Architekturmuseum Frankfurt: SOCIAL SCALE Symposium zur Ausstellung Making Heimat.

Von Venedig nach Frankfurt: „MAKING HEIMAT. GERMANY, ARRIVAL COUNTRY” wurde 2016 vom DAM im Deutschen Pavillon auf der Architekturbiennale realisiert und wird nun mit erweiterten Themenfeldern und dem Fokus auf die Arrival City Offenbach im DAM präsentiert.

Die Ausstellung “Making Heimat. Germany, Arrival Country”, die das DAM für den Deutschen Pavillon auf der 15. Internationalen Architekturausstellung 2016 – La Biennale di Venezia realisierte, wird mit aktualisierten und erweiterten Themenfeldern sowie der Dokumentation und Rezension des Deutschen Pavillons in Venedig auf zwei Geschossen im DAM präsentiert. Making Heimat. Germany, Arrival Country reagiert darauf, dass 2015 und 2016 mehr als eine Million Flüchtlinge nach Deutschland gekommen sind. Bevor aus vielen der Flüchtlinge in Deutschland reguläre Einwanderer werden können, leben Tausende von ihnen noch in Not- und Gemeinschaftsunterkünften. Kurzfristige und temporäre Unterkünfte werden dringend benötigt, aber genauso notwendig sind neue Ideen und bewährte Konzepte zur Integration.

Heimat ist ein deutscher Begriff, der sich schlecht in andere Sprachen übersetzen lässt. Weder homeland oder home country im Englischen, noch casa oder patria im Italienischen und Spanischen umfassen die Vielfalt der Deutungen im Deutschen. Der Titel Making Heimat bringt eine neue, aktive Ebene in die Diskussion: Wie kann Heimat „gemacht“ werden? Und von wem? In enger Zusammenarbeit mit Doug Saunders, dem Autor von Die neue Völkerwanderung – Arrival City, wurden acht Thesen zur Arrival City erarbeitet. Welche architektonischen und städtebaulichen Bedingungen müssen in den Arrival Cities gegeben sein, damit sich Einwanderer in Deutschland erfolgreich integrieren können? Doug Saunders hat weltweit Arrival Cities besucht. Seine Beobachtungen stützen sich auf Besuche in Slums und Favelas. Diese Viertel sind und bleiben arm, aber sie haben eine hohe Fluktuation. Sie bieten günstige Mieten, Zugang zu Arbeitsplätzen und ein kulturelles, ethnisches Netzwerk, das die Ankommenden aufnimmt und einen sozialen Aufstieg durch Selbstintegration ermöglicht.

THESEN ZUR ARRIVAL CITY
Die Arrival City ist eine Stadt in der Stadt Einwanderer suchen ihre Chancen in städtischer Dichte.

Die Arrival City ist bezahlbar
Günstige Mieten sind eine Voraussetzung für die Attraktivität einer Stadt.
“Migranten ziehen in der Regel aus zwei Gründen in Großstädte: weil sie dort größere Chancen vermuten und weil dort mehr Landsleute – also Angehörige der eigenen Minorität – wohnen, von denen sie sich Unterstützung erwarten. Es sind »Übergangsgebiete« (»transitional spaces«), in denen die Migranten eine Zeit lang bleiben, abhängig von ihren ökonomischen Erfolgen. Dort finden sie preiswerten Wohnraum, ethnische Einzelhandelsgeschäfte, religiöse Einrichtungen, die Chance auf einen Arbeitsplatz und die Möglichkeit, sich selbstständig zu machen.” (Jürgen Friedrichs, Soziologe)
Die Arrival City ist gut erreichbar und bietet Arbeit Arbeitsplätze entstehen dort, wo es bereits Arbeitsplätze gibt. Ein gutes öffentliches Verkehrsnetz ist unverzichtbar.

BEISPIEL STUTTGART: “Dreiundvierzig Prozent der Bevölkerung haben hier einen Migrationshintergrund. Das sind mehr als in Berlin, Hamburg und Köln. Stuttgart bietet Chancen und Aufstiegsmöglichkeiten in einer der wirtschaftsstärksten Regionen Europas. Schon in den 1960er-Jahren begannen Unternehmen wie Daimler, Bosch und Porsche in großem Stil ausländische Arbeitskräfte aus dem Süden anzuwerben. Selbst unter Jugendlichen mit ausländischen Wurzeln ist die Arbeitslosigkeit mit vier Prozent kaum höher als bei ihren deutschen Altersgenossen.

