Frankfurter Buchmesse endet mit deutlichem Besucherplus – Analoges Lesen im Aufwind!

Buchmesse mit Besucherrekord, hier Halle 4.1 © Foto: Diether v Goddenthow
Buchmesse mit Besucherrekord, hier Halle 4.1 © Foto: Diether v Goddenthow

Nachfrage an Sachbüchern steigt / Bühne frei für engagierte Wortführerinnen / Internationale Literaturstars begeistern das Publikum

Die Gäste und Themen der diesjährigen Frankfurter Buchmesse scheinen den Nerv der internationalen Buch- und Kulturszene präzise getroffen zu haben – denn die Besucherzahlen sowohl an den Fach- als auch an den Publikumstagen gingen deutlich nach oben.

. © Foto: Diether v Goddenthow
. © Foto: Diether v Goddenthow

Mit einem Besucherplus von 9,2 Prozent am Messewochenende und einem leichten Wachstum von 1,8 Prozent an den Fachbesuchertagen ist die 71. Frankfurter Buchmesse heute zu Ende gegangen. 302.267 Besucherinnen und Besucher (2018: 285.024) kamen auf das Messegelände, das entspricht einem Plus von 5,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Zahl der Fachbesucher lag 2019 bei 144.572 (2018: 142.016), die Zahl der Privatbesucher bei 157.695 (2018: 144.409). 7.450 Aussteller aus 104 Ländern (2018: 7.503 Aussteller aus 109 Ländern) nahmen an der Frankfurter Buchmesse teil.

Die Branche zeigte sich optimistisch und in Feierlaune: Noch nie gab es so viele Veranstaltungen, Diskussionen, Partys, Begegnungen und Austausch über die sozialen Medien. Diversität, Nachhaltigkeit, und politisches Engagement dominierten die Gespräche auf der Messe. Den Ton setzte die frischgekürte Literaturnobelpreisträgerin 2018 Olga Tokarczuk bei der Eröffnungspressekonferenz der Frankfurter Buchmesse. Sie sagte: „Ich glaube an eine Literatur, die Menschen verbindet und das Gemeinsame herausstellt. Trotz aller Unterschiede in Hautfarbe, in sexueller Orientierung und allem anderen, was uns vielleicht nach außen hin trennen könnte.“

Literaturnobelpreis-Trägerin 2018 Olga-Tokarczuk © Foto: Diether v Goddenthow
Literaturnobelpreis-Trägerin 2018 Olga-Tokarczuk © Foto: Diether v Goddenthow

Unter dem Motto CREATE YOUR REVOLUTION lud die Frankfurter Buchmesse engagierte Wortführerinnen zur kulturellen Einmischung ein: Luisa Neubauer, Memory Banda, Gina Belafonte, Phyllis Omido, Jennifer Clement und viele andere positionierten sich zu Feminismus und Bürgerbewegungen, Populismus und Demokratie. Die Frankfurter Buchmesse war in diesem Jahr fest in den Händen junger Menschen: Neben den Aktivistinnen bei CREATE YOUR REVOLUTION kamen zahlreiche Nachwuchsschriftsteller beim neuen Schreib-Wettbewerb „Frankfurt Young Stories“ zusammen. Bei „Frankfurt Influencers“ trafen sich Bloggerinnnen und Bookstagrammer, welche die Buchmesse in Social Media begleiteten und ihr dadurch ein neues Gesicht und eine neue Tonalität verpassten.

Das Literary Agents & Scouts Centre (LitAg) und die Publishers Rights Corner bezogen in diesem Jahr in der Festhalle ihr neues Quartier: Mit 355 teilnehmenden Unternehmen aus 35 Ländern ist dieser Bereich erneut gewachsen. Literaturagentinnen und -agenten berichteten von großem Interesse an Sachbuchtiteln. 3.750 Besucherinnen und Besucher nahmen an den Konferenzen, Networking-Events und Workshops im neuen Areal von THE ARTS+ und B3 Biennale des bewegten Bildes teil. 147.000 Messegäste besuchten das innovative Areal in der Halle 4.1. Die Veranstaltungen des BOOKFEST im Frankfurt Pavilion und in der Stadt lockten 25.000 Besucherinnen und Besucher an, rund 5.000 davon besuchten die 56 Veranstaltungen in der Stadt.

Lesezelt auf der Agora. © Foto: Diether v Goddenthow
Lesezelt auf der Agora. © Foto: Diether v Goddenthow

Heinrich Riethmüller, der Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels resümierte: „Auf der Frankfurter Buchmesse 2019 haben Verlage, Buchhandlungen, Autoren und Literaturbegeisterte gemeinsam das Lesen gefeiert und gleichzeitig die gesellschaftlichen Fragen der Zeit diskutiert. Die Zukunft unserer Gesellschaft, der Menschenrechte und unseres Planeten – diese Themen waren bestimmend in vielen Gesprächen und Veranstaltungen. Das Buch begeistert die Menschen, stärkt die Debatte und damit unsere freie, demokratische Gesellschaft, das haben die letzten fünf Tage deutlich gezeigt. Die Branche hat die Messe erfolgreich für den Lizenzhandel und den Austausch über Geschäftsideen genutzt. Darüber hinaus haben wir wichtige Zeichen für die Freiheit des Wortes gesetzt, die weit über die Frankfurter Messe hinaus reichten.“

„Frankfurt Audio Stage“

Mittlerweile zählt der Audiobereich mit Hörbüchern, Podcasts und sonstigen Audio-Trends in der Medienbranche zu den wachstumsstärksten Segmenten. Aus diesem Anlass wurde diesem Mediensegment erstmals auf der Frankfurter Buchmesse eine  eigene Plattform der „Frankfurt Audio Stage“ eingerichtet. © Foto: Diether v Goddenthow
Mittlerweile zählt der Audiobereich mit Hörbüchern, Podcasts und sonstigen Audio-Trends in der Medienbranche zu den wachstumsstärksten Segmenten. Aus diesem Anlass wurde diesem Mediensegment erstmals auf der Frankfurter Buchmesse eine eigene Plattform der „Frankfurt Audio Stage“ eingerichtet. © Foto: Diether v Goddenthow

Streaming, ob im Audio- oder Filmbereich, gehörte zu den innovativen Trendthemen der Frankfurter Buchmesse 2019: Das neu geschaffene Audio Areal in der Halle 3.1 war Treffpunkt des internationalen Audio-Publishing und ein Publikumsmagnet. Am Frankfurt Audio Summit, einer halbtägigen Konferenz mit Sprecherinnen und Sprechern von Spotify, Audible, Storytel, Wondery u.a., nahmen 260 Fachbesucherinnen und Fachbesucher teil. Die amerikanische Streamingplattform Netflix hat auf der Frankfurter Buchmesse drei neue Original-Serien angekündigt, die auf preisgekrönten Büchern von Frederick Backman, Daniel Kehlmann und Elif Shafak basieren.

Frankfurt Pavilion war wieder zentraler Ort besonderer Events. © Foto: Diether v Goddenthow
Frankfurt Pavilion war wieder zentraler Ort besonderer Events. © Foto: Diether v Goddenthow

Durch die erstmalige Zusammenarbeit mit der B3 Biennale des bewegten Bildes, dem Festival der Hochschule für Gestaltung Offenbach, war THE ARTS+ mehr denn je ein Bereich, in dem die Besucherinnen und Besucher einen Blick auf wegweisende Projekte werfen konnten.

The Arts.  Sargon Khinoev mit "Sweat", welches sich mit dem Diskurs des menschlich-technischen-Verhältnisses beschäftigt. Es ist ein Versuch, die Erotik zwischen Menschen und Robotern aus den Fesseln der Utopie zu befreien. © Foto: Diether v Goddenthow
The Arts. Sargon Khinoev mit „Sweat“, welches sich mit dem Diskurs des menschlich-technischen-Verhältnisses beschäftigt. Es ist ein Versuch, die Erotik zwischen Menschen und Robotern aus den Fesseln der Utopie zu befreien. © Foto: Diether v Goddenthow

Prominent besetzt waren die Frankfurter Buchmesse Film Awards, die in diesem Jahr erstmalig zusammen mit den B3 BEN Awards im Frankfurt Pavilion verliehen wurden: Der Oscar-prämierte britische Regisseur Steve McQueen (B3 BEN Hauptpreis) und der norwegische Filmemacher Hans Petter Moland (Sieger in der Kategorie „Best International Literary Adaption”) waren die Stars des Abends und nahmen ihre Auszeichnungen persönlich entgegen.

Ehrengastauftritt Norwegen

Ehrengastland Norwegen. © Foto: Diether v Goddenthow
Ehrengastland Norwegen. © Foto: Diether v Goddenthow

Eine Erfolgsgeschichte war der Ehrengastauftritt Norwegens auf der Frankfurter Buchmesse. Hierzu waren Kronprinzession Mette Marit und Konprinz Haakon von Norgwegen mit einem Literaturzug und 100 norwegischen Autoren von Berlin über Köln nach Frankfurt zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse am 15. Oktober gereist.

Kronprinz Haakon und Kronprinzessin Mette Marit von Norwegen. © Foto: Diether v Goddenthow
Kronprinz Haakon und Kronprinzessin Mette Marit von Norwegen. © Foto: Diether v Goddenthow

Das Blaue Sofa
Beliebt waren vor allem auch die unzähligen Autoren-Lesungen an den Ständen der einzelnen Verlage, von großen Zeitungen und Magazine wie Spiegel, Die Zeit, FAZ und Frankfurter Rundschau, auf der ADR-Bühne im Forum und das Blaue Sofa, das gemeinsame Autorenforum von Bertelsmann, ZDF, Deutschlandfunk Kultur und 3sat. Seit 2010 findet die Eröffnung des Frankfurter Lesefestes OPEN BOOKS, in diesem Jahr am 15.10.2019 in der Deutschen Nationalbibliothek, auf dem Blauen Sofa statt.

Thomas Gottschalk auf dem Blauen Sofa, © Foto: Diether v Goddenthow
Thomas Gottschalk auf dem Blauen Sofa, © Foto: Diether v Goddenthow

Es wurde zum nächsten Morgen rechtzeitig zur Öffnung der Frankfurter Buchmesse-Hallen ins Autorenforum, Halle 3.1, gebracht. Auch in diesem Jahr hat wieder eine unzählige Reihe der beliebtesten und erfolgreichsten Autorinnen und Autoren auf dem Blauen Sofa Platz genommen. Sie wurden von namhaften Moderatoren zu ihrem Leben und über Intensionen und Ziele zu ihren neuesten -Werken befragt ob Richard David Precht über seine Botschaften mit „Sei du selbst“ den dritten Band seiner Philosophiegeschichte, oder Thomas Gottschalk, der jetzt mit 70 doch merkt, auch nicht ewig jung zu bleiben, und seine gesammelten Erkenntnisse zum ÄLterwerden seinem amüsanten Buch „Herbstbunt“ darlegt. Auf dem blauen Sofa wurden Preise verliehen, beispielsweise der ZDF-„aspekte“-Literaturpreis an Miku Sophie Kühmel für ihren Debüt-Roman „Kintsugi“.

Shortlist-Gewinnerin Felicitas Hoppe (li) mit Moderation Dorothea Westphal über ihr neues tiefenpsychologisch fundiertes, spannendes Werk „Grimms Märchen für Heldinnen von heute und morgen“. © Foto: Diether v Goddenthow
Shortlist-Gewinnerin Felicitas Hoppe (li) mit Moderation Dorothea Westphal über ihr neues tiefenpsychologisch fundiertes, spannendes Werk „Grimms Märchen für Heldinnen von heute und morgen“. © Foto: Diether v Goddenthow

Highlight waren auch das Gespräche zwischen Cecile Schortmann mit der Regisseurin und Drehbuchautorin Doris Dörrie über ihr Buch „Schreiben, leben, atmen“ oder zwischen Moderatorin Dorothea Westphal mit Shortlist-Gewinnerin Felicitas Hoppe über ihr neues tiefenpsychologisch fundiertes, spannendes Werk „Grimms Märchen für Heldinnen von heute und morgen“, worin sie dargelegt hat, dass Märchen vom Grunde her Erlösungs- und keine Revolutionsgeschichten seien. Im Märchen könne sich jeder aus einer, zum Teil auch überdeutlich grausam dargestellten Welt, in ein besseres Leben träumen. Anders bei Märchen in sozialistischen Ländern, die immer auf eine Überwindung der Klassen zielten, weswegen dies dort mit Erlösung kaum funktioniere.

Literaturstände der Bundesländer

Am Gemeinschaftsstand der hessischen Verlage (v.li.) Barbara Jost, Vorsitzende des Landesverbandes Hessen, Rheinland-Pfalz und  Saarland eV. im Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Lukas Bärfuss, Georg-Büchner-Preisträger 2019, Hessische Kunst- und Kulturministerin Angela Dorn und Karoline Sinur, 2. Vorsitzende und Sprecherin des Hessischen Literaturrats e.V. © Foto: Diether v Goddenthow
Am Gemeinschaftsstand der hessischen Verlage (v.li.) Barbara Jost, Vorsitzende des Landesverbandes Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland eV. im Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Lukas Bärfuss, Georg-Büchner-Preisträger 2019, Hessische Kunst- und Kulturministerin Angela Dorn und Karoline Sinur, 2. Vorsitzende und Sprecherin des Hessischen Literaturrats e.V. © Foto: Diether v Goddenthow

Gemeinschaftsstände zahlreicher Landesministerien für Wissenschaft und Kunst präsentierten die Leistungen von Buch- und Medienschaffenden ihrer Bundesländer, darunter Thüringen, Sachsen, Bayern, Rheinland-Pfalz und Hessen. Auf dem Hessischen Stand „Literatur in Hessen“ des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst und des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels Landesverband Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland, sowie des Hessischen Literaturrats e.V. präsentierte die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung unter anderem den Schweizer Autor und Büchner-Preisträger 2019 Lukas Bärfuss’ mit seinem neuen Erzählband „Malinois“.

Lukas Bärfuss, Georg Büchner-Preisträger 2019 signiert. © Foto: Diether v Goddenthow
Lukas Bärfuss, Georg Büchner-Preisträger 2019 signiert. © Foto: Diether v Goddenthow

Hierin behandelt der Autor die Liebe und das Begehren in all ihren Spielarten: Wie begegnen wir uns? Welche Sehnsüchte treiben uns um? Nach welchen Vorlagen entwerfen wir die Geschichten unserer Leidenschaften? Bärfuss zeichnet eine Kartographie der Passionen. Seine Geschichten handeln von Grenzerfahrungen, die wir mitten im Alltag machen können. Sie zeigen die Momente der Verwandlung.

