Aufruf: Wissenschaftler kritisieren Genderpraxis des ÖRR

© collage Diether v Goddenthow
© collage Diether v Goddenthow

(Schlangenbad, Dezember 2022). Rund 400 Sprachwissenschaftler und Philologen haben einen Aufruf unterzeichnet, der die Nutzung der „gendergerechten Sprache“ in öffentlich-rechtlichen Sendern scharf kritisiert. Die Sprachwissenschaftler fordern eine „kritische Neubewertung des Sprachgebrauchs im ÖRR auf sprachwissenschaftlicher Grundlage“. Der Aufruf löste ein großes Medienecho aus.

Unter den Unterzeichnern befinden sich Mitglieder des Rates für deutsche Rechtschreibung, der Gesellschaft für deutsche Sprache und des PEN-Zentrums sowie etliche renommierte Sprachwissenschaftler. Initiiert wurde der Aufruf von dem Germanisten, Musiker und Buchautor Fabian Payr („Von Menschen und Mensch*innen“ – Springer 2021).

Zum Aufruf: www.linguistik-vs-gendern.de/

Die Sprachverwendung des ÖRR sei, so die Experten, „Vorbild und Maßstab für Millionen von Zuschauern, Zuhörern und Lesern“. Daraus erwachse für die Sender die Verpflichtung, sich in Texten und Formulierungen an geltenden Sprachnormen zu orientieren und mit dem Kulturgut Sprache „regelkonform, verantwortungsbewusst und ideologiefrei“ umzugehen. Im Aufruf wird darauf hingewiesen, dass mehr als drei Viertel der Medienkonsumenten Umfragen zufolge den etablierten Sprachgebrauch bevorzugten – der ÖRR dürfe den Wunsch der Mehrheit nicht ignorieren.

Die im Aufruf formulierte Kritik an der Genderpraxis des ÖRR erfolgt aus sprachwissenschaftlicher Perspektive: Das Konzept der gendergerechten Sprache basiere auf der Vermengung der Kategorien Genus und Sexus. Grammatisches Geschlecht und natürliches Geschlecht sind jedoch, wie die Wissenschaftler betonen, nicht grundsätzlich gekoppelt. Sprachhistorische Untersuchungen belegten ferner, dass das generische Maskulinum keineswegs erst in jüngerer Zeit Verwendung fand, sondern seit Jahrhunderten fester Bestandteil der deutschen Sprache ist.

Die Sprachwissenschaftler und Philologen kritisieren ferner, dass an Stelle von sprachsystematischen und sprachlogischen Betrachtungsweisen zunehmend psycholinguistische Studien herangezogen werden, um Veränderungen des Sprachgebrauchs zu legitimieren. Diese umstrittenen Studien lieferten aber keinen belastbaren Beleg dafür, dass generische Maskulina mental vorrangig „Bilder von Männern“ erzeugen. Eines der zentralen Argumente für das Gendern sei mithin hinfällig.

Die Wissenschaftler äußern im Aufruf ihre Sorge, dass Gendern zu einer ausgeprägten „Sexualisierung der Sprache“, also zu einer permanenten „Betonung von Geschlechterdifferenzen“ führe. Dadurch werde das wichtige Ziel der Geschlechtergerechtigkeit konterkariert. Im Hinblick auf das angestrebte Ziel – Geschlechtergerechtigkeit – sei Gendern also dysfunktional.

Kritisiert wird ferner, dass der ÖRR geltende Rechtschreibnormen missachte: Der Rat für Deutsche Rechtschreibung hatte im März 2021 explizit darauf hingewiesen, dass Gender-Sonderzeichen wie Genderstern, Doppelpunkt oder Unterstrich nicht dem amtlichen Regelwerk entsprechen, da diese Formen Verständlichkeit sowie Eindeutigkeit und Rechtssicherheit von Begriffen und Texten beeinträchtigen. Diese Missachtung der gültigen amtlichen Rechtschreibregeln sei „nicht mit dem im Medienstaatsvertrag formulierten Bildungsauftrag der Sender vereinbar“.

Außerdem, so die Wissenschaftler, sorge die vielfach mit moralisierendem Gestus verbundene Verbreitung der Gendersprache durch die Medien für „erheblichen sozialen Unfrieden“ und leiste gefährlichen Partikularisierungs- und Polarisierungstendenzen in der Gesellschaft Vorschub.
Der forcierte Gebrauch gegenderter Formen befinde sich nicht im Einklang mit dem Prinzip der politischen Neutralität, zu der alle Sender gemäß Medienstaatsvertrag verpflichtet seien. So stamme das Projekt der “gendergerechten Sprache” ursprünglich aus der feministischen Linguistik und werde heutzutage vorrangig von identitätspolitisch orientierten universitären Gruppierungen rund um die Social-Justice-Studies vorangetrieben. Zu einer solchen „ideologisch begründeten Sprachform“ müsse der ÖRR kritische Distanz wahren.

Auch die Berichterstattung des ÖRR über den Themenbereich Gendersprache wird kritisiert: Sie sei „vielfach tendenziös“ und diene im Wesentlichen der Legitimation der eigenen Genderpraxis. In den Medien des ÖRR überwiege eine positive Darstellung des Genderns. Kritiker würden nicht selten als reaktionär, unflexibel und frauenfeindlich geschildert.

Dem Aufruf ist eine umfangreiche Literaturliste beigefügt, eine Auflistung aktueller Meinungsumfragen zum Gendern sowie Links zu ÖRR-Sendungen zur Thematik sowie eine Chronik.

Zum Aufruf: www.linguistik-vs-gendern.de/