Die Stuttgarter Oberbürgermeister haben Integration zur Chefsache gemacht. Wolfgang Schuster, von 1997 bis 2013 Rathauschef, schaffte Ausländer ganz einfach ab: »Jeder, der in Stuttgart lebt, ist ein Stuttgarter«, erklärte der CDU-Mann 2001 programmatisch. Die Migranten sollten Teil der Stadtgesellschaft werden, »gute Stuttgarter – Menschen, die etwas leisten, sei es in Wirtschaft, Wissenschaft oder Kultur«.” (Amber Sayah, Journalistin)

Die Arrival City ist informell
Die Tolerierung nicht gänzlich rechtskonformer Praktiken kann sinnvoll sein.
BEISPIEL DONG XUAN CENTER, BERLIN-LICHTENBERG: “Das Dong Xuan Center ist ein riesiger Umschlagplatz für Waren und Dienstleistungen aller Art, tief im Osten von Berlin. Das Gelände ist als Gewerbegebiet ausgewiesen, deshalb darf eigentlich nur Großhandel und in Ausnahmefällen Dienstleistung betrieben werden. Doch daran hält sich kaum jemand. Es sind vor allem Armutsmigranten aus dem mittleren Teil Vietnams, aber ebenso aus China, Indien und Pakistan, die im Dong Xuan Center landen. Oft nicht qualifiziert, ohne deutsche Sprachkenntnisse und teilweise auch ohne Arbeits- oder Aufenthaltserlaubnis. So hat sich auf den 88 900 Quadratmetern in Berlin-Lichtenberg auch ein System der Schattenwirtschaft etabliert, mit helleren oder dunkleren Grauzonen. Doch viele Menschen haben es hier aus der Illegalität in eine geordnete Beschäftigung geschafft.” (Marietta Schwarz, Journalistin)

Die Arrival City ist selbst gebaut
Selbsthilfe beim Bau von Wohnraum wäre nötig und darf nicht durch zu hohe Anforderungen verhindert werden.
BEISPIEL PRAUNHEIM TRIFFT IQUIQUE: “In Frankfurt herrschte in der Zeit zwischen den Weltkriegen Armut und vor allem große Wohnungsnot. Durch das Wohnungsbauprogramm »Neues Frankfurt« entstanden bis 1930 in kürzester Zeit zwölftausend Wohnungen in acht Siedlungen, darunter im Stadtteil Praunheim. Es fanden von Beginn an Erweiterungen in vertikalen und horizontalen Auf- und Ausbauten statt, um die Häuser dem wachsenden Flächenbedarf ihrer Bewohner anzupassen. Farbenfroh und zum Teil in spektakulärer Formensprache wandelten die Eigentümer Dachgärten zu festem Wohnraum um, setzten Anbauten in die Nutzgärten und stellten Eingangsvorbauten zur Straße.” (Peter Körner und Philipp Sturm, Kuratoren)

Die Arrival City ist im Erdgeschoss
Ob kleinteilige Geschäftsräume im Erdgeschoss verfügbar sind, bestimmt die Qualität des öffentlichen Raums.
“Seit den 1990er-Jahren ist der Anstieg migrantischer Selbstständiger deutlich höher als unter der deutschstämmigen Bevölkerung. Die Erklärungen:
1. Nischen: Selbstständigsein ermöglicht es, spezifische Qualitäten und Kompetenzen zu entfalten und die eigene Community zu bedienen
2. Kulturen: Selbstständigsein hat in vielen Herkunftsländern eine hohe Bedeutung, die Selbstständigenrate liegt in südeuropäischen Ländern weit über dem bundesdeutschen Wert
3. Die Reaktion auf die zunehmenden Schwierigkeiten, auf dem Arbeitsmarkt eine andere Erwerbsmöglichkeit zu finden.