Ein paar Stände weiter, versucht die Literaturnobelpreisträgerin Olga Tokarczuk sich beim Züricher Kampa Verlag des Andrangs von Presse und Besuchern erwehren. Das große Thema der  polnischen Schriftstellerin Olga Tokarczuk sind Familiensagas, die zum Teil an mythischen Orten spielen, wobei das Überschreiten von Grenzen, sowohl als Metapher und auch real, ihre Spezialität ist.

Olga-Tokarczuk. © Foto: Diether v Goddenthow
Olga-Tokarczuk. © Foto: Diether v Goddenthow

Mit ihrem über 1000seitigem Roman die  „Die Jakobsbücher“ (der auf Deutsch im Kampa Verlag vorliegt), betrachtet Tokarczuk Realität als etwas Flüchtiges, niemals als etwas Stabiles oder Ewiges: „Sie konstruiert ihre Romane in einer Spannung zwischen kulturellen Gegensätzen; Natur versus Kultur, Vernunft versus Wahnsinn, Mann versus Frau, Heimat versus Entfremdung. Und das ist nur möglich, wenn beide Pole in der Erzählung verankert sind.“, so die Begründung der Schwedischen Akademie.

Krimiautor Hans-Peter Wolf am Fischerstand. © Foto: Diether v Goddenthow
Krimiautor Hans-Peter Wolf am Fischerstand. © Foto: Diether v Goddenthow

Bestseller-Krimiautor Hans Peter Wolf begegnete man bei zahlreichen Veranstaltungen, so auch beim Signieren seines neuen Buches, dem dritten Band mit Dr. Bernhard Sommerfeldt „Todesspiel im Hafen – Sommerfeldt räumt auf“, Frankfurt 2019, auf dem Stand der S. Fischer Verlage in Halle 3.1/E17. Sommerfeldt ist charmant, intelligent und er kann töten und manchmal macht ihm  Sommerfeldt Angst. Er ist der typische Antiheld unserer Tage, sympathisch, belesen, ein Feinschmecker, und doch überaus gefährlich!!! Kaufempfehlung!

Weltempfang

Impression vom Weltempfang. © Foto: Diether v Goddenthow
Impression vom Weltempfang. © Foto: Diether v Goddenthow

Auf der Welt-Empfang Bühne diskutierten auf Einladung des VERBANDes DEUTSCHSPRACHIGER ÜBERSETZER (VDÜ) Ingo Herzke (Übersetzer aus dem Englischen ), Miriam Mandelkow (Übersetzerin aus dem Englischen), Andreas Nohl (Autor, Herausgeber und Übersetzer aus dem Englischen ) und Mithu M. Sanyal (Kulturwissenschaftlerin, Journalistin und Autorin ) bei der Veranstaltung „N-WORT UND GENDER-GAP: WIE POLITISCH KORREKT SIND ÜBERSETZUNGEN?“ über Fragen wie: Was wird im Deutschen aus James Baldwins „American Negro“? Wie sollen wir den flüchtigen Sklaven in Mark Twains „Huckleberry Finn“ nennen? Welche genderneutralen deutschen Pronomina verwendet beispielsweise eine New Yorker LGBTQ-Aktivistin? Können, sollen, dürfen wir an Texte der Fünfziger Jahre oder des 19. Jahrhunderts heutige Maßstäbe anlegen? Und wer entscheidet das?

Übersetzerpreis auf dem Weltempfang

Sigrid Lemke erhält die "Barke 2019". © Foto: Diether v Goddenthow
Sigrid Lemke erhält die „Barke 2019″. © Foto: Diether v Goddenthow

Der Verband der Literaturübersetzer zeichnete die Hamburger Buchhandlung Christiansen mit dem Übersetzerpreis „Barke 2019“ aus, da sich die Buchhandlung um das Übersetzen verdient gemacht habe. Denn seit vielen Jahren bereitete sie der Literaturübersetzung mit regelmäßigen, stets gut besuchten Übersetzungsveranstaltungen eine Bühne, die das Interesse des Lesepublikums an der Übersetzung weckt und wachhält.

Am Stand von Droemer-Knaur

Necla Kelek am Droemer-Knaur-Stand.  © Foto: Diether v Goddenthow
Necla Kelek am Droemer-Knaur-Stand. © Foto: Diether v Goddenthow

Am Stand von Droemer-Knaur stellte die bekannte Soziologin, Frauenrechtlerin und Bestsellerautorin ihr neues aktuelles Debattenbuch „Die unheilige Familie. Wie die islamische Tradition Frauen und Kinder entrechtet“ vor. Ihre zentrale These lautet: Während die Mehrheitsgesellschaft mit „Ehe für alle“ und „Familie im Wandel“ beschäftigt ist, bleibt im Verborgenen, was mit den Frauen und Kindern in der islamischen Gemeinschaft passiert: Sie sind dem Zwang in der Familie ausgeliefert und dort eingesperrt. Die engagierte Soziologin Necla Kelek entlarvt dieses Familien-Tabu. Sie beschreibt, wie es dazu kam, dass Frauen Beute der Männer wurden und Kinder dem Patriachat preisgegeben sind, aber auch, warum selbst Männer Opfer dieser Gewaltstrukturen sind. Sie zeigt auf, wie unser Pochen auf kulturelle Unterschiede und eine ideologisierte Politik die Integration verhindern, und was konkret geschehen muss, damit muslimische Frauen und Kinder rechtlich gestärkt werden. Denn: An den Rechten der Schwachen misst sich die Demokratie.

Frankfurt Authors Stage

Author Stage © Foto: Diether v Goddenthow
Author Stage © Foto: Diether v Goddenthow

Neu in diesem Jahr war Frankfurt Authors Stage mit Corner,  Lounge und Signing Area, ein Treffpunkt, der  von der Literaturbranche sehr gut angenommen wurde. Hier gab es täglich rund um das Schreiben Referate und kleine Workshops und viele Möglichkeiten für  Autoren, Lektorinnen und  Illustratoren –zu netzwerken, Termine zu verabreden, ihre Werke zu signieren oder sich auch nur mal ein wenig vom Messetrubel zurückzuziehen.

Gourmet-Gallery

Gourmet Gallery bei  Bookfest: NOCTURNE mit norwegischen Spezialitäten. © Foto: Diether v Goddenthow
Gourmet Gallery bei Bookfest: NOCTURNE mit norwegischen Spezialitäten. © Foto: Diether v Goddenthow

Beliebter kulinarischer Treffpunkt war wieder die Gourmet-Gallery mit ihren Kochshows, Workshops und Kochbuch-Präsentationen mit der Internationale Netzwerkparty „Nocturne“. In diesem Jahr hatte das Gastland Norwegen für norwegische Gaumenfreuden gesorgt.

„Generation Riesling“ 

Deutsche Weinkönigin Angelina Vogt. © Foto: Diether v Goddenthow
Deutsche Weinkönigin Angelina Vogt. © Foto: Diether v Goddenthow

Gegenüber der Kochbühne   referierten am Stand  „Generation Riesling“ junge Top-Wein-Experten/innen, unter ihnen die in Neustadt an der Weinstraße frisch gekürte Deutsche Weinkönigin 2019 Angelina Vogt von der Nahe über Weine, die man zugleich verkosten konnte.

Kanada wird Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2020
Juergen Boos sagte dazu bei der feierlichen Gastrollenübergabe: „Norwegen hat uns gezeigt, wie Träume in Erfüllung gehen können: Im Mittelpunkt stand die Begegnung mit über 100 Autorinnen und Autoren, deren Werke in Deutschland und weltweit Millionen von Leserinnen und Leser begeistern. Innerhalb eines Jahres sind 510 Neuerscheinungen von norwegischen Autorinnen und Autoren sowie Titel über Norwegen in 217 deutschsprachigen Verlagen erschienen – diese Zahl spricht für einen überaus erfolgreichen Auftritt. Mit Beiträgen zu den Schwerpunkten der diesjährigen Buchmesse, Meinungsfreiheit und Nachhaltigkeit, setzte Norwegen wichtige Akzente. Den Projektverantwortlichen Margit Walsø, Halldór Guðmundsson und dem Team von NORLA ist es gelungen, der norwegischen Literatur eine große Bühne zu bereiten.“

 

Ahornsirup als Mitbringsel aus Kanada für die Gäste bei der Pressepräsentation des neuen Ehrengastes 2020 © Foto: Diether v Goddenthow
Ahornsirup als Mitbringsel aus Kanada für die Gäste bei der Pressepräsentation des neuen Ehrengastes 2020 © Foto: Diether v Goddenthow

Unter dem Motto „Singular Plurality / Singulier Pluriel“ wird Kanada, Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2020 (10.-14. Oktober 2020), seine literarische Vielfalt erlebbar machen. Dazu Juergen Boos: „Schon in diesem Jahr lud Kanada uns ein, junge literarische Talente zu entdecken; mit Margaret Atwood war eine der wichtigsten Vertreterinnen der kanadischen Literatur bei uns.“

OPEN BOOKS in der neuen Frankfurter Altstadt endet mit Besucherrekord

OPENBOOKS_LOGO_2019Das städtische Lesefest zur Buchmesse OPEN BOOKS hat sich 2019 in Frankfurts neue Altstadt ausgedehnt. Nach einem furiosen Auftakt in der Deutschen Nationalbibliothek fanden von Mittwoch bis Sonntag 170 Veranstaltungen rund um den Römer und dem wieder errichteten Hühnermarkt statt. Die Besucher nahmen das deutlich gewachsene Angebot mit Begeisterung an. Insgesamt nutzen 19.000 Menschen die Möglichkeit, die Neuerscheinungen des Herbstes kennenzulernen. Neben den etablierten Veranstaltungsorten rund um den Römer fanden erstmals Lesungen im Fotografie Forum, dem Frankfurter Salon, dem Museum für Moderne Kunst, dem Struwwelpeter Museum und dem Stadthaus statt. Der ständig frequentierte Slow Reading Room war in diesem Jahr im Gemeindezentrum der St. Paulsgemeinde untergebracht. Trotz dieser Ausdehnung bleibt OPEN BOOKS sich darin treu, alle Veranstaltungen auf das innerste Stadtzentrum zu konzentrieren.

 Kulturdezernentin der Stadt Frankfurt, Dr. Ina Hartwig.© Foto: Diether v Goddenthow
Kulturdezernentin der Stadt Frankfurt, Dr. Ina Hartwig.© Foto: Diether v Goddenthow

Die Kulturdezernentin der Stadt Frankfurt, Dr. Ina Hartwig, war beeindruckt von der großen Resonanz auf OPEN BOOKS und Literatur im Römer: „Ich bin stolz darauf, dass OPEN BOOKS so beliebt beim Publikum ist. Die Menschen sind dankbar dafür, dass sie sich bei freiem Eintritt und in schönen Räumen einen Überblick über die neuen Bücher verschaffen können. OPEN BOOKS ist ein Highlight im Kulturangebot des Herbstes. Auch die Verlage und der Buchhandel profitieren von dem Lesefest. “

Impression einer Open-Book-Veranstaltung. © Foto: Diether v Goddenthow
Impression einer Open-Book-Veranstaltung. © Foto: Diether v Goddenthow

Die Leiterin von OPEN BOOKS, Dr. Sonja Vandenrath, ergänzt: „OPEN BOOKS hat in diesem Jahr wieder eine enorme Sogwirkung entfaltet. Die schönen neuen Räume sind ein Gewinn für das Lesefest. Die Autorinnen und Autoren waren aber vor allem begeistert vom Frankfurter Publikum, das nicht nur in Scharen gekommen ist, sondern mit höchster Konzentration auch anspruchsvollen Lesungen gelauscht hat.“

„Eine Zeitreise in 175 Geschichten“ – Mainzer Altertumsverein feierte seinen 175. Geburtstag

Im  Rahmen eines feierlichen Festaktes im Frankfurter Hof blickte der Mainzer Altertumsverein e.V. gestern Abend auf sein 175-jähriges Bestehen zurück. Der Festakt wurde musikalisch begleitet von einem Ensemble des Peter Cornelius Konservatorium. © Foto: Diether v Goddenthow
Im Rahmen eines feierlichen Festaktes im Frankfurter Hof blickte der Mainzer Altertumsverein e.V. gestern Abend auf sein 175-jähriges Bestehen zurück. Der Festakt wurde musikalisch begleitet von einem Ensemble des Peter Cornelius Konservatorium. © Foto: Diether v Goddenthow

Er gehört zu den größten Mainzer Kulturinstitutionen und zu einem der ältesten und renommiertesten Bürgervereine seiner Art in Deutschland: Der Mainzer Altertumsverein (MAV). Aus diesem Anlass   lud der MAV am 21. Oktober 2019 zum feierlichen Festakt unter dem Motto „Eine Zeitreise in 175 Geschichten“ in den Frankfurter Hof ein. Dr. Kai-Michael Sprenger führte die Gäste durch ein sehr abwechslungsreiches und hoch interessantes Programm, welches von einem Ensemble des Peter Cornelius Konservatoriums begleitet wurde.

175 Jahre – nicht viele Vereine können auf eine so lange Tradition und ein breitgefächertes Engagement zurückschauen wie der 1844 gegründete Altertumsverein. Nach der Begrüßung des Vorsitzenden, Günther Knödler sprach der Oberbürgermeister der Stadt Mainz und Ehrenvorsitzender des Vereins, Michael Ebling ein Grußwort, in dem er betonte: „Eine Stadt lebt mit und von ihren Vereinen, und das gilt selbstverständlich auch für die Geschichtsvereine. In ganz besonderer Weise sind die Stadt Mainz und der Mainzer Altertumsverein seit 175 Jahren verbunden.“ Im Anschluss sprach die Kulturdezernentin der Stadt Mainz, Marianne Grosse, zu den Gästen des Mainzer Altertumsverein.

Schon bald nach seiner Gründung war der MAV für die Verwaltung der Altertümer der Stadt Mainz verantwortlich. Inzwischen sammelt der Verein zwar keine Altertümer mehr, fühlt sich aber weiterhin dem Denkmalschutz und der historischen Bildungsarbeit verpflichtet.

