Neues Heim zum 100sten Grabungsgeburtstag –
Ausstellungsbereich Fische und Marine Reptilien neu gestaltet
Frankfurt, den 22.10.2015. Eines der spektakulärsten Stücke des Senckenberg Naturmuseums feiert 100sten Ausgrabungs-Jahrestag : die Pflasterzahnechse Placodus gigas. Der vor einem Jahrhundert entdeckte Meeressaurier ist als weltweit einziges Exemplar komplett erhalten. Anlässlich des Jubiläums wird der neu überarbeitete und um zahlreiche Stücke ergänzte Ausstellungsbereich „Fische und Marine Reptilien“ am 23. Oktober eröffnet. Zu den neuen Nachbarn von Placodus zählen unter anderem mehrere Skelette von Fischsauriern, Krokodilschädel und fossile Fische sowie Tintenfische. Zur Eröffnung dürfen Besucher, die an diesem Tag ihren eigenen Jahrestag – nämlich Geburtstag – feiern, kostenfrei in das Museum.
Das oft unzutreffend verwendete Attribut „einzigartig“ hat Placodus gigas wahrlich verdient: Das 3 Meter lange, eigentümliche Reptil ist das weltweit einzige vollständig erhaltene Skelett dieser Art – ein Unikat. Entdeckt wurde das 240 Millionen Jahre alte Fossil in einem Steinbruch bei Steinsfurt nahe Heidelberg. „Auch die Fundgeschichte ist ungewöhnlich“, erklärt Dr. Bernd Herkner, Leiter der Abteilung Museum, und erläutert: „Die Pflasterzahnechse war in viele winzige Teile zerschlagen. Das Gestein sollte damals als Straßenschotter verwendet werden. Ein privater Sammler erkannte zufällig anhand einiger Bruchstücke den wertvollen Fund – ein Glücksfall!“ Der Mäzen Arthur von Gwinner kaufte vor 100 Jahren das Exponat für Senckenberg. Dort wurde das aus 330 Einzelknochen bestehende Fossil präpariert. Zuerst die Steinbrocken zusammengefügt, dann aus dem Stein das dreidimensionale Skelette herauspräpariert, eine Wahnsinnsarbeit.
Ihren Namen verdankt die Pflasterzahnechse ihrem ungewöhnlich aussehenden Gebiss: Mit den spatelförmigen Frontzähnen und den schwarzen, an Basalt-Pflastersteine erinnernden Backenzähnen konnte sie Muscheln abnagen und knacken (siehe Foto oben!).
Auch in direkter Nachbarschaft schlummern Schätze, denen T-Rex und Co. zu Unrecht häufig die Schau stehlen. Die Dichte der Originale ist im Meeressaurierraum besonders hoch: Der fünf Meter lange Raubfisch Xiphactinus weist als einziges Exemplar dieser Art ein fast vollständiges Schuppenkleid auf. Auch das Skelett einer Meeresschildkröte, die vor 30 Millionen Jahren in Flörsheim am Main lebte, ist weltweit einzigartig. Ein Fischsaurierweibchen aus der Zeit vor 183 Millionen Jahren beweist, dass diese Meeresreptilien einst lebendige Jungtiere zu Welt brachten: das Muttertier ist mit dem Embryo im Körper versteinert worden.
Hinzu kommen nach der Renovierung des Raumes weitere bisher noch nicht gezeigte Highlights: Ein Skelett des Fischsauriers Mixosaurus, die Schädel eines Meereskrokodils und eines Scheinkrokodils, ein Pflasterzahnsaurier aus der Trias von China, mehrere fossile Fische und Tintenfische und ein Schädel von Nothosaurus, der zu den größten seiner Art zählt.
Bei der Neugestaltung des Raumes wurde besonderes Augenmerk auf die Fortbewegungs-Mechanismen der unterschiedlichen Meeressaurier gelegt: während Mosa- und Ichthyosaurier sich durch eine schlängelnde Bewegung im Wasser fortbewegten, waren Plesiosaurier und Meeresschildkröten mit ihren großen Flossenpaddeln wahre „Unterwasserflieger“: Illustriert wird das auf Wandtafeln hinter dem jeweiligen Fossil.