Alle drei Modelle legen es nahe, der kleinteiligen Verfügbarkeit räumlicher Ressourcen für die Entfaltung »ethnischer Ökonomie« eine hohe Bedeutung zuzumessen. Denn der weitaus größte Teil dieser Selbstständigkeit nimmt vor allem in ihren Anfangsstadien keine großen Flächen in Anspruch und muss danach trachten, das finanzielle Risiko gering zu halten.” (Maren Harnack, Stadtplanerin, und Christian Holl, Architekturkritiker)

Die Arrival City ist ein Netzwerk von Einwanderern
Keine Angst vor ethnisch homogenen Vierteln: Sie ermöglichen Netzwerke.
“Segregation ist eine notwendige und unvermeidbare Stufe im Prozess der Integration. Zuwanderer ziehen regelmäßig dorthin, wo sie in Nachbarschaft zu schon länger hier lebenden Landsleuten unterkommen. Die Stadt als Mosaik verschiedener Lebenswelten bietet jene Räume des Übergangs, in denen der Schock der Migration gemildert wird. Allerdings sind segregierte Milieus immer auch in Gefahr, zu Fallen zu werden. Doch bislang ist die Rede von Gettos oder Parallelgesellschaften in Deutschland keineswegs gerechtfertigt. Die Rede von Gettos ist obendrein eine gefährliche Dramatisierung, denn solche Etiketten bleiben nicht folgenlos: Die deutsche Mittelschicht und die erfolgreichen Migranten ziehen aus derart stigmatisierten Vierteln fort.” (Walter Siebel, Soziologe)

Die Arrival City braucht die besten Schulen
Die besten Schulen sollten in den schlechtesten Vierteln sein, um die Kinder zu qualifizieren.
BEISPIEL RÜTLI-SCHULE, BERLIN: “2006 wurde die Rütli-Schule im Neuköllner Reuterkiez ein Aufmarschfeld für Kamerateams, Fotografen und Journalisten von überall her. Die Jugendlichen wussten genau, wie ihre Lehrer über sie dachten, und spielten ihre Rolle als Bösewichte perfekt. Ein Junge, der gerade erst seine Milchzähne verloren hatte, spielte den schlimmen Gangster ganz allerliebst: »Ich bin der Pate von Neukölln!«
Doch der Rütli-Skandal ging einigen verantwortlichen Politikern an die Ehre. Der damalige Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky machte sich den Plan zu eigen, an der Rütli-Schule zu zeigen, dass es anders geht: Er unterstützte mit voller Kraft das Konzept, den »Campus Rütli« zu gründen. Aus einem Schmähwort wurde ein Markenname. Auf fünfzigtausend Quadratmetern soll für etwa fünftausend Anwohner ein neuer Sozialraum entstehen, ein Raum, in dem die Kinder von arabischen und türkischen Neu-Berlinern eine faire Chance erhalten können.” (Mechthild Küpper, Journalistin)

Offenbach ist ganz okay
Die Arrival City Offenbach zeigt, wie es gehen kann: 159 Nationalitäten leben friedlich miteinander.
“Offenbach hat eine lange Tradition der Immigration. Funktional ist die Stadt ein »Ankunftsbezirk« im Zentrum von Frankfurt/Rhein-Main, einer globalen Metropolregion mit einem hohen Immigrationsanteil. In der Bevölkerung sind 159 Nationen vertreten. Die Nationalitäten der ehemaligen Gastarbeiter stellen immer noch die größten Einzelgruppen, hauptsächlich Türken, Italiener und Griechen. In den letzten zehn bis fünfzehn Jahren sind dann andere Gruppen aus den neuen

EUMitgliedstaaten
in Ost und Südosteuropa, aber auch aus Asien, Nordafrika und anderen Teilen der Welt hinzugekommen. Bei den „älteren“ Gruppen der Zuwanderer aus den südeuropäischen Ländern und der Türkei findet sich ein wachsender Teil von Menschen, meistens aus der zweiten und dritten Generation, die Bildungskarrieren machen. Es gibt unter ihnen einen stark steigenden Anteil von Gymnasiasten,
sowie auch Universitätsstudenten. Homogene ethnische Milieus können „nach oben“ ziehen, wenn dort zum Beispiel Bildungserfolg hoch bewertet wird und ein Faktor bei der Gewinnung von Anerkennung und Status in der eigenen Gruppe ist, wie etwa bei vielen Migranten aus Asien. Homogene Milieus können aber auch behindern, wenn sie zur Abschottung führen oder Bildungs- und Aufstiegsambitionen bremsen, weil man die Entfremdung von der eigenen Gruppe befürchtet.” (Matthias Schulze-Böing, Leiter des Amtes für Arbeitsförderung, Statistik und Integration der Stadt
Offenbach)