,Der Mainzer Altertumsverein 1844-2019, 408 Seiten, 30 Euro. im Buchhandel erhältlich.
,Der Mainzer Altertumsverein 1844-2019, 408 Seiten, 30 Euro. im Buchhandel erhältlich.

Den Höhepunkt der Veranstaltung stellte nicht zuletzt die Präsentation der alljährlich erscheinenden „Mainzer Zeitschrift“ durch deren Redakteur, Prof. Dr. Wolfgang Dobras, dar, welche „sozusagen die publizistische Visitenkarte des Vereins“ ist, um es mit den Worten des Oberbürgermeisters zu sagen. Zum Jubiläum erscheint sie als Festschrift, die eine Vereinsgeschichte in 175 Geschichten bietet.

„Mit dieser besonderen Jubiläumsausgabe unserer Vereinszeitschrift wollen wir Ihnen, unseren treuen Mitgliedern, den Förderern und Freunden ein gemeinsames Geschenk bieten, um damit auch den tief empfundenen Dank für die Treue zum Verein und die Unterstützung zum Gelingen der Vereinsziele zum Ausdruck zu bringen“, so Günther Knödler, 1. Vorsitzender des Mainzer Altertumsvereins. Anschließend fuhr er fort: „Diese Mainzer Zeitschrift soll aber auch ein Dank sein und die Verbundenheit zeigen mit unserer Heimatstadt Mainz, ein Dank mit 175 Beiträgen namhafter Autorinnen und Autoren zur Geschichte dieser Stadt im Verlauf der Jahrzehnte des Wirkens unseres Vereins.“.

Anschließend entführten Mitglieder des Mainzer Altertumsvereins, gleichzeitig auch Autoren, die Gäste in sechs Kurzvorträgen in eine kleine Zeitreise der Mainzer Stadtgeschichte und gaben  damit zugleich Einblicke und Kostproben in den dicken Jubiläumsband“ Eine Zeitreise in 175 Geschichten“.

Farbige Darstellung des Frauengrabes 10, S. 31. Jubiläumsband.
Farbige Darstellung des Frauengrabes 10, S. 31. Jubiläumsband.

Die Direktorin des Landesmuseum Mainz, Dr. Birgit Heide stellte in ihrem Impuls-Vortrag die Geschichte und die damit für die Entwicklung der Archäologie wichtige Etappe bei der Entdeckung, Freilegung, Bewahrung und wissenschaftlichen Aufbereitung des Gräberfeldes von Selzen vor. Beispielsweise erkannten die Gebrüder Lindenschmitt, die in den Gräbern auch Münzen aus dem frühen Mittelalter mit dem Konterfei des oströmischen Kaisers Justinian (von 527 – 565 n. Chr.) entdeckten, „dass die Vergrabung eines Fundes nie älter als die beigegebenen Münzen sein konnten“ also auch nicht römischen Ursprungs, wie zunächst angenommen, erläuterte Dr. Heide. Neu war 1847 auch, dass gleichzeitig dabei der Beweis erbracht wurde, „dass alle bis dahin bekannten Gräber, aber auch alle Gräber ohne Münzen, aber mit vergleichbaren Grabbeigaben, stets ungefähr zeitgleich sein mussten. Die Idee der vergleichenden Wissenschaft und der Bildung von Typologien war damit geboren“, erläuterte die Museumsdirektorin. Bereits damals wurde in Mainz Archäologie-Geschichte geschrieben. Wer mehr wissen möchte, erfährt es auf Seite 30 des Jubiläumsbandes.

Weitere Kostproben aus dem Jubiläumsband gaben Professor Dr. Claus Arnold, Seminar für Kirchengeschichte der Kath.-Theologischen Fakultät der JGU in seinem Beitrag über „Prälat Friedrich Schneider – Kunst- und Denkmalpflege im kirchenpolitischen Kontext, 1872.  Gernot Frankhäuser, Museologe und Dokumentar am Mainzer Landesmuseum skizzierte das Ereignis „Die Übergabe der Sammlungen des MAV an die Stadt Mainz“.

Dr. Helmut Schmahl, Privatdozent am Historischen Seminar der Universität Mainz und Studienrat am Gymnasium am Römerkastell Alzey hatte im Gepäck die hinreißende Geschichte des einst im jugendlichen Alter mit Mutter und Bruder aus Mainz nach New York ausgewanderten Martin Jung, der, nachdem er in Amerika als Kleiderbesatzfabrikant zu Wohlstand gekommen war, einen „freiwillig erhöhten Jahresbeitrag“ von 50 Mark zahlte, wie im Mitgliederverzeichnis des MVA von 1912/13 ausgewiesen war. (siehe Seiten 176 u. 177 im Jubiläumsband).

Dr. Frank Teske, stellvertretender Leiter des Stadtarchivs Mainz, erzählte die bedrückende Geschichte von der Deportation der jüdischen Rechtsanwaltsfamilie Levi aus dem Jahre 1933, einem dunklen, noch weiter in der Erforschung befindlichen Kapitel der Vereinsgeschichte.

Den Abschluss im Reigen machte Dr. Georg Peter Karn Bildungsreferent und Denkmalpfleger von der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, mit seinem spannenden Beitrag über „Die Rettung der Mainzer ‚Paulskirche‘-der Frankfurter Hof, 1991″. Damit unterstrich Karn zugleich einmal mehr die Bedeutung des MAV, sich für den Erhalt historischer Bausubstanz und Stadtbilder einzusetzen. Ohne den MAV gäbe es so manches unwiderbringliches wertvolles Kunst- und Kulturdenkmal in Mainz und Umgebung nicht mehr (Weiteres siehe hierzu Seite 326 im Jubiläumsband)

Jede Geschichte wird  auf einer Doppelseite erzählt und ist bebildert. Der Jubiläumsband ist ein  großartig gelungenes und zugleich fachlich fundiertes Regionalgeschichtsbuch , in dem 70 – zum Teil sehr renommierte Autoren/innen – die Historie der Region von 1844 bis 2019  Jahr für Jahr anhand eines bedeutenden Ereignisses schildern.  Die Festschrift verstehe sich  nicht nur als Geburtstagsgeschenkbuch an die Mitglieder des Vereins, sondern an alle Geschichtsinteressierten in Mainz und darüber hinaus, erläuterte der Herausgeber Professor Dr. Wolfgang Dobras, Archivdirektor der Gutenberung Universität Mainz, als er den Band vorstellte.

Eines ist klar: Der MAV ist alles andere als ein antiquierter „Verein zur Erforschung der rheinischen Geschichte und Altertümer in Mainz“, wie er zur Gründungszeit hieß. Seine Rolle, sein Selbstverständnis und seine Aufgaben haben sich weiterentwickelt, und er hat noch Vieles in und für Mainz vor.

Alle Interessierten sind eingeladen, dem MAV beizutreten und Vorträge aus den unterschiedlichsten Disziplinen der Geschichte im MVB-Forum zu hören und an den Exkursionen des Vereins teilzunehmen. Die Veranstaltungshinweise und umfangreiche Informationen zum Verein finden Sie auf: http://www.mainzer-altertumsverein.de

Spiel mit Typografie im bauhaus.labor des Gutenberg-Museums Mainz

© Foto: Diether v Goddenthow
© Foto: Diether v Goddenthow

Gutenberg-Museum präsentiert Projekt „Play Type“ in seinem bauhaus.labor im Innenhof – Eröffnung am Mittwoch, 23. Oktober, 19 Uhr

Mainz. Halbkreise, Dreiecke und andere komplexere geometrische Formen, ganz in schwarz: Aus diesen Grundelementen lassen sich neue Schriftformen bauen, die durch digitale Marker verändert werden können. Solche interaktiven Experimente mit Form und Schrift können Besucherinnen und Besucher an dem eigens installierten „TypoMontagetisch“ machen, wenn die Präsentation „Play Type“ von Anna Weirich zu sehen ist. Die Eröffnung „Play Type“ findet am Mittwoch, 23. Oktober, 19 Uhr, im „bauhaus.labor“ im Innenhof des Gutenberg-Museum, Liebfrauenplatz 5, statt.
Das Projekt „Play Type“ schließt an die Präsentation „OTF: Open Type Face“ von Jean Böhm an, konzipiert im Masterstudiengang „Gutenberg-Intermedia“ der Fachrichtung Kommunikationsdesign der Hochschule Mainz in Kooperation mit dem GutenbergMuseum. Die Präsentation entstand als drittes von insgesamt sieben Projekten im Zusammenhang mit der aktuellen Sonderausstellung des Gutenberg-Museums „ABC. Avantgarde – Bauhaus – Corporate Design“, die bis zum 2. Februar 2020 zu sehen ist. Die Präsentation „Play Type“ kann bis Mittwoch, 13. November 2019 besucht werden. Selbst Hand anlegen können Besucherinnen und Besucher am Wochenende 2. und 3. November. Jeweils ab 12 Uhr gibt die studentische Gestalterin Anna Weirich Erwachsenen und Kindern Impulse beim Experimentieren am Typo-Montagetisch.

Voranmeldung: workshop@play-type.de oder gutenberg-museum@stadt.mainz.de
Weltmuseum der Druckkunst,
Liebfrauenplatz 5,
55116 Mainz
www.gutenberg-museum.de

MAKING VAN GOGH GESCHICHTE EINER DEUTSCHEN LIEBE ab 23.10.2019 im StädelMuseum Frankurt

MAKING VAN GOGH thematisiert die besondere Rolle, die Galeristen, Museen Privatsammler und Kunstkritiker im Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts für die posthume Rezeption van Goghs als „Vater der Moderne“ spielten.© Foto: Diether v Goddenthow.
MAKING VAN GOGH thematisiert die besondere Rolle, die Galeristen, Museen Privatsammler und Kunstkritiker im Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts für die posthume Rezeption van Goghs als „Vater der Moderne“ spielten.© Foto: Diether v Goddenthow.

Frankfurt am Main, am 4. September 2019. Das Städel Museum widmet vom 23. Oktober 2019 bis zum 16. Februar 2020 dem Maler Vincent van Gogh (1853–1890) eine umfassende Ausstellung. Im Zentrum steht die Entstehung des „Mythos van Gogh“ um 1900 sowie die Bedeutung seiner Kunst für die Moderne in Deutschland. Mit 50 zentralen Arbeiten van Goghs ist die Ausstellung die umfangreichste Präsentation mit Werken des Malers seit fast 20 Jahren in Deutschland. MAKING VAN GOGH thematisiert die besondere Rolle, die Galeristen, Museen Privatsammler und Kunstkritiker im Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts für die posthume Rezeption van Goghs als „Vater der Moderne“ spielten. Knapp 15 Jahre nach seinem Tod wurde der niederländische Künstler hierzulande als einer der bedeutendsten Vorreiter der modernen Malerei wahrgenommen. Van Goghs Leben und Schaffen stießen in der Öffentlichkeit auf breites und anhaltendes Interesse; ungewöhnlich früh wurde seine Kunst in Deutschland gesammelt. Schon 1914 befand sich die enorme Anzahl von rund 150 Werken van Goghs in deutschen privaten und öffentlichen Sammlungen. Zeitgleich begannen deutsche Künstlerinnen und Künstler, sich intensiv mit seinen Werken auseinanderzusetzen. Insbesondere für die jungen Expressionisten wurde van Goghs Malerei zum Vorbild und zur maßgeblichen Inspirationsquelle – ohne seine Kunst ist die Entstehung der Moderne in Deutschland kaum denkbar.
Die Erfolgsgeschichte van Goghs ist eng mit dem Städel verbunden. Als eines der ersten Museen erwarb das Frankfurter Museum für den Aufbau einer modernen Kunstsammlung durch den Städelschen Museums-Verein 1908 das Gemälde Bauernhaus in Nuenen (1885) und die Zeichnung Kartoffelpflanzerin (1885). Drei Jahre später gelangte eines der berühmtesten Gemälde van Goghs in das Museum, das Bildnis des Dr. Gachet (1890).

Die Ausstellung wird von der Franz Dieter und Michaela Kaldewei Kulturstiftung und dem Städelschen Museums-Verein e.V. gefördert.

Vincent Van Gogh. Weiden bei Sonnenuntergang. 1888, Öl auf Leinwand auf Karton. © Foto: Diether v Goddenthow
Vincent Van Gogh. Weiden bei Sonnenuntergang. 1888, Öl auf Leinwand auf Karton. © Foto: Diether v Goddenthow

In drei großen Kapiteln erzählt die Ausstellung von der Entstehung und Wirkung des „Mythos van Gogh“ in Deutschland. Wie kam es, dass van Gogh gerade in Deutschland so populär wurde? Wer engagierte sich für sein Werk und wie reagierten die Künstler auf ihn? Die Ausstellung zeigt van Gogh als Schlüsselfigur für die Kunst der deutschen Avantgarde und leistet damit einen entscheidenden Beitrag zum Verständnis der Kunstentwicklung in Deutschland zu Beginn des 20. Jahrhunderts.
Das Städel vereint in der Ausstellung mehr als 120 Gemälde und Arbeiten auf Papier. Den Kern bilden 50 zentrale Werke von Vincent van Gogh aus allen Schaffensphasen. Zu sehen sind herausragende Leihgaben aus Privatsammlungen und führenden Museen weltweit. Einfluss und Wirkung van Goghs auf die nachfolgende Generation veranschaulichen in der Ausstellung 70 Werke von deutschen Künstlerinnen und Künstlern, darunter befinden sich sowohl bekannte Namen wie Max Beckmann, Ernst Ludwig Kirchner, Alexej von Jawlensky, Paula Modersohn-Becker oder Gabriele Münter als auch wiederzuentdeckende Positionen etwa von Peter August Böckstiegel, Theo von Brockhusen, Heinrich Nauen oder Elsa Tischner-von Durant.

