber.

Damit habe der Architekt schon gezeigt, dass er in der Mode des Barockes zuhause ist. Und er habe deutlich gemacht, „dass er eben, nennen wir es unter Zwang, sich zurückgenommen hat, um dem Ganzen das Gepräge der Renaissance noch zu geben, und ein einheitliches Bauwerk zu schaffen. Das ist eben aus meiner Sicht seine besondere Leistung“, so Kurz, der abschließend den Kunsthistoriker Georg Dehio (1850–1932) mit den Worten über das Mainzer Schloss zitiert: „Kein Bau von großem Wurf, aber einer feinen und vornehmen Kultur, wie sie in der Deutschen Renaissance nicht wieder zu finden ist“.

Diether v. Goddenthow / Rhein-Main.Eurokunst

siehe auch:
Bürgerengagement unterstützt mit Millionenbetrag

800 Jahre alte Frankfurter Kirche St. Leonhard nach aufwendigen Sanierungsarbeiten wieder eröffnet

Frankfurts älteste erhaltene Kirche St. Leonhard kurz vor der Wiedereröffnung nach langjähriger Sanierung. ©  Foto: Diether v Goddenthow
Frankfurts älteste erhaltene Kirche St. Leonhard kurz vor der Wiedereröffnung nach langjähriger Sanierung. © Foto: Diether v Goddenthow

(ffm) Mit einer Eucharistiefeier ist die Dotationskirche St. Leonhard nach aufwendigen Sanierungs- und Restaurierungsmaßnahmen wieder eröffnet und kann der Gemeinde übergeben sowie von Besuchern besichtigt werden. Bischof Georg Bätzing wird während des Gottesdienst den Altar weihen.

„Die Kirche St. Leonhard ist eines der bedeutendsten und beeindruckendsten Denkmäler der Stadt Frankfurt. Sie hat eine herausragende historische Stellung und ich freue mich, dass wir nach den langen und umfangeichen, aber notwendigen Sanierungsarbeiten die Kirche heute weitestgehend wieder öffentlich zugänglich machen können. Dies pünktlich zur 800-Jahr-Feier zu ermöglichen war mir ein großes Anliegen, auch wenn die ursprüngliche Planung eine deutlich frühere Fertigstellung vorgesehen hatte. Jedoch hatten umfangreiche Funde vergrabener kulturhistorischer Schätze, Veränderungen am Gebäude und weitere Faktoren zur Verlängerung der Bauzeit geführt. Die jetzige Eröffnung ist daher ein noch größerer Grund zur Freude. Die Kirche St. Leonhard liegt mir, wie vielen Frankfurterinnen und Frankfurten, sehr am Herzen“, sagt Bürgermeister und Kirchendezernent Uwe Becker.

Die fast lebensgroße Sandsteinskulptur "Atzmann" wurde bereits 2011 ausgegraben. ©  Foto: Diether v Goddenthow
Die fast lebensgroße Sandsteinskulptur „Atzmann“ wurde bereits 2011 ausgegraben u. ist im Dommuseum zu sehen. © Foto: Diether v Goddenthow

Bei den seit 2011 laufenden Sanierungsarbeiten konnte unter der nördlichen Seitenapside in zwei Metern Tiefe ein Stück des romanischen Vorgängerbaus ausgegraben werden, und es war möglich, Bauteile eines weiteren, noch älteren Gebäudes nachzuweisen. In der zum Main gelegenen Seitenapside wurde eine als Sensationsfund geltende Figurengruppe aus der Spätgotik, die drei klagende Menschen darstellt, gefunden. Beim weiteren Ausgraben des bisherigen Kirchenbodens wurde ein „Atzmann“, eine steinerne, fast mannsgroße Figur, ebenfalls aus dem 15. Jahrhundert, freigelegt. Der „Atzmann“ stand vermutlich in der Nähe des Altars und trug die Bibel oder liturgische Bücher. Auch konnten Reste einer Wandmalerei gefunden werden, die auf die frühere Außenmauer der Sakristei aufgemalt waren. Auch konnten Reste einer Wandmalerei gefunden werden, die auf die frühere Außenmauer der Sakristei aufgemalt waren. St. Leonhard verbarg viele außergewöhnliche Schätze.

„Die herausragende historische Stellung von St. Leonhard ist 800 Jahre später durch die Funde im Rahmen der Arbeiten nur noch weiter unterstrichen worden“, betont Becker. „Jetzt endlich, nach den langjährigen Arbeiten, die durch unvorhersehbare Überraschungen bei den umfangreichen Sanierungsmaßnahmen, als auch durch die gefundenen historischen Schätze immer wieder verzögert wurden, kann die Kirche in neuem Glanz erstrahlen.“

Als spätromanische Basilika ist sie 1219 als Pilgerkirche auf dem historischen Jakobsweg und dem Weg nach Jerusalem errichtet und später gotisch umgebaut worden. Für ihren Bau schenkte der Stauferkönig Friedrich II. der Stadt das Grundstück, was aus einer Urkunde aus dem Jahr 1219 hervorgeht. St. Leonhard ist somit nach dem Dom die zweite Stiftskirche Frankfurts. Den Zweiten Weltkrieg hat die Kirche ohne größere Schäden überstanden. Trotzdem musste die Dotationskirche St. Leonhard in den vergangenen Jahren umfangreich saniert und renoviert werden.

Die Dotationsverpflichtung der Stadt Frankfurt ist in Deutschland einmalig und in den sogenannten Dotationsurkunden hat der Rat der Freien Reichsstadt Frankfurt, damals ein souveräner Staat, den Kirchen zugebilligt, die Gebäude dauerhaft in gutem Zustand zu erhalten. Aus diesem Grund befinden sich seit Anfang des 19. Jahrhunderts befinden sich acht evangelischen und katholischen Innenstadtkirchen im Eigentum der Stadt Frankfurt am Main. Heute geht unser Engagement weit über die Bauunterhaltung hinaus, denn für die Stadt Frankfurt am Main ist die Dotationsverpflichtung auch ein Bekenntnis zur eigenen Kulturgeschichte.

Von 2005 bis 2008 wurde das Äußere die Kirche St. Leonhard aufwändig saniert, die Kosten lagen bei rund 3 Millionen Euro. Von 2011 bis 2019 wurde das Innere der Kirche saniert. Die Gesamtkosten für die Innensanierung liegen bei rund 11,25 Millionen Euro.

Parallel zur Wiedereröffnung der Kirche St. Leonhard zeigt das Frankfurter Dommuseum die Ausstellung „Schätze aus dem Schutt“  

Mathildenhöhe zeigt zum Bauhausjubilaeum: Künstlerhaus Meisterhaus Meisterbau vom 30.06 – 20.10.2019

© Institut Mathildenhöhe
© Institut Mathildenhöhe

Im Rahmen des 100-jährigen Bauhaus-Jubiläums präsentiert das Institut Mathildenhöhe vom 30. Juni – 20. Oktober 2019 die Sonderausstellung „Künstlerhaus Meisterhaus Meisterbau“ im Museum Künstlerkolonie, in der die Bedeutung der Mathildenhöhe für die Entstehung des Bauhauses und der Architektur nach 1945 aufgezeigt wird. Die Ausstellung der Künstlerkolonie Darmstadt auf der Mathildenhöhe im Jahr 1901 bildete die weltweit erste internationale Bauausstellung auf Dauer und beeinflusste zahlreiche Ausstellungen und städtebauliche Projekte. Vor allem Joseph Maria Olbrich und Peter Behrens setzten mit ihrer modernen und zukunfsorientierten Architektur sowie der allumfassenden Innenraumgestaltung neue Impulse, die in dem von ihnen mitgegründeten Werkbund und später vom Bauhaus weiterentwickelt worden sind. Nicht zufällig haben die Bauhaus-Direktoren Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe früh in ihrer berufl ichen Lau ahn für Behrens gearbeitet und dort dessen Zusammenführung von Handwerk, künstlerischer Gestaltung und industrieller Produktion kennengelernt. In der Nachkriegszeit bot die Künstlerkolonie Darmstadt den Ideenhorizont für den Wiederau au der Stadt als Designund Architekturzentrum, der in mehreren „Meisterbauten“ von führenden Architekten wie Max Taut, Otto Bartning und Ernst Neufert mündete.

ÖFFNUNGSZEITEN OPENING
Dienstag bis Sonntag 11 – 18 Uhr

EINTRITT
5 € / 3 € ermäßigt
3 € Führungen
Soweit nicht anders angegeben sind die
Veranstaltungen im Eintrittspreis inbegriffen.

Institut Mathildenhöhe
Olbrichweg 15
64287 Darmstadt
TELEFON +49 6151 132778
E-MAIL mathildenhoehe@darmstadt.de

ALLE TERMINE BIS 30. SEPTEMBER IM ÜBERBLICK

Mittwoch, 21. August 2019, 19 Uhr
VORTRAG
Das Architektenhaus – Eine Ausstellungspraxis
Vortrag: Dr. Lil Helle Thomas
Ort: Museum Künstlerkolonie, Olbrichweg 13 A, 64287 Darmstadt

Donnerstag, 22. August 2019, 16 Uhr
TEACHER’S AFTERNOON
Mit Sandra Bornemann-Quecke
Anmeldung: mathildenhoehe@darmstadt.de
T +49(0)6151 132808

Sonntag, 25. August 2019, 15 Uhr
Öffentliche Führung durch „Künstlerhaus – Meisterhaus – Meisterbau“
Museumseintritt zzgl. 3 €

Donnerstag, 29. August 2019, 16 Uhr
KURATORENFÜHRUNG
Mit Dr. Philipp Gutbrod

Sonntag, 1. September 2019, 15 Uhr
Öffentliche Führung durch „Künstlerhaus – Meisterhaus – Meisterbau“
Museumseintritt zzgl. 3 €

Sonntag, 1. September 2019, 15 Uhr
Kinderführung durch „Künstlerhaus – Meisterhaus – Meisterbau“
Museumseintritt zzgl. 3 €

Donnerstag, 5. September 2019, 16 Uhr
Englischsprachige Führung durch „Künstlerhaus – Meisterhaus –
Meisterbau“
Museumseintritt zzgl. 3 €

Sonntag, 8. September 2019, 15 Uhr
Öffentliche Führung durch „Künstlerhaus – Meisterhaus – Meisterbau“
Museumseintritt zzgl. 3 €

Donnerstag, 12. September 2019, 19 Uhr
VORTRAG
„Wie wohnen wir gesund und wirtschaftlich?“ – Das neue Wohnen und das
Bauhaus
Vortrag: Taymas Matboo
Ort: Museum Künstlerkolonie, Olbrichweg 13 A, 64287 Darmstadt

Sonntag, 15. September 2019, 15 Uhr
Öffentliche Führung durch „Künstlerhaus – Meisterhaus – Meisterbau“
Museumseintritt zzgl. 3 €

Donnerstag, 19. September 2019, 11 Uhr
ROUTE DER INDUSTRIEKULTUR JUNIOR
Kinderführung mit Workshop zur zukunftsorientierten Architektur und
Innengestaltung auf der Mathildenhöhe

Sonntag, 22. September 2019, 15 Uhr
Öffentliche Führung durch „Künstlerhaus – Meisterhaus – Meisterbau“
Museumseintritt zzgl. 3 €

Sonntag, 29. September 2019, 15 Uhr
Öffentliche Führung durch „Künstlerhaus – Meisterhaus – Meisterbau“
Museumseintritt zzgl. 3 €

Institut Mathildenhöhe
Olbrichweg 15
64287 Darmstadt
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E-MAIL mathildenhoehe@darmstadt.de

Sonderausstellung „Beauty“: Lust am Schönen wecken – Abkehr von der psychotischen Gleichförmigkeit der Moderne bis 15.9.2019 im MAK Frankfurt

Gemeinsam mit seiner Studiopartnerin Jessica Walsh liefert er mit dem neuen Ausstellungsprojekt Beauty ein ganz persönliches, visuell beeindruckendes Plädoyer für die Lust am Schönen. Mit spektakulären interaktiven Installationen nimmt das renommierte Designduo Sagmeister & Walsh die Besucher*innen mit auf eine sinnlich-vergnügliche Suche: Was ist Schönheit und warum fühlen wir uns von ihr angezogen? © Foto: Diether v. Goddenthow
Gemeinsam mit seiner Studiopartnerin Jessica Walsh liefert er mit dem neuen Ausstellungsprojekt Beauty ein ganz persönliches, visuell beeindruckendes Plädoyer für die Lust am Schönen. Mit spektakulären interaktiven Installationen nimmt das renommierte Designduo Sagmeister & Walsh die Besucher*innen mit auf eine sinnlich-vergnügliche Suche: Was ist Schönheit und warum fühlen wir uns von ihr angezogen? © Foto: Diether v. Goddenthow

In diesen Tagen meldeten sich der in New York lebende Superstar des Grafikdesigns Stefan Sagmeister und seine Studiopartnerin Jessica Walsh nach ihrem grandiosen Happy Show-Erfolg mit ihrer zunächst in Wien gezeigten, noch bis 15.09.2019 laufenden großen Ausstellung „ Beauty“ im Frankfurter Museum Angewandte Kunst, zurück: „Wir wollen zeigen, warum diese Abkehr von der Schönheit so unsinnig war und was wir dagegen tun können“, erfahren Besucher gleich zu Beginn. Die Künstler möchten „beweisen, dass Schönheit in der Architektur und im Design keine Oberflächenstrategie ist, sondern zutiefst im menschlichen Sein wurzelt. Wir möchten einen längst überfälligen Diskurs um Schönheit anstoßen und demonstrieren, dass schöne Werke nicht nur mehr Freude machen, sondern auch viel besser funktionieren“.

Mit Beauty wollen die Ausstellungsmacher die Lust am Schönen als lebensbereichernde Dimension demonstrieren. Dabei üben sie heftige Kritik am übertriebenen Funktionalismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der, so die Ausstellungsmacher, bisweilen solch dogmatische Formen annahmen, „dass zahlreiche Architekt*innen und Designer*innen sich in eine psychotische Gleichförmigkeit verbissen.“ Ihr zentrales Versprechen konnten diese ironischerweise jedoch nicht halten, da es einfach nicht funktionierte.  Am eklatantesten zeige sich das, „an den in den 1970ern errichteten Wohnzweckbauten, die 30 Jahre später wieder abgerissen wurden, weil sie den Bedürfnissen nicht entsprachen.“

Die Entdeckung des Hässlichen als Schönheit

Sagmeister und Walsh fanden heraus, dass im Laufe des letzten Jahrhunderts Schönheit negativ besetzt war: „Renommierte Designer*innen behaupteten, kein Interesse an ihr zu haben, die Kunst entledigte sich ihrer nahezu vollständig, und stapelweise ließen sich Architekturbücher durchblättern, ohne dass man ein einziges Mal auf den Begriff Schönheit stieße.

Ist das Tragen modisch zerschliessener Kleidung im Zeitalter massenhaft, zerlumpt ankommender  Armutflüchtlinge nicht mindestens genauso dekandent wie einst die künstlichen Ruinen als Staffagebauten in englischen Landschaftsgärten? © Foto: Diether v. Goddenthow
(nicht in der Ausstellung) Ist das Tragen modisch zerschliessener Kleidung im Zeitalter massenhaft, zerlumpt ankommender Armutsflüchtlinge nicht mindestens genauso dekandent wie einst die künstlichen Ruinen als Staffagebauten in englischen Landschaftsgärten? © Foto: Diether v. Goddenthow

Die Abschaffung des Schönen mag wohl auch  längst in der Gesellschaft angekommen zu sein. So scheint „hässlich“ das neue „Hip“ zu sein.  «Ugly fashion», die Modeströmung zur Hässlichkeit,  signalisiert diese unaufhaltsame Lust am Unschönen, an der Disharmonie, am Chaos, am Destruktiven. Sie ist Ausdruck eines massenhaften Symptoms einer verdrehten Ästhetik. Die Modewelt scheint Kopf zu stehen: Kaputt, klobig, schräg und abseitig muss es sein: zerrissene Jeans und Klamotten, die nicht mal zur Altkleidersammlung taugen, ausufernde Turnschuhsohlen, Crocs und andere sperrige Latschen, klobige, einst als Kassengestelle verschriene und nun per Nerd-Image geadelte Brillen, bis hin zu das Gesichts entstellende Mehrfach-Piercings in Lippen, Nasen und Backen.
Als hielten  Menschen Balance,  Harmonie, Proportionen und  Vollkommenheit nicht mehr auch, soll möglichst alles quer und unstimmig sein.