Während das „Geburtstagskind“, die Pflasterzahnechse Placodos gigas, ungepanzert war, spachtelförmige Frontzähne in Ober- und Unterkiefer und einen länglichen Rumpf besaß, der durch dicht stehende Rippen und Bauchrippen, sowie eine Kette rundlicher Hautverknöcherungen über den Wirbelfortsätzen versteift war, gab es eine zweite Gruppe Pflasterzahnechsen: Die vor rund 228 Millionen Jahre in den Meeren lebende gepanzerte Cyamodontoidea.
„Der Rumpf der Cyamodontoidea“, so Philipe Havlik, „ist gegenüber Placodos gigas kurz, breit und ähnlich wie bei Schildkröten von einem Panzer aus Knochenplatten umschlossen.“ Cyamodontoidea hatte praktisch keine Freßfeinde, da sie – allein von ihrem Panzer her – ungenießbar war. “ Namensgebend für die Pfalsterzahnechsen seien ihre schwarzen, an Basaltsteine erinnernden Backen- und Gaumenzähne, die eine dicke Schmelzschicht aufweisen, so Havlik. Man nennt sich auch „Nussknacker der Meere“, das sie dank ihrer kräftigen Kiefermuskulatur Muscheln und Brachiopoden aufknacken und zerquetschen konnten. Die Zähne der Pflasterzahnechsen wurden regelmäßig durch neue ersetzt, erfahren von einer der Tafeln. Dies wisse man, so Havlik, da immer wieder in den triassischen Meeresablagerungen Versteinerungen abgestoßener Zähne gefunden würden.
Zur eigenen Nahrungsaufnahme weidete sie den Meeresboden nach Muscheln und anderen Schalentieren ab, die sie mit ihren basaltähnlichen Pflasterzähnen zermalmte. Ein bei Bauarbeiten gefundenes, zerbröseltes Stück versteinerter Meeresboden zu Zeiten Cyamodontoideas, hat Olaf Vogel wieder hergestellt und wird in der selben Vitrine wie Cyamodontoidea gezeigt.
Schon zur Einweihung 1970 erhielt der von Wilhelm Schäfer gestaltete Raum einen Architekturpreis und steht stellvertretend für ein neues Bewusstsein der Ausstellungsarchitektur, bei der grafische Elemente die Objekte ergänzen. Die Neugestaltung wurde vom Sohn des legendären Raumdesigners Herrmann Schäfer in enger Abstimmung mit Museumsleiter Dr. Bernd Herkner so behutsam durchgeführt, dass die originale Konzeption trotz der zahlreichen Modernisierungen erhalten werden konnte. Neben dem Einbau neuer Vitrinen wurde auf energiesparende und objektschonende LED Beleuchtung aufgerüstet.
Wie schon vor rund 100 Jahren der Mäzen Arthur von Gwinner unterstützen auch heute Freunde und Förderer das Senckenberg Naturmuseum und finanzierten den Umbau des Meeressaurierraumes: Die Frankfurt-Trust Investment Gesellschaft mbH sowie die Datz-Stiftung. „Das Senckenberg Naturmuseum hat das Glück, dass es auf eine starke Solidarität der Frankfurter und ihre Unterstützung zählen kann. Diese Beständigkeit finde ich bewundernswert und hoffe, dass wir so auch den bevorstehenden Umbau des Museums stemmen können“, sagt Museumsleiter Dr. Bernd Herkner.
Das Senckenberg Naturmuseum hat in diesen Tagen den wunderbaren Museumsführer Auge in Auge mit der Natur herausgebracht, der Jung und Alt einen raschen, kundigen Überblick der Ausstellungsbereiche, der Forschung und Geschichte des Naturmuseums gibt.
Gespendet werden kann unter https://die-welt-baut-ihr-museum.de.
Diether v. Goddenthow (Rhein-Main.Eurokunst)
Senckenberg
Forschungsinstitut und Naturmuseum
Senckenberganlage 25
60325 Frankfurt