„Heute mag die Begeisterung für Vincent van Gogh ein fast globales Phänomen sein, vor mehr als einhundert Jahren sah das noch anders aus. Unsere Ausstellung beleuchtet die Rolle, die van Goghs Rezeption im Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts für den ‚Mythos van Gogh‘ gespielt hat. Zunächst war es vor allem dem Wirken seiner Schwägerin Johanna van Gogh-Bonger zu verdanken, dass der Maler nach seinem frühen Tod nicht in Vergessenheit geriet, bald aber waren es besonders Galeristen, Künstler, Sammler und Museumsdirektoren in Deutschland, viele von ihnen jüdischer Herkunft, die sich für van Goghs Malerei begeisterten und diese schließlich auch gegen nationalistische Tendenzen und politische Instrumentalisierung verteidigten“, so Philipp Demandt, Direktor des Städel Museums.
Die Vorsitzende des Städelschen Museums-Vereins e.V., Sylvia von Metzler über die Ausstellung: „Als der Städelsche Museums-Verein 1908 erste Werke Vincent van Goghs für das Städel Museum erwarb, war dies eine mutige und zukunftsweisende Entscheidung. Beide Arbeiten sind noch heute fester Bestandteil der Sammlung.
Ohne die progressiven Sammlerpersönlichkeiten in der Stadt, die Bürgerschaft und vor allem die den Frankfurtern eigene Offenheit gegenüber neuen künstlerischen Strömungen wäre das Städel nicht das, was es heute ist. Wir freuen uns, dass wir nun auch mehr als 100 Jahre später mit unserem Engagement diese große Vincent van Gogh gewidmete Ausstellung unterstützen können.“

Ausstellungs-Impression. © Foto: Diether v Goddenthow
Ausstellungs-Impression. © Foto: Diether v Goddenthow

„Vincent van Gogh wurde kurz nach seinem Tod zu einem ‚Künstler-Künstler‘, einem Fixpunkt für Vertreter seiner Profession. Die breite Öffentlichkeit fand seine Malerei indessen zu befremdlich, weil sie sich kaum nach traditionellen Maßstäben beurteilen ließ. Dies änderte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts, parallel zum Aufkommen der expressionistischen Strömungen in Deutschland. Künstlerinnen und Künstler pflegten schon bald nach der Begegnung mit van Goghs Werken in Publikationen und Ausstellungen eine besonders innige Beziehung zu ihrem Idol: Sie orientierten sich an seinem pastosen Farbauftrag, dem rhythmischen Pinselduktus, dem Kontrastreichtum der Farben, den kühnen Kompositionen und Motiven sowie den ornamental schwingenden Zeichnungen. Vor allem die persönliche Wahrnehmung der Natur und deren antiakademische Wiedergabe spielten hierbei eine entscheidende Rolle“, erläutert Alexander Eiling, Leiter Kunst der Moderne, Städel Museum, und Kurator der Ausstellung. „Ohne van Gogh wäre die deutsche Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts vollkommen anders verlaufen. Künstlergruppen wie Die Brücke oder Der Blaue Reiter haben ihre wesentlichen Impulse den Bildern van Goghs zu verdanken. Ziel unserer Ausstellung ist es, diese Zusammenhänge offen zu legen und die wegweisende Bedeutung van Goghs für die Kunst der Moderne in Deutschland sichtbar zu machen“, so Felix Krämer, Generaldirektor Kunstpalast, Düsseldorf, und Kurator der Ausstellung.

RUNDGANG DURCH DIE AUSSTELLUNG

Der Rundgang erstreckt sich über 2000 qm² Ausstellungsfläche in den Gartenhallen des Städel Museums und ist in drei Kapitel gegliedert: Mythos, Wirkung, Malweise. Die Kapitel beschäftigen sich nacheinander mit der Entstehung des Mythos um die Person Vincent van Gogh, mit seinem Einfluss auf die deutsche Künstlerschaft und schließlich mit seiner besonderen Malweise, die für viele Künstler der nachfolgenden Generationen so faszinierend war.

KAPITEL 1: MYTHOS

Die Arlesienne (1888, Musée d’Orsay, Paris), © Foto: Diether v Goddenthow
Die Arlesienne (1888, Musée d’Orsay, Paris), © Foto: Diether v Goddenthow

Van-Gogh-Ausstellungen in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg Zehn Jahre nach seinem Tod war van Gogh in Deutschland noch ein Unbekannter. Erste Ausstellungsprojekte entstanden ab 1901 auf Initiative des Berliner Kunsthändlers Paul Cassirer. In Zusammenarbeit mit van Goghs Schwägerin und Nachlassverwalterin Johanna van Gogh-Bonger richtete Cassirer Wanderausstellungen aus, die u. a. in Berlin, Hamburg, Dresden, München und auch Frankfurt gastierten. Der erste Raum präsentiert eine Auswahl herausragender Arbeiten van Goghs, die damals in Deutschland zu sehen waren, darunter Die Arlesienne (1888, Musée d’Orsay, Paris), Segelboote am Strand von Les Saintes-Maries-de-la-Mer (1888, Van Gogh Museum, Amsterdam/Vincent van Gogh Foundation) oder Die Hafenarbeiter in Arles (1888, Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid). Bis zum Ersten Weltkrieg waren van Goghs Werke hierzulande in fast 120 Ausstellungen vertreten. Einen Höhepunkt bildete die Kölner Sonderbund-Ausstellung 1912, in der van Gogh die ersten fünf Säle mit über 125 Arbeiten gewidmet waren. Diese Schau festigte van Goghs Ruf als Vorreiter der Moderne.

Van Gogh in deutschen Museen

Blick auf Arles (1889, Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Neue Pinakothek München) © Foto: Diether v Goddenthow
Blick auf Arles (1889, Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Neue Pinakothek München) © Foto: Diether v Goddenthow

Die steigende Präsenz der Werke van Goghs in Ausstellungen wirkte sich auch auf die Ankaufspolitik der deutschen Museen aus. Diese zählten international zu den ersten Institutionen, die Werke des Niederländers erwarben, lange bevor dies in Frankreich, England und den USA geschah. Den Anfang machte das vom Privatsammler Karl Ernst Osthaus gegründete Museum Folkwang in Hagen (später Essen). Es folgten Museen in Bremen, Dresden, Frankfurt, Köln, Magdeburg, Mannheim, München und Stettin. Die Städel Ausstellung versammelt repräsentative Beispiele früher Erwerbungen, u. a. van Goghs Porträt des Armand Roulin (1888, Museum Folkwang, Essen), Rosen und Sonnenblumen (1886, Kunsthalle Mannheim), Blick auf Arles (1889, Bayerische Staatsgemäldesammlungen – Neue Pinakothek München) oder Quittenstillleben (1887/88, Albertinum/Galerie Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden). In konservativen Kreisen wurde schon früh Kritik an dieser Entwicklung laut. 1911 initiierte der Worpsweder Landschaftsmaler Carl Vinnen eine Protestschrift gegen den Erwerb eines Van-Gogh-Gemäldes für die Kunsthalle Bremen. Insgesamt 123 Künstlerinnen und Künstler kritisierten an diesem Vorgang die vermeintliche Vormachtstellung des französischen Impressionismus in deutschen Museumssammlungen und die Verschwendung von Steuergeldern. Zahlreiche Künstler, Museumsdirektoren und Kritiker verteidigten in einer Gegenschrift den Ankauf und betonten die Wichtigkeit einer zeitgenössischen internationalen Ausrichtung für die Ankaufspolitik der deutschen Museen.

Van Gogh im Städel

Der leere im Besitz des Städels befindliche Bilderrahmen des bis heute verschwundenen bzw. für die Öffentlichkeit unzugänglichen van Gogh-Portraits Dr. Gachet (1890) © Foto: Diether v Goddenthow
Der leere im Besitz des Städels befindliche Bilderrahmen des bis heute verschwundenen bzw. für die Öffentlichkeit unzugänglichen van Gogh-Portraits Dr. Gachet (1890) © Foto: Diether v Goddenthow

Der erste Ankauf eines Van-Gogh-Gemäldes für ein öffentliches Museum gelang 1908. Der Städel Direktor Georg Swarzenski erwarb durch den Städelschen Museums-Verein das Gemälde Bauernhaus in Nuenen (1885) sowie die Zeichnung Kartoffelpflanzerin (1885) für die moderne Sammlung des Städel. 1911 folgte der Kauf des Hauptwerks Bildnis des Dr. Gachet (1890), das zum Aushängeschild des Museums wurde.

Darstellung der Historie Bildnis des Dr. Gachet (1890), das zum Aushängeschild des Museums und 1937 von den Nazis beschlagnahmt wurde und seitdem verschwunden ist. © Foto: Diether v Goddenthow
Darstellung der Historie Bildnis des Dr. Gachet (1890), das zum Aushängeschild des Museums und 1937 von den Nazis beschlagnahmt wurde und seitdem verschwunden ist. © Foto: Diether v Goddenthow

Dieses letzte von van Gogh gemalte Porträt markierte die Schnittstelle zwischen der Kunst des 19. Jahrhunderts und der klassischen Moderne. 1937 wurde das Gemälde von den Nationalsozialisten beschlagnahmt und gegen Devisen auf dem internationalen Kunstmarkt verkauft. Die Städel Ausstellung zeigt den leeren Bilderrahmen, der sich bis heute im Depot des Museums befindet – das Gemälde selbst ist Teil einer Privatsammlung und für die Öffentlichkeit unzugänglich.
Anlässlich der Ausstellung produziert das Städel einen 5-teiligen Podcast, der die bewegte Geschichte des Gemäldes nachzeichnet.

Van-Gogh-Sammler in Deutschland
Die Popularität von van Gogh in Deutschland spiegelt sich in der Vielzahl privater Sammlerinnen und Sammler wider, die seine Kunst bereits zu einem frühen Zeitpunkt erwarben. Zu den wichtigsten Protagonisten zählten Thea und Carl Sternheim, Adolf Rothermund, Paul von Mendelssohn-Bartholdy, Harry Graf Kessler sowie Willy Gretor und Maria Slavona.

Die Pappeln in Saint-Rémy (1889, The Cleveland Museum of Art). © Foto: Diether v Goddenthow
Die Pappeln in Saint-Rémy (1889, The Cleveland Museum of Art). © Foto: Diether v Goddenthow

Auch einige Kunsthändler wie Alfred Flechtheim und Paul Cassirer erwarben Werke für ihre Sammlungen. Die Ausstellung zeigt Van-Gogh-Werke, die sich ehemals in deutschen Sammlungen befanden, wie Bauernhaus in der Provence (1888, National Gallery of Art, Washington D. C.), Die Schlucht (Les Peiroulets) (1889, Kröller-Müller Museum, Otterlo) oder Die Pappeln in Saint-Rémy (1889, The Cleveland Museum of Art). Ein Großteil der Privatsammler entstammte dem jüdischen Bildungsbürgertum, das die moderne Kunst in Deutschland etablierte. Die Inflation in den 1920er-Jahren, die Weltwirtschaftskrise und die Verfolgung und Ermordung jüdischer Bürgerinnen und Bürger im Nationalsozialismus führten dazu, dass sich heute nur noch eine Handvoll Werke van Goghs in deutschen Privatsammlungen befindet.

Vom Künstler zum Romanhelden: Julius Meier-Graefe

Vitrinem-Wand mit Originalausgaben. © Foto: Diether v Goddenthow
Vitrinem-Wand mit Originalausgaben. © Foto: Diether v Goddenthow

Van Gogh wurde in deutschen Sammlerkreisen vor dem Ersten Weltkrieg zu einem populären Gesprächsthema. Entscheidend dazu beigetragen haben die Schriften von Julius Meier-Graefe. Der Kunstkritiker und Galerist hatte in den 1890er-Jahren in Paris gelebt und dort beobachtet, wie van Gogh von französischen und niederländischen Autoren posthum zu einer Art „Kunst-Apostel“ gemacht wurde, der in der Nachfolge Christi für seine Malerei lebte und litt. Er griff die beginnende Mythenbildung um den Künstler auf und bereitete sie für das deutsche Publikum auf. Seine dreibändige Entwicklungsgeschichte der modernen Kunst (1904) und die daraus ausgekoppelte Monografie Vincent van Gogh (1910) wurden in Deutschland zu Beststellern. Im Laufe der Jahre schmückte Meier-Graefe die Geschichten rund um den Künstler sukzessive aus. 1921 erschien sein zweibändiger Roman Vincent, dessen erklärtes Ziel es war, die Legendenbildung zu fördern.

Fälschungen

Zwei der berühmtesten Fälschungen: Der Sämann u. eine Kopie nach van Goghs Selbstbildnis für Gauguin. © Foto: Diether v Goddenthow
Zwei der berühmtesten Fälschungen: Der Sämann u. eine Kopie nach van Goghs Selbstbildnis für Gauguin. © Foto: Diether v Goddenthow

Dass van Gogh vor 1914 einer der populärsten Künstler in Deutschland war, zeigte sich auch in den auf dem Kunstmarkt kursierenden Fälschungen. Die in den 1920er-Jahren durch den Galeristen Otto Wacker in Umlauf gebrachten rund 30 Van-Gogh-Fälschungen führten 1932 zum ersten Kunstfälscher-Prozess in Deutschland. Involviert waren auch zahlreiche Experten. Der Prozess endete mit der Verurteilung Otto Wackers zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe. Dass nicht jede Fälschung als solche beabsichtigt war, lässt sich an der Kopie eines berühmten Selbstbildnisses von van Gogh nachvollziehen. Das in der Ausstellung präsentierte Gemälde wurde 1897 von der jungen französischen Malerin Judith Gérard angefertigt. Ohne ihr Wissen gelangte es wenig später in den Kunsthandel und wurde dort als echter van Gogh verkauft. Ihre Signatur war zuvor mit einem Blumendekor übermalt worden. Erst Jahrzehnte später wurde die Künstlerin als eigentliche Schöpferin des Werkes anerkannt.

Aus Kapitel 1 gelangt man in die Agora, in der Veranstaltungen im Rahmen des großen Begleitprogramms stattfinden oder sich auch Besuchergruppen finden können. Von hier aus gelangt man in Kapitel 2 oder 3 oder zum Ausgang (dort auch zu Kapitel 1 oder in den speziellen van-Gogh-Shop) © Foto: Diether v Goddenthow
Aus Kapitel 1 gelangt man in die Agora, in der Veranstaltungen im Rahmen des großen Begleitprogramms stattfinden oder sich auch Besuchergruppen finden können. Von hier aus gelangt man in Kapitel 2 oder 3 oder zum Ausgang (dort auch zu Kapitel 1 oder in den speziellen van-Gogh-Shop) © Foto: Diether v Goddenthow

 

KAPITEL 2: WIRKUNG

Vom einfachen Leben: Bauernmotive
Ein großer Teil der Kunst van Goghs beschäftigt sich mit dem Leben auf dem Land und der mühevollen Tätigkeit der Bauern. Sein Vorbild war der französische Maler Jean-François Millet, dessen Motive er in seine eigene Bildsprache übertrug, wobei er ihnen eine Farbigkeit nach seinem persönlichen Empfinden gab. Van Goghs Gemälde hinterließen wiederum bei zahlreichen Künstlern Eindruck. Sie orientierten sich an ihm, versuchten bei der Übernahme aber gleichwohl ihre eigene Handschrift zu entwickeln.