Wer den Trend zum Hässlich-Chaotischen  als Spiegel gesellschaftlichen Geschmacks heranzieht,  ahnt, welche Botschaften von Ästhetik in der postmateriellen Gesellschaft angesagt sind. Anscheinend  ist die Lust am Zerschlagen von Harmonie und Kitsch einstiger Dadaisten, Surrealisten und Fluxus-Künstler mit  Verspätung in der breiten Masse angekommen. Es ist ein Trend zum Chaos, der sich im Bemühen   „dazuzugehören“ und „cool“ zu sein, seit Jahrzehnten selbst nährt, aber wohl bald seinen Höhepunkt erreicht haben dürfte. Denn wer hält auf Dauer schon soviel Disharmonie und Hässliches aus? Nicht von ungefähr fahren Menschen  im Urlaub an „schöne“ („heile“) oder suchen Kraft in der Vollkommenheit der Natur, um ihre Seele aufzutanken

Obgleich Menschen insgeheim nach Schönheit und Vollkommenheit streben, wovon paradoxerweise  vielen  mit der Huldigung von „Hässlichem“ einhergehenden  Trends zur Optimierung  von Körper und Aussehen zeugen, wird dieser Widerspruch im Bemühen „In“ zu sein kaum wahrgenommen oder einfach  ignoriert. Da laufen beispielsweise gesichtsgeliftete Damen in perfekt zurechtgehungerten Traumfiguren in teuren zerrissenen Designer-Jeans mit hässlich klobigen Brillen herum, ohne  diese Absurdität ihres Auftritts wahrzunehmen.

Im Auge des Betrachters und Anlegers?

Marcel Duchamp versuchte 1917 vergeblich das Standart-Urinal Fountain als antiästhetisches Statement auszustellen. Er versuchte die Schönheit aus der Kunst zu eliminieren, erläutern Sagmeister und Walsh. Foundain wurde in den 70er Jahren von 500 Experten/innen zum bedeutendsten Kunstwerk des 20. Jahrhunderts gewählt. Und was sagt Ihnen Ihr Bauchgefühl? © Foto: Diether v. Goddenthow
Marcel Duchamp versuchte 1917 vergeblich das Standart-Urinal Fountain als antiästhetisches Statement auszustellen. Er versuchte die Schönheit aus der Kunst zu eliminieren, erläutern Sagmeister und Walsh. Foundain wurde in den 70er Jahren von 500 Experten/innen zum bedeutendsten Kunstwerk des 20. Jahrhunderts gewählt. Und was sagt Ihnen Ihr Bauchgefühl? © Foto: Diether v. Goddenthow

In der Kunst scheint geschmacklicher Selbstbetrug oftmals noch nachhaltiger als in der Mode zu sein, da hier die Dinge zumeist viel ernster genommen werden,  oftmals im angestrengten Bemühen zu einer angenommenen kleinen tonangebenden Elite zu gehören, die fortschrittliche Kunst „versteht“ und „voranbringt“: Da avanciert bekanntermaßen schon mal eine „Fett-Ecke“ oder ein  „Schrotthaufen“ zu etwas Großartigem. Oder ein  Pissoir, wie das in der Ausstellung in Kopie gezeigte Sanitärporzellan von Duchamp, wird  als „Ready-Made“  zur neuen Kunst-Gattung ausgerufen, nachdem es 1917 als einziges von 2500 Werken nicht als Kunstwerk in der New Yorker „Big Show“ zugelassen wurde.
Die Debatten darüber, was Kunst sei und nicht, sind ja hinlänglich bekannt. Sie führen letztlich zu nichts. Wenn eben jemand für Jeff Koons Skulptur „Balloon Dog Orange“ (ein überdimensionaler Ballonhund)  43 Millionen  Euro bezahlt, ist das eben sein Privatvergnügen. Biennale Venedig, Documenta & Co. lassen grüßen. Denn letztlich ist es Ansichtssache,  was gefällt und was nicht. Nach dem „neuen Kunstbegriff“, was immer darunter zu verstehen ist, soll ja auch nicht wie einst die „schönen Künste“ gefallen und zur Erbauung des Menschen beitragen. Zu meinen, Kunst solle „schön sein“ ist eines der wohl größten Missverständnisse über die Bedeutung und das Wesen von Kunst seit Anfang des 20. Jahrhunderts. Kunst soll vor allem Fragen an die Welt stellen, anregen, faszinieren und zu emotionalen Erlebnissen führen und keine (schönen) Lösungen anbieten wie Design.

Kunst liegt bekanntermaßen  im Auge des Betrachters, aber nicht nur. Oftmals liegt Kunst auch im Auge des Anlegers unter Wertsteigerungsaspekten, im Auge des Museums/ des Kunsthandels unter Aspekten von Künstler-Renommees und Sammlungs-Bedeutung, oder sie liegt auch im Auge von Künstlern und ihren Vermarktern in Kenntnis der Marktmechanismen und entsprechenden Nomenklaturen des Kunstmarktes.  Kunst muss Vieles, nur eines nicht: schön sein! In diesem Zusammenhang sei die Lektüre von Herbert Molderings „Die nackte Wahrheit. Zum Spätwerk von Marcel Duchamp“ Hanser-Verlag, München 2012 (ISBN: 978-3-446-23872-5) empfohlen.

Vom guten Schönen und hässlichen Bösen

Was „Schönheit“ ist, vermögen zwar auch die Ausstellungsmacher nicht zu sagen. Zu den wichtigsten Merkmalen von Attraktivität zählen sie jedoch: Symmetrie, Einfachheit, Balance, Klarheit, Kontrast und Proportion.

Für Platon war Schönheit ein moralischer Wert: Was gut ist, ist schön, und was schön ist, ist gut. Hiernach leitet sich Ästhetik ab von Ethik. Plato glaubte, so erfahren die Besucher, dass alles Schöne wahrhaftig ist – „Schön ist gut ist wahr“. So wurde in den letzten 200 Jahren Schönheit lange mit „Gutheit“ gleichgesetzt. Bekannt ist dieses Schema von „schönen Guten“ und „hässlichen Bösen“ aus Märchen, und es gilt in Comics, Video-Games oder Filmen bis heute.

Schönheit in der Steinzeit

Prähistorische, aus Elfenbein  geschnitztes Mammut. Ort: Senckenberg-Museum.© Foto: Diether v. Goddenthow
Prähistorisches, aus Elfenbein geschnitztes Mammut. Ort: Senckenberg-Museum.© Foto: Diether v. Goddenthow

Als sexuell anziehend empfinden Menschen nicht nur physische Schönheit, sondern auch die Fähigkeit, schöne Dinge zu kreieren. Schönheit spielte während der gesamten Menschheitsgeschichte eine wichtige Rolle. Als älteste Kunstwerke der Menschheit sind Vögel, Löwenmenschen, ein Wildpferd und Frauengestalten (Venus von „Venus vom Hohle Fels“ und „Willendorf“ aus Knochen und Elfenbein der Altsteinzeit von vor bis zu 35.000 Jahren bekannt. In der Ausstellung werden dafür stellvertretend Faustkeile gezeigt, die nicht nur als Werkzeuge, sondern auch wohl als erste Kunstwerke dienten.  „Für den symmetrischen Schliff von Steinäxten gab es keine Begründung, allerdings gewannen die Hersteller dieser Werkzeuge mit ihrem Gefühl für symmetrische Gestaltung und mit feinmotorischem Können an Attraktivität.“, so die These.

Das Streben nach Schönheit im 19. Jahrhundert

Das 19. Jahrhundert war von Schönheit besessen. Künstler/innen wie Anselm Feuerbach widmeten ihr ihr ganzes Schaffen, so die  Sagmeister. © Foto: Diether v. Goddenthow
Das 19. Jahrhundert war von Schönheit besessen. Künstler/innen wie Anselm Feuerbach widmeten ihr ihr ganzes Schaffen, so die Sagmeister. © Foto: Diether v. Goddenthow

Das 19. Jahrhundert, so erfahren Besucher, war von Schönheit besessen: Künstler wie Anselm Feuerbach widmete „der“ „Schönheit“ sein ganzes Schaffen, wobei das Streben nach Schönheit oft nahe zum Kitsch führte. Der  Höhepunkt dieser Entwicklung lag wohl gegen Mitte, Ende des 19. Jahrhunderts  mit Aufkommen des lithografischen Farbendrucks  und den neuen vielfältigen Möglichkeiten, „Kunstwerke“, „Tapeten“, „Textilien“, „Möbel“, „Stuck“ usw. industriell herzustellen. Die (groß-)bürgerlichen Wohnstuben der Gründerzeit waren  oftmals überfrachtet mit allerlei Sehnsuchts-Tinnef, Geschmeide, schweren Vorhängen, massiven Möbeln, neobarocken- bis keltisch anmutenden Ornamenten und Schnörkeln.

Jugendstil: zurück zu den natürlichen Wurzeln

Impression aus dem Museum Künstlerkolonie Darmstadt. © Foto: Diether v. Goddenthow
Impression aus dem Museum Künstlerkolonie Darmstadt. © Foto: Diether v. Goddenthow

Etwa gegen 1900 setzte sich insbesondere im Bildungsbürgertum  mit Lebensreform- und Freikörperkultur–Bewegungen auch ein neuer,  die Natur zitierender, klarerer Stil durch: der Jugendstil. Die Lebensreformbewegung war als Antwort auf die negativen, umweltbelastenden und krankmachenden Folgen der industriellen Revolution und des maßlosen Kapitalismus (Manchester-Kapitalismus) im Wesentlichen beeinflusst von der Philosophie Friedrich Nietzsches (1844 – 1900, nämlich von der Idee einen neuen Menschentyp zu schaffen, der sich aufmachen werde, „etwas Neues zu sein, etwas Neues zu bedeuten, neue Werte darzustellen“ (Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, 1886). Die Aufgabe dieses neuen Menschen sollte sein: eine neue soziale Ordnung vorzubereiten, „gegründet auf ästhetische Kriterien und bevölkert von gesunden Körpern“. Infolge dieser ersten „Zurück-zur-Natur-Bewegung“ fanden unter dem Begriff Jugendstil (und seiner verschiedenen Schulen) inbesondere floral geschwungenen Linien und großflächige Muster, Blumen- und Pflanzenornamente als Hinweis auf des menschen natürlichen Ursprungs Eingang in Kunst, (Gebrauchs-)Design und Architektur. Siehe hierzu: Jugendstil-Ausstellung in Wiesbaden im Rahmen des Jugendstiljahrs)

Ornament und Verbrechen

Ein scharfer Kritiker des Jugendstils im Allgemeinen und der „Wiener Secession“ im Besonderen war der Publizist und Architekt und Wahl-Wiener Adolf Loos (1870 – 1933).  Warum auch immer, vielleicht weil er sich profilieren und abheben wollte,  lehnte Loos die angewandte Kunst ab. Er hielt nichts davon, Gebrauchsgegenstände ohne funktionellen Nutzen in besonderer Weise künstlerisch aufzuhübschen (Form folgt Funktion). Eine Tasse beispielsweise, musste nicht schön sein, sondern als Trinkgefäß funktionieren!  Er nannte es gar ein „Verbrechen“, dass Handwerker ihre Zeit auf Ornamentierung verwendeten, „da Ornamente den Launen der Mode unterworfen wären und somit die Veralterung eines Gegenstandes beschleunigen würden“, zitieren Sagmeister & Walsh sinngemäß aus Loos berühmter Vortragspolemik „Ornament und Verbrechen“ von 1910. Loos verachtete das Imitieren,   das „Stehlen aus der Vergangenheit“, und postulierte, dass Funktionalität und Abwesenheit von Ornamenten im Sinne menschlicher Kraftersparnis ein Zeichen hoher Kulturentwicklung sei.  Die Ästhetik war im Bestreben nach optimaler Funktion eher nebensächlich, bei Gebrauchsgegenständen genauso wie in der neuen Architektur der frühen 1920er Jahre wie sie vom Bauhaus   angestoßen wurde und weltweit Verbreitung fand. Daran änderte auch nichts, dass später  manch „Monotones“ schön geredet wurde, was insbesondere in der  inzwischen auch 100 Jahre alten  „neuen Moderne der Architektur“ der Fall war, wo offensichtlich auch jede noch so abstoßende Hässlichkeiten wie triste Trabantentädte mit irgendwelchen sozialen Theorien für einen „neuen Menschen“ geheiligt wurden (siehe unten: Mainz sollte mit Hochhäusern bepflastert nach 1945 zur „Idealstadt der Zukunft“ werden).

Als der Abriss der Pariser Innenstadt drohte 

Adolf Loos hatte einen immensen Einfluss auf das Bauhaus in Deutschland und auf Le Corbusier in Frankreich. Bauhaus prägte  maßgeblich das Architektur- und Designdenken der folgenden 100 Jahre.
Le Corbusier (1887 – 1965), schweizerisch-französischer Architekt, Architekturtheoretiker, Stadtplaner, Maler, Zeichner, Bildhauer und Möbeldesigner hatte 1925 gar  den vom Automobil- und Flugzeughersteller Gabriel Voisin finanzierten Plan Voisin, große Teile des alten Pariser Zentrums am rechten Seine-Ufer abzureißen. Statt der von Haussmann im neugotischen und neuromanischen sowie im  neo-byzantinischen, neoklassischen  und Neorenaiccance-Stil erbauten Pariser Innenstadt mit ihren unvergleichlichem Flair  aufgrund dieser Formenvielfalt, wollte Corbusier im Bemühen um eine „zeitgenössische Stadt“ 18 locker und regelmäßig angeordnete sechzigstöckige Hochhäuser mit kreuzförmigem Grundrissen in die Metropole an der Seine klotzen.  Anstelle der typischen, für mehrere Familien verschiedener Gesellschaftsschichten  errichteten  Fünf- bis Sieben- Geschoss-Bauten mit Geschäften im Erdgeschoss und darüber liegenden Wohnungen für die Besitzer sollten gleichförmige Massenunterkünfte die Menschen beglücken.  Verschwunden wären all die bislang gemischt genutzten Viertel pulsierenden Lebens mit Cafés, kleinen Geschäften, Betrieben und Boulevards und mit ihnen das pulsierende urbane Leben, was Menschen lieben und das Leben miteinander  schöner macht.

Le Corbusier wollte Wohn- und Arbeitsviertel durch mehrspurige Schnellstraßen trennen. Seine architektonische Radikalität und Rücksichtslosigkeit gegenüber dem historischen Bestand stieß jedoch auf ein kritisches Echo und konnte sich nicht durchsetzen und wurde  zum Musterbeispiel einer inhumanen, schematischen Rasterarchitektur. Diese fand aber in der Sowjetunion, später, modifiziert in der DDR, zahlreiche Anhänger. (Buchtipp: Ursula Muscheler. Das rote Bauhaus – Eine Geschichte von Hoffnung und Scheitern, Berenberg Verlag, Berlin 2016, ISBN 9783946334101 Gebunden, 144 Seiten, 22,00 EUR)

Paris heute und das Paris  eines Le Corbusiers: Auf der linken Leinwand werden Orte vom heutigen, historisch erhaltenen Paris gezeigt. Die rechte Leinwand zeigt parallel den gleichen Ort  mit Hochhausbebauung. © Foto: Diether v. Goddenthow
Paris heute und das Paris eines Le Corbusiers: Auf der linken Leinwand werden Orte vom heutigen, historisch erhaltenen Paris gezeigt. Die rechte Leinwand zeigt parallel den gleichen Ort mit Hochhausbebauung. © Foto: Diether v. Goddenthow

Wie Le Corbusiers Paris ausgesehen hätte,  wäre sein Plan Voisin real geworden, können  die Besucher an Simulations-Leinwänden erfahren: auf der einen, der linken Leinwand werden Ortsansichten vom heutigen, historisch erhaltenen Paris gezeigt. Die rechte Leinwand präsentiert parallel die gleiche Blickachse auf den selben Ort mit simulierter Hochhausbebauung. Sagmeister & Walsh bemerken dazu: „Heute wissen wir“, wie katastrophal das gewesen wäre. Die Wohnviertel wären tagsüber wie ausgestorben und die Arbeiterviertel nachts leer gewesen: Moderne Stadtplaner halten das genaue Gegenteil dieses Konzeptes – gemischt genutzte Viertel – für wirklich erfolgreich.“

Bürgerinitiativen vereitelten Mainzer und Wiesbadener Abriss-Gau 

Auch diese historistische Villa in der Bierstadter Strasse wäre wie hunderte andere, in denen May keinen ästhetischen Wert sah, seinen 1960er Planen vom neuen Wiesbaden zum Opfer gefallen, © Foto: Diether v. Goddenthow
Auch diese historistische Villa in der Bierstadter Strasse wäre wie hunderte andere, in denen May keinen ästhetischen Wert sah, seinen 1960er Planen vom neuen Wiesbaden zum Opfer gefallen, © Foto: Diether v. Goddenthow

Was in Paris der späten 1920er Jahre nicht durchsetzbar war,  glückte teilweise jedoch in Nachkriegsdeutschland. Autogerechte, gesichtslos gebliebene Städte wie Ludwigshafen, Gießen, Hanau, Offenbach, Kassel und viele andere wiederaufgebaute Orte zeugen bis heute noch von einer rein funktionalen Städteplanung, in der Schönheit keinen Platz hatte.

Mainz, welches im Krieg zu 80 Prozent zerstört worden war, ist  nach 1945 ganz knapp einem Totalabriss seiner noch letzten historischen Bausubstanz  entgangen. So sollte Le Corbusier-Kollege Marcel Lods  bis auf das unmittelbare Dom-Umfeld sämtliche restliche Altbausubstanz inklusive des noch relativ erhalten gebliebenen  Gründerzeit-Viertels „Neustadt“ abreißen und mit Scheibenhäusern (ähnlich den  Grindelhäusern in Hamburg) neu bebauen. Mainz sollte Muster einer „Idealstadt der Zukunft“ werden. Nur wegen allmählichen Bedeutungsverlustes der französischen Besatzer konnte 1949 dies eine Bürgerinitiative gerade noch vereiteln.

Goldgasse, Altstadt-Zentrum des im Volksmund bezeichneten Wiesbadener Schiffchens sollte ebenfalls Ernst Mays Plänen vom Neuen Wiesbaden zum Opfer fallen. © Foto: Diether v. Goddenthow
Goldgasse, Altstadt-Zentrum des im Volksmund bezeichneten Wiesbadener Schiffchens sollte ebenfalls Ernst Mays Plänen vom Neuen Wiesbaden zum Opfer fallen. © Foto: Diether v. Goddenthow

In  Wiesbaden hätte  die Stadtregierung fast selbst die Zerstörung ihrer historischen Stadt besorgt.  Hier verhinderte Anfang der 1960er Jahre eine Juso-Bürgerinitiative um Jörg Jordan, Achim Exner und Michael von Poser die Umsetzung von Ernst Mays gefeierten Visionen vom „Neuen Wiesbaden“ mit Abriss großer Innenstadt-Areale (Bergkirchenviertel, Schiffchen etc.) sowie wertvoller Villenviertel. Diese „City Ost“ sollte zu einem Verwaltungszentrum mit hohen Gebäuderiegeln und großen Verkehrsachsen nach Mainz und Frankfurt werden. Siehe Beitrag „Hochhäuser am Bierstadter Hang wiesbadener kurier“ vom 14.6.2019.
In der ehemaligen DDR hatte sich der im Bauhaus entwickelte Plattenbau bei der Wohnungsversorgung der Bevölkerung durchgesetzt. Historische Altbausubstanz galt als nicht mehr sanierbar, und durfte  als Relikt von feudaler und  bourgeoiser  Klassenfeind-Architektur  dem Verfall preisgegeben werden getreu dem Motto „Ruinen schaffen ohne Waffen“.  Wo nicht großflächig abgerissen oder Kirchen wie die Leipziger Paulinerkirche weggesprengt wurden, überließ man die Altstädte weitestgehend ihrem Verfalls-Schicksal!

Verarmung von Form und Vielfalt durch Bauhaus

Varmung von Form und Vielfalt: China einst und Peking heute. © Sagmeister und Walsh Foto: Diether v. Goddenthow
Varmung von Form und Vielfalt: China einst und Peking heute. © Sagmeister und Walsh Foto: Diether v. Goddenthow

Wie die Ausstellungsmacher bemerken, führte der internationale (Bauhaus-)Stil, was die Gestaltungsvielfalt anbetrifft, allerorten eher zu einer Verarmung von Form und Vielfalt. So bedauern sie, dass sich durch Bauhaus die Architektur weltweit angeglichen habe: „Ob in der brütenden Hitze der Tropen oder klirrenden Kälte der Arktis – man lebte und arbeitete in einer Schachtel“, kritisieren Sagmeister & Walsh. Dabei nehmen sie insbesondere die sich hierdurch überall gleichsam ausbreitende architektonische Hässlichkeit auf die Schippe: In einem Sichttunnel stellen sie die monoton rein zweckmäßig gestalteten Münchener Einheits-U-Bahnstationen den fantasievollen, jeweils von einem anderen Architekten entworfenen  U-Bahnstationen der Moskauer Metro gegenüber. In einem Lautsprecher wird erläutert,  dass in Moskau das U-Bahnfahren für viele Menschen zum Erlebnis werde. Viele Leute stiegen gar aus, um Fotos in der zur Touristenattraktion gewordenen Moskauer U-Bahn Fotos zu schießen. In  Münchener U-Bahnstationen würde man das nicht beobachten.

Begehbare Visualisierungs-Röhre: Münchener und Moskauer U-Bahngestaltungen im Vergleich. © Foto: Diether v. Goddenthow
Begehbare Visualisierungs-Röhre: Münchener und Moskauer U-Bahngestaltungen im Vergleich. © Foto: Diether v. Goddenthow

Als weiteres Beispiel weltweit identitätsloser Gleichförmigkeits-Architektur zeigen die Ausstellungsmacher 8 nebeneinander gestellte Fotos von internationalen Flughafen-Schalterhallen mit den Worten: „Wenn man von Zürich nach Bangkok und über Xi’an nach Brüssel fliegt … sieht man besser auf dem Ticket nach, wo man gerade ist – an der Flughafenarchitektur erkennt man es nicht.“

Schon ein Topf Farbe kann triste Bauten lebenswerter machen 

Richtig Hässliches habe die moderne Architektur den Menschen zugemutet. Wie die Ausstellungsmacher empirisch herausgefunden haben wollen, sei  Braun  die hässlichste Farbe und das Rechteck die hässlichste Form:   Ausgerechnet  die braune Schachtelform zählte, so  Sagmeister & Walsh, in den letzten 100 Jahren zu den dominantesten Formen der Architektur. Dies wird mit Bildmaterial   typischer 1970er Bauten einschlägig belegt und mit einem  kackbraunen Rechteck an prominenter Stelle visuell untermauert. Natürlich gäbe es praktische Gründe für rechteckige Formen, womit die Ausstellungsmacher wohl ein wenig an den mit dieser Einfach-Architektur  höher  erzielbaren Profit anspielen. „Doch wenn wir indigene /historische Architektur betrachten, spielt das Rechteck in fast allen Kulturen eine eher untergeordnete Rolle!“, so die Ausstellungsmacher.

Eintönige, funktionale (Hochhaus-)Architektur  wie sie insbesondere auch im Brutalismus (Béton Brut = roher Beton) praktiziert wurde, erzeugen bei Menschen häufig Stress. Es ist bekannt, dass graue Einheitssiedlungen Menschen krank, depressiv und aggressiv machen können. Nicht von ungefähr entstehen die meisten sogenannten Brennpunkt-Viertel inmitten trister Trabanten- und Satelliten-Viertel. Allein schon mit Farbe lassen sich viele hässliche Bauten aufhübschen. Sagmeister & Walsh zeigen dies am Beispiel von Albaniens Hauptstadt Tirana, einer Stadt in traurigem Zustand mit grauen, vor sich hin bröckelnden Häuserblocks. Bereits ein wenig Verschönerung durch Fassaden-Farbe habe bei den Menschen Wunder bewirkt. So beschloss der Bürgermeister Edi Rama Tirana bunt anzustreichen. „Dies führte zu einem Rückgang der Kriminalität und zu steigenden Steuereinnahmen, da die Bevölkerung das Gefühl hatte, die Regierung unternehme endlich etwas“.

Menschen brauchen Natur – Begrünte High-Line

Frappant  waren auch die Erkenntnisse über den Einfluss von schöner Umgebung auf die  Seele des Menschen nach der Begrünung einer stillgelegten Hochbahn-Trasse im Manhattener Stadtteil West Chelsea 1980.  Nachdem die Trasse der stillgelegten Hochbahn  aus den 1930er Jahren von den Designstudios DS-R und James Corner Field Operations in einen Hochpark verwandelt wurde, veränderte sich das gesamte Viertel positiv: Sagmeister & Walsh zitieren die New York Times,  „dass in den sechs Jahren seit der Eröffnung kein einziges Verbrechen auf der High-Line an die zuständigen Polizeireviere gemeldet wurde.“ Die begrünte High-Line habe es auch geschafft, das Verhalten ihrer Nutzer/innen zu verändern. Trotz Millionen von Besucher/innen, so Sagmeister & Walsh, sähe man nicht weggeworfenes Papier oder leere Getränkedosen.

Wo Menschen gern wohnen und leben

Menschen würden, könnten sie es sich leisten, lieber in schönen Häusern mit viel Grün drumherum wohnen. Schon mit der Lebensreformbewegung Ende des 19. Jahrhunderts kam in England die Idee auf, Gartenstädte zu bauen, damit die Arbeiter gesünder und zufriedener leben. Was 1903 mit der ersten englischen Gartenstadt Letchworth begann, hatte der Architekt und Frankfurter Stadtplaner Ernst May in seiner legendären frühen Phase, in den Jahren 1925 bis 1930, unter anderem mit der Reihenhaussiedlung Höhenblick im Grünen in Frankfurt fortgesetzt. Die schlichte und offene Architektur der heute in Eigentum umgewandelten und weitestgehend sanierten Reihenhäuser  gibt bis  heute nach Jahrzehnten  den Bewohnern  noch das Gefühl, in einem Urlaubsparadies zu leben. Siehe hierzu auch HISTORISCHES MUSEUM FRANKFURT: „WIE WOHNEN DIE LEUTE?“ – MIT DEM STADTLABOR DURCH DIE ERNST-MAY-SIEDLUNGEN.

Brachte die funktionale standardisierte und somit erheblich kostengünstigere Bauweise erhebliche Vorteile in der Wohnqualität (Bad, Toilette, Frankfurter Küche, Kohleheizung etc.) kann dies m.E. jedoch leider nicht darüber hinwegtäuschen, dass eben die ersten – aus der Not heraus geborenen –  Großsiedlungen der 30er Jahre und  der Nachkriegsarchitektur  alles andere als schön waren. Vor allem bleibt die Frage, warum in folgenden Zeiten der 1970er Jahre, wo man es eigentlich schon hätte besser wissen können, immer noch mehr triste Satelliten-Städte an den Rändern der Metropolen mit später neuen Brennpunktvierteln entstanden, Hochhaussiedlung, die noch hässlicher und öder waren, als die Nachkriegs-Siedlungsquartiere der 1950er Jahre.

Festhalten an der  „Schachtel“

Und obgleich die seit 2007 in Berlin gegründete Bundesstiftung Baukultur unter dem Motto „Räume prägen Menschen, und Menschen prägen Räume“ als unabhängige Einrichtung für eine lebenswerte Baukultur wirbt, die neben sozialen, ökologischen und ökonomischen Bezügen auch eine emotionale und ästhetische Dimension habe, ist von einer tatsächlichen Zeitenwende hin zum fantasievollen menschenorientierten Wohnungsbau recht wenig zu spüren.
Weiterhin muten Architekten beinahe ganz in der Tradition von Bauhaus und dem Reduktionsideal verpflichtet, entgegen ihrer oftmals in blumiger Prospekt-Visualisierungen den Menschen nach wie vor Schuhkarton-Architektur zu. Das neue Frankfurter Europa-Viertel ist eines von unzähligen ähnlichen  Beispielen moderner Wohn-Betonwüsten. Auch bei Sanierungen öder Altbausubstanz, z.B. aus den 1970er Jahren bleibt es meistens von der Außenansicht her bei tristen bedrückenden Wohnburgen, die nicht unbedingt im Sinne einer Gartenstadt die menschliche Seele beflügeln. Ein Beispiel: 2019/2020 wurde die Mitte der 1970er Jahre von den Architekten Kraemer, Pfennig und Sieverts (KPS) einst als experimentelle Erweiterungsbauten des Studentendorfs Schlachtensee realisierten und gefeierten tristen Gemeinschaftsbauten mit 351 Wohneinheiten umfangreich saniert. Doch leider wurde auch hier wie immer noch so oft einmal mehr die Chance vertan, der Außenfassade eine anregende Farbe zu gönnen, und das nach 50 Jahren sogenannte Weiterentwicklung in der Baukultur.

Ein Beispiel für die neue Baukultur stellt die Bundesstiftung Baukultur auf ihrer Website vor:  So wurden 2019/2020 die Mitte der 1970er Jahre von den Architekten Kraemer, Pfennig und Sieverts (KPS) als experimentelle Erweiterungsbauten des Studentendorfs Schlachtensee realisierten Gemeinschaftsbauten mit 351 Wohneinheiten  umfangreich saniert, aber die Chance vertan, der  Außenfassade  eine anregende Farbe  zu gönnen. Foto: Mila Hacke
Ein Beispiel für die neue Baukultur stellt die Bundesstiftung Baukultur auf ihrer Website vor: Trotz umfangreicher Sanierung 2019/2022 wurde wieder einmal die Chance vertan, der Außenfassade eine anregende Farbe zu gönnen. Foto: Mila Hacke

So bleibt ein Rätsel, weswegen trotz aller Kritik an der neuen Moderne, etwa des Deutschen Instituts für Stadtbaukunst ( der Düsseldorfer Erklärung über die Europäische Stadt mit Plätzen und Quartieren), weswegen trotz unzähliger Workshops, Bürgerinitiativen usw. weiterhin gnadenlos einfallslos im Schachtel-Stil an menschlichen Lebensbedürfnissen oft vorbei gebaut wird?  Denn, ob im  Europaviertel in Frankfurt am Main, am Berliner Hauptbahnhof oder in der Bahnstadt von Heidelberg – an solchen Orten will und kann sich kein Stadtgefühl einstellen.

Boomende Altstadtquartiere und historische Tourismusziele zeigen, wo Menschen gerne wohnen würden

Teilrekonstruierte Frankfurter Allstadt.  © Foto: Diether v. Goddenthow
Teilrekonstruierte Frankfurter Allstadt. © Foto: Diether v. Goddenthow

Nicht von ungefähr boomen Altbauquartiere wie in Berlin-Prenzlauer Berg, Hamburg-Eppendorf, München-Schwabing, Kölns Belgischem Viertel, Dresden-Neustadt, Leipzig-Waldstrassen-Viertel, Mainz-Neustadt, Wiesbaden, Baden-Baden und in vielen anderen deutschen Städten. Diese gewachsene, häufig liebevoll restaurierten Quartiere mit wunderbaren stuckverzierten Altbauwohnungen bis hin zum alternativen Flair bieten all das, was sich Menschen an lebendiger, facettenreicher Urbanität wünschen. Da bislang nicht adäquat ausreichend neugebaut wird, explodieren  in diesen Szene-Vierteln die Preise, so dass sich mittlerweile oft nur Besserverdienende oder „Erben“ diese Lagen leisten können.  So ist verständlich, wenn es in diesen Vierteln immer häufiger  zu Protesten gegen Spekulation und Gentrifizierung kommt. Diese „Abstimmung mit den Füßen“  unterstreicht aber doch  noch einmal mehr und eindrucksvoll den starken Wunsch der Menschen, in welcher Umgebung lieber leben würden.  Und  zeigt nicht auch  der großartige Erfolg der teilrekonstruierten Frankfurter Altstadt einmal mehr für welche Art von Quartieren  die Herzen der Menschen schlagen?

Blick in die Tourismus-Prospekte

Historisches Gebäude der Werkschule von Walter Gropius. © Foto: Diether v. Goddenthow
Historisches Gebäude der Dessauer Werkschule von Walter Gropius. © Foto: Diether v. Goddenthow

Dass Menschen nach dem Schönen streben, ist   Stadtoberen und Planern bekannt. Das belegt  allein ein Blick in Tourismusprospekte der Städte. Hierin wird verständlicherweise nur mit außergewöhnlichen, mit besonders schönen oder historischen  oder rekonstruierten Bauten und Plätzen geworben.

Rekonstruiertes Meisterhaus eines Bauhauslehrers der 1920er Jahre. © Foto: Diether v. Goddenthow
Rekonstruiertes Dessauer Meisterhaus eines Bauhauslehrers der 1920er Jahre. © Foto: Diether v. Goddenthow

Selbst die im Krieg schwer zerstörte, einstmals wunderschöne barocke Residenz- und spätere Bauhaus-Stadt Dessau,  vermeidet in ihren Prospekten mit dem hässlichen Charme ihre DDR-Platte und abhanden gekommenen Stadtzentrums zu werben. Dessauer Prospekte bilden nur das „Schöne“ in Dessau ab, etwa das inzwischen zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärte Bauhaus-Gebäude von Walter Gropius  sowie die in parkähnlichen Kiefernwäldchen eingebetteten rekonstruierten Meisterhäuser sowie  die wenigen vorzeigbaren historischen Bauten, wie zum Beispiel das wiederaufgebaute Rathaus.