Kartoffelsetzen (1884, Von der Heydt-Museum Wuppertal) © Foto: Diether v Goddenthow
Kartoffelsetzen (1884, Von der Heydt-Museum Wuppertal) © Foto: Diether v Goddenthow

Die Städel Ausstellung veranschaulicht dies durch Gegenüberstellungen von Werken van Goghs wie Kartoffelsetzen (1884, Von der Heydt-Museum Wuppertal), Bauern bei der Feldarbeit (1889, Stedelijk Museum Amsterdam) oder dem Porträt Augustine Roulin (La Berceuse) (1889, Stedelijk Museum Amsterdam) mit Arbeiten von Paula Modersohn-Becker (Alte Armenhäuslerin mit Glaskugel und Mohnblumen, 1907, Museen Böttcherstraße, Paula Modersohn-Becker Museum, Bremen), Gabriele Münter (Murnauerin [Rosalia Leiß], 1909, Schloßmuseum Murnau) oder Heinrich Nauen (Grabender Bauer, 1908, Galerie Ludorff, Düsseldorf).

Selbstbildnisse

Selbstbildnisse. © Foto: Diether v Goddenthow
Selbstbildnisse. © Foto: Diether v Goddenthow

Die Selbstporträts van Goghs regten jüngere Künstler dazu an, sich in einer ähnlichen Form wie das Vorbild zu präsentieren. Van Gogh galt als „tragischer Held“, als ein von der Gesellschaft unverstandener und leidender Künstler, der sich für seine Malerei aufgeopfert hatte. Dieses Image hatte vor allem auf männliche Künstler eine starke Anziehungskraft. Die Ausstellung verdeutlicht dies am Beispiel von Selbstbildnissen u. a. von Cuno Amiet (um 1907), Max Beckmann (1905), Peter August Böckstiegel (1913), Ludwig Meidner (1919) und Heinrich Nauen (1909).

Zeichnungen und Reproduktionen

Van Gogh wird auch Vater der Moderne genannt , da er zum Vorbild wurde. Hier Nachzeichnung des van Gogh'schen Sämanns von  Ernst Ludwig Kirchner, der sich motivisch eng an sein Vorbild anlehnte. © Foto: Diether v Goddenthow
Van Gogh wird auch Vater der Moderne genannt , da er zum Vorbild wurde. Hier Nachzeichnung des van Gogh’schen Sämanns von Ernst Ludwig Kirchner, der sich motivisch eng an sein Vorbild anlehnte. © Foto: Diether v Goddenthow

Van Goghs Werk besteht zu einem großen Teil aus Zeichnungen. Zu Beginn seiner Laufbahn schulte sich der Künstler überwiegend durch das Kopieren von Vorlagen, bevor er sich an eigene Motive wagte. In späteren Jahren stehen seine Zeichnungen in enger Verbindung zu seiner Malerei. Sie dienten ihm zur Vorbereitung einer Komposition oder wiederholen und verdichten ein in der Malerei gefundenes Motiv.

Da es zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur eingeschränkte Möglichkeiten gab, Werke farbig zu reproduzieren, waren es anfänglich vor allem van Goghs Zeichnungen, die in Publikationen erschienen. Ihre graphisch klare Struktur war für die Übertragung in Strichätzungen (Radierungen) und die Vervielfältigung besonders gut geeignet. Van Goghs in Zeitschriften und Büchern reproduzierte Zeichnungen lieferten deutschen Künstlern erstes Anschauungsmaterial und inspirierten sie zu eigenen Versuchen. In der Städel Ausstellung zeigen zwei ineinander übergehende Räume zunächst eine Auswahl an Zeichnungen van Goghs, darunter Meisterwerke wie Die Strohhaufen (1888) aus dem Museum of Fine Arts in Budapest und Bauernhaus in der Provence (1888) aus dem Rijksmuseum in Amsterdam. Wie unterschiedlich die deutschen Expressionisten auf van Goghs vitale Zeichentechnik reagierten, wird in den Werken u. a. von Fritz Bleyl, Paul Klee, Ernst Ludwig Kirchner, Wilhelm Morgner und Max Pechstein anschaulich.

„Van Goghiana“

Zu den "Van Goghianan" gehörten zahlreiche "Brücke-Maler", unter anderem später so berühmte Künstler wie Emil Nolde, Max Pechstein, Cuno Amiet, Erich Heckel , Karl Schmidt-Rottluff und Ernst Ludwig Kirchner. Jeweils ein zwei ihrer Werke  werden entsprechend präsentiert, hier: Roter Turm im Park (1911) von Karl Schmidt-Rottluff. © Foto: Diether v Goddenthow
Zu den „Van Goghianan“ gehörten zahlreiche „Brücke-Maler“, unter anderem später so berühmte Künstler wie Emil Nolde, Max Pechstein, Cuno Amiet, Erich Heckel , Karl Schmidt-Rottluff und Ernst Ludwig Kirchner. Jeweils ein zwei ihrer Werke werden entsprechend präsentiert, hier: Roter Turm im Park (1911) von Karl Schmidt-Rottluff. © Foto: Diether v Goddenthow

Die Mitglieder der Künstlervereinigung Brücke in Dresden setzten sich besonders intensiv mit van Gogh auseinander. 1905 sahen sie Werke des Künstlers in einer Dresdner Ausstellung. Für die jungen Architekturstudenten Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff war dieses Erlebnis eine Offenbarung und ein Befreiungsschlag zugleich. Van Goghs Gemälde animierten sie dazu, reine Farben direkt aus der Tube auf die Leinwand zu bringen. Starke Kontraste, pastose Farbschichten und vereinfachte Formen bestimmten fortan ihre Werke. Sie wollten damit ihren unmittelbaren und unverfälschten Zugang zum Motiv unterstreichen, der sich nicht mehr an den Maßstäben der akademischen Malerei orientierte. Die Faszination für van Gogh war teilweise so ausgeprägt, dass Emil Nolde seinen Mitstreitern riet, sich lieber „Van Goghiana“ zu nennen. Die künstlerischen Reaktionen der Mitglieder der Brücke-Gruppe waren jedoch teilweise höchst unterschiedlich. Während die akademisch ausgebildeten Maler Max Pechstein und Cuno Amiet van Goghs Malerei genau untersuchten und seine systematisch gesetzten Pinselstriche imitierten, gingen Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff freier mit dem Vorbild um. Die verschiedenen Herangehensweisen können in einem Raum der Städel Ausstellung anhand zahlreicher Gemälde der Brücke-Maler nachvollzogen werden, darunter Ernst Ludwig Kirchners Fehmarn-Häuser (1908, Städel Museum, Frankfurt am Main) oder Erich Heckels Weißes Haus in Dangast (1908, Sammlung Carmen Thyssen-Bornemisza, Leihgabe im Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid).

Von Kapitel 2 in Kapitel 3 Malweise gelangt man über die Agora. © Foto: Diether v Goddenthow
Von Kapitel 2 in Kapitel 3 Malweise gelangt man über die Agora. © Foto: Diether v Goddenthow

KAPITEL 3: MALWEISE

Stilpluralismus
Das dritte Kapitel der Ausstellung nimmt die besondere Malweise van Goghs genauer in den Blick. Der Künstler arbeitete in seiner kurzen Schaffenszeit, die nicht mehr als ein Jahrzehnt umspannte, in einer außerordentlichen Bandbreite an Stilen und experimentierte ab der zweiten Hälfte der 1880er-Jahre, teils auch zeitgleich, mit Malweisen des Realismus, Impressionismus, Pointillismus, Cloisonismus oder Symbolismus.

Ernte in der Provence (1888) © Foto: Diether v Goddenthow
Ernte in der Provence (1888) © Foto: Diether v Goddenthow

Diese stehen nur stellvertretend für das Kaleidoskop moderner Kunstströmungen, die van Gogh nach seiner Ankunft in Paris im Jahre 1886 vorfand. Für ihn stellte sich die grundsätzliche Frage, ob seine Malerei flächig und formgebunden oder lebhaft strukturiert und dynamisch sein sollte. In diesem Zwiespalt suchte er seinen eigenen Weg. Die Ausstellung präsentiert Werke van Goghs, die diese Vielseitigkeit veranschaulichen, darunter etwa Die Mühle Le Blute-Fin (1886, Museum de Fundatie, Zwolle und Heino/Wijhe, Niederlande), Saint-Pierre-Platz, Paris (1887, Yale University Art Gallery, New Haven), Stillleben mit französischen Romanen (1887, Van Gogh Museum, Amsterdam/Vincent van Gogh Foundation) oder Mohnblumenfeld (1890, Gemeentemuseum Den Haag). Struktur und Fläche, Rhythmus und Statik, pastose und glatte Oberflächen, gedämpftes Kolorit und starke Farbkontraste stehen sich in van Goghs Schaffen gegenüber und sind gleichberechtigte, teils nebeneinander angewandte Mittel der Bildgestaltung.

Fläche

Gabriele Münter (Allee vor Berg, 1909, (Privatbesitz), © Foto: Diether v Goddenthow
Gabriele Münter (Allee vor Berg, 1909, (Privatbesitz), © Foto: Diether v Goddenthow

Nachfolgende Künstlergenerationen beriefen sich auf unterschiedliche Aspekte der Malerei van Goghs. An seinen Flächenkompositionen schulten sich diejenigen Künstlerinnen und Künstler in Deutschland, die auf einen ruhigen Bildaufbau bei gleichzeitiger Aufwertung der Farbe zielten. Die Ausstellung zeigt u. a. Werke von Gabriele Münter (Allee vor Berg, 1909, Privatbesitz), August Macke (Gemüsefelder, 1911, Kunstmuseum Bonn) und Felix Nussbaum (Arles sur Rhône Gräberallee, Les Alyscamps, 1929, Felix-Nussbaum-Haus, Osnabrück) sowie das Gemälde Blumen (1908, Privatbesitz) der heute weitgehend vergessenen Malerin Elsa Tischner-von Durant. Mit Josef Scharls Stillleben mit Kerze und Büchern (1929, Sammlung Henry Nold) wirft die Schau an dieser Stelle auch einen Blick auf die gewandelte Van-Gogh-Rezeption in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg: Die Gefühlsbetontheit und Expressivität wurde von einer zunehmend nüchternen Bildsprache abgelöst.

Rhythmus und Struktur

Sommerlandschaft (1917) von dem heute weitgehend vergessenen Maler Theo von Brockhusen. © Foto: Diether v Goddenthow
Sommerlandschaft (1917) von dem heute weitgehend vergessenen Maler Theo von Brockhusen. © Foto: Diether v Goddenthow

Van Goghs pastose Malweise ging in seinen letzten Lebensjahren einher mit einer rhythmischen Strukturierung seiner Werke. Die richtungsbetonte Strichführung liegt dabei nah an der Grenze zur ornamentalen Gestaltung. Der Duktus wird zum autonomen Ausdrucksmittel und drängt die beschreibende Funktion der Malerei in den Hintergrund. Kurt Badt, der in van Gogh eine Art „malenden Zeichner“ sah, beschrieb dieses Phänomen als sich „verselbständigende Ausdruckslinearität“. Linie und Farbe stehen einander als bildnerische Mittel nicht mehr gegenüber, sondern werden miteinander verbunden. Ein Raum in der Ausstellung präsentiert eine Reihe von Beispielen dafür, wie sich Künstlerinnen und Künstler auf van Goghs Vitalität und Struktur zusammenführende Malweise bezogen. Darunter befinden sich Mitglieder der Künstlergruppen Brücke und Blauer Reiter ebenso wie singuläre Positionen, etwa Christian Rohlfs und Max Beckmann. Mit dem heute weitgehend vergessenen Maler Theo von Brockhusen stellt das Städel zudem einen Künstler vor, der van Gogh zeitlebens motivisch und stilistisch sehr nahe stand. Die Übernahme seines spezifischen Pinselduktus brachte ihm den Spitznamen „von Goghhusen“ ein.

„Maler der Sonne“

Max Pechstein: Aufgehende Sonne (1933). © Foto: Diether v Goddenthow
Max Pechstein: Aufgehende Sonne (1933). © Foto: Diether v Goddenthow

Den Abschluss der Ausstellung bildet ein Raum, der aufzeigt, dass van Gogh die deutschen Expressionisten unter anderem mit Gemälden beeindruckte, in denen die Sonne als lodernder Fixstern am Horizont steht. Diese Darstellungen waren insofern außergewöhnlich, als das Licht der Sonne von Malern zuvor meist nur indirekt wiedergegeben wurde. Van Gogh hingegen rückte die Sonne als ein lebensspendendes und hoffnungsvolles Symbol ins Zentrum seiner Kompositionen, etwa in Weiden bei Sonnenuntergang (1888, Kröller-Müller Museum, Otterlo). Zahlreiche Vertreter des Expressionismus verstanden van Goghs Form der „Sonnenmalerei“ indessen als ein apokalyptisches Zeichen. Diese Interpretation, an der Julius Meier-Graefe entscheidenden Anteil hatte, passte in die unruhigen Zeiten vor dem Ersten Weltkrieg, erschien aber auch in der angespannten politischen Lage der Weimarer Republik plausibel. In beiden Phasen finden sich deutliche Reaktionen auf diese Arbeiten van Goghs, so etwa Otto Dix’ Sonnenaufgang (1913, Städtische Galerie Dresden – Kunstsammlung, Museen der Stadt Dresden), Wilhelm Morgners Der Baum (1911, Museum Wilhelm Morgner, Soest), Walter Opheys Flußlandschaft mit Schiffen und roter Sonne (1913/14, Kunstpalast, Düsseldorf), Max Pechsteins Aufgehende Sonne (1933, Saarlandmuseum – Moderne Galerie, Saarbrücken, Stiftung Saarländischer Kulturbesitz) oder Josef Scharls Landschaft mit drei Sonnen (1925, Kunsthalle Emden – Stiftung Henri und Eske Nannen).