Schön bauen heißt nicht „zurück zur Gründerzeit“

Der bolivianische Architekt Freddy Mamani zeigt am Beispiel von sechzig Gebäuden in Et Atto, der höchstgelegenen Stadt der Welt, wie sich Architektur formschön weiterentwickeln könnte. © Sagmeister & Walsh
Der bolivianische Architekt Freddy Mamani zeigt am Beispiel von sechzig Gebäuden in Et Atto, der höchstgelegenen Stadt der Welt, wie sich Architektur formschön weiterentwickeln könnte. © Sagmeister & Walsh

Um „schön“ zu bauen, muss kein Architekt zurück zu Gründerzeit oder mittelalterlichen Fachwerkstil. Sagmeister & Walsh zeigen, wie sich Architektur auch formschön weiterentwickeln kann am Beispiel von sechzig Gebäuden in Et Atto (höchstgelegene Stadt der Welt) des bolivianischen Architekten Freddy Mamani. Er kombiniert indigenen Stil, Art déco und Lad Vegas Glamour miteinander.

Die Architektur spricht für sich, auch der große touristische Andrang. Hundertwasser hat einfach für die menschliche Seele gebaut. Es handelt sich hierbei um eine von 1983 bis 1985 erbaute Wohnhausanlage der Gemeinde Wien und befindet sich an der Ecke Kegelgasse 34–38 und Löwengasse 41–43 im 3. Wiener Gemeindebezirk. © Foto: Diether v. Goddenthow
Die Architektur spricht für sich, auch der große touristische Andrang. Hundertwasser hat einfach für die menschliche Seele gebaut. Es handelt sich hierbei um eine von 1983 bis 1985 erbaute Wohnhausanlage der Gemeinde Wien und befindet sich an der Ecke Kegelgasse 34–38 und Löwengasse 41–43 im 3. Wiener Gemeindebezirk. © Foto: Diether v. Goddenthow

Und wer liebte nicht Hundertwasser-Häuser oder die fantastischen Gebäude des katalanischen Architekten Antoni Gaudís. Diese  allesamt zu touristischen Attraktionen aversierten Bauten zeigen, wie sich  Architektur formschön weiterentwickeln kann.

Die positive Wirkung von „Schönheit“
Schönes wirkt nachweislich unmittelbar auf die Dopamin-Rezeptoren und auf das Empfinden, weswegen „Schönheit“ und „schöne“ Gestaltung durchaus auch funktionell verstanden werden, so Sagmeister & Walsh. Es ist ja hinlänglich bekannt, dass schöne Menschen schon von Kleinkindern als angenehmer und liebenswürdiger empfunden werden, und die Werbung sich diesen Umstand zunutze macht. „Zu den wichtigsten Merkmalen für visuelle Attraktivität zählen Symmetrie, Einfachheit, Balance, Klarheit, Kontrast und Proportionen“. Allerdings sei kein Objekt per se in dieser Ausstellung schön, da Schönheit in unserem Kopf entstünde. Wie schön Menschen ein Objekt empfinden hängt eben damit zusammen, wie vertraut es uns ist, der Kontext, in dem wir dem Objekt begegnen, unsere individuelle Vorgeschichte, unsere Bildung, Sozialisation und Kultur.
Beispiele aus allen Epochen der Menschheitsgeschichte lassen im Ausstellungsbereich „Die Geschichte der Schönheit“ keinen Zweifel am historischen Begehren nach Schönheit.

Im Kapitel „Im Auge des Betrachters“ werden bemerkenswerte Ähnlichkeiten in verschiedenen Kulturen und Zeitepochen aufgespürt, die belegen, dass ästhetisches Empfinden weniger subjektiv ist als gemeinhin angenommen. Wie universell das Schönheitsempfinden ist, verdeutlicht unter anderem die Visualisierung von Untersuchungen von Chris McManus, Psychologe am University College London: 85 Prozent der Proband*innen können auf Anhieb ein Werk von Piet Mondrian von der leicht abgeänderten Fälschung unterscheiden. Einmal mehr laden Sagmeister & Walsh hier zur Interaktion ein: Die Eintrittskarte, die man beim Kauf an der Kasse erhält, ist mit geprägten Münzen versehen, die auch zum Abstimmen über Lieblingsformen, –farben und –gerüche eingesetzt werden können. Insbesondere um Farbwahrnehmung geht es in The Color Room. Der mit intensiven, blau-rosafarbenen Mustern überzogene Raum wird regelmäßig mit einem speziellen Licht beleuchtet, das bestimmte Farbtöne grau erscheinen lässt. Farbigkeit wird gemeinhin als schöner empfunden.

Schönheit hat auch ein transformatorisches Potenzial, die Welt zu verbessern, wie im Ausstellungsbereich „Transformierende Schönheit“ verdeutlicht wird. Das zeigt unter anderem die Installation From Garbage to Functional Beauty: Der französische Designer Thierry Jeannot schafft gemeinsam mit mexikanischen Müllsammler*innen einen wunderschönen Kronleuchter aus Plastikmüll. Mit der VR–Installation Tyranny of the Tool, entwickelt von Florian Hönig und Michael Sänger von Unbound Technologies, können Besucher*innen ihre ganz eigene Skulptur im virtuellen Raum erschaffen.

Die Ausstellung Beauty, deren Titel zunächst vielleicht eher an Kosmetik oder Modepräsentation denken lässt, ist absolut empfehlenswert. Man sollte sich Zeit lassen, eventuell zweimal in die Ausstellung gehen: Ein erstes Mal, um einen Eindruck zu bekommen und die Themen aufzunehmen. Insgesamt warten auf Besucher 70 Objektgruppen. Sie sind untergliedert in sechs Ausstellungsthemen: „Was ist Schönheit?“, „Die Geschichte der Schönheit“, „Im Auge des Betrachters“, „Schönheit erleben“, „Transformierende Schönheit“ und „Contemplating Beauty“.

(Diether v. Goddenthow /Rhein-Main.Eurokunst)

Historisches Museum Frankfurt: „Wie wohnen die Leute?“ – Mit dem Stadtlabor durch die Ernst-May-Siedlungen

Die Besucher können  Wohnungen der Ernst-May-Häuser in ihren nachgebauten Originalgrundrissen erkunden und erhalten in jedem "Ausstellungshaus" komprimierte Informationen zum Wohnen, Leben, politischen Entwicklungen, Nachbarschaft usw., um sich die Zeit von der Entstehung bis heute individuell zu erschließen.  Hier: EFATE (Einfamilienhaus mit Dachterrasse ), von wo aus ein Rundgang durch die Ausstellung gestartet werden kann. © Foto: Diether v. Goddenthow
Die Besucher können Wohnungen der Ernst-May-Häuser in ihren nachgebauten Originalgrundrissen erkunden und erhalten in jedem „Ausstellungshaus“ komprimierte Informationen zum Wohnen, Leben, politischen Entwicklungen, Nachbarschaft usw., um sich die Zeit von der Entstehung bis heute individuell zu erschließen.
Hier: EFATE (Einfamilienhaus mit Dachterrasse ), von wo aus ein Rundgang durch die Ausstellung gestartet werden kann. © Foto: Diether v. Goddenthow

Neue Ausstellung im Historischen Museum Frankfurt
16. Mai bis 13. Oktober 2019
Frankfurt Jetzt!
Neues Ausstellungshaus, Ebene 3

„Wie wohnen die Leute?“ wurde am gestrigen Abend im Historischen Museum Frankfurt als letzte der drei großen Bauhaus-Ausstellungen 2019 eröffnet, die sich anlässlich 100 Jahre Bauhaus mit dem Frankfurter Stadtplaner Ernst May und seiner Zeit des Aufbruchs in die neue Moderne beschäftigen. Nach „Moderne am Main“ (19. Januar bis 14. April) im Museum Angewandte Kunst und „Neuer Mensch, neue Wohnung“ (23. März bis 18. August)  im  Deutsche Architekturmuseum zeigt das Historische Museum in seiner durch das hauseigene Stadtlabor partizipartiv entwickelten Ausstellung die Ergebnisse der „Umfrage“ wie die Leute heute in den in die Jahre gekommenen, zum Teil privatisierten, energetisch aufgerüsteten, teilweise sanierten oder entsprechend ihrer gewandelten Lebensbedürfnisse umgebauten (angepassten) Wohnungen leben.

Wie es in einer Pressemeldung des Hauses heißt, entstanden in Frankfurt zwischen 1925 und 1930  um die 15.000 neue Wohnungen. Dieses große Stadtplanungsprogramm war Teil des Neuen Frankfurt. Akteur*innen aus Kunst, Kultur, Politik, Architektur und Städtebau arbeiteten interdisziplinär zusammen, um eine moderne Großstadt zu gestalten.

Das Stadtlabor, die partizipative Ausstellungsreihe des Historischen Museums Frankfurt, konzentriert sich auf dieses städtebauliche Programm und fragt, wie das Leben heute in den Siedlungen des Neuen Frankfurt aussieht. Die Bewohner*innen kommen zu Wort und geben Einblicke in ihren Alltag. Die Ausstellung ist das Ergebnis eines partizipativen Prozesses, der im Frühling 2018 begann. In fünf Workshops wurden die Ausstellungsbeiträge und das Rahmenprogramm gemeinsam entwickelt. Dazu war das Stadtlabor-Team im Sommer 2018 in 19 Siedlungen und Wohnhausgruppen des Neuen Frankfurt zu Gast.

Die Ausstellungsarchitektur orientiert sich an den typisierten Wohnungsgrundrissen des Neuen Frankfurt. Sie vermitteln den Besucher*innen einen räumlichen Eindruck der standardisierten Wohnungen. Ausgestattet mit den Beiträgen der Stadtlaborant*innen und ergänzt mit Objekten aus der Sammlung des HMF, bieten sie die Präsentationsfläche für vier Themen. In jedem dieser vier Themenbereiche werden die grundlegenden Ideen der damaligen Akteure des Neuen Frankfurt für den Wohnungsbau vorgestellt. Die Beiträge der Stadtlaborant*innen zeigen auf, wie diese Ideen heute noch weiterleben. Die in diesem Spannungsfeld zwischen Gestern und Heute entstehenden Fragen regen die Ausstellungsbesucher*innen zu einem Gedankenspiel an: Was sollte bei der zukünftigen Stadtentwicklung bedacht werden? Wie wollen wir wohnen?

Tour durch die Ausstellung
1. Wohnen in der Siedlung
EFATE (Einfamilienhaus mit Dachterrasse )

Licht, Luft und Sonne versprach der moderne Städtebau den Bewohner*innen der Siedlungen. Historische Luftbilder und die Aquarelle von Hermann Treuner illustrieren diese drei Versprechen. Treuners Aquarelle vermitteln ebenfalls die von den Akteuren des Neuen Frankfurt gestaltete Farbgebung der Häuser. Ansichtskarten zeugen von einem regen Interesse an den Siedlungen, sie waren sowohl im Bau als auch nach ihrer Fertigstellung beliebte Fotomotive. Die Architektur des Neuen Frankfurt wird gerne als „zeitlos“ bezeichnet, doch die Zeit ging nicht spurlos an den Siedlungen vorüber. Bewohner*innen prägen das Erscheinungsbild der Siedlungen, indem sie diese immer wieder ihren Bedürfnissen und Vorstellungen anpassen. Dabei werden die Spannungsfelder zwischen Stadt und Natur, zwischen Denkmalschutz und Eigenbau, zwischen Miete und Eigentum sowie zwischen der Bedeutung des öffentlichen Nahverkehrs und der Auseinandersetzung mit dem eigenen Wohnumfeld sichtbar. Am Umbau der Frankfurter Küchen wird zudem deutlich, wie sich die Bewohner*innen die serielle Architektur angeeignet und sie für ihren Gebrauch verändert haben. 1947 kam es in der Siedlung Westhausen zudem zur Umbenennung von Straßen. Die Auseinandersetzungen mit dem Gebrauch der Siedlungen werfen Fragen auf: Wer entscheidet über den Bau und die Gestaltung von Neubaugebieten? Wie sollten sie in Zukunft aussehen? Eine partizipative Station ermöglicht es den Besucher*innen, ihre Forderungen einzubringen.

2. Nachbarschaft
MEFA (Mehrfamilienhaus) und KLEINGARTENLAUBE
Die Siedlungen sollten als Lebensräume für die Bewohner*innen dienen und waren mit allen für das alltägliche Leben notwendigen Einrichtungen ausgestattet. Neben Kindergärten und Einzelhandel entstanden auch Gärten und Spielplätze, ebenso Dachterrassen und Grünanlagen. Letztere waren als erweiterter Lebensraum für Einzelne sowie für die Gemeinschaft geplant und sollten die Verbindung zwischen privaten und öffentlichen Räumen herstellen. Die Gärten dienten als Erholungsfläche und zur Versorgung.
Bewohner*innen berichten vom gesellschaftlichen Wandel in den Siedlungen: Auf einem ehemaligen Kleingartengelände entstand ein Wildgarten als selbstorganisierter und betreuter Spielplatz. Ein weiterer Beitrag setzt sich mit dem Wohnen im Alter auseinander. Bewohner*innen der Henry und Emma Budge-Stiftung geben Einblicke in das Leben in der Seniorenanlage. Eine Kleingartenlaube gewährt Einblicke in die Nutzung der Gärten: Vom Selbstversorgungs- zum Wellnessgarten in Praunheim bis hin zu einem Handsähgerät, das ein stummer Zeuge des wirtschaftlichen Wandels in der Gärtnersiedlung Teller ist. Der Familienbetrieb, aus dem es stammt, befindet sich in Auflösung. Auch der ursprüngliche Zweck der Gärtnersiedlungen, eine stadtnahe Versorgung mit frischem Obst und Gemüse zu ermöglichen, scheint zunehmend verloren zu gehen. Wofür wollen wir Grünflächen und Gärten künftig nutzen? Als Anbaufläche zur Selbstversorgung? Als Treffpunkte für die Gemeinschaft, als Orte der Erholung? Oder dienen sie dem Ausgleich von CO2 Emissionen?

3. Bezahlbares Wohnen
MEFAGANG (Mehrfamilienhaus, Außengangtyp)
Wohnung für das Existenzminimum
Ernst May plante die Siedlungen in einer Zeit großer Wohnungslosigkeit. In möglichst kurzer Zeit musste neuer, bezahlbarer Wohnraum geschaffen werden. Die Wohnungspolitik orientierte sich an der Gemeinnützigkeit. Wohnungsunternehmen sollten nicht primär profitorientiert handeln, die Miete sollte nicht mehr als ein Viertel des monatlichen Haushaltseinkommens betragen. Fragen zu bezahlbarem Wohnraum in Frankfurt am Main sind heute wieder von zentraler Bedeutung. Politik, Wissenschaft und Bürgerschaft suchen nach passenden Lösungen Ein Abstimmungskasten für den Mietentscheid und ein goldenes Haus aus Pappe – ein Negativpreis, mit dem Aktivitst*innen 2015 Mieterhöhungen kritisierten – zeigen die Forderungen nach mehr gemeinnützigem und bezahlbarem Wohnungsbau. Die Installation „Wir sind nie modern gewesen“ von Eleonora Herder und andpartnersincrime zeigt beginnende Verdrängungsprozesse auf. Dieser dritte Themenraum zeigt exemplarisch das Konzept des Wohnens auf kleinstem Raum und geht der Frage nach, wie viel Platz der Mensch zum Wohnen braucht.

4. Das neue (Um-)Bauen
ZWOFADOLEI (Zweifamilienhaus mit Doppelleitung)
Das Neue Frankfurt war ein großes Bauvorhaben, das nur mit einer äußerst rationalen und effizienten Planung umgesetzt werden konnte. Die Bautechnik wurde von handwerklicher Arbeit auf industrielle Massenproduktion umgestellt. Typisierte und standardisierte Bauelemente kamen zum Einsatz. Die Wohnungsgrundrisse wurden unter Berücksichtigung verschiedenster Ansprüche entworfen, die sich von beruflicher Schichtung, Kinderanzahl und anderen Kriterien ableiteten. Einige Siedlungen stehen heute unter Denkmalschutz, Bewohner*innen wünschten sich jedoch eine individuellere Gestaltung ihrer Wohnräume. In diesem vierten Raum ist das Spannungsfeld zwischen seriellem Wohnungsbau und dem Wunsch nach individueller Gestaltung zentral. Fotografien, Grafiken, Videos und Modelle zeigen die Nutzung und Aneignung durch ihre Bewohner*innen innerhalb der Häuser und an den Fassaden.
Eine Schlafzimmertür aus der Siedlung Römerstadt steht beispielhaft für die Aneignung der standardisierten Einrichtung. Das Originalbauteil wurde in den 1980er Jahren von den Kindern der Bewohner*innen mit Symbolen der Friedens- und Umweltbewegung beklebt. In der Ausstellung ist die Tür erst ab 18. Juni zu sehen – derzeit wird sie in einer anderen Ausstellung gezeigt.