Ort:
Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt am Main
Öffnungszeiten:
Di, Mi, Sa, So + Feiertage 10.00–19.00 Uhr, Do + Fr 10.00–21.00
Uhr

„Kann Photographieren ein Akt des Friedens sein?“ Sebastião Salgado mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2019 in der Paulskirche ausgezeichnet

(v.li.) Heinrich Riethmüller vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Peter Feldmann, Sebastião Salgado, Ehefrau Lélia Wanick Salgado. Ohne Lélia gäbe es seine Projekte gar nicht. Lélia habe ihn, so  Salgado, aus seiner Depression als Folge jahrelanger Krisen- und Kriegs-Bildberichterstattung herausgeholt. Sie habe die neuen Projekte angestoßen, die Gründung seiner Fotoagentur und die Pflanzaktion. Sie habe mindestens genauso den Friedenspreis verdient. © Foto Stadt Frankfurt
(v.li.) Heinrich Riethmüller vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels, Peter Feldmann, Sebastião Salgado, Ehefrau Lélia Wanick Salgado. Ohne Lélia gäbe es seine Projekte gar nicht. Lélia habe ihn, so Salgado, aus seiner Depression als Folge jahrelanger Krisen- und Kriegs-Bildberichterstattung herausgeholt. Sie habe die neuen Projekte angestoßen, die Gründung seiner Fotoagentur und die Pflanzaktion. Sie habe mindestens genauso den Friedenspreis verdient. © Foto Stadt Frankfurt

Der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado ist am 20. Oktober 2019, traditionall zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse, während eines Festaktes in der Paulskirche mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet worden. Unter den 700 geladenen Gästen aus Kultur, Politik und Wirtschaft befanden  sich Bundesjustizministerin Christine Lambrecht, Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die hessische Kunstministerin Angela Dorn und der Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalens Armin Laschet. Die Laudatio hielt der deutsche Filmregisseur und Fotograf Wim Wenders.

„Wir dürfen den Blick nicht abwenden“ – Salgados Dankesrede 

In seiner Dankesrede sprach Sebastião Salgado von sich selbst als einem „Fotografen, der einen großen Teil seines Lebens dafür eingesetzt hat, Zeugnis abzulegen über die Not unseres Planeten und so vieler seiner Bewohner, die unter grausamen, unmenschlichen Bedingungen leben; einem Fotografen, der diese Menschen ins Zentrum eines großen fotografischen Essays stellt, den er vor fünfzig Jahren begonnen hat und bis heute weiterschreibt.“ Er sagte: „Meine Sprache ist das Licht. Denn es ist auch und vor allem die Mission, Licht auf Ungerechtigkeit zu werfen, die meine Arbeit als Sozialfotograf bestimmt.“

Salgado stellte in seiner Rede die Menschen in den Vordergrund, deren Schicksal er während seines über fünfzigjährigen Schaffens dokumentiert hat: „Diese Männer, Frauen und Kinder gehören zu den Ärmsten der Menschheit. Sie bilden eine riesige Armee von Migranten und Verbannten, von ausgebeuteten Arbeiterinnen und Arbeitern, von Opfern von Krieg und Genozid. Es sind die Betroffenen von Hungersnöten, Dürrezeiten, Klimawandel und Abholzung; es sind die, die durch die Gier mächtiger, habsüchtiger Männer von ihrem Land vertrieben wurden, die der Mechanisierung der Landwirtschaft weichen mussten, die durch die Konzentration von Grundbesitz, durch ungeplanten Städtewachstum und brutale Wirtschaftssysteme, die von den reichsten Ländern der Welt kontrolliert werden, ihrer Existenzgrundlage beraubt wurden. Mit ihnen möchte ich diesen Preis heute teilen. Ich nehme ihn nicht für mich an; ich nehme ihn für sie an; ich nehme ihn mit ihnen an.“

Der Blick auf Schrecken und Leid solle die Menschen aufrütteln, an einer besseren Zukunft zu arbeiten: „Meine einzige Hoffnung ist, dass wir, als Individuen und als Staaten, in der Lage sind, über den derzeitigen Stand der Menschheit zu reflektieren und zu verstehen, dass wir ein tieferes Gefühl für Verantwortung brauchen, eine neue Ordnung, ein gutes Gewissen. Irgendwie müssen wir neue Mittel und Wege des Zusammenlebens finden. (…) Wir dürfen nicht verleugnen, was wir einander anzutun fähig sind, weil der Mensch immer des Menschen Wolf ist. Aber die Zukunft der Menschheit liegt in unseren eigenen Händen. Um eine andere Zukunft zu errichten, müssen wir die Gegenwart verstehen. Meine Fotos zeigen diese Gegenwart, und so schmerzhaft der Anblick ist, wir dürfen den Blick nicht abwenden.“ (Die Rede von Sebastião Salgado)

Kann Photographieren ein Akt des Friedens sein?

Wim Wenders begann seine Laudatio für Sebastião Salgado mit der provokanten Frage: „Kann Photographieren ein Akt des Friedens sein? Kann die Photographie friedensfördernd sein?“, um zugleich Kritiker zu widerlegen. Suan Sonntag hatte beispielsweise Salgado 2014 vorgeworfen, dass er das aufgenommene Elend durch sein kunstvolles Schwarz-Weiß und seine Rahmensetzung stilisiere und so „konsumierbar“ mache. Regisseur Wenders, der mit Salgados Sohns 2014 in „Das Salz der Erde“ das Lebenswerk des zivilisationskritschen Fotografen Sebastião Salgado dokumentierte, unterstrich: „Sebastião Salgado schießt nicht, er stiehlt nicht, er stellt keine Fallen, im Gegenteil: seine Bilder entwaffnen, sie stiften Verbindung, Nähe und Empathie!“ (…)

„Schaut, was ihr noch erhalten könnt!“ lautet Salgados Bilderbotschaft
„Nur einer, der so mit anderen gelitten hat, der zu den Machtlosen, den Unterdrückten, Hungernden und Fliehenden gegangen ist, sie begleitet hat, ihnen Zeit geschenkt hat, ihnen zugehört und ihnen so eine Stimme gegeben hat, als ihr Botschafter, der sie auch mitunter überhöht hat, nicht damit ihr Leid „schöner aussieht“, wie manchmal der absurde und unsinnige Vorwurf lautet, sondern um ihnen gerade im Leid Achtung zu zollen, Würde und Einzigartigkeit zu verleihen … nur so einer kann uns auch die Augen aufmachen und sagen: „Schaut, was es noch alles gibt, was noch so ist wie am Anfang. Schaut, was Ihr noch erhalten könnt oder müßt, und was noch nicht für immer vergangen ist.“ So einem Blick kann man trauen, weil er was er gesehen hat, als Heilung geschenkt bekommen hat, Auge in Auge mit Menschen, die noch nie eine Kamera gesehen haben, Auge in Auge mit Tieren, Bäumen, Urwäldern, Wolken und Licht, Auge in Auge mit der Schöpfung.“, so Wenders.

Wenders würdigte Sebastião Salgado als Fotografen, der die Menschen habe „teilnehmend spüren lassen, was der große Feind des Friedens in unserer Zeit ist: der brutale Niedergang des Mitgefühls, der Mitverantwortung, des Gemeinsinns, des grundsätzlichen Willens zur Gleichheit des Menschengeschlechts.“ Bezugnehmend auf seine drei Werke „Arbeiter“, „Exodus“ und „Genesis“ sagte er: „Mit diesen drei monumentalen monolithischen Arbeiten allein hat uns dieser Mann die Bedingungen von Frieden vor Augen geführt: Es kann keinen Frieden ohne soziale Gerechtigkeit, ohne Arbeit, geben, es kann keinen Frieden ohne Anerkennung der Menschenwürde geben, und ohne die Beendigung der unnötigen Zustände von Armut und Hunger, und es kann keinen Frieden geben, ohne dass wir die Schönheit und Heiligkeit unserer Erde achten.“
(Die Laudatio von Wim Wenders)

Zum ersten Mal erhält ein Fotograf den Friedenspreis – von  Heinrich Riethmüller – 
Zum ersten Mal zeichne der Börsenverein einen Fotografen mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels aus – einen Fotografen, dessen subjektive Sichtweise eher mit der eines Literaten als eines Berichterstatters vergleichbar ist, griff Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins, die im Raum stehende Frage auf, weswegen kein/e Schriftsteller/in in diesem Jahr ausgezeichnet wurde. Sebastião Salgado habe ohne zu skandalisieren oder einen nur beiläufigen Blick auf die Welt zu werfen, seine Reportagen immer lang als Projekte angelegt. „Er war Zeuge entsetzlicher Verbrechen und Zerstörungen. Er dokumentierte den Völkermord in Ruanda ebenso wie das Abfackeln der Ölfelder in Kuwait, er zeigt Menschen auf der Flucht vor Hunger und Krieg, vor Ausbeutung und Naturkatastrophen. Seine Bildersammlungen erzählen von einer Menschheit, die in der Moderne angekommen ist, die die Folgen der Globalisierung mit voller Wucht zu spüren bekommt, und die kurz davorsteht, sich selbst die Lebensgrundlagen zu nehmen. Sebastião Salgados Bilder richteten einen drängenden Appell an die Gesellschaft: „Sebastião Salgado zeigt uns die ganze Welt, die von der Zivilisation beschädigte, aber auch die von ihr noch unberührte. Seine Fotografien müssen Auftrag sein, uns für den Erhalt der Schöpfung einzusetzen, aufzuwachen und unseren Lebensstil radikal zu ändern. Nur dann werden wir vielleicht eine Chance haben, der nächsten Generation einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen.“
(Das Grußwort von Heinrich Riethmüller).

Kein besserer „Friedenspreis-Ort“ als die Paulskirche – Grußwort Peter Feldmann

Oberbürgermeister Feldmann würdigt Friedenspreisträger Salgado als Mittler zwischen den Völkern, und unterstrich, dass für es für die Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels keinen würdigeren Ort als die Paulskirche, die Schmiede der deutschen Demokratie gäbe, in Frankfurt, in einer Stadt in der 180 Nationen mit 200 Sprachen friedlich zusammenleben, in einer Stadt, in den die Ideale wie Meinungsfreiheit und Versammlungsfreiheit und Demokratie Selbstverständlichkeit seien. Die Paulskirch sei zudem der Ort, wo vor 70 Jahren die erste Buchmesse nach der Nazi-Zeit eröffnet wurde. Das gibt Hoffnung für jene, die sagen, angesichts von Krieg und Umweltzerstörung dürfe es keine Hoffnung mehr geben.
Wir Menschen brauchen solche Orte der Identifikation, der Geschichte, der Zusammenkunft. Nur an solchen besonderen Orten entstehen Dialoge und Debatten. Nur durch Debatten kann Streit beigelegt, kann gesellschaftlicher Fortschritt erzielt werden, so der Feldmann.

Seit 1950 vergibt der Börsenverein des Deutschen Buchhandels zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Preisträger waren unter anderem Albert Schweitzer, Astrid Lindgren, Václav Havel, Jürgen Habermas, Susan Sontag, Liao Yiwu, Navid Kermani, Margaret Atwood und im vergangenen Jahr Aleida und Jan Assmann. Der Preis ist mit 25.000 Euro dotiert.

Ehrengast Norwegen überreicht die GastRolle an Kanada – Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2020

Gastland Norwegen Stand auf der Buchmesse.  © Foto: Diether v Goddenthow
Gastland Norwegen Stand auf der Buchmesse. © Foto: Diether v Goddenthow

Auf Wiedersehen Norwegen, willkommen Kanada!
Feierliche Zeremonie mit dem norwegischen Autor Erlend Loe und der kanadischen Autorin Margaret Atwood

Nachdem die Besucherinnen und Besucher der diesjährigen Frankfurter Buchmesse über 100 norwegische Autorinnen und Autoren erleben konnten, fand am Nachmittag des Messesonntags das festliche Ende des Ehrengastauftrittes Norwegens im Gastland-Pavillon statt. In einer feierlichen Zeremonie mit dem Buchmessedirektor Juergen Boos übergab Margit Walsø, Direktorin von NORLA – Norwegian Literature Abroad, die GastRolle an Caroline Fortin, Vorsitzende des Ehrengastkomitees CanadaFBM2020. Das eigens dafür geschaffene Kunstobjekt der Frankfurter Buchmesse wird in jedem Jahr um einen literarischen Beitrag des nachfolgenden Gastlandes erweitert.

Norwegen hatte im vergangenen Jahr das Gedicht „Das ist der Traum“ von Olav H. Hauge (1908 – 1994) gewählt. Im Jahr 2016 wählten die Leserinnen und Zuschauer des norwegischen Senders NRK dieses Gedicht zum bedeutendsten norwegischen Gedicht aller Zeiten. Norwegens Motto als Ehrengast – „Der Traum in uns“ – basiert auf dem Gedicht des beliebten Dichters:

Det er den draumen
Deter den draumen me ber på
at noko vedunderleg skal skje,
at det må skje –
at tidi skal opna seg,
at hjartaskal opna seg,
at dører skal opna seg,
at berget skal opna seg,
at kjeldor skal springa –
at draumen skal opna seg,
at me ei morgonstund skal glida inn
på ein våg me ikkje har visst um.

Das ist der Traum
Das ist der Traum, den wir tragen,
daß etwas Wunderbares geschieht,
geschehen muß –
daß die Zeit sich öffnet,
daß das Herz sich öffnet,
daß Türen sich öffnen,
daß der Berg sich öffnet,
daß Quellen springen –
daß der Traum sich öffnet,
daß wir in einer Morgenstunde gleiten
in eine Bucht, um die wir nicht wußten.

Übersetzung von „Das ist der Traum“ („Det er den draumen“, in Dropar i austavind, Noregs boklag 1966) ins Deutsche von Klaus Anders.

Kanada schrieb sich nun mit einem Gedicht von Georgette Leblanc in die Rolle ein:

J’sons
De parenté à parenté à parenté
All my relations

C’est ici le lieu du poème
Et nos yeux sont remplis de paysages vivants
We should know, we are the dreamers.
X, we are responsible
For Beauty.

Je prends la glace par les hanches
Je sais ce que je fais malgré ma jeunesse
His mother talks in pictures
Language, too, is a natural phenomenon.

Ej parle le pissenlit, le corbeau, et une miette de goemon
Creative activity of all kinds becomes possible
Energy is no longer suppressed
Il y a toujours une vie à faire
ou à refaire
De parenté à parenté à parenté

Gedicht von Georgette Leblanc, mit Auszügen verschiedener Autoren

I am, are*
From relation to relation to relation
All my relations

Here is the place of the poem
And our eyes are awash with the living
We should know, we are the dreamers.
X, we are responsible
For Beauty.