Stadtlabor unterwegs & Stadtlaborant*innen
Das Stadtlabor unterwegs ist die partizipative Ausstellungsreihe des Historischen Museums Frankfurt seit 2010. Zentrales Anliegen dieses Formats ist die multiperspektivische Erkundung der Stadt und ihrer Lebenswelten. In enger Zusammenarbeit mit verschiedenen Gruppen der Stadtgesellschaft entstehen Ausstellungen, die der Information, Reflexion und Diskussion von Themen dienen, die Frankfurter*innen bewegen. Die wichtigste Prämisse der Ausstellungsreihe ist die aktive Teilhabe der Stadtbevölkerung an ihrem Museum und die Integration unterschiedlicher, auch sehr individueller Perspektiven und Sichtweisen auf die Stadt, ihre Geschichte, Gegenwart und Zukunft. Das Stadtlabor-Team arbeitet direkt und intensiv mit den Partizipierenden, um auch jene einzubeziehen, für die ein Museum nicht der erste Ansprechpartner oder Referenzort ist, wenn es um die Reflexion der eigenen Lebenswirklichkeit geht.

Stadtlaborant*innen der Ausstellung „Wie wohnen die Leute?“
Roswitha Väth, Sybille Fuchs (Klimawerkstatt Ginnheim), Initiative Historischer Stadtspaziergang, Jan Jacob Hofmann, Gabriele Klieber, Ulrich Zimmermann, Jens Gerber, Dieter Church, Gertraude Friedeborn, Eleonora Herder (andpartnersincrime), Daniel Ladnar, Lars Moritz, Esther Pilkington und Jörg Thums (irreality.tv), Lilly Lulay, Cäcilia Gernand, Laura J Gerlach, Mobile Albania, Hildegard Kammer, Studierende der Buch- und Medienpraxis (Maren Fritz, Lisa Veitenhansl, Miriam Schumm, Louisa Gröger, Silvia Claus, Alexandra Dehe, Paula Hauch, Katja Schaffer, Anna Speitel, Julia Breitmoser, Laura Genenz, Nele Mascher, Sonja Stöhr, Sandra Zaitsev, Juliane Zipper, Ronja Vogel, Max Seidel, Manuela Splittdorf, Stefan Katzenbach, Kevin-Lukas Velte, Ruth Manstetten, Sophie Ritscher, Isabel Schramm, Katharina Koch und Max Aigner), University of Applied Sciences Frankfurt (Julia Ackermann, Khaled Al Sharif, Matthias Büdinger, Hazal Demirtas, Miral Diab, Philip Dzewas, Julian Glunde, Laura Herzog, Ali Kazemi, Sebastian Kiel, Samantha Martinek, Nicklas Nordquist, Carolin Riffel, Donghwi Shin, Banu Yilmaz und Maren Harnack), Melanie Herber, Wildgarten – Abenteuerspielplatz, Steffen Kleebach, Bewohner*innen Henry und Emma Budge-Stiftung (Myke Findeklee, Ernst-Dietrich Haberland, Heide Lauterbach, Sofia Mann, Renate Rauch, Ute Karen Voigt), Anna Pekala, Kulturkreis Westhausen, BDA Frankfurt (Bund Deutscher Architekten), Harald Etzemüller, Karla Dillmann, Katrin Dillmann, Judith Rosenthal und Sophia Edschmid.

Zur Partizipation im Historischen Museum Frankfurt
Partizipation ist ein Leitgedanke des Historischen Museums Frankfurt. Das HMF entwickelte sich vom Fachmuseum für Geschichte zu einem Museum für die Stadtgesellschaft des 21. Jahrhunderts. Frankfurt ist eine hochgradig von Diversität geprägte Stadt. Wie können Menschen unterschiedlicher kultureller Prägung und Bildung angesprochen werden? Wie kann das Museum für alle Frankfurter*innen da sein, auch für die, deren Geschichte sich nicht nur hier, sondern in vielen Teilen der Welt abspielt? In „Frankfurt Jetzt!“ werden aktive Mitgestaltung und Teilhabe durch partizipative Angebote ermöglicht. Wie lässt sich eine Stadt erfassen? Was macht Frankfurt aus? Und wer ist ein*e Stadt-Expert*in? In „Frankfurt Jetzt!“ arbeitet das Museum auf der Grundlage einer geteilten Expertise und lädt alle 750.000 Frankfurt-Expert*innen ein, die Stadt der Gegenwart zu erfassen und zu beschreiben. In den partizipativen Prozess bringt das Museumsteam die kuratorische und organisatorische Expertise ein. Das Stadtlabor-Team strukturiert und moderiert den Prozess und berät die jeweiligen Co-Kurator*innen dabei, ihre Ideen professionell und ansprechend umzusetzen. Sie wiederum sind die Expert*innen für die Stadt und bringen ihr Wissen über die Stadt bzw. ihre Lebenswelt ein.
Die „Stadtlabor unterwegs-Ausstellungen“ sind das prominenteste partizipative Format des Museums. Seit 2011 sind insgesamt zwölf Ausstellungen entstanden. Die Ausstellung „Wie wohnen die Leute? – Mit dem Stadtlabor durch die Ernst-May-Siedlungen“ ist die 13. Stadtlabor-Ausstellung. Der Ausstellungsraum „Frankfurt Jetzt!“ auf Ebene 3 im neuen Ausstellungshaus bietet eine wandelbare Präsentationsfläche für die Ergebnisse und Erkenntnisse dieser partizipativen Prozesse.

Führungen durch die Ausstellung
Mi, 5.6., um 19 Uhr
Mit Pascal Heß
Mi, 19.6., um 19 Uhr
Mit Aleksandra Sajnikova
Mi, 3.7., um 19 Uhr
Mit Pascal Heß
Sa, 13.7., um 15 Uhr
Mit Roman Schumilow
Mi, 31.7., um 19 Uhr
Mit Pascal Heß
Sa, 10.8., um 15 Uhr
Mit Simone Arians
Mi, 14.8., um 19 Uhr
Mit Pascal Heß
Do, 29.8., um 14.30 Uhr

Stadtgespräch 65plus
Mit Pascal Heß
Treffpunkt: Kassenfoyer
Eintritt: 8€ / 4€ + 3€ Führungsgebühr
Dauer: 60 bis 90 Minuten
Für die Führung ist eine Anmeldung beim Besucherservice des HMF erforderlich:
Information und Anmeldung
Susanne Angetter
Mo – Fr 10.00 – 16.00 Uhr
Tel. +49 (0)69-212-35154
E-Mail: besucherservice@historisches-museum-frankfurt.de

Kuratorinnenführungen
Sa, 15.6., um 15 Uhr
Mit Katharina Böttger und Stadtlaborant*innen
Mi, 17.7., um 19 Uhr
Mit Katharina Böttger und Stadtlaborant*innen

Treffpunkt: Kassenfoyer
Eintritt: 8€ / 4€ + 6€ Führungsgebühr
Dauer: 60 bis 90 Minuten
Für die Führung ist eine Anmeldung beim Besucherservice des HMF erforderlich:
Information und Anmeldung
Susanne Angetter
Mo – Fr 10.00 – 16.00 Uhr
Tel. +49 (0)69-212-35154
E-Mail: besucherservice@historisches-museum-frankfurt.de

Finissage
So, 13. Oktober, 16:00 Uhr
Wie wohnen die Leute?
Mit dem Stadtlabor durch die Ernst-May-Siedlungen
Neue Ausstellung im Historischen Museum Frankfurt
16. Mai bis 13. Oktober 2019
Frankfurt Jetzt!
Ausstellungshaus, Ebene 3

Führungen und Rahmenprogramm
historisches-museum-frankfurt.de/stadtlabor/wie-wohnen-die-leute Besucherservice und Führungsanfragen
Mo – Fr 10 – 16 Uhr
Tel.: 069 212 35154, besucherservice@historisches-museum-frankfurt.de

Weitere Informationen
Historisches Museum Frankfurt
Saalhof 1, 60311 Frankfurt am Main
www.historisches-museum-frankfurt.de

Sonder-Ausstellung NEUER MENSCH, NEUE WOHNUNG DIE BAUTEN DES NEUEN FRANKFURT 1925 – 1933 im Deutschen Architekturmuseum zu 100 Jahren Bauhaus

Hermann Treuner, Die Römerstadt, 1929. Öl auf Leinwand. Deutsches Architekturmuseum, Ffm. © Foto: Diether v. Goddenthow
Hermann Treuner, Die Römerstadt, 1929. Öl auf Leinwand. Deutsches Architekturmuseum, Ffm. © Foto: Diether v. Goddenthow

2019 feiert das Bauhaus seinen 100. Geburtstag. Bis zu seiner Schließung im Jahr 1933 war es 14 Jahre lang eine herausragende Schule der Avantgarde, von der Kunst, Design und Architektur zentrale Impulse empfingen. Die internationale Nachwirkung vor allem der Dessauer Periode ist bis heute zu spüren.

„Ein Leitbild im Neuen Frankfurt war der Neue Mensch der Moderne, ‚der – so Ernst May – ‚entschlossen ist, das Alte, Erstarrte hinter sich zu lassen‘. Diesen Neuen Menschen und die für ihn entworfenen Bauten haben wir als Titel unserer Ausstellung genommen“, sagte Wolfgang Voigt, Kurator und stellvertretender Vorsitzender der Ernst-May-Gesellschaft, gestern Abend bei seiner Eröffnungsrede. Die Idee des Neuen Menschen sei ein direktes Substrat aus Friedrich Nietzsches Schriften gewesen, und Ludwig Landmann ein glühender Verehrer, habe sich „gleich auf Seite eins der ersten Nummer der Zeitschrift Frankfurt“ (1926) auf den Philosophen berufen.

Der Neue Mensch war bis zum Ersten Weltkrieg eine elitäre Fiktion; er entsprach noch nicht dem Typus, den Landmann und May beim Start des Neuen Frankfurt im Visier hatten. Erst im Neuen Frankfurt wurde die Idee demokratisiert. Die neuen Wohnungen, Schulen, Kindergärten und Schwimmbäder boten die von Licht, Luft und Sonne bestimmte Umwelt, die den Stadtbewohner zum neuen Menschentyp werden lässt – so die Hoffnung der Architekten.. © Foto: Diether v. Goddenthow
Der Neue Mensch war bis zum Ersten Weltkrieg eine elitäre Fiktion; er entsprach noch nicht dem Typus, den Landmann und May beim Start des Neuen Frankfurt im Visier hatten. Erst im Neuen Frankfurt wurde die Idee demokratisiert. Die neuen Wohnungen, Schulen, Kindergärten und Schwimmbäder boten die von Licht, Luft und Sonne bestimmte Umwelt, die den Stadtbewohner zum neuen Menschentyp werden lässt – so die Hoffnung der Architekten.. © Foto: Diether v. Goddenthow

Beim gebildeten Publikum im Deutschen Reich nach 1900 besaßen die Schriften des Philosophen Friedrich Nietzsche (1844–1900) Kultstatus. Aus ihnen ließ sich die Vorstellung eines Menschentyps destillieren, der sich aufmachen werde, „etwas Neues zu sein, etwas Neues zu bedeuten, neue Werte darzustellen“ (Nietzsche, Jenseits von Gut und Böse, 1886). Seine Aufgabe war: eine neue soziale Ordnung vorbereiten, „gegründet auf ästhetische Kriterien und bevölkert von gesunden Körpern“.

In Frankfurt wurde die Idee demokratisiert: Nicht mehr nur eine Elite, sondern jeder sollte nun die Chance haben, sich dem Neuen Menschentyp anzuschließen, in einer von Licht, Luft und Sonne bestimmten Umwelt. So verkündeten es die oft emphatischen Äußerungen von Landmann, May, Wichert und anderen Stichwortgebern des Neuen Frankfurt. Besonders die Architekten verstanden sich als legitime Erzieher zum richtigen Leben in der Moderne.

© Foto: Diether v. Goddenthow
© Foto: Diether v. Goddenthow

Die Ausstellung Neuer Mensch, neue Wohnung gilt dem parallelen Geschehen in Frankfurt am Main, das zwischen 1925 und 1933 ein nicht minder bedeutendes Zentrum des Aufbruchs darstellte. Frankfurt war kein Planet des Bauhauses, sondern ein eigener Stern mit eigener Energie.

Unter der Regie des Oberbürgermeisters Ludwig Landmann und des Architekten Ernst May konstituierte sich hier das Neue Frankfurt, das unter diesem Namen in die Architektur- und Kulturgeschichte einging. Die Stadt erhielt einen beispiellosen Schub in die kulturelle Moderne. Für eine kurze Zeitspanne wurde sie zur Hochburg der Avantgarde in der Architektur.

In Frankfurt plante man die Umgestaltung zur exemplarischen Großstadt der Moderne, sozial, baulich und kulturell. Das Entscheidende war: Theorie wurde schnell zur Praxis, man fing sofort mit der Umsetzung an. Den wichtigsten Impuls gab das im Oktober 1925 publizierte Programm für 10.000 neu zu errichtenden Wohnungen.
Ein Leitbild der Architekten des Neuen Frankfurt war der Neue Mensch der Moderne,„der entschlossen ist, das Alte, Erstarrte hinter sich zu lassen“ (Ernst May), um im Alltag der naturnahen neuen Siedlungen eine befreite Existenz zu führen. Der neuen Wohnung war in diesem Prozess eine beherrschende Rolle zugedacht. Die Architekten verstanden sich als legitime Erzieher zum richtigen Leben in der Moderne.

Über die Ausstellung

Wolfgang Voigt, Kurator (4. v.r.), und Andrea Jürges (3.v.r.), stellvertretende Direktorin, erläutern anhand des Holzmodells Idee, Konzept und Umsetzung der Siedlung Römerstadt im Neuen Frankfurt. © Foto: Diether v. Goddenthow
Wolfgang Voigt, Kurator (4. v.r.), und Andrea Jürges (3.v.r.), stellvertretende Direktorin, erläutern anhand des Holzmodells Idee, Konzept und Umsetzung der Siedlung Römerstadt im Neuen Frankfurt. © Foto: Diether v. Goddenthow

Die Siedlungen des Neuen Frankfurts
Im Mittelpunkt der Ausstellung steht eine Auswahl aus zehn Siedlungen des Neuen Frankfurt, in denen das Wohnen in „Licht, Luft und Sonne“ Gestalt annahm, unter anderem die Siedlung Niederrad (Zickzackhausen), 1926/27 mit 643 Wohnungen; die Siedlung Hellerhof, 1929–1932, mit 1194 Wohnungen in drei- bis viergeschossiger Zeilenbauweise und dazuwischen liegenden Grünflächen; die Siedlung Praunheim, 1927–1929 mit 1441 Wohnungen; die Siedlung Westhausen, 1929–1931 mit 1522 Wohnungen und die Siedlung Römerstadt, 1927/28 mit 1.182 Wohnungen.

Die Siedlung Römerstadt sei, so die Kuratoren Dorothea Deschermeier, Wolfgang Voigt und Assistenzkurator Jonas Malzahn, städtebaulich wohl die bemerkenswerteste Planung des Neuen Frankfurt. Auf einem Höhenrücken an der Nidda gelegen, passt sie sich in ihrer Anlage den topographischen Gegebenheiten an. Den südlichen Abschluss markiert eine festungsartige Stützmauer aus Beton, die eine Stadtmauer wie in vergangenen Zeiten erinnert. Die Geländekante wurde von den Architekten zu einer besonderen Raumfigur genutzt: „Bastionen“ genannte Plateaus, die wenige Meter über der Niederung liegen und attraktive Platzräume bilden. Die Bebauung besteht großteils aus flachgedeckten, zweigeschossigen Einfamilienreihenhäusern. Im Ostteil der Siedlung verlaufen die Straßen bogenförmig, im Westen dominieren gerade Linien. Diese sind jedoch regelmäßig unterbrochen und versetzt, so dass dort, wo über eine Länge von 700 Metern mehr als hundert Mal derselbe Haustyp aufgereiht ist, keine endlos lange Straße entsteht. Zwischen den Wohnbauten finden sich breite Grünstreifen, die in Hausgärten zur Selbstversorgung untergliedert sind. Für die Bewohner der Mehrfamilienhäuser wurde unterhalb der Mauer ein breiter Streifen mit Kleingärten angelegt.

Modelle und Wandbilder der Heimatsiedlung des Neuen Frankfurts. © Foto: Diether v. Goddenthow
Modelle und Wandbilder der Heimatsiedlung des Neuen Frankfurts. © Foto: Diether v. Goddenthow

Die chronologische Abfolge, in der Siedlungen in der Ausstellung gezeigt werden, markiert nicht nur die Entwicklung der auf unterschiedliche Familienkonstellationen zugeschnittenen Haustypen, sondern auch die Variationen in der städtebaulichen Anlage und die Herausbildung der funktionellen Planungsdoktrin um 1930. Zudem verdeutlicht sie die zunehmenden Schwierigkeiten der Finanzierung, die zuletzt stark verkleinerte Wohnungsgrundrisse erzwangen und nach 1930 dem gesamten Projekt ein Ende setzten.

Bauten großstädtischer Infrastruktur

Das IG-Farbenhaus war neben der Großmarkthalle das größte und markanteste  Gebäude seiner Zeit. © Foto: Diether v. Goddenthow
Das IG-Farbenhaus war neben der Großmarkthalle das größte und markanteste Gebäude seiner Zeit. © Foto: Diether v. Goddenthow

Neben den Siedlungen werden einige wichtige für das „Neue Bauen“ im Neuen Frankfurt charakteristische Bauten der großstädtischen Infrastruktur präsentiert – Bildungsstätten, Kirchen, Krankenhäuser, ein Altenheim, die Großmarkthalle und das Gesellschaftshaus am Palmengarten. Dazu kommen die als Vorbilder konzipierten Wohnhäuser der leitenden Architekten Ernst May und Martin Elsaesser.

Das Wohnungsbauprogramm
Gleich nach Amtsanritt legte May ein ehrgeiziges Bauprogramm für 10.000 Wohnungen vor, das innerhalb von zehn Jahren Wohnraum vor allem für die Bevölkerung mit geringerem Einkommen schaffen sollte.
Angesichts der überfüllten Altstadt mit oft mangelhaften hygienischen Zuständen wollte man helle, gut durchlüftete Wohnungen schaffen. Reihenhauszeilen mit Garten ersetzten die Mietskasernen. Die Wohnungen wurden mit damals hohen Standards wie fließend Warmwasser, Zentralheizung sowie der Frankfurter Küche ausgestattet. Gemeinschaftsbauten wie Waschhäuser mit elektrischen Waschmaschinen sollten das Alltagsleben erleichtern.
Um die Baukosten niedrig zu halten, experimentierte May mit einer industrialisierten Bauweise, in der vorgefertigte und normierte Bauteile zum Einsatz kamen. „Das Ziel“, so May, „muss die fabrikmäßig erzeugte, fertig lieferbare, in wenigen Tagen montierbare Wohnung sein“. Bis 1933 entstanden im städtischen Wohnungsprogramm 12.000 Einheiten. Trotz aller Bemühungen stiegen die Herstellungskosten in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre kontinuierlich an. Bald war der Wohnungsnot nicht mehr mit bautechnischen Mitteln beizukommen, das eigentliche Problem war ein wirtschaftliches. Die Mieten blieben deshalb gerade für Arbeiter oft zu hoch.

Die Frankfurter Plattenbauten

Wolfgang Voigt, Kurator und stv. Vorsitzender der Ernst-May-Gesellschaft erläutert an einem von Studenten der Hochschule erstellten Modell den Ernst Mays Frankfurter Plattenbau. © Foto: Diether v. Goddenthow
Wolfgang Voigt, Kurator und stv. Vorsitzender der Ernst-May-Gesellschaft erläutert an einem von Studenten der Hochschule erstellten Modell den Ernst Mays Frankfurter Plattenbau. © Foto: Diether v. Goddenthow

Ein wesentlicher Programmpunkt des Neuen Frankfurt war die Mechanisierung des „Massenbedarfsartikels Wohnung“ (Ernst May), die hier erstmals im 20. Jahrhundert im großen Stil und in nennenswertem Umfang Anwendung fand. Das Frankfurter Experiment ersetzte den gebräuchlichen Mauerziegel durch einen Baukasten aus großformatigen Betonplatten aus industrieller Produktion, die bis zu drei Meter lang und im Prinzip für alle Reihenhaustypen anwendbar sein sollten. An der Baustelle hob ein Kran die Teile direkt vom Lastwagen an die vorgesehene Position im Rohbau des Hauses. Die Bauweise hatte auch einen sozialpolitischen Aspekt, denn zur Herstellung der Platten wurde eine eigene Fabrik eingerichtet, in der zuvor arbeitslose Männer Beschäftigung fanden. 1923 waren die Memoiren von Henry Ford auf Deutsch erschienen. Ernst May hatte eine begeisterte Rezension verfasst. Wie die am Fließband hergestellten Autos von Ford sollte auch das Wohnen billiger werden. Genau das stellte sich nicht ein, weshalb man das Experiment auslaufen ließ. Am Ende wurde nur rund ein Zehntel der am Ende 12.000 Wohnungen in Plattenbauweise gebaut.

Neuer Mensch durch neue Lebens- und Wohnart

„Ein Grundriß mag noch so organisch aufgebaut sein, die Abmessungen mögen noch so zweckmäßig berechnet werden, die ästhetischen Verhältnisse der Räume mögen noch so glücklich sein, im Augenblick, wo der übliche minderwertige Hausrat seinen Einzug hält, schwindet die Harmonie (…)." So abfällig äußerte sich May über traditionelle Möbel, allerdings auch aus der Erkenntnis heraus, dass in die Kleinwohnungen auch nur schmucklose Kleinmöbel hineinpassten. Die Architekten der Bauhaus-Ära wollten zum neuen Menschen erziehen  auch durch den passenden, seriell minimalistisch produzierten Hausrat. Im sogenannten Frankfurter Register wurden sämtliche Funktions-Möbel bis hin zu den Lampen aufgelistet, die helfen sollten den Menschen zu "veredeln", © Foto: Diether v. Goddenthow
„Ein Grundriß mag noch so organisch aufgebaut sein, die Abmessungen mögen noch so zweckmäßig berechnet werden, die ästhetischen Verhältnisse der Räume mögen noch so glücklich sein, im Augenblick, wo der übliche minderwertige Hausrat seinen Einzug hält, schwindet die Harmonie (…).“ So abfällig äußerte sich May über traditionelle Möbel, allerdings auch aus der Erkenntnis heraus, dass in die Kleinwohnungen auch nur schmucklose Kleinmöbel hineinpassten. Die Architekten der Bauhaus-Ära wollten zum neuen Menschen erziehen auch durch den passenden, seriell minimalistisch produzierten Hausrat. Im sogenannten Frankfurter Register wurden sämtliche Funktions-Möbel bis hin zu den Lampen aufgelistet, die helfen sollten den Menschen zu „veredeln“, © Foto: Diether v. Goddenthow

Der sozio-kulturelle Hintergrund des Neuen Frankfurt wird an mehreren Beispielen thematisiert: Das Phantasma des „Neuen Menschen“, die Elektrifizierung der Siedlungen, der Versuch einer flächendeckenden Einführung des Radios in den Neubausiedlungen sowie die für das Neue Frankfurt typische Einrichtung von Zentralwäschereien werden dargestellt.

Kuratorin Dorothea Deschermeier erläutert das neue Phänomen der wachsenden Anzahl berufstätiger alleinstehender Frauen in den 1920er Jahren. Diese wohnten unselbständig zumeist zur Untermiete bei Verwandten oder Zimmerwirtinnen. So entwarf Bernhard Hermkes im Auftrag des Frauenwohnvereins in Frankfurt ein Ledigenheim mit 60 kleinen Wohnstudios von je 22 qm und Minbalkon mit  Einbauschränke und Schrankbett zum Hochklappen. © Foto: Diether v. Goddenthow
Kuratorin Dorothea Deschermeier erläutert das neue Phänomen der wachsenden Anzahl berufstätiger alleinstehender Frauen in den 1920er Jahren. Diese wohnten unselbständig zumeist zur Untermiete bei Verwandten oder Zimmerwirtinnen. So entwarf Bernhard Hermkes im Auftrag des Frauenwohnvereins in Frankfurt ein Ledigenheim mit 60 kleinen Wohnstudios von je 22 qm und Minbalkon mit Einbauschränke und Schrankbett zum Hochklappen. © Foto: Diether v. Goddenthow

Die Industrialisierung des Bauens und die Frankfurter Küche werden in eigenen Stationen behandelt. Die Station „Das neue Neue Frankfurt“ schlägt schlussendlich den Bogen zur prekären Situation des Wohnungsmarktes heute.

Die Siedlungen, Bauten und relevanten Themen werden anhand von zahlreichen Plänen, Modellen, Fotos und einigen historische Filmsequenzen präsentiert. Für die Frankfurter Küche wurde ein besonders anschauliches, neues Modell im Maßstab 1:5 gefertigt, gleich einer Puppenstube.

Die Gestaltung der Ausstellungswände ist von den Frontseiten der Zeitschrift Das Neue Frankfurt inspiriert: ein dunkles Feld, in dem Fotos collagenhaft angeordnet sind, darüber ein breiter weißer Streifen mit farbiger Schrift.

Die Ausstellung ist Teil einer gemeinsamen Initiative von drei Frankfurter Museen – dem Museum Angewandte Kunst, dem Deutschen Architekturmuseum und dem Historischen Museum Frankfurt – und dem Forum Neues Frankfurt anlässlich des Bauhaus-Jubiläums 2019.

Ort:
DEUTSCHES ARCHITEKTURMUSEUM
Schaumainkai 43,
60596 Frankfurt am Main
www.dam-online.de

Vorschau:

13. April – 23. Juni 2019
WOHNEN FÜR ALLE
Das Neue Frankfurt 2019

4. Mai – 1. September 2019
EUROPÄISCHER ARCHITEKTURFOTOGRAFIE-PREIS ARCHITEKTURBILD 2019
Joyful Architecture

BEGLEITPROGRAMM
Die Ausstellung wird begleitet von einem umfangreichen Vortrags- und Veranstaltungsprogramm:
Details  auf: dam-online.de/veranstaltungen.

PUBLIKATION

neuer-mensch-katalog

Neuer Mensch, neue Wohnung
Die Bauten des Neuen Frankfurt 1925–1933
Herausgegeben von Wolfgang Voigt / Dorothea Deschermeier /
Peter Cachola Schmal
DOM publishers, Berlin
210 × 230 mm, 228 Seiten
ISBN 978-3-86922-720-7 (deutsch)
ISBN 978-3-86922-721-4 (englisch)
Im Museumsshop erhältlich für 22,– EUR,
im Buchhandel erhältlich für 28,– EUR.

Frankfurter Altstadt-Wiederaufbau für internationale Auszeichnung nominiert

Hühnermarkt mit Stoltze-Brunnen der teilrekonstruierten Frankfurter Altstadt.  © Foto: Diether v. Goddenthow
Hühnermarkt mit Stoltze-Brunnen der teilrekonstruierten Frankfurter Altstadt, dem neuen Herz Frankfurts. © Foto: Diether v. Goddenthow

Die Frankfurter und Touristen aus aller Welt lieben die neue Frankfurter Altstadt. Das Frankfurter Presseamt teilt mit, dass die neue Frankfurter Altstadt seit ihrer Eröffnung ein echter Besucher- und Touristenmagnet ist.  Die aufwendig gestalteten Fassaden und der Mix aus Alt und Neu begeistern jedoch nicht nur die Besucher, sondern sorgen auch auf internationaler Ebene für Aufmerksamkeit: Jüngst gab die renommierte Fachjury der internationalen Immobilienfachmesse MIPIM, die vom 12. bis 15. März in Cannes stattfindet, die Nominierung der Altstadt für einen MIPIM-Award bekannt. Nominiert ist das Projekt in der Kategorie Stadterneuerung („Best Urban Regeneration Project“), gemeinsam mit drei weiteren Projekten aus China, Taiwan und Russland. Die MIPIM, kurz für „Marché International des Professionnels de l’immobilier“ zählt zu den wichtigsten europäischen Immobilienfachmessen.

„Diese Nominierung allein ist schon eine Auszeichnung. Noch schöner wäre es, den MIPIM-Award zu gewinnen“, sagt Oberbürgermeister Peter Feldman. „Ich denke, unsere neue Altstadt hat beste Aussichten, den Preis zu holen – ein solches Ensemble sucht nicht nur national, sondern auch international seinesgleichen. Und wenn man erlebt, wie viele Menschen täglich durch die Gassen zwischen Dom und Römer spazieren, stehen bleiben und die Fassaden betrachten oder an einer Führung teilnehmen, weiß man – Frankfurt hat mit der Entscheidung für die neue Altstadt alles richtig gemacht.“

Bürger nehmen ihre Stadt in Besitz - Impression während der Eröffnung am 20. September 2018 © Foto: Diether v. Goddenthow
Bürger nehmen ihre Stadt in Besitz – Impression während der Eröffnung am 20. September 2018 © Foto: Diether v. Goddenthow

Für Planungsdezernent Mike Josef ist die Aufnahme in die Shortlist des prestigeträchtigen MIPIM-Awards eine große Auszeichnung und Bestätigung für den eingeschlagenen Weg. „In der Frankfurter Altstadt wird der urbane Nutzungsmix lebendig, der Städte auszeichnet und lebenswert macht. Wohnungen, Geschäfte, Cafés, Museen und öffentliche Plätze sorgen zusammen mit der gelungenen Mischung aus Alt und Neu für ein besonderes Lebensgefühl.“

Der Wettbewerb um die begehrten Awards ist groß: 200 Projekte aus 58 Ländern standen der Jury zur Auswahl. In elf Kategorien gibt es einen Preis zu gewinnen; verliehen werden diese am 14. März im Rahmen der Messe. Gewinnen wird am Ende das Projekt, das nicht nur die Jury überzeugt, sondern auch die Messebesucher. Diese können in den ersten Messetagen für ihre Favoriten abstimmen.

„Der Kaiser mit Frankfurter Gefolge beschreitet den Krönungsweg vom Dom zum Römer“, live Act der Fliegenden Volksbühne Frankfurt, die drei Tage lang im neuen Altstadt-Quartier Figuren und Szenen von der Römerzeit bis in die Gegenwart in Originalkostümen inszenierte. © Foto: Diether v. Goddenthow
„Der Kaiser mit Frankfurter Gefolge beschreitet den Krönungsweg vom Dom zum Römer“, live Act der Fliegenden Volksbühne Frankfurt, die drei Tage lang im neuen Altstadt-Quartier Figuren und Szenen von der Römerzeit bis in die Gegenwart in Originalkostümen inszenierte. © Foto: Diether v. Goddenthow

„Wir freuen uns sehr über die Nominierung, die zeigt, wie groß die internationale Aufmerksamkeit für den Frankfurter Altstadt-Wiederaufbau ist“, erklärt Michael Guntersdorf, Geschäftsführer der DomRömer GmbH. „Wir werden selbst die Messe in Cannes besuchen und sind schon sehr gespannt auf die Verleihung“, ergänzt Marion Spanier-Hessenbruch, Projektleiterin bei der DomRömer GmbH. „Natürlich freuen wir uns auf tatkräftige Unterstützung der Besucher durch die Abstimmung für unser Projekt. Nun heißt es: Daumen drücken!“

Frankfurter Altstadt offiziell eröffnet. Professor Mäckler plädiert für Weiterentwicklung der im Gestern verhafteten Moderne

Bürger „holen sich begeistert ihre Altstadt zurück“: Heitere, ausgelassene Stimmung, Wohlfühl-Atmosphäre. Es scheint als sei es eine Abstimmung mit den "Füßen" wie Menschen am liebsten leben würden: in Gemäuern mit liebevoll verspielten Außenfassaden und innen ausgestattet mit moderner Technik auf der Höhe der Zeit. © Foto: Diether v. Goddenthow © Foto: Diether v. Goddenthow
Bürger „holen sich begeistert ihre Altstadt zurück“: Heitere, ausgelassene Stimmung, Wohlfühl-Atmosphäre. Es scheint als sei es eine Abstimmung mit den „Füßen“ wie Menschen am liebsten leben würden: in Gemäuern mit liebevoll verspielten Außenfassaden und innen ausgestattet mit moderner Technik auf der Höhe der Zeit. © Foto: Diether v. Goddenthow © Foto: Diether v. Goddenthow

Drei Tage lang, vom 28. bis 30. September 2018, feiert Frankfurt die offizielle Eröffnung seiner bereits seit 9. Mai 2018 zugänglichen Altstadt. Gegen 9.30 Uhr durchtrennte Oberbürgermeister Peter Feldmann symbolisch das  über den Krönungsweg gespannte rote Samtband. Der Festakt mit zirka 800 geladenen Gästen aus Gesellschaft, Politik und Wirtschaft fand anschließend in der Paulskirche statt. Professor Dr. Christoph Mäckler, Architekt und Vorsitzender des Frankfurter Gestaltungsbeirates, hielt eine vielbeachtete Festrede.