I take ice by the thighs
I know what I am doing, regardless of my youth
His mother talks in pictures
Language, too, is a natural phenomenon.

I speak dandelion, crow, some seaweed
Creative activity of all kinds becomes possible
Energy is no longer suppressed
There is always a life to create
or recreate
From relation to relation to relation

English translation by Georgette Leblanc

Ich bin, sind
Von Verwandten zu Verwandten zu Verwandten
All my relations, alle verbunden

Hier ist der Ort des Gedichts
Unsere Augen erfüllt von lebendigen Landschaften
Wir sollten es wissen, wir sind die Träumenden
X, wir sind verantwortlich
Für Schönheit

Ich packe das Eis bei den Hüften
Ich weiß, was ich tue, trotz meiner Jugend
Seine Mutter spricht in Bildern
Auch Sprache ist ein Naturphänomen
Ich kann nur Löwenzahn, Rabe und ein paar Brocken Alge
Kreative Aktivität aller Art wird möglich
Energie wird nicht länger unterdrückt
Man kann immer etwas aus seinem Leben machen
Etwas Altes oder Neues
Von Verwandten zu Verwandten zu Verwandten

Deutsche Übersetzung von Sonja Finck

Auf wiedersehen Norwegen!

Zuvor fand ein literarisches Gespräch mit dem norwegischen Autor Erlend Loe und der kanadischen Autorin Margaret Atwood statt. Durch die Veranstaltung führte der Autor und Moderator Thomas Böhm.

Die Direktorin von NORLA, Margit Walsø, blickte auf einen gelungenen Gastlandauftritt zurück:

„Bereits vor der Messe war uns klar, dass wir 510 Bücher über Norwegen oder aus dem Norwegischen übersetzte Titel hier präsentieren können. Und wir wussten, dass es knapp 1000 Veranstaltungen mit norwegischen Autorinnen und Autoren sowie Künstlerinnen und Künstler im deutschsprachigen Raum gegeben hat. Aber der Publikumsandrang auf der Buchmesse übertraf alle unsere Erwartungen, und war natürlich auch eine große Freude für die 100 mitreisenden Autorinnen und Autoren, die hier aufgetreten sind: So ist es uns gelungen, auf der Buchmesse die Literatur in den Mittelpunkt zu stellen.“

Impressionen auf die ins Unendliche zielenden Wandspiegelungen im norwegischen Pavillon.© Foto: Diether v Goddenthow
Impressionen auf die ins Unendliche zielenden Wandspiegelungen im norwegischen Pavillon.© Foto: Diether v Goddenthow

Halldór Guðmundsson, der Projektleiter des norwegischen Gastlandauftrittes, fügte hinzu, dass Norwegen nicht zuletzt auf Nachhaltigkeit setzt, und zwar durch die Zusammenarbeit mit dem deutschen Buchhandel: „Wir haben viele deutsche Buchhändlerinnen und Buchhändler nach Norwegen eingeladen. In hunderten von deutschen Buchhandlungen fanden dieses Jahr norwegische Lesungen statt, und auch im November setzen wir das Programm fort. Jetzt nach der GastRollen-Übergabe, wenn der norwegischen Pavillon zusammengepackt wird, ist es auch schön zu wissen, dass die 23 Phantasiebüchertische, die den Haupteil der Ausstellung ausmachten, in Buchhandlungen in Deutschland weiterleben werden – als Symbol dieser schönen Zusammenarbeit.“

Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse: „Norwegens Ehrengastauftritt hat uns gezeigt, wie Träume in Erfüllung gehen können: Im Mittelpunkt stand die Begegnung mit Autorinnen und Autoren, deren Werke in Deutschland und weltweit Millionen von Leserinnen und Leser begeistern. Innerhalb eines Jahres sind 510 Neuerscheinungen von norwegischen Autorinnen und Autoren sowie Titel über Norwegen in 217 deutschsprachigen Verlagen erschienen – diese Zahl spricht für einen überaus erfolgreichen Auftritt. Mit seinen Beiträgen zu den Schwerpunkten der diesjährigen Buchmesse, Meinungsfreiheit und Nachhaltigkeit, setzte Norwegen wichtige Akzente. Den Projektverantwortlichen Margit Walsø, Halldór Guðmundsson und dem Team von Norla ist es gelungen, der norwegischen Literatur eine große Bühne zu bereiten. Unter dem Motto „Singular Plurality, Singulier Pluriel“ wird Kanada, Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2020 (10.-14. Oktober 2020), seine literarische Vielfalt erlebbar machen – darauf freue ich mich schon ganz besonders. Schon in diesem Jahr lud Kanada uns ein, junge literarische Talente zu entdecken; mit Margaret Atwood war eine der wichtigsten Vertreterinnen der kanadischen Literatur bei uns.“

Kanada ante portas

Kleine Fläschchen Ahorn-Sirup waren  ein süßer Gruß des Ehrengastlandes Kanda 2020 bei der Vorfeldpressekonferenz. © Foto: Diether v Goddenthow.
Kleine Fläschchen Ahorn-Sirup waren ein süßer Gruß des Ehrengastlandes Kanda 2020 bei der Vorfeldpressekonferenz. © Foto: Diether v Goddenthow.

Caroline Fortin, Vorsitzende des Ehrengastkomitees CanadaFBM2020, sagte: „Kanada ist eklektisch und vielfältig. Unsere Unterschiede sind in ein buntes Geflecht verwoben, das eine Nation zeigt, die wächst und danach strebt, an allen Fronten voranzukommen, und dabei eine lebendige und kreative Branche schafft. Dies spiegelt die heutige kanadische Literatur wider, die mehr denn je vor neuen Stimmen und Perspektiven strotzt, und ein breites Publikum erreicht. Daher wird die kanadische Literatur der Star unseres Gastlandauftrittes 2020 sein, und aufstrebende Schriftsteller sowie hochgelobte und renommierte Autoren präsentieren. Kanada wird kraftvolle Texte aus allen literarischen Genres von französischen, englischen und einheimischen Stimmen zeigen. Gleichzeitig werden wir die unzähligen Geschichten verkünden, die unser Land repräsentieren – unsere SINGULAR PLURALITY/ SINGULIER PLURIEL.“

„Wo Literatur ist, ist auch immer Hoffnung – Erste Literaturgala der Frankfurter Buchmesse

In einer Zeit der Vorurteile, der Emotionen, des Populismus seien Bücherfür uns alle ein Ort des Denkens und des Nachdenkens, begrüßte Fernsehmoderatorin Bärbel Schäfer die über 1000 Gäste auf der ersten Literaturgala der Frankfurter Buchmesse im Congresscentrum am gestrigen Samstagabend. „Ich glaube wir brauchen wieder etwas mehr Vernunft in dieser Welt“, so die Schäfer, die gemeinsam mit dem Autor, Moderator und Literaturvermittler Thomas Böhm durch den Abend führte.

Das fröhliche Moderatorenpaar der ersten Literaturgala der Frankfurter Buchmesse Thomas Böhm und Bärbel Schäfer.  © Foto: Diether v Goddenthow
Das fröhliche Moderatorenpaar der ersten Literaturgala der Frankfurter Buchmesse Thomas Böhm und Bärbel Schäfer. © Foto: Diether v Goddenthow

Die Frankfurter Buchmesse sei ein Ort der Vielfalt, des Respektes und der Anerkennung des anderen, „und ich habe das Gefühl: Wo Literatur ist, wo Kreativität ist, da ist auch immer Hoffnung! Eingeladen hatten die Veranstalter, die Frankfurter Buchmesse und der HR 2 sowie die Buchhandlung, ein Riege internationaler Bestseller-Autoren wie: Elif Shafak, Colson Whitehead, Maja Lunde, Ken Follett und Margaret Atwood sowie zum Vorlesen von Textpassagen aus Neuerscheinungen die bekannte deutsche Schauspielerin Nina Petri und Bela B Felsenheimer. Er ist Gitarrist, Komponist, Sänger und Schlagzeuger und Mitglied der Punkrock-Band Die Ärzte sowie Schriftsteller und Synchronsprecher. „Genießen sie! Don’t be german, be emotional! Gründen Sie Familien!“, brachte Bärbel Schäfer zu Beginn der Gala die Gäste in Stimmung!

Elif Safak „Unerhörte Stimmen “

Elif Safak © Foto: Diether v Goddenthow
Elif Safak © Foto: Diether v Goddenthow

Thomas Böhm und Elif Safak machten den Anfang. Elif Şafak, geboren als Elif Bilgin, ist eine türkische Schriftstellerin, die in türkischer und englischer Sprache schreibt. Sie gehört zu den meistgelesenen Schriftstellerinnen in der Türkei sowie zu den türkischen Schriftstellern mit hohem Bekanntheitsgrad im Ausland. Ihrem neuen Roman „Unerhörte Stimmen “, erschienen bei „Kein & Aber“, liegt die wissenschaftlich erforschte Tatsache zugrunde, dass, wenn der Körper tot ist, das Gehirn noch etwa 10 Minuten weiterleben kann. Und was dann passieren kann, erzählt Shafak anhand ihrer Hauptprotagonistin Leila, einer zu Sexarbeit genötigten jungen Frau, die ermordet wurde, und flugs – durch Gerüche und Geschmäcke – im Zustand einer Art Zwischenwelt ihr eigenes Leben Revue passieren lässt.

Schauspielerin Nina Petri liest Passagen aus den Neuerscheinungen. © Foto: Diether v Goddenthow
Schauspielerin Nina Petri liest Passagen aus den Neuerscheinungen. © Foto: Diether v Goddenthow

Elif Shafak erzählt nicht nur eine spannende Kriminalgeschichte, sondern will an die Stimme der Vergessenen erinnern, eine Geschichte die erinnern soll an Menschen, die tatsächlich in Istanbul ermordet und in eine Mülltonne geworfen wurden. Das Werk ist geprägt von der Empathie mit den Anderen genauso wie von der Hinwendung zur muslimischen Mystik als Quelle einer großen Tradition des oralen Erzählens, fasst Thomas Böhm zusammen.

Colson Whitehead „Die Nickel Boys“

Colson Whitehead © Foto: Diether v Goddenthow
Colson Whitehead © Foto: Diether v Goddenthow

Colson Whitehead ist ein US-amerikanischer Schriftsteller. Er wurde für seinen Roman The Underground Railroad 2016 mit dem National Book Award und 2017 mit dem Pulitzer Prize for Fiction sowie der Andrew Carnegie Medal for Excellence in Fiction und dem Arthur C. Clarke Award ausgezeichnet.

In seinem neuesten Buch „Die Nickel Boys“ erzählt Whitehead wie in der Nickel Academy, einer Besserungsanstalt der frühen 60er Jahre in den Sümpfen Floridas, verwahrloste und auffällig gewordene Jugendliche misshandelt wurden und zu Tode gekommen sind. Seine fiktionale Geschichte bleibt dabei aber eng an der Realität der Jahrzehnte lang begangenen Verbrechen, die erst 2014 öffentlich bekannt wurden durch Skelette-Funde eines ehemaligen Friedhofs vis-à-vis der Nickel Academy.
Colson Whitehead, Bela B Felsenheimer, der auch noch ein paar Fragen an den Autor hatte,  und Bärbel Schäfer. © Foto: Diether v Goddenthow

Colson Whitehead, Bela B Felsenheimer, der auch noch ein paar Fragen an den Autor hatte, und Bärbel Schäfer. © Foto: Diether v Goddenthow

Sein sechzehnjähriger Protagonist Elwood lebt mit seiner Großmutter im schwarzen Ghetto von Tallahassee und ist ein Bewunderer Martin Luther Kings. Als dieser einen Platz am College bekommt, scheint sein Traum von gesellschaftlicher Veränderung in Erfüllung zu gehen. Doch durch einen Zufall gerät er in ein gestohlenes Auto und wird ohne gerechtes Verfahren in die Besserungsanstalt Nickel Academy gesperrt. Dort wurde auch er missbraucht, gepeinigt und ausgenutzt. Mit seinem spannenden Roman bringt der Autor zugleich den tief verwurzelten Rassismus und das nicht enden wollende Trauma der amerikanischen Geschichte zutage.

Maja Lunde „Die Geschichte des Wassers“

Maja Lunde. © Foto: Diether v Goddenthow
Maja Lunde. © Foto: Diether v Goddenthow

Die in Oslo geborgene Norwegerin Maja Lunde studierte Literatur, Psychologie und Kommunikationswissenschaften an der Universität ihrer Heimatstadt. Nach dem Studium arbeitete sie in einem Filmmuseum und bei Filmproduktionen. Sie wurde schließlich Autorin. Ihr Buch „Die Geschichte der Bienen“,ein aufrüttelndes literarisches Plädoyer für die Natur, wurde das meistverkaufte Buch 2018. Mit ihrem neuen Werk „Die Geschichte des Wassers“ begibt sich  Signes, eine 70jährige Umweltaktivistin, auf eine riskante Reise mit einem Segelboot von Norwegen nach Frankreich, an Bord eine Fracht, die das Schicksal des blauen Planeten verändern kann. In einem anderen Strang, Frankreich 2014, werden Menschen durch eine große Dürre gezwungen von Südeuropa in den Norden zu flüchten, wo jedoch auch das Trinkwasser knapp ist. Als der junge Vater David und Tochter Lou in einem vertrockneten Garten ein uraltes Segelboot, Signes Segelboot, finden, keimt Hoffnung auf. Mit ihrem Roman stellt Lunde die Bedeutung von Wasser, die Basis allen irdischen Lebens, ins Zentrum als Warnung vor wachsender Wasserknappheit, vor allem, wenn wir Menschen nicht lernen, anders mit dem kostbaren Nass umzugehen.

Ken Follett „Notre-Dame: A Short History of the Meaning of Cathedrals“

Ken Follett © Foto: Diether v Goddenthow
Ken Follett © Foto: Diether v Goddenthow

Ein weiterer Höhepunkt war der Starautor Ken Follett, der in der Literaturszene neben Stephen King, Dan Brown, John Grisham oder Michael Crichton als einer der international erfolgreichsten und auflagenstärksten „Schreib- und Epenunternehmer“ gilt. Denn seit geraumer Zeit arbeitet er mit einem zwanzigköpfigen Mitarbeiterstab, das Follett Office, zusammen. Während Follett die kreative Arbeit des Schreibens leistet, übernehmen seine Crue, darunter auch Historiker, Journalisten usw., übernehmen Recherchen, organisatorische und administrative Aufgaben. Schnellschreiber Follett rechnet für ein Buch, natürlich abhängig vom Umfang, ungefähr 24 Monate, nämlich 8 Monate für die Recherche, 8 Monate für den Entwurf und nochmals 8 Monate für die Endfassung. Mittlerweile hat er allein in Deutschland an die 30 Millionen Bücher verkauft. Für seine Trilogie „Sturz der Titanen“, „Winter der Welt“ und „Kinder der Freiheit“ soll er ein Garantiehonorar von 14 Millionen Euro erhalten haben. 2017 erschien wiederrum im Bastei-Lübbe-Verlag „Das Fundament der Ewigkeit“. Insgesamt hat Follett über 20 ins Deutsche übersetzte Romane geschrieben. Aber er war nicht immer so erfolgreich, erzählt er. Als er merkte, dass er als „Enthüllungsjournalist“ ungeeignet war, begann nebenbei abends und wochenends Kurzgeschichten und Romane zu schreiben. Das führte zwar zur Publizierung einiger Bücher, wovon sich aber keines wirklich gut verkaufte. Dank seine Agenten, der an ihn glaubte, blieb er am Ball. Als dann 1978 sein Roman Die Nadel erschien, wurde er über Nacht Bestseller-Autor, so erfolgreich, dass er seinen bisherigen Beruf in einem kleinen Verlag aufgeben konnte. Er mietete sich in Frankreich eine Villa und widmete sich nun ausschließlich seinem nächsten Roman Dreifach.

Ken Follett liest aus seinem Buch: Notre-Dame: Eine kurze Geschichte der Bedeutung der Kathedralen: "„Die wunderbare Kathedrale Notre-Dame de Paris, eine der größten Errungenschaften der europäischen Zivilisation, stand in Flammen. Der Anblick verwirrte und störte uns zutiefst. Ich war den Tränen nahe. Vor unseren Augen starb etwas Unbezahlbares. Das Gefühl war verwirrend, als würde die Erde beben." © Foto: Diether v Goddenthow
Ken Follett liest aus seinem Buch: Notre-Dame: Eine kurze Geschichte der Bedeutung der Kathedralen: „„Die wunderbare Kathedrale Notre-Dame de Paris, eine der größten Errungenschaften der europäischen Zivilisation, stand in Flammen. Der Anblick verwirrte und störte uns zutiefst. Ich war den Tränen nahe. Vor unseren Augen starb etwas Unbezahlbares. Das Gefühl war verwirrend, als würde die Erde beben.“ © Foto: Diether v Goddenthow

Bislang nur in Englisch erschien soeben: „Notre-Dame: A Short History of the Meaning of Cathedrals“ (Notre-Dame: Eine kurze Geschichte der Bedeutung der Kathedralen). In diesem kurzen, bezaubernden Buch beschreibt der internationale Bestsellerautor seine die Gefühle, die ihn beschäftigten, als er von dem Feuer erfuhr, das eine der größten Kathedralen der Welt, die Notre-Dame de Paris, zu zerstören drohte Welt. Follett erzählt die Geschichte der Kathedrale, von ihrem Bau bis zu ihrer Rolle im Laufe der Zeit und der Geschichte. Er zeigt den Einfluss, den die Notre-Dame auf Kathedralen auf der ganzen Welt und auf das Schreiben einer seiner berühmtesten und bekanntesten Romane „Die Säulen der Erde“ hatte.

Margaret Atwood „Die Zeuginnen“

Moderator Thomas Böhm, Schrifstellerin Margaret Atwood und Moderatorin Bärbel Schäfer.© Foto: Diether v Goddenthow
Moderator Thomas Böhm, Schrifstellerin Margaret Atwood und Moderatorin Bärbel Schäfer.© Foto: Diether v Goddenthow

Kämpferisch wie ihre Fans sie kennen, gab sich die weltweit für ihre zahlreichen Romane, Erzählbände, Gedicht- und Kinderbücher bekannte, in Ottawa geborene Schriftstellerin Margaret Atwood. Sie ist unbestritten eine der wichtigsten Autorinnen Nordamerikas. Ihre Werke liegen in über 20 Sprachen übersetzt vor und wurden national wie international vielfach ausgezeichnet. Mit „Die Zeuginnen“ hat Atwood nun 34 Jahre später die Fortsetzung des Kultbuches „Der Report der Magd“ vorgelegt, erschienen im Berlin-Verlag. Darin erzählt sie vom Ende des Gottesstaates „Gilead“, womit sie sich in den Olymp der großen Dystopien wie George Orwells „1984“ oder Aldous Huxleys „Schöne Neuer Welt“ geschrieben hat.

Margaret Atwood. © Foto: Diether v Goddenthow
Margaret Atwood. © Foto: Diether v Goddenthow

Margaret Atwood liebt nicht nur Geschichten vom Ende der Welt, wie etwa die ihrer Trilogie „MaddAddam“, in der sie eine Sintflut herauf beschworen hat, oder ihre dreibändige Saga von Oryx und Crake, in der nach einer Seuche, er größte Teil der Menschheit hinweg gerafft wurde. Nein, die Trägerin des Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2017 liebt Geschichten. Denn „Geschichten haben es in sich. Sie können das Denken und Fühlen der Menschen verändern – zum Besseren oder zum Schlechteren“, so die Autorin. Atwood, deren Vater Biologe war, setzt sich nicht nur auch sehr für die Emanzipation der Frau ein, sondern auch für den Klimaschutz und lobt Greta und die junge Generation, die es geschafft habe, dass nunmehr auch die Politiker Klimaschutz als wichtiges Thema sehen.

Erste Literaturgala auf der Frankfurter Buchmesse 2019. © Foto: Diether v Goddenthow
Erste Literaturgala auf der Frankfurter Buchmesse 2019. © Foto: Diether v Goddenthow

„Sozialer Kapitalismus! Mein Manifest gegen den Zerfall unserer Gesellschaft“ von Paul Collier mit dem Deutschen Wirtschaftsbuchpreis prämiert

Deutscher Wirtschaftsbuchpreis 2019: Sozialer Kapitalismus! Mein Manifest gegen den Zerfall unserer Gesellschaft von Paul Collier ist das beste Wirtschaftsbuch des Jahres. © Foto: Diether v Goddenthow
Deutscher Wirtschaftsbuchpreis 2019: Sozialer Kapitalismus! Mein Manifest gegen den Zerfall unserer Gesellschaft von Paul Collier ist das beste Wirtschaftsbuch des Jahres. © Foto: Diether v Goddenthow

Für sein Buch Sozialer Kapitalismus! Mein Manifest gegen den Zerfall unserer Gesellschaft, erschienen im Siedler-Verlag, hat Paul Collier den Deutschen Wirtschaftsbuchpreis 2019 gewonnen. Die Jury wählte das Buch aus einer Shortlist von zehn Titeln. Das Preisgeld beträgt 10.000 Euro. Der Preis wurde am Donnerstagabend im Rahmen der Frankfurter Buchmesse bei einer feierlichen Gala überreicht.

Die Jury aus hochrangigen Vertretern aus Wirtschaft und Wissenschaft entschied sich für das Buch, weil es das Thema Zukunftsbewältigung wegweisend behandelt und einen ebenso fundierten wie persönlichen Debattenbeitrag zu einer der großen Fragen der Zeit liefert: Wie können wir technologischen Fortschritt auch gesellschaftlich stabilisieren? „Wie weit können Markt und Privatwirtschaft gehen und wo setzt ein fundiertes Bewusstsein der Verantwortung für das Gemeinwohl ein? Das ist von hoher Relevanz“, urteilt die Jury über Colliers Plädoyer für einen erneuerten Kapitalismus. Jede Gesellschaft brauche eine Konvention der Mitglieder auf Werte, die gelebt werden müssen. „Colliers Manifest ist extrem gut erklärt und seine Forderungen sind leicht nachvollziehbar“, erklärt der Jury-Vorsitzende Hans-Jürgen Jakobs, Senior Editor und Autor des Handelsblatts, „und er spricht das Thema Identität ideologiefrei an“.

Der britische Ökonom diagnostiziert in seinem Buch, dass nicht nur die Verteilung zwischen Arm und Reich Probleme aufwirft. Viel gefährlicher sei der neue Riss zwischen den städtischen Metropolen und dem Rest des Landes, zwischen den urbanen Eliten und der Mehrheit der Bevölkerung. Eine Ideologie des Einzelnen greife um sich, die auf Selbstbestimmung beharre, auf Konsum abziele und sich von der Idee gegenseitiger Verpflichtungen verabschiede, schreibt Collier. Und in dieses Vakuum stoßen Populisten und Ideologen.

Collier fordert eine neue Ethik der Gemeinschaft. Auch Unternehmen müssten den Rückbezug wieder herstellen zwischen den Rechten und den Verpflichtungen, zwischen Ansprüchen und Verantwortung. Collier ist einer der bedeutendsten Ökonomen und Autor zahlreicher Bücher. Er lehrt als Professor für Ökonomie an der Universität Oxford und leitete die Forschungsabteilung der Weltbank. Bekannt wurde er 20018 mit seinem internationalen Bestseller Die unterste Milliarde.

Der Deutsche Wirtschaftsbuchpreis wird verliehen vom Handelsblatt, der Frankfurter Buchmesse und der Investmentbank Goldman Sachs, die das Preisgeld stiftet. Die Partner wollen mit der Auszeichnung die Bedeutung des Wirtschaftsbuches bei der Vermittlung ökonomischer Zusammenhänge unterstreichen und einen Beitrag zur ökonomischen Bildung in der Gesellschaft liefern. Verständlichkeit ist ein wichtiges Kriterium. Das Motto des Preises lautet deshalb „Wirtschaft verstehen“.

Der Deutscher Wirtschaftsbuchpreis im Handelsblatt

Wim Wenders hält die Laudatio auf Sebastião Salgado anlässlich der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels – ZDF Liveübertragung

Der Fotograf und Journalist Sebastião Salgado erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2019. © Foto: Diether v Goddenthow
Der Fotograf und Journalist Sebastião Salgado erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2019. © Foto: Diether v Goddenthow

Morgen, am 20. Oktober 2019, zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse wird traditionell in der Paulskirche in Frankfurt am Main der mit 25 000 Euro dotierte Friedenspreis des Deutschen Buchhandels vergeben, in diesem Jahr an den Fotografen Sebastião Salgado. „Ich kann mir dieses Jahr keinen besseren Friedenspreisträger vorstellen als Sebastiao Salgado“, so Heinrich Riethmüller, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und zugleich Stiftungsratsvorsitzender, beim Pressegespräch. Sebastião Salgado behandelte seit über 40 Jahren in seinen großangelegten Projekten  eigentlich alle Themen, die die Menschheit betrifft. Ob das der Klimawandel sei, die Naturkatastrophen, das große Thema Migration und Arbeitsbedingungen usw., so Riethmüller. Man könne sagen: „Er beschreibt die Menschheit, die in der Globalisierung angekommen ist, und die Folgen der Globalisierung!“. Dies sei aber nur das eine, was ihn für die Auszeichnung so prädestiniere.

genesis2Das andere sei, dass Sebastião Salgado mit seinem letzten Projekt Genesis auch Hoffnung in die Welt sende. Er zeige die Schönheiten unseres Planeten und der Welt und der Erde. Und sein Aufruf an uns alle laute, diese Erde, diese Schönheit der Schöpfung, zu bewahren und unseren Lebensstil radikal zu ändern, damit alles erhalten bleibe, was es noch an Schönheit und Intaktheit gäbe.
Das Dritte sei, so Riethmüller, dass Sebastião Salgado nicht nur die Schönheit und die Schrecken dieser Welt beschriebe, sondern auch etwas tue. Es habe vor 25 Jahren mit seiner Frau Lélia Deluiz ein großes Wiederaufforstungsprogramm „Instituto Terra“ in Brasilien gestartet, wodurch über 3 Millionen Bäume wieder gepflanzt werden konnten. In einer verkarsteten Landschaft entstand ein grüner Wald mit zurückgekehrter Natur.

Sebastiao Salgado berichtet, dass es der „glückliche“ Umstand war, dass er von seinem Vater eine ehemalige Rinderfarm im Vale do Rio Doce im brasilianischen Bundesstaat Minas Gerais übernehmen musste, was er eigentlich nur widerstrebend wollte. Er sei dort mit sieben Schwestern dort aufgewachsen, „inmitten einer tropischen Vegetation voller Vögel und wilder Tiere mit fischreichen Flüssen und umgeben von sanften Hügeln, von denen wir unsere Familie hinaus die Welt schweifen ließen.“, so Salgado. „Aber dieses Paradies war nun verschwunden. Bis zur Mitte der 1990er Jahre hatten Rodungen und Bodenerosion das Land, wie bei so vielen Farmen in der Region, in eine leblose Ödnis verwandelt,“ erläuterte der Fotograf seine Intention, an dieser Situation etwas zu verändern, nämlich mit der „kühnen Idee, einen Walt mit all den Arten wiedererstehen zu lassen, die einmal heimisch waren. Wir träumten von nicht weniger als von der Wiedergeburt jenes kleinen Ökosystems, das ich als Kind gekannt hatte. Wir pflanzten über 300 verschiedene Baumarten, und als die Setzlinge begannen, das Land wieder grün zu färben, sahen wir mit Erstaunen, wie Vögel, Schmetterlinge, Käfer und tropische Blumen zurückkehrten,“, so Salgado. Er sei aber nicht als Journalist oder Wissenschaftler oder Anthropologe an das Projekt „Genesis“ herangegangen, sondern mit dem romantischen Traum, „eine unberührte Welt zu finden, und zu zeigen, die unseren Blicken nur allzu oft entzogen und für uns unerreichbar ist.

Sebastião Salgados großen Bildbände erscheinen in Deutschland im Taschen-Verlag,. © Foto: Diether v Goddenthow
Sebastião Salgados großen Bildbände erscheinen in Deutschland im Taschen-Verlag,. © Foto: Diether v Goddenthow

Der Autor und Filmregisseur Wim Wenders hält die Laudatio auf Sebastião Salgado, der in diesem Jahr mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt wird. Die Verleihung findet während der Frankfurter Buchmesse am Sonntag, 20. Oktober 2019, um 11 Uhr in der Frankfurter Paulskirche statt und wird live im ZDF übertragen.