Oberbürgermeister Feldmann: „Ein Stück Stadt realisiert, das die Menschen in ihrem Herz berührt!“
Oberbürgermeister Peter Feldmann durchtrennt in Beisein von Amtsvorgängerin Dr. Petra Roth und Planungsdezernent Mike Josef symbolisch das rote Band in der Mitte des historischen Krönungsweges zur offiziellen feierlichen Eröffnung der neuen Frankfurter Altstadt. Links in der hinteren Reihe: Michael Guntersdorf, Geschäftsführer der DomRömer GmbH und Professor Dr. Joseph Mäckler, Vorsitzender des Gestaltungsbeirates für die Altstadt. .© Foto: Diether v. Goddenthow
Oberbürgermeister Peter Feldmann durchtrennt in Beisein von Amtsvorgängerin Dr. Petra Roth und Planungsdezernent Mike Josef symbolisch das rote Band in der Mitte des historischen Krönungsweges zur offiziellen feierlichen Eröffnung der neuen Frankfurter Altstadt. Links in der hinteren Reihe: Michael Guntersdorf, Geschäftsführer der DomRömer GmbH und Professor Dr. Joseph Mäckler, Vorsitzender des Gestaltungsbeirates für die Altstadt. .© Foto: Diether v. Goddenthow

Begonnen hatten die Feierlichkeiten der  Altstadt-Eröffnung gegen 9.30 Uhr mit der Durchtrennung eines über den Krönungsweg gespannten roten Samtbandes, bevor der eigentliche Festakt gegen 10 Uhr – mit einer Gedenkminute für die Opfer der Zerstörung der Altstadt im 2 Weltkrieg –  in der Paulskirche  begann. Die Eröffnung sei „das Ereignis des Jahres“, sagte Feldmann. „Mit der Altstadt haben wir ein Stück Stadt realisiert, das die Menschen in ihrem Herz berührt. Ganz Frankfurt wartet seit Jahren auf diesen Tag“, sagte Feldmann „Wir geben heute der Stadt Herz und Seele zurück“. Der Oberbürgermeister räumte ein, dass er zunächst nicht zu den Befürwortern zählte, sich aber – wie inzwischen viele andere auch – von der Richtigkeit des Projektes habe überzeugen und anrühren lassen.

Mit besonderer Hingabe hätten die Frankfurter Bürger das Projekt begleitet, dafür gekämpft. Denn es entspreche einem tief empfundenen Bedürfnis der Frankfurter nach Identität: Es sei ein Quartier geworden, das durch architektonische Harmonie und Aufenthaltsqualität besteche. Von den 35 Häusern entstanden 15 getreu ihren Vorgängern, die anderen in modernen Formen, welche sich in das Ensemble einpassen. Die ursprüngliche Frankfurter Altstadt, die zu den größten Fachwerkvierteln in Deutschland gehörte, wurde im März 1944 durch Bombenangriffe völlig zerstört. 1974 entstand auf dem Areal das Technische Rathaus, ein schmuckloser Betonbau. Dieser wurde 2010 abgerissen.
In der wiederaufgebauten Altstadt fänden die Frankfurter die Balance von Emotionalität und deren historischen Spuren. Das mache das Projekt so besonders!, beschrieb der Oberbürgermeister den einzigartigen Charakter des neuen Altstadt-Stadtteils zwischen Römer und St. Bartholomäus-Dom. Er führe zu den Wurzeln der Frankfurter Gesellschaft zurück, denn die Altstadt sei auch Ausgangspunkt der 800-jährigen Frankfurter Messegeschichte und Internationalität, an dem Händler ihre Geschäfte abgewickelt hätten.

"Der Kaiser mit Frankfurter Gefolge beschreitet den Krönungsweg vom Dom zum Römer", live Act der Fliegenden Volksbühne Frankfurt, die drei Tage lang im neuen Altstadt-Quartier Figuren und Szenen von der Römerzeit bis in die Gegenwart in Originalkostümen inszenierte.  © Foto: Diether v. Goddenthow
„Der Kaiser mit Frankfurter Gefolge beschreitet den Krönungsweg vom Dom zum Römer“, live Act der Fliegenden Volksbühne Frankfurt, die drei Tage lang im neuen Altstadt-Quartier Figuren und Szenen von der Römerzeit bis in die Gegenwart in Originalkostümen inszenierte. © Foto: Diether v. Goddenthow

„Die lebenswerte Stadt“  – Festvortrag  von Prof. Christoph Mäckler anlässlich der Eröffnungsfeier in der Paulskirche

Neue Altstadt hat Vorbildfunktion 

Prof. Dr. Christoph Mäckler, Vorsitzender des Gestaltungsbeirates für die Altstadt© Foto: Diether v. Goddenthow
Prof. Dr. Christoph Mäckler, Vorsitzender des Gestaltungsbeirates für die Altstadt© Foto: Diether v. Goddenthow

Der Neubau des Stadtviertels DomRömer in Frankfurt am Main habe weit über die Grenzen der Stadt hinaus inzwischen Vorbildfunktion, sowohl hinsichtlich „der Idee, ein Stück Stadt, in dem Geschichte stattgefunden hat, wieder erlebbar zu machen.“,
als auch für den klugen Einsatz einer Organisationsstruktur mit klug ausgewählten unterschiedlichen, sich gegenseitig respektierenden Akteuren, durch die ein derartiges Bauvorhaben erst realisierbar würde, lobte Professor Dr.  Christoph Mäckler die inzwischen aus dem Altstadt-Projekt erwachsene positive vorbildhafte Eigendynamik in seinem Festvortrag „Die lebenswerte Stadt“ anlässlich der Eröffnung der neuen Altstadt in der Paulskirche am 28.9.2018

Die Menschen haben den ungestalteten Zeilen- und Siedlungsbau satt

Sie haben sich die neue Altstadt zu eigen gemacht. Frankfurter und Besucher, hier auf dem Hühnermarkt mit Stoltz-Denkmal, sind einfach stauend beglückt über soviel atmosphärisch angenehme Architektur. © Foto: Diether v. Goddenthow
Sie haben sich die neue Altstadt zu eigen gemacht. Frankfurter und Besucher, hier auf dem Hühnermarkt mit Stoltz-Denkmal, sind einfach stauend beglückt über soviel atmosphärisch angenehme Architektur. © Foto: Diether v. Goddenthow

Am Beispiel des DomRömer-Areals werde sehr deutlich, dass es offenbar ein Bedürfnis in unserer Gesellschaft gäbe, städtischen Raum, den öffentlichen Raum unserer Straßen und Plätze, zu gestalten. „Oder wie ist es zu verstehen, dass die städtische Politik ein technisches Rathaus, kaum 40 Jahre alt, für viele Millionen abreißen lässt, ohne aus dem Römer gejagt zu werden?“, so Mäckler. Es gebe in der Bevölkerung eine positive Empfindung für den öffentlichen Raum, ohne dass der Bürger in der Lage wäre zu sagen, wie man ihn herstellen könne. Sicher sei nur, „er lebt lieber in einem wohl geordneten, gestalteten städtischen Raum, als in einem ungestalteten Zeilen- oder Siedlungsbau, wie wir ihn deutschlandweit in unseren neuen Vorstädten finden“, schrieb der bekannte  Architekturprofessor unter großem Beifall seinen Kollegen ins Stammbuch.

Die goldene Waage, eines der schönsten restaurierten Häuser in der Altstadt. © Foto: Diether v. Goddenthow
Die goldene Waage, eines der schönsten restaurierten Häuser in der Altstadt. © Foto: Diether v. Goddenthow

Denn unsere Gesellschaft liebe, das würde im neuen Altstadtquartier deutlich, den städtischen öffentlichen Raum der europäischen Stadt, mit großer Einwohnerdichte und sozialer  und funktionaler Mischung, wie wir sie beispielsweise in Stadtteilen wie Bornheim oder Bockenheim finden“, konstatierte Mäckler und stellte die entscheidende Frage: „Warum also planen wir derartige Stadtquartiere nicht? Die vielen Bürgerbeteiligungen, die einer jeden Neubebauung vorangehen, sind nicht in erster Linie Zeichen eines besonderen demokratischen Engagements unserer Gesellschaft, sondern vor allem Ausdruck einer tiefen Unzufriedenheit mit dem, was wir an öffentlichen Räumen realisieren. Die moderne Stadt unserer Zeit hat keine von Häusern eingefassten Platz- und Straßenräume, in denen sich der Bewohner wohl fühlen würde“.

Bei allen größeren öffentlichen Ereignissen, etwa, wenn Eintracht Frankfurt Bayern München im DFB-Pokal besiege, so werde sie auf dem historischen Römerberg und nicht auf dem Riedberg empfangen. Oder in Paris habe die gewaltige Demonstration Charlie Hebdo im Januar 2015 für Freiheit und Demokratie auch nicht in den Banlieues von Paris, sondern im Herzen der Stadt, auf dem Place de la République stattgefunden, gab Mäckler Beispiele dafür, „dass der öffentliche Raum der europäischen Stadt, jene Straßen- und Platzräume, den Sozialraum unserer demokratischen Gesellschaft bilden.“

Die Fassaden machen den Flair der öffentlichen Räume

Keine Rekonstruktion, sondern neu entworfen: Das Haus Markt 14 am Hühnermarkt. Architekten Johannes Götz und Guido Lohmann. © Foto: Diether v. Goddenthow
Keine Rekonstruktion, sondern neu entworfen: Das Haus Markt 14 am Hühnermarkt. Architekten Johannes Götz und Guido Lohmann. © Foto: Diether v. Goddenthow

Die Außenwände der Innenwände unserer Häuser bildeten den öffentlichen Raum. Es seien „ausschließlich Fassaden, genauer gesagt: es sind die Straßen- und Platzfassanden, ihre Schönheit, Größe und Gestalt, mit denen wir unsere öffentlichen Straßen und Plätze als lebenswerte Stadträume formen“ , erklärte der Festredner und hob hervor, dass „unabhängig von der Bewertung, ob es sich bei den Hausfassaden um Rekonstruktionen oder Neubauten handelt,“ es eben diese Gestaltungselemente seien, welche „die Bedeutung der Altstadtbauten zwischen Dom und Römer“ ausmache. Es sei der städtische Raum mit Hühnermarkt und all den anderen Gassen des Altstadtquartiers, die  „neuen städtischen Räume im Herzen der Stadt Frankfurt am Main, die uns Geborgenheit und Aufenthaltsqualität vermitteln“.

Blickachse zur Hinterseite des Rebstockhofes. © Foto: Diether v. Goddenthow
Blickachse zur Hinterseite des Rebstockhofes. © Foto: Diether v. Goddenthow

Bei der Ausschreibung des Architektenwettbewerbes wurden Entwürfe für giebelständige Wohn- und Geschäftshäuser mit steilen Schieferdächern und Straßenfassaden unter Verwendung von farbigem Putz und rotem Mainsandstein gesucht. Vor allem die jüngeren Architekten hätten mit Bravour diese Aufgabe gelöst, erinnert sich Mäckler und verweist als Beispiele dafür auf das Eckhaus der Architekten Johannes Götz und Guido Lohmann aus Köln und auf ein Haus des Berliner Architekten Ulrich von Ey. Ihre Häuser sind keine Rekonstruktionen, sondern neue, „moderne Hausentwürfe, die sich in ihrer Architektursprache dem Ort und seiner Geschichte anpassen, ohne sich dabei anzubiedern.“ Und wenn man vom Römer aus am Steinernen Haus in den Krönungsweg des neuen Stadtquartiers mit dem St. Bartholomäus Dom im Hintergrund schaue, sehe man an dessen Beginn das Giebelhaus „Zu den drei Römern“ der Architekten Jordi und Keller. Bei genauerer Betrachtung findet man „Eckfenster in der Giebelfassade, die im mittelalterlichen Fachwerksbau baukonstruktiv nicht möglich waren“.  Erst als zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Stahlbeton zur Verfügung stand, „findet sich das Eckfenster in der Fassade und man kann sagen, dass dieses Eckfenster symbolisch für die frühe Moderne in der Architektur der zwanziger Jahre steht“, erklärt der Festredner ein für Laien nicht sofort identifizierbares Detail als Beispiel wie sich im Haus „Zu den Drei Römern“ „die Moderne mit dem Typus der mittelalterlichen Architektur“ verbindet, wie Neues auf Altem aufbaue und für den Betrachter zu einem gewohnten Bild und etwas Selbstverständlichem, dem Orte Angemessenen, verschmelze, so Mäckler.

Abschiednehmen vom ewigen Gestern der Moderne 

Zahlreiche der 35 Häuser des neuen Altstadt-Quartiers, wie auch das rote Haus von Mäcklers Schweizer Kollegen Meinrad Morger, seien etwas Besonderes, weil sie nicht in das vorherrschende Denken unserer Zeit passten, so der Festredner. Denn die Moderne der frühen zwanziger Jahre des 20. Jahrhunderts in Deutschland sei eine Reaktion auf das Kaiserreich und eine revolutionäre Architektur gewesen, „doch der Kaiser hat“, so Mäckler, „vor 100 Jahren abgedankt und wenn wir modern sein wollen, so müssen wir uns einer neuen Revolution widmen.“

Die neue Revolution bestehe nicht in noch mehr Altstädten. Aber „all jenen Architekten, die sich noch immer im Gestern der Moderne bewegen und sich jeder Weiterentwicklung von Architektur und Städtebau verwehren, weil sie das Denken mit der Diplomprüfung eingestellt haben“, widmete Mäckler,  augenzwinkernd, ein  Zitat  des  Architekten, Architekturkritikers und Kulturpublizisten Adolf Loos aus dem Jahre 1908:

„Das Haus hat allen zu gefallen. Zum Unterschiede zum Kunstwerk, das niemanden zu gefallen hat.
Das Kunstwerk ist eine Privatangelegenheit des Künstlers. Das Haus ist es nicht.
Das Kunstwerk wird in die Welt gesetzt, ohne dass ein Bedürfnis vorhanden wäre.
Das Haus deckt ein Bedürfnis. Das Kunstwerk ist niemandem verantwortlich, das Haus einem jeden.
Das Kunstwerk will die Menschen aus ihrer Bequemlichkeit reißen. Das Haus hat der Bequemlichkeit zu dienen.
Das Kunstwerk ist revolutionär, das Haus konservativ.
Das Kunstwerk weißt der Menschheit neue Wege und denkt an die Zukunft. Das Haus denkt an die Gegenwart.
Der Mensch liebt alles, was seiner Bequemlichkeit dient. Er hasst alles, was ihn aus seiner gewonnenen und gesicherten Position reißen will und belästigt. Und so liebt er das Haus und hasst die Kunst.“

Quelle: Christoph Mäckler in:Festvortrag „Die lebenswerte Stadt“ 28.09.2018,  zit.n.: Loos, Adolf, Das Werk des Architekten, 1910.

Neue Frankfurter Philharmonie. © Foto: Diether v. Goddenthow
Neue Frankfurter Philharmonie. © Foto: Diether v. Goddenthow

Für die musikalische Umrahmung mit Mozart Divertimento D Dur, KV 136, und dem Nena Song „Leuchtturm“, symbolisch  für alt und modern stehend, sorgte die „Neue Philharmonie Frankfurt“.

(Diether v. Goddenthow/Rhein-Main.Eurokunst)

Programm des dreitägigen  „Altstadtfestes“

Altstadt-Impression. © Foto: Diether v. Goddenthow
Altstadt-Impression. © Foto: Diether v. Goddenthow
Die neue Altstadt – Das große Begleitbuch
955423070_Die_Neue_Altstadt

Die Stadt Frankfurt hat ein wunderbares Begleitbuch in zwei Bänden über die Entstehung (Bd.1) und mit der Beschreibung jeden einzelnen Hauses des Quartiers (Bd.2) herausgegeben. Dieses von Matthias Alexander kuratierte Werk dokumentiert und kommentiert das gesamte Altstadtprojekt von der Planung, politischen Diskussion bis hin zu Baubeginn, Durchführung und Vollendung. Die großformatige Edition besticht durch aufwendiges Layout und eine Vielzahl bisher nicht veröffentlichter Abbildungen.

Leseprobe

Matthias Alexander (Hg.)
Die Neue Altstadt. Frankfurter Societäts-Medien GmbH, Frankfurt September 2018
448 Seiten, ISBN: 978-3-95542-307-0,

50,00 Euro im regionalen Buchhandel oder direkt über den Verlags-Shop: https://societaets-verlag.de/produkt/die-neue-altstadt/ 

Architekten-Ausstellung „Neue Standards“ mit 10 neuen Thesen zum Wohnen ab 11.09.2018 im Landesmuseum Mainz

© Foto: Diether v. Goddenthow
© Foto: Diether v. Goddenthow

Architekten stellen im Landesmuseum Mainz zehn Thesen zum Wohnen vor. Führungen werden im Rahmen der Ausstellung „Neue Standards“ angeboten / Auftakt am 11. September

Im Rahmen der aktuellen Ausstellung „Neue Standards“ im Landesmuseum Mainz der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (GDKE) stellen Architekten im September und Oktober zehn Thesen zum Wohnen vor. Den Auftakt bildet am 11. September die Führung von Prof. Heinrich Lessing, der in Mainz sein eigenes Architektenbüro betreibt.

Eine der Thesen, die bei der Führungsreihe anhand von Plänen, Modellen, Filmen und auch einem Spiel vorgestellt werden, lautet: Dichte als Möglichkeit. Auch in den kommenden Jahren werden Wohnungen in einer großen Anzahl gebaut. Laut den Architekten, die in der Ausstellung aus ihrem persönlichen Erfahrungshintergrund ihre „neuen Standards“ für den Wohnungsbau formulieren, sei dies kaum möglich, ohne dass Wohngebiete und Innenstädte nachverdichtet, Baulücken geschlossen und Gebäude aufgestockt werden: Die Stadt werde dichter, denn auf gleichem Raum werden mehr Einwohner leben.

In der Ausstellung „Neue Standards. Zehn Thesen zum Wohnen“ plädieren die Architekten Verena von Beckerath und Tim Heide (HEIDE & VON BECKERATH, Berlin) mit „Dichte als Möglichkeit“ dafür, durch städtische Dichte vielfältige, lebendige und somit geschätzte Stadtquartiere zu schaffen.

Die Architekten-Ausstellung wurde von Olaf Bahner und Matthias Böttger für den Bund Deutscher Architekten BDA kuratiert. Ausstellung, Publikation und Rahmenprogramm werden durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (ehemals BMUB) und das Bündnis für bezahlbares Wohnen und Bauen gefördert.

Die Ausstellung und das Veranstaltungsprogramm finden in Kooperation mit dem Ministerium der Finanzen Rheinland-Pfalz, der Architektenkammer Rheinland-Pfalz und der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz statt.

Die Führung von Heinrich Lessing beginnt am 11. September um 18 Uhr. Die zehn Thesen auf dem Weg zu „Neuen Standards“ stellen am 9. Oktober um 17 Uhr Prof. Marcus Rommel und am 21. Oktober um 11 Uhr Prof. Dirk Bayer vor. Der Eintritt ist jeweils frei.

Ort:
Landesmuseum Mainz,
Große Bleiche 49-51,
55116 Mainz
Eintritt 5 Euro

Hessischer Denkmalschutzpreis ehrt Engagement für Kulturschätze Preise im Wert von insgesamt 27.500 Euro vergeben

Die Preisträgerinnen und Preisträger des diesjährigen Hessischen Denkmalschutzpreise auf der Freitreppe des Biebricher Schlosses. © Foto: Diether v. Goddenthow
Die Preisträgerinnen und Preisträger des diesjährigen Hessischen Denkmalschutzpreise auf der Freitreppe des Biebricher Schlosses. © Foto: Diether v. Goddenthow

Wiesbaden. Kunst- und Kulturminister Boris Rhein hat heute den Hessischen Denkmalschutzpreis 2018 vergeben. In der Rotunde des Biebricher Schlosses ehrte er Privatpersonen und Organisationen, die eine Leidenschaft teilen: Sie haben mit individuelle Lösungen, handwerklich-technischer Qualität und besonderem Engagement Denkmäler restauriert oder erforscht. Die Preisträgerinnen und Preisträger kommen aus den Landkreisen Bergstraße, Darmstadt Dieburg, Gießen, Kassel, Limburg-Weilburg, dem Hochtaunuskreis, dem Lahn-Dill-Kreis, dem Main-Kinzig-Kreis, dem Main-Taunus Kreis, dem Odenwaldkreis, Schwalm-Eder-Kreis und der Stadt Frankfurt.

„Wer glaubt, Denkmalpflege sei irrational und sentimental und habe vor allem mit der Vergangenheit und ihren Lasten zu tun, der irrt gründlich. Das Gegenteil ist richtig: Denkmalpflege ist eine Investition in die Zukunft“, betonte Kunst- und Kulturminister Boris Rhein. „Baudenkmäler und ganze Ensembles, historische Stadtkerne und neu genutzte Bauten der Industriegeschichte tragen zur Urbanität und Lebensqualität in unserem Land bei. Das wäre allerdings nicht möglich ohne das große Engagement der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes, wie unser Denkmalschutzpreis Jahr für Jahr deutlich macht. Ich gratuliere den Preisträgerinnen und Preisträgern herzlich und wünsche Ihnen weiterhin viel Schaffenskraft bei der Pflege ihrer historischen Schätze.“

Kunst- und Kulturminister Boris Rhein, hier während seines Grußwortes,  hat heute im Schloss Biebrich den Hessischen Denkmalschutzpreis 2018 vergeben.© Foto: Diether v. Goddenthow
Kunst- und Kulturminister Boris Rhein, hier während seines Grußwortes, hat heute im Schloss Biebrich den Hessischen Denkmalschutzpreis 2018 vergeben.© Foto: Diether v. Goddenthow

Der Hessische Denkmalschutzpreis ist mit insgesamt 27.500 Euro dotiert, 20.000 Euro stiftet die Lotto Hessen GmbH. Die hessische Lotteriegesellschaft hatte den Hessischen Denkmalschutzpreis gemeinsam mit dem Landesamt für Denkmalpflege in Hessen im Jahr 1986 ins Leben gerufen und stellt seitdem das Preisgeld zur Verfügung. Hinzu kommt der Ehrenamtspreis, der seit dem vergangenen Jahr als eigene Kategorie vergeben wird. Das Preisgeld in Höhe von 7.500 Euro stellt die Hessische Staatskanzlei.

Der mit 8.000 Euro dotierte erste Preis für eine Privatperson geht an Dr. Jochen Karl. Er hat ein 1669 erbautes ehemaliges Forsthaus an der Hauptstraße in Staufenberg- Treis restauriert und dabei Inschriften, alte Putze und Schablonenmalereien aus dem 18. und 19. Jahrhundert entdeckt. Mit seiner Arbeit hat Dr. Karl einen wichtigen Beitrag zur kulturellen Identität des historischen Ortskerns geleistet, befand die Jury. Den ersten Preis für Institutionen (undotiert) gewann die Evangelische Kirche von Kurhessen für die Renovierung und behutsame Umwandlung des kleinen Sommerschlösschens in Hofgeismar in ein Tagungsgebäude.

Roswitha Bruggaier und Diez Eichler aus Nidderau im Main-Kinzig Kreis freuten sich über den mit 7.000 Euro dotierten zweiten Preis. Sie haben das ehemalige Pfarrhaus in ihrem Wohnort restauriert. Der dritte Preis (5.000 Euro) ehrt den Förderverein Synagoge Schupbach in Beselich im Landkreis Limburg-Weilburg. Die Mitglieder haben das Gebäude vor dem Verfall gerettet und vor allem die aufwändige Deckenmalerei, die einen Sternenhimmel zeigt, wieder zum Vorschein gebracht.

Die Ehrenamtspreise, je dotiert mit 2.500 Euro, belohnten das Engagement der Interessengemeinschaft Jüdischer Friedhof Bad Soden (Main-Taunus-Kreis), den Arbeitskreis Denkmal im Verein für Heimatgeschichte Leun (Lahn-Dill-Kreis) und den Verein Altbergbau Bergstraße-Odenwald. Gewürdigt wurden zudem Projekte in Frankfurt-Höchst, Frankfurt Sachenhausen, Bad Homburg und Homberg Efze.

„Die ausgezeichneten Projekte zeigen, wie vielfältig Denkmalschutz ist. Und auch die Hessische Landesregierung arbeitet mit verschiedenen Mitteln daran, unsere Kulturschätze zu bewahren. So haben wir zur Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements und zur Betonung der ehrenamtlichen Denkmalpflege die Denkmal- Fördermittel um 200.000 Euro auf 8,21 Millionen Euro erhöht. Zudem habe ich im Juni dieses Jahres erstmalig die Auszeichnung ,Denkmal des Monats‘ überreicht, die Denkmäler in den Fokus rückt, über die der Blick sonst vielleicht hinwegschweifen würde. Kulturdenkmäler sind Zeugnisse der Heimat- und Landesgeschichte und identitätsstiftend für die hessischen Bürgerinnen und Bürger. Nicht selten werden sie zudem von ihnen restauriert und gepflegt. Dieses Engagement wollen wir auf vielfältige Art würdigen“, so Kunst- und Kulturminister Boris abschließend.

Preisträger des Hessischen Denkmalschutzpreises 2018

Preisträger: Dr. Jochen Karl, Staufenberg-Treis (Landkreis Gießen)

Die Preisträger mit Kunst- und Kulturminister Boris Rhein und Dr. Markus Harzenetter Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen.© Foto: Diether v. Goddenthow
Die Preisträger mit Kunst- und Kulturminister Boris Rhein und Dr. Markus Harzenetter
Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen.© Foto: Diether v. Goddenthow

Projekt: Ehemaliges Forsthaus
Preis: 1. Preis privat (8.000 Euro)
Mit der Sanierung des ehemaligen Forsthauses in Staufenberg-Treis hat Herr Dr. Karl gezeigt, dass insbesondere „schwierige“ Kulturdenkmäler einen wichtigen Beitrag zur kulturellen Identität des historischen Ortskernes leisten.

Preisträger: Evangelische Kirche von Kurhessen Waldeck, Hofgeismar (Landkreis Kassel)

Die Preisträger mit Kunst- und Kulturminister Boris Rhein und Dr. Markus Harzenetter Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen.© Foto: Diether v. Goddenthow
Die Preisträger mit Kunst- und Kulturminister Boris Rhein und Dr. Markus Harzenetter
Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen.© Foto: Diether v. Goddenthow

Projekt: Schloss Schönburg
Preis: 1. Preis öffentlich (ohne Preisgeld)
Für ihre behutsame Anpassung des Schlösschens Schönburg an die Anforderungen einer modernen Tagungsstätte und die Wiederherstellung eines homogenen Erscheinungsbildes sowohl der Gebäudehülle als auch der historischen Oberflächen.

Preisträger: Roswitha Bruggaier und Diez Eichler, Nidderau-Windecken (Main-Kinzig-Kreis)

Die Preisträger mit Kunst- und Kulturminister Boris Rhein und Dr. Markus Harzenetter Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen.© Foto: Diether v. Goddenthow
Die Preisträger mit Kunst- und Kulturminister Boris Rhein und Dr. Markus Harzenetter
Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen.© Foto: Diether v. Goddenthow

Projekt: Ehemaliges Pfarrhaus
Preis: 2. Preis (7.000 Euro)
Für die einfühlsame Sanierung und Wiederherstellung des ehemaligen Pfarrhauses in Nidderau-Windecken.

Preisträger: Förderverein Synagoge Schupbach, Beselich-Schupbach (Landkreis Limburg-Weilburg)

Die Preisträger mit Kunst- und Kulturminister Boris Rhein und Dr. Markus Harzenetter Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen.© Foto: Diether v. Goddenthow
Die Preisträger mit Kunst- und Kulturminister Boris Rhein und Dr. Markus Harzenetter
Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen.© Foto: Diether v. Goddenthow

Projekt: Ehemalige Synagoge
Preis: 3. Preis (5.000 Euro)
Dem besonderen Engagement des Fördervereins Synagoge Schupbach ist es zu verdanken, dass die Decke mit ihrem Sternenhimmel nun wieder sicher über dem Betraum verankert ist und künftig als Veranstaltungsort und Treffpunkt für Überlebende aus der ganzen Welt genutzt werden kann.

Projekte: „Zum Goldenen Anker“ u. Ehemalige Scheune Landesfeind

Die Preisträger "Zum Goldenen Anker“ und "Ehemalige Scheune Landesfeind" mit Kunst- und Kulturminister Boris Rhein und Dr. Markus Harzenetter Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen.© Foto: Diether v. Goddenthow
Die Preisträger „Zum Goldenen Anker“ und „Ehemalige Scheune Landesfeind“ mit Kunst- und Kulturminister Boris Rhein und Dr. Markus Harzenetter
Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen.© Foto: Diether v. Goddenthow

Preisträger: KEG Konversions-Grundstücksentwicklungsgesellschaft, Rainer Wrenger, Frankfurt-Höchst
Projekt: „Zum Goldenen Anker“
Preis: Würdigung
Für die Instandsetzung des Gebäudes, Bolongarostrasse 156, die auch einen wichtigen Beitrag zur städtebaulichen Denkmalpflege leistet.

Preisträger: Magistrat der Stadt Homberg/Efze, Schwalm-Eder-Kreis
Projekt: Ehemalige Scheune Landesfeind
Preis: Würdigung
Der Umbau der historischen Scheune Landesfeind in eine Kindertagesstätte ist ein wichtiger Beitrag zur Revitalisierung der Altstadt von Homberg-Efze.

Projekte: Ehemalige Bundesschuldenverwaltung und Wohnhaus Mäckler

Die Preisträger "Ehemalige Bundesschuldenverwaltung“ und "Wohnhaus Mäckler" mit Kunst- und Kulturminister Boris Rhein und Dr. Markus Harzenetter Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen.© Foto: Diether v. Goddenthow
Die Preisträger „Ehemalige Bundesschuldenverwaltung“ und „Wohnhaus Mäckler“ mit Kunst- und Kulturminister Boris Rhein und Dr. Markus Harzenetter
Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen.© Foto: Diether v. Goddenthow

Preisträger: Magistrat der Stadt Bad Homburg (Hoch-Taunus-Kreis)
Projekt: Ehemalige Bundesschuldenverwaltung
Preis: Würdigung
Für die zurückhaltende Herstellung und zeitgemäße Weiterentwicklung des ursprünglichen Erscheinungsbildes des Gebäudes, das nun wieder eine wichtige Funktion im Stadtbild von Bad Homburg hat.

Preisträger: Anna von Lüneburg und Christian Gärtner, Frankfurt-Sachsenhausen
Projekt: Wohnhaus Mäckler
Preis: Würdigung
Für den behutsamen Umgang mit der historischen Bausubstanz bei den umfassenden Renovierungsarbeiten.

Preisträger: Interessengemeinschaft Jüdischer Friedhof Bad Soden

Die Preisträger mit Kunst- und Kulturminister Boris Rhein und Dr. Markus Harzenetter Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen.© Foto: Diether v. Goddenthow
Die Preisträger mit Kunst- und Kulturminister Boris Rhein und Dr. Markus Harzenetter
Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen.© Foto: Diether v. Goddenthow

(Main-Taunus-Kreis)
Projekt: Jüdischer Friedhof
Preis: Ehrenamtspreis (2.500 Euro)
Der Verein Interessengemeinschaft Jüdischer Friedhof in Bad Soden hat vorbildliche Erinnerungsarbeit geleistet und dazu beigetragen, dass ein besonderes Kulturdenkmal nun hervorragend dokumentiert ist.

Preisträger: Arbeitskreis Denkmal im Verein für Heimatgeschichte Leun (Lahn-Dill-Kreis)

Die Preisträger mit Kunst- und Kulturminister Boris Rhein und Dr. Markus Harzenetter Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen.© Foto: Diether v. Goddenthow
Die Preisträger mit Kunst- und Kulturminister Boris Rhein und Dr. Markus Harzenetter
Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen.© Foto: Diether v. Goddenthow

Projekt: Denkmal für die „Helden-Kaiser Wilhelm I. und Friedrich III.“ und vier Leuner Bürger, gefallen 1870/71
Preis: Ehrenamtspreis (2.500 Euro)
Der intensiven Überzeugungs- und Öffentlichkeitsarbeit des „Arbeitskreises Denkmal“ ist es zu verdanken, dass das historisch bedeutsame Mahnmal und seine Außenanlagen denkmalgerecht saniert wurden.

Preisträger: AG Altbergbau des Vereins Altbergbau Bergstraße-

Die Preisträger mit Kunst- und Kulturminister Boris Rhein und Dr. Markus Harzenetter Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen.© Foto: Diether v. Goddenthow
Die Preisträger mit Kunst- und Kulturminister Boris Rhein und Dr. Markus Harzenetter
Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen.© Foto: Diether v. Goddenthow

Odenwald, Birkenau (Landkreis Bergstraße)
Projekt: Bergbau im Odenwald
Preis: Ehrenamtspreis (2.500 Euro)
Für seinen Beitrag zur interdisziplinären Kulturlandschaftsforschung.

Die Preisträger des Hessischen Denkmalschutzpreises 2018